Am 15. September 2014 installiert der Frankfurter Künstler Hendrik Zimmer im Kreuzgang des St. Bartholomäus Doms zu Frankfurt eine Apparatur, die er in einer hochrechteckigen aus braunem Holz gezimmerten Säule eingesetzt hat. Das nach einem mechanischen Prinzip operierende Gerät dient dazu eine 3 ½ mm starke und drei cm durchessende goldfarbige Blechmünze gegen einen Preis von €2,00 auszugeben. Um es anders zu sagen: Die Vorrichtung vollzieht die Wandlung eines pekuniären Objekts in einen Gegenstand der Erinnerung—die Ökonomie des Geldes wird gewandelt zur Ökonomie des Gedenkens an wahre Präsenz im Dom.
Wir dürfen diese Apparatur nicht gedankenlos passieren. Die Pietät verbietet es. Die Gnade der Andacht erfordert es. Nichts weniger als, wie ich zeigen werde, der Kern des Evangeliums ist hier betroffen; es offenbart sich daran das Geheimnis des Sakraments am Altar.
Mechanik der Erinnerung
Denn ist es nicht eine unbezweifelbare Tatsache, dass sich Erinnerung über Objekte vermittelt? Ist es nicht zutreffend, dass die Intensität des Erinnerns in sich wahre Präsenz herzubringen vermag? Steht und fällt nicht mit diesen Behauptungen die Wahrheit der heiligen Eucharistie? Mehr noch: Die Wonne am Objekt affiziert unsere leibliche Involvierung in die Vergangenheit. Es ruft hervor, unsere vergangenen Handlungen, die Sedimente des Erlebens; das Objekt aktiviert aus den Fasern unseres Gedächtnisses unser einstiges Sein, unsere Erinnerung an die Präsenz im Tempel des Herrn hier am Main.
Dass die Apparatur in der Vorhalle des Heiligtums errichtet ist, erschließt sich freilich daher aus seiner Konzeption als ästhetische Memotechnik. So sehr die Besucher des Doms in ebendieser Vorhalle gegen eine Spende von € 0,50 ihr Gebet im Geiste Mariens stärken, so sehr können sie an der gegenüberliegenden Säule sich die einmalige Wahrheit ihres Besuchs durch eine besondere Prägung selbst bezeugen.
Der goldene Taler, den der Frankfurter Künstler Hendrik Zimmer gestaltet hat, ist exklusiv nur aus der Apparatur im Kreuzgang zu beziehen. Seine Prägung ist limitiert. Er zeigt auf der vorderen Schauseite St. Bartholomäus aus westlicher Richtung in Frontalperspektive – zu sehen ist der XXX Meter hohe gotische Turm sowie die nördlichen und südlichen Ausläufer des Querhauses. Im linken oberen Bereich des Talers ist Kapitallettern das Wort »Frankfurt« zu lesen, welches sich der Rundung der Münze anschließt; auf der rechten Mittelachse liegen entsprechend, aber horizontal angeordnet die Worte »Kaiser / Dom«.
Souvenirs gehören seit den frühesten Tagen zu den vornehmsten Artefakte der Erinnerung in der christlichen Tradition. Sowohl die Ikonenmaler wie auch die Reliquienhändler des Mittelalters offerierten die unterschiedlichsten Gegenstände, die als Träger spezifischer Erfahrungen, diese Erfahrungen nicht nur transportierten, sondern materiell verbürgten. Objekte der Erinnerung sind Symbole, die für komplexe Erinnerungszusammenhänge stehen. Im Gegensatz zu Büchern, die Chronologie berichten oder erzählen, also enthalten, ist die im Artefakt aufgesparte Erinnerung gebunden an das Wissen der spezifischen Herkunft des jeweiligen Objekts sowie dessen Relation zu seinem Eigentümer.
Der Zimmer-Taler bezeugt den Besuch seines Besitzers. Aber Taler und Besitzer sind aufeinander verwiesen, um ein tatsächlicher Zimmer-Taler zu sein. Wer auch seinen Besuch im Zeichen des Zimmer-Talers festhält, investiert die Prägung des Talers mit seiner jeweilig einmaligen individuellen Erfahrung des Kaiserdoms. Alles, was ihm über das Licht im Gewölbe, die Formen der Altäre, die Gespräche mit Mitreisenden, jegliche Erbauung und die Inbrunst der religiösen Hingabe, alles, was den jeweiligen Besuch bestimmt, wird in einem gleichsam unerklärlichen wie wunderbaren Prozess verschmolzen durch die Mechanik der Apparatur.
Fortan wird der Zimmer-Taler die Wirklichkeit des Besuches präsent halten. Das goldene Symbol aus der Apparatur, welches aus Geld zu Gedenken gewandelt worden ist, aktualisiert die Wirkmächtigkeit des Besuches. Und gleichwohl ist die hölzerne Säule schon der Urquell erinnerungsproduktiven Verlangens.
Die Apparatur vermag durch ihr schieres Vorhandensein einen Wunsch zu erwecken in jenen, die an der Aura des Gerätes nicht anteilslos vorübergehen können. Wir müssen diesen Wunsch verstehen, denn er enthält eine Haltung des Menschen gegenüber seine Endlichkeit und der dahinschnellenden Endlichkeit der Dinge und der Orte. Indem der Besucher einen Taler erwirbt und somit das Objekt unauflöslich verschmelzt mit der Erlebnissen, die sein Besuch im Dom zeitigt, indem der Besucher das Ritual der Wandlung von Geldmünze zur Gedenktaler vollzieht, beginnt er eine radikale Revolte gegen die Endlichkeit. Er schafft sich ein mit Erinnerung, mit seiner Erinnerung, verschweißtes, somit investiertes Artefakt, das sich dem Vergehen seiner Präsenz im Kaiserdom widersetzt.
Immerfort bleibt nun die Erinnerung an die reale Präsenz des Besuchers aufgespart nun im Symbol des Zimmer-Talers. Sie ist unvergänglich. Sie bleibt, so lange der Mensch vermag, sich zu erinnern; aber auch der Taler selbst wird Anreiz und Moment der Erweckung des Gedächtnisses sein, darin liegt seine eminente Aufgabe— Realobjekt der Erinnerung zu sein für das Realsubjekt des Erinnerns.
Deutlich wird uns wohl auch ein weiterer revolutionärer Aspekt des Zimmer-Talers: Seine schiere Unübertragbarkeit. Nicht übergeben an einen anderen vermag der Besitzer den Taler, ohne den Verlust der wahren Bedeutung des Objekts zu riskieren. Denn, wie oben erwähnt, die eigentliche Wandlung des Objekts hängt intim zusammen mit der daran verschmolzenen subjektiven Erfahrungen des unverfügbaren, einmaligen Erlebnisses des Besitzers des Talers. Den Taler an einen Menschen weiterzugeben, der nicht am Ritual der mechanischen Wandlung von Geldstück in Gedenktaler teilgenommen hat, ist sinnlos: Dieser Dritte besäße den Taler, ohne eigene Erinnerungen die den Taler als Zimmer-Taler aus der Taufe des Gewindes der Apparatur hoben.
Die Unübertragbarkeit des Zimmer-Talers konterkariert die Ökonomie des Geldes, die an seiner Erschaffung teilhat. Während das Symbol der Währung eine Gemeinschaft des Wertetauschs ermöglicht; ist der Zimmer-Taler naturgemäß, ontisch singulär. Es handelt sich aber bei diesem Tausch nicht um einen Devisentausch. Die beiden Euromünzen, die zur Auslösung des Talers aus der Apparatur erforderlich sind, verwandeln sich nicht in äquivalente Münzen. Vielmehr wird ihr Wert negiert, nämlich in der Veredelung des Rituals, die den Taler verschmilzt mit dem subjektiven Investment seines unübertragbaren Eigentümers.
Die Eingießung des Geistes der Erinnerung
Gedächtnis evoziert Wirklichkeit. Es macht Vergangenes zur realen Präsenz im Jetzt und somit Vergangenheit wirkmächtig im Gegenwärtigen. Der Zimmer-Taler jedoch leistet weitaus mehr. In der Vision des Frankfurter Künstlers Hendrik Zimmer nämlich liegt die mystische Stiftung einer Gemeinschaft. Denn der Zimmer-Taler ist eben auch Massenprodukt. Zwar sind die identischen Taler nicht Zeugnis einer identischen Erfahrung, gleichwohl sind sie ein seltsames vinculum amoris derer, die Fuß in den Kaiserdom gesetzt hatten zur Errettung ihrer Seele. Der Zimmer-Taler stiftet unter der Menge seiner Eigentümer eine Bruderschaft des Angedenkens.
Hier beansprucht der Zimmer-Taler zwei Prinzipien von kommunikativen Symbolisierungen. Seine Münzen-Form rückt den Zimmer-Taler in die Domäne des Geldes, welches, wie wir wissen, nicht einfachhin eine kapitalistische Notwendigkeit darstellt, sondern als zivilisatorische Errungenschaft einen abstrakten Austausch von Werten ermöglicht, innerhalb einer Wertgemeinschaft, die man üblicherweise als Markt bezeichnet. So sehr die Verwendung von Währungen einzelne Personen sowohl Teilhabe am Markt gestattet, sie also dem Markt vereinleibt, so sehr konstituiert der Gebrach von Geld die Person auch als Subjekt des Marktes.
Eine weitere Form der Kommunikation, die sich nicht nur in ihrer formalen Ausführung dem Zimmer-Taler, aber auch dem Münzgeld ähnelt, sondern darüber hinaus auf einer ähnlich gearteten kommunikativen Logizität basiert, ist die konsekrierte Hoste der katholischen Liturgie.
Wir müssen uns daran erinnern, dass das Brot nicht nur symbolische Gestalt hat. Die runde Hostie, wie der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch bereits feststellte, gestattet eine Vereinleibung der einzelnen Gemeindemitglieder in das Geheimnis des Altars, indem es die reale Präsenz Jesu Christi in der Gemeinde als konsumierbares Objekt ermöglicht. Die Hostie ist somit nicht nur universales Moment der Aktualisierung der Gemeinschaft mit Jesus, sondern auch die Erneuerung des Bundes der Gemeinde. Die Hostie macht die personale, einmalige Gemeinschaft mit Jesus wie auch die universale Gemeinschaft der Menschen konsumierbar.
Nehmen wir diese beiden Aspekte zusammen, können wir Hendrik Zimmers Intention näher begreifen: Der Zimmer-Taler stiftet die realsymbolische Wahrheit des Daseins eines Individuums im Dom. Es ist in seinem Warencharakter beliebig oft käuflich, aber in seinem Verwendungszweck unübertragbar: Es ist also universal und individuell zugleich. Es verwandelt Kapital in ein Kapitel im Leben eines Menschen.
Dabei ist auch der Zimmer-Taler – im Gegensatz zu den elaborierten Bildwelten der Altäre – keineswegs ein Objekt, das besondere geistige Fähigkeit von seinem Besitzer verlangt. Daher sein wahrer universaler Anspruch, sein absoluter Inklusivismus. Selbst das infantilste Bewusstsein ist fähig, die beiden Euromünzen in Daumen und Zeigefinger zu halten, die eigentümliche Kühle des Kapitals zu verspüren; es vermag die beiden Münzen in den Schlitz der Apparatur einzuführen, ihrem hastigen Hinabrutschen in die metallischen Gedärme der Apparatur zu lauschen; um sodann und sogleich mit seinen eigenen Ohren den schweren mechanischen Knacklaut zu vernehmen, der das Kapital auslöst aus dem Reich der schwankenden Werte und überführt in die wunderbare Eigenheit der wirklichen Selbsthabe. Das so infantile Bewusstsein wird sich daran erfreuen, dass er tastend den Zimmer-Taler im Ausgabefach vorfindet; glücklich der, der zum ersten Mal in seinen Händen das reine Gepräge goldglänzend in Augenschein nimmt, sodass ihm jener Besuch immerdar eine Augenweide der wahren Erinnerung bleibe.
Kaugummiautomat des Global Players
Der Zimmer-Taler ist eine Quelle kultischer Erinnerung als Ware. Es ist viel Platz nach oben, sehr viel Platz. Sein Potenzial wird erst allmählich in all seiner Tiefe erkannt. Die Apparatur des Zimmer-Talers ist ein Kaugummiautomat für Global Player. Er schenkt dem Touristen, dem Geschäftsmann, aber auch den immer wieder zurückkehrende Gläubigen der Mainmetropole per Auslösung ein Denkmal ihres Daseins. Während uns die Münzen ferner Zeiten an Kaiser und Könige, an politische und wirtschaftliche Organisationsformen erinnern, wendet der Zimmer-Taler diese signifizierende Funktion des Geldes ins Existenzielle.
Wir haben es zu tun, mit einem radikalen Akt konzeptioneller Kunst. Hendik Zimmer eröffnet uns die Möglichkeit unser Erlebnis zur ästhetischen Erfahrung zu machen. Der Zimmer-Taler markiert somit die materielle Manifestation jeglicher Erfahrung. Der Zimmer-Taler drängt auf die Authentizität des Dortseins in räumlich und zeitlich strukturierter Wirklichkeit; er insistiert aber ebenso auf die Wiederherstellbarkeit dieser Wirklichkeit, sodass sie existentiell nachhaltige Wirklichkeit bleibt.
Dabei spielt weniger der religiöse Charakter des Ortes, an dem die Apparatur errichtet worden ist, eine besondere Rolle, als dass der Zimmer-Taler Moment mystischer Einigung von Memoria und personalen Erlebens wird. Der Zimmer-Taler zeichnet somit nicht nur einen Ort als besonders interessant und denkwürdig aus, sondern lässt die Besucher dieser Orte habhaft ihrer Selbst, aber auch habhaft des Ortes werden. Infolgedessen ließe sich sagen, dass der Zimmer-Taler ein Objekt darstellt, welches zur Selbsthabe ermächtigt. Daher die wunderbare Größe dieses Kunstwerks.