Gedichte

Von

Les beaux et les belles
au bois dormant

woher weht der kalte Wind
fragten wir an dem Tag
als die Welt einfror
und auch wir
blieben stehen
gezwungenermaßen
hielten den Atem an
steckten fest
in den engen Räumen
dunkler Träume
befreit uns
küsst uns auf den Mund
haucht uns Atem ein
und holt uns zurück!
summen wir leise
Schattenbotschaften
dabei schlafen wir
weiter und weiter
verschlafen das Warten
bis wir nicht mehr
so genau wissen
worauf wir warten
und allmählich vergessen
wie es ist wach zu sein

 

Flaschenpost

In den Nebelwochen
geht der Wind unter
Malvenstimmen geistern
die Küste entlang
rauf und runter
der Gesang
wäscht das Knistern
des Sommers
aus den Gesichtern
was für ein Tag
ist heute fragen wir
zu viel Grau
vertragen wir nicht
schwaches Licht und
es wird früh dunkel
schwärzer jeden Abend
in den Betten murmelt es
schlaftrunken
mit verbundenen Augen
niemand beschwört
niemand erlöst
die Nebelwochen

 

Nocturne

Lady Anguilla erscheint
im knisternden Kleid
auf klappernden Absätzen
die uns wachhalten
unsere andächtigen Blicke
folgen seinen Schritten
auf und ab
forsch und schwungvoll
schlagen sie an
wie die Tasten eines Klaviers
Die Kunst mag vergänglich sein
aber das Herz spielt
noch stundenlang bevor
es sich zum Schlafen legt

 

Der Wind in den Segeln

1
unsere Gespenster
wandern und wandern mit
blinde Passagiere
an Bord
allzeit bereit
zu springen
huschen sie
wie Schatten
die Wände entlang
wir haben uns
an sie gewöhnt
türmen unser Haar
hoch hoch auf
tragen Lidstrich
und reden schwungvoll
in Ellipsen
so shiny shiny
bei Tag und bei Nacht
wollen wir glücklich sein
und hören damit erst auf
wenn wir es sind

2
und dann
manchmal so schläfrig
die Stunden des frühen Abends
so ein dazwischen
kein Ort
den es wirklich gibt
eine Glaskugel
die wir befragen
schlüpfrig der Augenblick
den wir in Seemannsgarn wickeln
in Muschelkindersprache
in Straßentrommeln
und Windgedichten verstreuen
kein Sommer ist für immer

3
da wo nichts geschieht
zieht Dunkelheit auf
da wächst der Regen
wie Gift in den Wurzeln
und Spinnweben hängen
an den Fenstern
murmeln Verwünschungen
selbst der Kapitän
bekommt Heimweh
wenn die Tage
stillstehen
und die Nächte
endlos scheinen
in der dunklen Atmosphäre
ist es viel zu kalt
also wickeln wir uns
in Mantel und Schal
lehnen uns an die Reling
und atmen
in unsere Hände
alles gut sagen wir
der Finsternis zum Trotz
wir halten Kurs auf Süden

 

Unter dem Horizont

die Mathematik des Schlafes
launisch wie Regentropfen
in einer Julinacht
die sich verlieren
dort wo der Wind pfeift
feiern die Fische
in unterirdischen Gärten
helles Gelächter
und Gezwitscher
traumgrau die Tinte
auf der Zunge
leckt ans Ufer
den zirpenden Gesang
scht scht …
kannst du sie hören?
wie die Wellen zerrinnen
wie die Wassertropfen tauchen
dort wo alles beginnt
wo die Fische
ihre blassen Bäuche
streicheln
die Muscheln
ihre kleinen Füße
waschen
die Goldgräber
den Sand sieben
dort sind wir zuhause
in den krummen Räumen
mit den schiefen Treppen
und der Aussicht
über die Alpen und das Meer
in der Fischaugenperspektive
da schlafen wir ruhig
und erfinden uns selbst