Ma

Von

間Klick­zahl. Raum­maß. 間

Set­zt du die Pflanzen ein, während du auf die Fam­i­lie auf­passt. Ist das Loch immer zu klein – und das ist es – musst du es immer nochmal ausweit­en, und nochmal, und wieder. Nie, eigentlich, bis zur Zufrieden­heit, da die Erde von den Seit­en immer wieder mas­siv ins Loch zurück­rieselt, dann eben ein, zwei, drei Mal, bis du die Geduld ver­lierst und die Pflanze mit dem topf­för­mi­gen Wurzel­stock da ein­fach rein­stopf­st.

Auf diese Weise set­zt du bei der Lek­türe, Beurteilung und Gestal­tung dein­er Umge­bung die Spanne dein­er Geduld ein. Du ver­wan­delst deine Geduldss­panne sozusagen in ein Raum­maß. Sie ist kein Mod­u­lor von Cor­busier, aber auch keine indus­trielle Norm. Sie zeigt unge­fähr an, was du erträgst. Wozu du dich streck­en kannst. Kann sich in einem ermesslichen Maß dehnen und zusam­men­ziehen, wie Holz und andere Mate­ri­alien. Ja, wenn es fröstlig kalt ist oder furcht­bar heiß oder, wie meis­tens, im 10-Minuten-Takt wech­selt, bist du vielle­icht ungeduldiger, als wenn bei mod­er­ater Tem­per­atur eine unwesentliche Brise die Augen­blicke fröh­lich an dir vor­bei­we­ht. Wid­me­test du solche Stern­stun­den der Woh­nung­sein­rich­tung, wärst du von Har­monie umgeben. Aber ander­er­seits, so ein Men­sch würdest du eh nicht sein wollen.
Freilich kön­ntest du dich bess­er in die Gesellschaft fügen, wenn du dich nach deren Maßen zur Ori­en­tierung als Ziel zu streck­en geübt hättest; wenn dir eine gut entwick­elte, ver­trauenswürdi­ge Kon­ven­tion, diese men­schen­för­mige Norm, mit Flöten­stim­men rat­en würde: bis da ist noch zuwenig; bis hier ist es genug, darüber hin­aus ist mehr als genug und schaut auch danach aus.
Wenn die Umge­bung, freilich, schön wäre; ver­trauenswürdig, nachah­menswert.
Da es nicht so ist, bist du auf das angewiesen, was tra­di­tionell das Innere genan­nt wurde, und das nicht existiert. Im besten Fall ist aus dem ver­füg­baren Mate­r­i­al etwas gebaut, was das Here­in­strö­mende zu etwas fil­tert, was so etwas wie Schön­heit, Brauch­barkeit, Kohärenz hat, und das dir ermöglicht, Freude zu erzeu­gen, für dich und für andere, und weit­er­leben zu wollen.

間Das Maß. 間

Um das rel­a­tive ide­ale Maß zu erforschen, ist zunächst eine entsch­iedene Maßlosigkeit notwendig, und so kommt dieses schreck­liche Para­dox, dass die For­muliererin­nen weis­er Ratschläge oft nicht ger­ade den Ein­druck vor­bildlich­er Men­schen machen. Man ist vom Lern­prozess geze­ich­net; bei Tri­al and Error ist es nicht etwa so, dass man den Error links bei­seit­eliegen lässt: man ist durch ihn durchge­gan­gen. Bei Ermah­nun­gen zum Maßhal­ten, etwa von müt­ter­lich­er Seite, musste ich mich immer fra­gen: Warum denn – um so zu leben wie du? Fies ist es, nach einem hal­ben Leben fest­stellen zu müssen, fuck, dieses deprim­ierende Maß, auf halbem Weg ste­hen zu bleiben; diese Sturheit, die nachgibt, wenn es schon zu spät ist und der Schaden sich schon andeutet; diese als Mäßi­gung getarnte Faul­heit hat sich im Schat­ten mein­er hero­isch maßlosen Herum­plantschereien genau so aus­ge­bre­it­et, als hätte ich es absichtlich gemacht.

Platz hier!            間間間間間間間間間間間間間間間間間間間間間間間間間間間

Das Wort Aida heißt auf Japanisch Gap, Lücke, und liefert mir endlich eine Ausrede für meine Beteili­gung am nos­tal­gisch-trashigen Kollek­tivfetisch für die Kon­di­tor­eikette Aida, die bes­timmt keine guten Verträge für ihre Angestell­ten hat, aber Fix­anstel­lun­gen. Diese Atmo­sphäre strahlt es aus. Köstlich­er noch als die angemessen kleinen, man kön­nte aber auch sagen, einen piek­feinen Geiz feiern­den Mehlspeisen ist die Rei­bung zwis­chen dem Kitsch der Opern­ref­erenz mit der men­schen­fre­undlichen Ansage ein­er Pause.

Hinge­gen hat der rein rhyth­misch-klan­gliche Gebrauch des Worts Oida seine Funk­tion als Puffer­wort im öster­re­ichis­chen Umgang fest etabliert. Beze­ich­net es gele­gentlich noch den Gat­ten oder die Gat­tin, so markiert es als Sprechakt genau deren Abwe­sen­heit, und wird bei ihrer oder sein­er Anwe­sen­heit zu einem für sich ste­hen­den, auf keine Per­son ref­eren­zieren­den Aus­ruf. Ein Bekan­nter von mir hat in ähn­lich­er Funk­tion hochdeutsch „Fre­undin“ gesagt, aber das hat sich nicht bre­it­er durchge­set­zt; wohl hinge­gen im rest­deutschsprachi­gen Raum „Bru­da“, „Schwes­ta“ (Frauen benutzen häu­fig bei­des füreinan­der) oder „Dig­ga“ (Dick­er), was auch sehr hil­fre­ich das Bild eines unver­wüstlichen, pol­ster­för­mi­gen Mit­men­schen in den Raum stellt. Es sind dies so etwas wie Babyele­fan­ten oder Abstand­maße, Arm­län­gen, die Zunei­gung durch Abstand ermöglichen, wo mehr Nähe Fluchtwün­sche aufkom­men ließe.

Hier kön­nte ein Poller ste­hen. Oder Ihre Wer­bung. Aber blick­en Sie ein­fach auf und denken Sie an Ihre Mut­ter.

(Ich habe ange­set­zt, diese Zwis­chenak­tiv­itäten kur­siv zu set­zen. Aber sie kamen mir sofort get­toisiert vor. Ger­ade: Essay, schief: per­for­ma­tiv­er Sprechakt. Das ist, wie wenn ich in ein­er Aida-Fil­iale sitze und zuhöre, wie die Mitar­bei­t­erin ver­sucht, die Stof­faus­gabezen­trale zu überre­den, ihr den Stoff zu geben, damit sie Sitzpöl­ster für die Stammkun­den nähen kann, während draußen die Arbeit­er die Pflaster­steine für die neu beruhigte Einkauf­sstraße mit ein­er neuar­tig erscheinen­den hydraulis­chen, rück­en­scho­nen­den Steinean­hebe­mas­chine ein­set­zen, und ich in mein­er viereck­i­gen Blase von ver­spiegel­ter Nis­che als einzige völ­lig schmäh­stad, völ­lig außer Gefecht, völ­lig nut­z­los, taten­los und gedanken­los bin.)

Als Zeit­maß, also als Puffer, um Zeit zu gewin­nen, benutzt man im Deutschen wie im Japanis­chen, wen­ngle­ich mit leicht unter­schiedlich­er Nuance, den Aus­druck „Ma...“ - zufäl­lig auch die zweite Lesart des Zeichens für Aida. Man sieht darin ein Tor, in dessen Mitte eine Sonne aufge­ht, sinkt oder herumhängt oder so – ein Hin­weis auf Zeitlichkeit. 間に合う、„Maniau“, die Weile tre­f­fen, heißt es, wenn man rechtzeit­ig kommt. Es ist eine ele­mentare Silbe, die beim Öff­nen und Schließen des Munds entste­ht, wobei die Äußerung zeitlich rhyth­misch gegliedert wird. Nach­dem dies bekan­ntlich die erste Aktion sprechen­der Babies ist, haben Homonyme dieser Lau­tung vielle­icht nicht so über­ra­gende Bedeu­tung. Mani­ak und Man­iok (die Wurzel), etwa, sind unver­wandt. Wenn man also in mehreren Sprachen, um Zeit zu reklamieren und gemis­chte Gefüh­le anzuzeigen, „Ma...“ sagt, so ver­weist das höch­stens auf Uni­ver­sal­is­men. Leute, die Spuren von allen Früh­stück­en der Men­schheit an Kleinkindern suchen, kön­nten auf die Idee kom­men, dass es sich bei diesem offen­bar interkon­ti­nen­tal­en Aus­druck der Unentschlossen­heit um eine abgekürzte Form der Mut­ter­ansprache han­delt. Der ganze Name Mama wird für echt harte Folter­szenen und Todesmo­mente aufges­part, das hier ist eher das Echo eines nur leicht verun­sicherten Seit­en­blicks auf die ver­traute Fig­ur: was macht denn sie daraus? oder eine Besin­nung, ein kurz­er Blick um sich, ein kurz­er Schritt zurück oder vielle­icht sog­ar zwei, um sich der passenden und zielführen­den Rich­tung zu vergewis­sern.

Eventuell kön­nte das auch den Über­schnei­dungspunkt von Mani­ak und Man­iok darstellen, der Knolle, deren Wurzeln ausse­hen wie Wass­er in den Beinen: so eine Art Bere­itschaft, im einen Fall, sich in ein Hob­by oder eine Angele­gen­heit rück­halt­los hineinzustürzen wie son­st nur als Kleinkind in das Bein der Mut­ter. Im Fall von Man­iok, das auch Kass­a­ba genan­nt wird, muss man ein biss­chen rum­lutschen, um die Gemein­samkeit her­auszu­forcieren, vielle­icht so etwas wie, dass sie wie alle Wolf­s­milchgewächse von giftiger Milch durch­zo­gen ist und nur durch Kochen, Trock­nen und andere Ver­ar­beitungs­for­men genießbar wird – wie der Men­sch, oder?
間間Ono­matopo­et­is­che Ein­lage, vergessen Sie bitte nicht auf die Rück­enübun­gen beim Lesen:

Pirol ist wie Ori­ole, und etwas anders als Uguisu. Was ist mit diesen liq­uiden Buch­staben, dem schwarzweißen Lichtschat­ten­blinken der oi Kom­bi­na­tion, über das die Liq­ui­da fließen wie Bach­wass­er? Wir wis­sens, aber kön­nens nicht sagen. Stimmt nicht, wir sagens eh. Nur nicht mit anderen Worten. Nur mit diesen.

パラノイア­Para­noiaパラの親

Die Mut­ter muss als Mut­ter­schiff ein Knoten­punkt der Assozi­a­tio­nen der sie umgeben­den jün­geren Mit­men­schen sein, aber wer ist sie? Die Art, wie sie sich bewegt; die Dauer ihrer Aufmerk­samkeitss­panne, ihre typ­is­chen Reak­tio­nen auf alles. Am inter­es­san­testen vielle­icht, wenn sie sich abwen­det, wenn sie einen vergessen hat und wie unbeobachtet agiert. Blitzar­tige Momente, deren Rhyth­mus sich ein­bren­nt.
Zugle­ich müssen Kinder, wenn die Hor­mone richtig ein­kick­en, an eine sedierte, später ganz willfährig gemachte Fig­ur gewöh­nt sein, die, ohne ungeduldig zu wer­den, mit zeitlux­u­riös­er, ver­liebter Co-Fasz­i­na­tion die Mil­lio­nen Wieder­hol­un­gen begleit­et, die man ger­ade braucht, um etwas zu ler­nen. Fatal. Und diesen gemein­samen Puls mit der Wirk­lichkeit, der zugle­ich eine Abwe­sen­heit von Schmerzen bedeutet, suchen wir durch Anpas­sung und Manip­u­la­tion, in Unter­richt, Musik, Kon­ver­sa­tion und Arbeit. Eine Umge­bung, die sich an mich anpasst: ein Flauschep­ullover, ein Mem­o­ry-Kissen. Entspan­nung heißt, dass jemand ander­er die Zeit vorgibt, gegen den man keinen Wider­stand leis­ten muss, weil dieser Dienst nur für einen da ist. Ser­vice-Hot­lines, allein der Gedanke, dass sie da sind. Vor Ort Fernse­hen, Streams, end­less sup­plies serieller Good­ies, harm­lose Trig­ger bis an den Hor­i­zont. Man hängt an den Lip­pen der Lehrerin, des Lehrers, oder des Scroll­streams, und empfind­et die zäh­flüs­sige gold­ene Zeit als Fluss, in dem man mit­fließt, gegen den man nicht kämpft.
Schick­sal­shafte, im Leben ein­ma­lige Ekstase wurde als das höch­ste der Gefüh­le rech­ner­isch bestätigt, und nun umgibt uns dieses drama­tis­che, rosige Abendlicht in Form jed­er LED-Glüh­birne, in den Bild­schir­men mit her­aus­ge­filterten Blautö­nen, in der nach Auswer­tung von Umfra­gen auf das Unter­be­wusst­sein eines Durch­schnittskun­den, also eines mit­tel­ständis­chen Man­agers aus Eng­land, per­fekt abges­timmten Lob­by. Sog­ar in den Wer­bun­gen, die die Funk­tion­al­ität von zusam­menge­bossel­ten Ler­napps aus Viet­nam unter­brechen, star­rt mich ein Bahn­abteil voll rosigem Dun­st in Verza­uberungs­bere­itschaft an. Als Kinder von Müt­tern ler­nen wir die Kun­st, Mit­men­schen mit Charme zu hyp­no­tisieren – oder ler­nen sie nicht. Wir wit­tern etwas, sehen den fatal­en Riss und ver­suchen, die Kun­st zu entler­nen, die uns immer wieder uns selb­st unsicht­bar macht. Wir set­zen uns in die hin­ter­ste Rei­he eines ewigen Klassen­z­im­mers, während eine Lehrerin oder ein Diapro­jek­tor den Kos­mos erk­lärt. Wir suchen den zufäl­li­gen, der Opti­mierung des emo­tionalen Engage­ments und der Moti­va­tion irgend­wie entwischt­en Spiel­raum, der erlaubt, müßige und kon­trapro­duk­tive Gedanken zu ver­fol­gen, und der als Fetisch ver­hin­dert, dass man jemals in ein­er als sin­nvoll gel­tenden Busi­ness­form an die Spitze kommt. Stattdessen lebenslange Unwucht garantiert. Wie T. Haberko­rn let­ztes Jahr am IFK referierte, geben bes­timmte Typen von ADHS die besten Bedin­gun­gen für den max­i­malen Erfolg auf sozialen Medi­en ab – allerd­ings weit abgeschla­gen nach der erst­platzierten Bedin­gung: bere­its erfol­gre­ich zu sein, bevor man anfängt.