Predigt

Von

Liebe Gemeinde, weil sich einige von Ihnen fra­gen wer­den, warum ich hier ste­he, will ich erst ein­mal darauf Antwort geben, möglichst ehrlich, denn als Predi­ger ist sog­ar ein Schrift­steller zur Wahrhaftigkeit ange­hal­ten. Es gibt zwei Motive. Das eine ist moralisch ver­w­er­flich, weil selbstsüchtig, das andere lei­der auch nur auf den ersten Blick gottge­fäl­liger Natur.

Das fort­geschrit­tene Alter bringt es nun ein­mal mit sich, dass Pre­mieren sel­tener wer­den. So ziem­lich alles ist schon vor ger­aumer Zeit das erste Mal geschehen. Gepredigt habe ich aber noch nie. Das gönne ich mir hier­mit.

Zum anderen ist es rat­sam, in reifer­en Jahren ver­mehrt gute Werke anzuhäufen, denn stünde ich mor­gen vor dem Jüngsten Gericht, kön­nte mich nur ein sehr guter Anwalt ret­ten. Das bringt mich auf meine selt­same Biogra­phie und gle­ich auch mit­ten ins The­ma. Ich bin ja vom Jusstu­den­ten zum Schreiber gewor­den, unter anderem auch von Krim­i­nal­ro­ma­nen. Eine Juris­ten­zeitschrift stellte mir neulich die Frage: „Wie kommt man von Recht und Ord­nung zu Mord und Totschlag, Herr Komarek?“ Die Antwort: Man kommt nicht hin, man ist schon da. Jed­er Gerechte hat seine Leiche im Keller, wie jed­er Heilige auch ein Sünder ist, jed­er Moral­ist ein Wüstling, jed­er Asket ein Gier­schlund.

Bevor ich mich noch weit­er in wüsten Unter­stel­lun­gen erge­he, zitiere ich so gut wie nei­d­los einen der bib­lis­chen Best­seller­autoren, näm­lich Lukas. Das Gle­ich­nis von den bösen Winz­ern. Er erzählte dem Volk dieses Gle­ich­nis: Ein Mann legte einen Wein­berg an, ver­pachtete ihn an Winz­er und reiste für län­gere Zeit in ein anderes Land. Als nun die Zeit dafür gekom­men war, schick­te er einen Knecht zu den Winz­ern, damit sie ihm seinen Anteil am Ertrag des Wein­bergs abliefer­ten. Die Winz­er aber prügelten ihn und jagten ihn mit leeren Hän­den fort. Darauf schick­te er einen anderen Knecht; auch ihn prügelten und beschimpften sie und jagten ihn mit leeren Hän­den fort. Er schick­te noch einen drit­ten Knecht; aber auch ihn schlu­gen sie blutig und war­fen ihn hin­aus. Da sagte der Besitzer des Wein­bergs: Was soll ich tun? Ich will meinen geliebten Sohn zu ihnen schick­en. Vielle­icht wer­den sie vor ihm Achtung haben. Als die Winz­er den Sohn sahen, überlegten sie und sagten zueinan­der: „Das ist der Erbe; wir wollen ihn töten, damit das Erbgut uns gehört.“ Und sie war­fen ihn aus dem Wein­berg hin­aus und bracht­en ihn um. Was wird nun der Besitzer des Wein­bergs mit ihnen tun? Er wird kom­men und diese Winz­er töten und den Wein­berg anderen geben. Als sie das hörten, sagten sie: Das darf nicht geschehen! Da sah Jesus sie an und sagte: Was bedeutet das Schrift­wort: „Der Stein, den die Bauleute ver­wor­fen haben, / er ist zum Eck­stein gewor­den? Jed­er, der auf diesen Stein fällt wird zer­schellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zer­mal­men.“ Die Schrift­gelehrten und die Hohen­priester hät­ten ihn gern noch in der­sel­ben Stunde festgenom­men; aber sie fürchteten das Volk. Denn sie hat­ten gemerkt, daß er sie mit diesem Gle­ich­nis meinte. Natürlich habe ich nachge­le­sen, was fromme oder auch ket­zerische Ken­ner der Bibel zu diesem Gle­ich­nis meinen. Manch­es leuchtet mir ein, manch­es weniger, und ich werde mich hüten, in einen the­ol­o­gis­chen Dis­put einzutreten. Doch wer meint, in diesem Gle­ich­nis von bösen Winz­ern als bösen Juden zu lesen, denen der Wein­berg weggenom­men wird, damit ihn die braven Chris­ten bekom­men, ver­wech­selt die Amt­skirche mit dem Kirchen­volk, ein Fehler, den man auch heute tun­lichst ver­mei­den sollte. Noch dazu erk­lärt sich das Gle­ich­nis in diesem Sinne mit dem let­zten Satz selb­st: Die Schrift­gelehrten und Hohen­priester haben den ihnen anver­traut­en göt­tlichen Wein­berg verun­treut und beant­worten mah­nende Botschaften mit Gewalt. Dafür wer­den sie bit­ter bezahlen müssen.

Die Geschichte hat aber auch eine andere Seite und die bet­rifft den bib­lis­chen Schöpfer und Eigentümer des Wein­berges. Als Land­wirt und Unternehmer beweist er fast schon sträfliche Naiv­ität. Als er durch einen Boten ein­fordern läßt, was ihm zuste­ht, reagieren die Pächter mit ein­er Unver­schämtheit, auf die es eigentlich nur eine Antwort gibt: die ener­gis­che Durch­set­zung des Recht­es mit allen tauglichen, wenn auch legalen Mit­teln. Aber nein. Vielle­icht war der erste Bote ja nur ungeschickt, anmaßend oder unhöflich. Also noch ein sanftmütiger Ver­such mit einem Ergeb­nis, das irgend­wie vorauszuse­hen war. Aber vielle­icht hat­ten die Pächter dies­mal einen schlecht­en Tag, üble Laune oder Zah­n­weh? Also ein drit­ter Bote. Und der wird, ums deut­lich zu machen, sog­ar blutig geschla­gen. Ach weh, es ist schon ein Jam­mer mit diesen Leuten. Aber es kön­nte ja sein, daß sich die stolzen Winz­er durch Boten belei­digt fühlten, die ihrem Stande nicht ebenbürtig waren? Dieser Makel trifft auf den geliebten Sohn freilich nicht zu. Also wer­den ihn die Pächter höflich emp­fan­gen und unter wortre­ichen Entschuldigun­gen ihre Pflicht tun.

Die Winz­er sind dann allerd­ings genau so, wie es ihr bish­eriges Ver­hal­ten ver­muten ließ: Gierig, hin­ter­hältig, berech­nend und zu jed­er Schand­tat bere­it, auch zum Mord. Also so geht das nun wirk­lich nicht. Der Vater übt dreimal blutige Rache und sucht sich fre­undlichere Pächter. Aug um Auge, Zahn um Zahn ... war das nicht schon längst ein­mal überwunden gewe­sen?

Nun ja. Da gibt es die Bibelübersetzung von Wal­ter Jens, in der nicht mehr vom Töten oder Umbrin­gen der Winz­er die Rede ist. „Er wird sie hin­richt­en lassen“ ste­ht da zu lesen. Damit ist die Sache legal­isiert und die Blu­tra­che vom Tisch. Aber warum dann nicht gle­ich der Rechtsweg?

Selt­samer Gedanke: Ein Herr des Wein­gartens, der ohne Güte und Geduld zu investieren, gle­ich ein­mal zur Tat geschrit­ten wäre, hätte damit seinen Knecht­en viel Unbill erspart, seinen Sohn am Leben erhal­ten und müsste möglicher­weise auch keine neuen Pächter suchen, weil die alten angesichts dro­hen­der Sank­tio­nen zwar noch immer mur­rend ihre Pflicht tun, aber zumin­d­est pünktlich. Anders gesagt: Hätte ein weniger guter Men­sch, ein hart gesot­ten­er Geschäfts­mann näm­lich, angemessen­er und damit klüger reagiert? Ja, ich weiß schon: Die Bibel ist kein Geset­zbuch und schon gar keine Gebrauch­san­weisung.

Ander­er­seits glaube ich schon, dass nicht ein einziger Satz darin nur ein­fach dahin geschrieben wurde. So gese­hen müsste der Rang eines Gle­ich­niss­es auch für die selt­same Ver­hal­tensweise des Pacht­ge­bers gel­ten. Und weil die Bibel auch Kraft genug hat, deut­liche Worte auszuhal­ten, sage ich jet­zt nicht „selt­sam“ oder „naiv“, son­dern „schock­ierend“, „unfass­bar“, „unbe­grei­flich.“ Und siehe da: Aus der rauschebär­ti­gen Filz­pantof­fel Obrigkeit auf dem Wolken­thron wird eine Wesen­heit, die sich unser­er Logik und unseren Wert­maßstäben entzieht.

Eine Wesen­heit, zum Beispiel, die es zulässt, dass die Staatsmän­ner aller Zeit­en und aller Natio­nen zur höheren Ehre Gottes blutige Kriege führen, die es Kirchen­lehrern ges­tat­tet, Sinn in Irrsinn zu verkehren, die Schin­der und Schän­der unseres Leben­sraumes reich und mächtig wer­den lässt und die es den Lügnern und Betrügern erlaubt, Recht zu behal­ten. Ja, und den Send­boten dieser Wesen­heit geht´s natürlich schlecht: den unbe­que­men Wahrheit­slieben­den, den lästi­gen Warn­ern, den war­m­duschen­den Gut­men­schen.

Die göt­tliche Nicht-Ein­mis­chung hat ganz offen­sichtlich nichts mit Güte, Geduld und San­ft­mut zu tun. Es kön­nte aber um jene Frei­heit gehen, in der alles Gute, alles Böse und alles Indif­fer­ente Platz hat. Bis sich eines Tages eine höhere Macht die Frei­heit nimmt, jenen die Frei­heit wegzunehmen, die sie so schändlich miss­brauchen – und das mit erschreck­ender Radikalität, aus­löschen­der Wucht und schein­bar­er Willkür. Grausam darf man einen solchen Akt dann natürlich nicht nen­nen, denn das würde ja schon wieder bedeuten, men­schliche Maßstäbe anzule­gen.

Die Schöp­fung als Man­i­fes­ta­tion des Schöpfers. Eine mißbrauchte Welt und eine Macht, die mit einem fürchterlichen Schlag neue Ver­hält­nisse schafft. Das führt uns aus ori­en­tal­is­chen Fer­nen in unseren All­t­ag. Und es macht aus Winz­ern eigensüchtige Par­a­siten wie Du und ich. Damit kommt uns aber auch das bib­lis­che Gle­ich­nis unbe­haglich nahe, unser­er spaßhun­gri­gen Ellen­bo­genge­sellschaft mit den vie­len tüchtigen Ich-Aktionären und -Aktionärin­nen. Schlecht gehts den armen Alpen, wirk­lich. Aber den Gletsch­er­schi­lauf haben wir uns weiß Gott sauer ver­di­ent. Beun­ruhi­gend groß ist das Ozon­loch, doch beruhi­gend klein und doch wirk­lich ver­nach­läs­sig­bar ist so ein Aus­puffloch. Bitte, man spendet ja da und dort, da wird man sich dann auch sein­er Wohl­stand­shaut wehren dürfen. Asylmiss­brauch gibt es, also dürfen sich auch jene, die nicht miss­brauchen nicht wun­dern, dass sie kein­er haben will. Sozialschmarotzer gibt es, also müssen sich auch Nichtschmarotzer Mis­strauen gefall­en lassen, und Arbeit­slose haben eben Pech gehabt oder zu wenig Pow­er. Dass elende Hunger­löhne exo­tis­che Früchte bil­liger in die Geschäfte brin­gen als heimis­che Gemüse ist ja schließlich nicht unsere per­sön­liche Schuld und das schicke Tex­til-Label riecht so gar nicht nach Umwelt­giften und Kinder­ar­beit. Entsol­i­darisierung heißt mit anderen Worten: wir schick­en jene, die unan­genehm verpflich­t­ende Forderun­gen an uns stellen weg und geben ihnen noch ein paar hin­ter die Ohren, damit sie nur ja nicht wiederkom­men. Im Prinzip sind wir alle näch­sten­lieb, fried­fer­tig und tol­er­ant. Doch wenn es um die eigene Haut geht, hört sich der Spaß auf. Und wenn diese eigene Haut dann noch dazu ide­al­is­tisch impräg­niert ist, darf man sog­ar noch ein Schäuferl zule­gen: dann gibt es gewalt­bere­ite Grüne, men­schen­ver­ach­t­ende Frömm­ler oder selb­st­gerechte Richter. Nein­nein. Böse Winz­er sind wir nicht, höch­stens ein biss­chen und manch­mal, mehr aus Verse­hen. Und den geliebten Sohn vom Chef würden wir schon gar nicht erschla­gen. Allen­falls ein bis­serl mobben oder ruf­mor­den. Und dass Auschwitz vorgestern war und die straßen­waschen­den Juden Wiener waren, von Wienern gedemütigt und verspot­tet ... mein Gott, nicht schon wieder diese Geschichte.

Noch ein­mal wird´s lit­er­arisch, in diesem Sinne. Pater Brown, Chester­tons sehr ein­drucksvoller katholis­ch­er Pfar­rer, lei­der auch in guten Ver­fil­mungen sträflich ver­harm­lost, hat einen sehr schö­nen Satz gesagt: Ich bin ein Men­sch, in mir sind alle Him­mel und Höllen.

Amen.

Predigt in der Evan­ge­lis­chen Pauluskirche in Wien-Land­straße 2005