FOAM

Von

Sie braucht nicht viel, aber manch­mal hat sie gerne etwas. Manch­mal macht es ihr Spaß, Dinge online zu bestellen. Dann freut sie sich, wenn das Paket kommt und sie der Bote schon ken­nt, wenn sie den Kar­ton aufreißen kann, um das neue Ding zu begutacht­en, und dann eine Weile eine Freude daran zu haben, ein, zwei Tage zu genießen, etwas Neues in ihren Besitz gebracht zu haben. Die Dinge nutzen sich schnell ab, weshalb es immer neue braucht. Von den foams ver­spricht sie sich viel. Diese schim­mern ver­heißungsvoll und sind unnah­bar, ihnen liegt ein Reiz zugrunde, der sie schnell begehrt gemacht hat, in ihnen wabert ein Geheim­nis, diese wird man gerne und lange anschauen, der foam ver­spricht ger­ade auf­grund sein­er frag­ilen Beschaf­fen­heit Fasz­i­na­tion für die Dauer seines Beste­hens, das – wenn man den Bericht­en glauben möchte – bei vie­len sehr flüchtig aus­fällt.
Die foams sind unver­mit­telt aufge­taucht und sobald sie da waren, sobald der ästhetis­che und reduzierte Onli­neshop ein­gerichtet war und die ersten Bilder ihrer Stücke teil­ten und im Bekan­ntenkreis vere­inzelt Objek­te auf­taucht­en, gekauft von jenen, die meist ein ver­lässlich­es Gespür haben, da wusste sie, sie will einen haben, und die Vor­freude darauf, den leicht­en Schaum in ihrer Woh­nung auf einem gut platzierten Sock­el zu haben, hat sie mehrere Tage sick­ern lassen.

Die Entschei­dung fällt ihr nicht leicht. Während sie jet­zt durch den Shop scrollt, wartet sie darauf, dass sich etwas ein­stellt, ein beson­deres Inter­esse für eines der Stücke deut­lich wird, klickt sich durch ver­schiedene Ansicht­en eines ele­gan­ten foam (soap) und liest die Beschrei­bung zum foam (sug­ar), der als etwas sta­bil­er beschrieben wird, doch auch für diesen gelte Nicht berühren! Mehrmals wird auf der Seite betont, dass für zer­fal­l­ene foams keine Garantie über­nom­men wird und man sich bewusst sein müsse, dass eine Berührung aus­re­icht, um die wabern­den Gebilde zum Ein­sturz zu brin­gen, jeden­falls, dieser ist ihr zu dunkel und der weiße foam (soap) sieht zu kün­stlich aus und würde sich mit ihrer reduzierten Wohnz­im­mere­in­rich­tung schla­gen, entschei­det sie. Es kommt also nur der beige foam (sea) infrage und sie klickt diesen in den Warenko­rb.

Dann läutet sie Jonas aus der Nach­bar­woh­nung, und wie sie erwartet hat, teilt er ihre Freude und will ihr beim Ver­messen möglich­er Plätze helfen. Sie brauchen viel Raum, um zu wirken, sagt er und es ist ihm wichtig, dass sie die Präsenz nicht unter­schätzt, die so ein foam habe. Da kannst du keine Pflanze daneben­stellen, und sie erwidert, dass sie von Pflanzen ohne­hin nicht viel halte. Jonas emp­fiehlt Sock­el oder Beis­telltische, die man auf der Seite dazu bestellen kann, die optisch gut zu den Objek­ten passen, da sie sehr zurückgenom­men seien.
Also sehen sie gemein­sam die Präsen­ta­tion­s­möglichkeit­en durch und da fällt ihr ein, sie hat in der Ordi­na­tion des Hausarztes let­zte Woche einen foam in einem Plex­i­glaskas­ten im Wartez­im­mer gese­hen und als sie Jonas davon erzählt, wird er unge­hal­ten und sagt, wie richtig es sei, dass solche Vor­rich­tun­gen auf der Orig­i­nal­seite gar nicht zu find­en seien, und wie lächer­lich diese seien, und dass ein Fre­und von ihm auch     , und man dann gle­ich gar nicht     . Diese Stücke funk­tion­ieren nur dadurch, dass sie poten­tiell sehr leicht zer­stör­bar sind, meint Jonas und schaut etwas betrof­fen aus, als er hinzufügt, dass er seinen ersten eine halbe Stunde nach dem Aus­pack­en ruiniert habe, indem er sich zu nahe darüber gelehnt und aus­geat­met habe. Das macht sie nun doch unsich­er und sie über­legt, den bil­ligeren zu nehmen, immer­hin hat sie oft Fre­unde und manch­mal auch die Kinder der Schwest­er da. Zudem spielt sie mit dem Gedanken, sich einen Hund zu kaufen, wobei ein Hund und ein foam in ihrer Vorstel­lung nur schw­er vere­in­bar sind und einen Hund kann sie auch in Zukun­ft noch haben, ein Hund wird ihr beson­ders später Freude machen, aber der Moment für den foam ist jet­zt, wer weiß, ob sich in eini­gen Jahren noch jemand dafür inter­essieren wird. Obwohl sie einen Bericht gele­sen hat, dass es manche gibt, die die Über­reste der zusam­menge­sack­ten und zer­fal­l­enen Schau­mob­jek­te auf­be­hal­ten, bis diese ein­trock­nen oder zer­bröseln. Die Vorstel­lung trock­en­er Frag­mente auf einem min­i­mal­is­tis­chen Sock­el bedrückt sie und sie nimmt sich vor, den foam, sobald er zusam­men­sackt, und sie will sich keine Illu­sio­nen, dass es passieren wird, wegzuw­er­fen. Doch den Fehler dem Stück zu nahe zu kom­men, wird sie nicht bege­hen.

Sie ist noch im Halb­schlaf und öffnet die Türe ohne Brille, set­zt eine schiefe Unter­schrift auf das Gerät, das ihr ent­ge­gengestreckt wird, erwartet Büch­er und denkt gar nicht daran, dass es was anderes sein kön­nte, als sie den Kar­ton unacht­sam an den Seit­en aufreißt und das Sei­den­pa­pi­er, in das der foam eingeschla­gen ist, wegzieht.
In ihrer Vorstel­lung müsste der foam von einem speziellen Lieferser­vice in eigens dafür aus­gerichteten, gut gepol­sterten Box­en kom­men, und nicht ein­fach so, in einem Kar­ton, wie jed­er andere Gegen­stand. Im Nach­hinein kommt es ihr absurd vor, wie unacht­sam der Paket­mann und sie in der Über­gabe vorge­gan­gen sind, wie er es ihr ent­ge­gengestreckt und sie ein­fach danach gegrif­f­en hat, aber ander­er­seits, er kon­nte es nicht wis­sen und sie nicht ahnen, und jet­zt gilt nur zu sehen, ob bere­its Schaden ent­standen ist und sie sieht sich schon das Rekla­ma­tions­for­mu­lar aus­füllen.
Als sie nun vor­sichtig das Papi­er wegzieht, stoßen ihre Fin­ger auf Plas­tik und sie sieht, dass der foam in ein­er prall aufge­blase­nen Schicht eingeschweißt ist, die jede Bewe­gung fed­ert. Sie befol­gt die beiliegende Beschrei­bung präzise, indem sie das Objekt in sein­er Blase, dessen Gewicht sie kaum spürt, anhebt und es auf den vorge­se­henen Platz stellt, dann mit der Nadel die Folie wie beschrieben behut­sam auf­s­ticht, die sofort zerblät­tert und sich inner­halb weniger Sekun­den auflöst, sodass jet­zt nichts mehr zwis­chen ihr und dem hellen Schaum liegt, sie ihn fast mit ihrem Gesicht berührt, als sie seine frag­ile Wolkenkon­struk­tion und die kom­plex­en Licht­brechun­gen in sein­er bewegten Ober­flächen­struk­tur beobachtet. Schnell ent­fer­nt sie sich und nimmt sich vor, nie mehr so nahe zu gehen, ihn von nun an nur vom Sofa oder Fen­ster aus anzuse­hen, wenn ihr danach ist, und den ganzen Tag über macht es sie zufrieden, zu wis­sen, dass dort drüben, in ihrer Woh­nung, sich nun ihr eigen­er foam (sea) befind­et.

Am näch­sten Tag taucht auch in ihrem Hof ein foam auf, ob er von der Hausver­wal­tung, oder ob ihn ein­er der Mieter     , weiß sie nicht. Zuerst hat sie ihn gar nicht bemerkt, bloß den Schat­ten auf den Fliesen gese­hen, als hätte sie eine Schlange im Rück­en, und als sie sich umwen­det, sieht der foam (sug­ar), wie für diese Aus­gaben nicht ungewöhn­lich, tat­säch­lich wie eine aufgerichtete Schlange aus. Sie geht vor­sichtig ein kleines Stück näher und begutachtet den hohen Sock­el mit der Keramikschale, aus deren sandi­gem Grund der foam wächst und als sie noch etwas näher geht, vib­ri­ert das schlanke Gebilde, das ganz anders aussieht als ihr foam (sea), der eine wolke­nar­tige geschlossene Struk­tur hat, während dieser hier, ele­gant und hochaufgerichtet, in sein­er kohlear­ti­gen Beschaf­fen­heit einen lan­gen Schat­ten über den Hof wirft.

Von wem der große foam (sug­ar) im Hof ist, fragt sie Jonas und er geht gle­ich, um ihn sich anzuse­hen, meint dann, dass das ein Samm­ler­stück und eigentlich ungewöhn­lich     , für einen pri­vat­en Hof, dazu ohne Sicherung oder Absper­rung, es müsse sich um einen Lieb­haber han­deln, ihm würde dazu nur der Friedrich aus dem 4. Stock ein­fall­en, und sie nickt, obwohl sie kein Bild zu einem Friedrich hat.

Jonas sagt, er habe einen Text über seinen foam (soap) ver­fasst und ob sie ihn Kor­rek­tur lesen könne, bevor er ihn ans Mag­a­zin sende. Es gehe darin vor allem um das Begehren. Der Text, der sich mit chemis­chen Entste­hung­sprozessen ins­beson­dere des foam (sea) beschäftigt, span­nt den Bogen von dem Abster­ben der Meere­sal­gen, aus denen sich die natür­lichen, faulig-schwe­fe­lig riechen­den Schaum­land­schaften entwick­eln, bis hin zu dem Wun­sch nach Berührung, den dieses Objekt bei den Betra­ch­t­en­den aus­löse, dem Begehren, das Objekt in sein­er feinen Struk­tur zu erfassen, sich immer weit­er anzunäh­ern und durch direk­ten Kon­takt die Mate­ri­al­ität zu erfahren. Als er schreibt, dass die meis­ten foams schon inner­halb der ersten Woche zer­fall­en wür­den und in mehr als 80 % der Fälle, die Eigentümer*innen durch Berührun­gen selb­st dafür ver­ant­wortlich seien, wird sie nervös und erken­nt sich in der nach­sichti­gen Denkweise wieder, eine leichte Berührung würde er schon aushal­ten.

Als sie am näch­sten Tag nach Hause kommt, sieht sie einen Mann im Regen­man­tel im Hof, wie er sich vor der Schlange ver­beugt und sie denkt, es muss der Friedrich sein, der sich wie vor der Schlange des Pharaos verneigt, um alles Unglück abzuwen­den und alle Übel des Tages abzuw­er­fen.
Auch sie tut es ihm jet­zt manch­mal unauf­fäl­lig gle­ich und wenn sie das Haus ver­lässt oder betritt, nähert sie sich dem Objekt, mit vor­sichtigem Abstand und macht eine kleine Geste in die Rich­tung des Ungetüms, und so tun es bald alle im Haus, nur Jonas nicht, der meint, er hat langsam genug von diesen foams, und nicht ver­ste­ht, wieso sie sich schon den näch­sten bestellt hat.

Es häufen sich die Mel­dun­gen der­jeni­gen, die ein Inter­esse daran haben foams zu zer­stören, begin­nend bei den eige­nen, denen der Eltern, diesen am lieb­sten, in rebel­lis­chen Akten zer­hauen sie foams in öffentlichen Gebäu­den, set­zen sich darauf, sodass es den Schaum auf allen Seit­en     , lehnen sich in die softe Masse, schreien hinein, in die ästhetis­chen Wolken, die es in viele Fuzeln zer­fet­zt, welche dann noch ästhetis­ch­er durch den Raum segeln und sich über­all fes­tk­leben und dann an den Wän­den trock­nen. Am lieb­sten nehmen die sich die großen foams vor, die richtig teuren Pres­tigestücke und veröf­fentlichen Videos, die zeigen, wie erfind­erisch sie in der Zer­störung dieser Objek­te sind, der­er es eigentlich nicht viel bedarf und manche mögen es auch sim­pel, manche verzicht­en auf die großen Gesten, die Ziegel­steine aus zwei Meter Höhe, manche machen es im Vor­beige­hen, in ein­er san­ften Geste, ein Wind­stoß, der reicht.

Doch auch von den anderen wird berichtet, von jenen, die foams umständlich zu bewahren ver­suchen. Die ver­schiedene Kon­servierungsver­fahren entwick­eln, Plex­i­glaskästen und Glas­glock­en waren erst der Anfang. Von jenen, die Kle­bergemis­che her­stellen und jenen, die diese kon­sum­ieren. Es tauchen ver­schiedene Ver­fahren auf, welche die foams optisch nicht verän­dern, diese jedoch in ihrer Struk­tur fix­ieren, sodass sie, obwohl schein­bar unverän­der­lich frag­il, der Materie eines porösen Steines gle­ichen.

Mit Jonas sieht sie sich ein Video von einem an, der aus Demon­stra­tionszweck­en den fest­gek­lebten foam mehrmals aus dem ersten Stock wirft, die Stiege hin­un­ter­rollen lässt, ihm dann mehrere Tritte mit seinem trainierten Fuß ver­set­zt, und zum Abschluss seine Kinder drauf­steigen und den Kampfhund hinein­beißen lässt, wobei dieser sich das Gebiss ruiniert und trotz­dem viel Freude daran hat und Jonas bekommt sich gar nicht mehr ein, wie däm­lich das alles     , ob sie seine haben wolle, er werfe sie son­st weg, da er die Ver­pack­un­gen nicht mehr habe und ein Verkauf auf ein­er Sec­ond-Hand-Plat­tform dadurch gar nicht mehr möglich sei. Wieso er sie nicht mehr haben möchte, will sie wis­sen und merkt, er ist gereizt und will nicht darüber reden, deutet nur an, dass ihm der Platz fehle und er sich in sein­er Woh­nung wieder frei bewe­gen will, ihm die Idee der foams gefalle, aber doch eben eigentlich vor allem die Idee. Außer­dem, stört dich der Geruch nicht?, will er wis­sen und meint, die Naturg­erüche des foam (soap) und foam (sug­ar) fände er in Ord­nung, aber foam (sea) mache ihn ganz fer­tig.
Man gewöh­nt sich daran, sagt sie und stimmt dann ein­er Umsied­lung sein­er drei Objek­te in ihre Woh­nung zu. Seit dem Aus­pack­en war ich denen nicht mehr so nahe, flüstert Jonas, als sie die foams behut­sam durch den Gang tra­gen und sie zis­cht, dass er still sein soll, beobachtet voller Furcht das leichte Wabern der wolki­gen Gebilde, die ihre Schritte abfed­ern und auf jede Bewe­gung reagieren.

Als sie für alle Stücke passende Plätze gefun­den haben, sitzen sie erledigt am Sofa und hal­ten sich still, worüber sie froh ist, da foam (sug­ar) nur etwa einen Meter vom Sofa ent­fer­nt auf einem Beis­telltisch aus dun­klem gebeizten Holz ste­ht, den Jonas ihr dazu gegeben hat.
Ich habe noch nie einen in sich zusam­men­fall­en sehen, also, außer in Videos, sagt sie, während sie die neuen Objek­te in dem Wohnz­im­mer auf sich wirken lässt.
Eigentlich sehr unspek­takulär, meint Jonas, wie beim Schneeschla­gen, wenn du einen Kuchen machst, eine etwas zu feste Bewe­gung und du denkst noch, ach, da passiert schon nichts, und dann ist es schon passiert und du hast nur mehr eine trau­rige Masse vor dir.

Ihre Woh­nung ist voll mit foams, sie ste­hen an allen freien Plätzen und inzwis­chen hat sie auch einen am Küchen­tisch. Jonas hat sie schon länger nicht mehr ein­ge­laden, sie geht jet­zt immer zu ihm rüber, oder sie tre­f­fen sich auswärts, weil sie sich seinen Blick vorstellen kann und auch gar nicht mit ihm über foams disku­tieren will, sie eigentlich gar nicht mehr disku­tieren und vor allem auch nicht ihn, mit seinen unvor­sichti­gen Bewe­gun­gen hier zwis­chen ihren foams haben möchte, sie über­haupt keinen mehr hier haben möchte, denn die Wege in ihrer Woh­nung, die möglichen Bewe­gun­gen, will sie nicht erk­lären müssen. Es führt kein direk­ter Weg mehr durch ihre Woh­nung, es bleibt nur ein schmaler Gang zwis­chen dem foam (sug­ar) und dem Couchtisch. Inzwis­chen hat sie eine Sen­si­bil­ität dafür entwick­elt und kann gut abschätzen, wie nahe sie einem foam kom­men darf, nur so ist es ihr gelun­gen, dass bis­lang noch kein einziges ihrer Objek­te zer­fall­en ist, obwohl immer neue hinzukom­men.

Als sie ein­mal mit Jonas das Haus ver­lässt, um etwas essen zu gehen, sehen sie ger­ade noch, wie der let­zte Teil des foam (sug­ar) im Hof vom Sock­el rieselt und als sie dort sind, sind nur mehr schwarze Brösel zu sehen, wie Kohle nach einem Feuer. Sie waren zu weit ent­fer­nt und auch son­st kann sie keine Ursache aus­machen, was das Gerücht bestätigt, dass manche foams ein­fach so in sich zusam­men­fall­en und man manch­mal gar keinen Grund dafür finde, es reiche ein geöffnetes Fen­ster in einem anderen Zim­mer.
Jonas sagt, schade, und meint, sie soll­ten nach­her beim Friedrich läuten, und sie nickt und sagt, er hat recht, und während sie die gebrate­nen Nudeln in dem Lokal an der Ecke essen, sitzt ihr das Bild des dun­klen Staubes im ganzen Kör­p­er fest und sie muss die Nudeln müh­sam hin­un­ter­wür­gen und nimmt sich vor, die Fen­ster möglichst nicht mehr unnötig zu öff­nen.