Der Zoo

„Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“

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Das eine ist der Markt und das andere die Wirk­lichkeit, wird die per Kurz­nachricht ver­han­delte Diskus­sion mit der Kol­le­gin, Fre­undin, Kom­plizin, geschlossen. Worum geht es? Wieder ein­mal um das Gez­erre zwis­chen Markt und Wirk­lichkeit, wieder ein­mal um den eige­nen lit­er­arischen Weg. Es geht um: Was kannst du? Und nicht um: Wer weiß davon? Es geht um: Wo willst du hin? Und nicht um: Was ist dir möglich? Es geht um: Wer bist du? Und nicht um: Wie möcht­en sie, dass du gese­hen wirst? Auf dem Weg bleiben, den Fokus nicht ver­lieren, den eige­nen, den ganzen, den ewigen Text weit­er­schreiben. Weit­er­leben, hin­aus­ge­hen damit, zurück­kom­men zu sich, besin­nen auf das, worum es geht. Worum geht es?

Dafür haben wir uns entsch­ieden: Schreiben als Beruf. Wir haben uns entsch­ieden, vom Schreiben zu leben, die Entschei­dung ist gefall­en und jet­zt fol­gt also das Leben. Die Entschei­dung war hochtra­bend, sie hat sich (keine Über­raschung) um sich selb­st gedreht, war lange Zeit kühn, Behaup­tung nahezu, ist irgend­wann daran ermüdet, hin­ter­fragt zu wer­den und zur Tat­sache gewor­den: Schreiben als Beruf. Ich tue den ganzen Tag, was ich will, und nenne das meinen Beruf. Im vierten Jahr stellt sich Rou­tine ein. Ich weiß schon, dass ich nicht pro­duk­tiv­er bin, wenn ich mich zwinge, aber blau­machen fällt mir schw­er. Ich habe ver­ste­hen müssen: Es ist ein prak­tis­ch­er Beruf, denn auch das Nicht­stun gehört zum Tun. Das Zuschauen, das Flanieren, das Pausen­machen, das Abstand­hal­ten (zum Text). Das Weit­er­leben: Die Vor­wärts­be­we­gung im Lebensver­lauf. Was alles geschieht: Die Katas­tro­phe. Die Post-Katas­tro­phe. Und schließlich das Schöpfen daraus. Das ständi­ge Zer­ren an Unglück und Glück: Erstes ist lit­er­arisch freilich brauch­bar­er. Wie verkom­men bin ich, weil ich beim Ein­tritt der Katas­tro­phe an das Schreiben denke und daran, wie sie mir nützen kann? Dass ich Vorteile aus per­sön­lich schreck­lichen Sit­u­a­tio­nen ziehe, weil das Schreiben als Beruf auch eine Art Stoßdämp­fung im schick­sal­haften Pech ist: Wenn die Katas­tro­phe ein­tritt, fördert das die Arbeit. Dahin­ter immer die Frage: Wieviel riskiere ich? Wieviel gebe ich preis, wom­it lebe ich dann, wie sehr tritt ein, was noch nicht einge­treten ist, aber ein­treten kön­nte. Was wird erst wahr und was ist es längst. Die Unlust am Erfind­en macht sich schon lange in mir bre­it. Die Abnei­gung gegen das Wort „Geschichte“ oder „erzählen“ fällt mir wieder ein. Etwas ist im Gange auf dem eige­nen Weg, im eige­nen Schreiben. Etwas ändert ger­ade die Rich­tung, nein anders: Etwas, das lange nichts miteinan­der zu tun haben wollte, kommt sich jet­zt näher.

Immer dieses Gefühl, dort nicht hinzuge­hören, wo man mich ein­lädt, egal wo. Das Unbe­ha­gen wird zur Gewohn­heit, damit umzuge­hen ist die Kür. Etwas mit Kün­sten und ihrer öffentlichen Wirkung heißt die Ringvor­lesung, in die ich geladen bin, und beschäftigt sich mit Schnittstellen von Wis­senschaft und Kun­st, in der konkreten Ein­heit mit Sozi­olo­gie und Lit­er­atur. Neben dem Zugang zu meinen Stof­fen und möglichen Bezü­gen zur sozi­ol­o­gis­chen Aus­bil­dung darf ich mich und mein Schreiben kurz vorstellen. Das nen­nt ein ander­er Men­sch in einem anderen Zusam­men­hang an diesem Tag Ein­fach kurz zu Ihnen. Die Vorstell­runde, die Kurzbi­ogra­phie. Das let­zte Mal, als ich es kurz machen wollte, ist in eine monate­lange Arbeit erodiert, die sich unwieder­bringlich in mein Schreiben hineinge­fressen hat. Als mich jemand von den St. Veit­er Thomas Bern­hard Tagen bzw. der Lit­er­aturzeitschrift SALZ fragte, ob ich etwas zu meinem Leseer­leb­nis Thomas Bern­hard sagen wolle, wollte ich nicht. Dafür gab es viele Gründe, aber um der Kürze willen: Der wichtig­ste war, dass ich aus Schwarzach-St.Veit stamme, die Gegend, in der Thomas Bern­hard seine Lunge kuri­eren sollte, dem Ort, in dem er im Kirchen­chor sang, und so weit­er. Unnötig zu sagen tue ich mich mit mein­er Herkun­ft nicht leicht, habe es aber bish­er immer ver­mieden, mich lit­er­arisch an ihr abzuar­beit­en. Genau das woll­ten sie nun also von mir und ich schrieb, warum das nicht gehe. In mein­er Erin­nerung schrieb ich zuerst ein paar kurze, entsch­iedene Sätze, die dann ein paar mehr wur­den. Ich schrieb länger, als ein Absage­mail kon­ven­tioneller­weise sein soll. Doch dann geschah etwas Ungewöhn­lich­es: Mein Absage­mail wurde abgelehnt. Sie behan­del­ten mich wie ein Kind: „Das über­legst du dir noch ein­mal.“ Ich war zu mein­er eige­nen Über­raschung aber nicht wütend, son­dern beein­druckt von dieser Frech­heit, die das im Grunde ja war. Ich über­legte und schrieb dann ein weit­eres Absage­mail, dies­mal ein glühen­des, es wurde wirk­lich sehr lang, ich schrieb jedes Prob­lem hinein, das ich mit mein­er Herkun­ft habe, löschte am Schluss ein paar Namen, schrieb ein paar wieder hinein, kopierte den ganzen Text her­aus und schrieb darüber den Titel Schwarzach-St.Veit, nach dem unveröf­fentlicht­en Bern­hard Manuskript, eine Frech­heit also, wie über­haupt diese gesamte Aktion.

Dann luden sie mich ein, nach St. Veit zu kom­men und meinen Text vor Germanist*innen vorzule­sen. Da waren aber nicht nur Germanist*innen, da war auch meine Mut­ter. Ich hat­te den Text nie mehr durchge­le­sen und schon gar nicht laut. Ich war über­rascht, wie schw­er es mir fiel, ihn vorzule­sen. Ich hat­te den Text falsch in Erin­nerung: Ich dachte, er sei eini­gen gegenüber vielle­icht scho­nungs­los und gemein, aber er war nicht scho­nungs­los und er war nicht gemein, er war offen und das war anscheinend spür­bar. Warum erzäh­le ich das? Für mich war mit dieser Aktion etwas sehr Wichtiges auf dem eige­nen Weg, im eige­nen Schreiben, geschehen. Ich wusste, dass ich etwas begrif­f­en hat­te, aber ich wusste nicht genau, was. Ich schrieb noch etliche andere Texte dieser Art, Lehrzeit, Krankheit, Groß­vater. Das alles war ja immer noch gedacht als eine Arbeit zu Thomas Bern­hard und ich wollte noch ein biss­chen weit­er­spie­len mit dem Durch­scheinen sein­er großen auto­bi­ographis­chen The­men, aber ohne Bezüge herzustellen, die es ja nicht gibt. Es waren ein­fach lustvolle Exper­i­mente. Ich schrieb schnell und viel, weil ich merk­te, dass hier etwas zusam­men­traf, was mich meine lebenslang gehegten Abnei­gun­gen gegen das Geschicht­en­erzählen, gegen das Prä­ter­i­tum, gegen die Geste, die Pirou­ette, das fer­tig- -alles-aus­malen und dann brav zusam­men­fal­ten: Ich ent­deck­te eine zuver­läs­sige Art zu schreiben und ich nan­nte sie für mich: Die umstand­slose Kun­st­losigkeit. Diese umstand­slose Kun­st­losigkeit wollte ich zuerst weit­er pfle­gen und möglicher­weise an ihr herum­schleifen, aber ihr Wesen war es, dass es nicht viel herumzuschleifen gab, weil dann sofort alles wieder zur Geste verkam.

In meinen Roma­nen ver­fol­gte ich bish­er etwas anderes, das war eine Art „Schreiben im Neg­a­tiv“, bei der eine Voraus­set­zung an die Leser*in gewe­sen war, zu hören, was zwis­chen den Zeilen ste­ht. Mein Schreiben in den Roma­nen lebt von dem, was zwis­chen den Zeilen ste­ht, aber die berechtigte Frage ist ja: Wenn nur das, was wir ohne­hin täglich hören, dort ste­ht, warum soll jemand es dann lesen? Und warum schreibe ich nicht genau das Umgekehrte? Ich habe darauf keine Antwort. Ich weiß nicht, warum ich das tue. Ich wollte nie erk­lärend schreiben (was hätte ich auch erk­lären sollen), son­dern immer das hör­bar machen, was nicht gesagt wird, was aber auch nicht dort ste­ht, was also zwis­chen Autor*in und Leser*in gehört wird, wenn das Geschriebene gele­sen ist. Es han­delt sich also genaugenom­men um einen unsicht­baren, stof­flosen Raum, der nur existiert, wenn das, was nicht dort ste­ht, gemein­sam gehört wird, ohne es zu hören.

Als ich zu studieren begann, hat­te ich schon zehn Jahre lang die soge­nan­nte Arbeitswelt ken­nen­gel­ernt. Ich war gel­ernte Augenop­tik­erin und machte eine vier­jährige Diplo­maus­bil­dung in der Begleitung von erwach­se­nen Men­schen mit Behin­derung. Ich war oft im Aus­land gewe­sen und kam nicht mit dem Ziel ins Studi­um, Eras­mus­reisen zu machen oder einen Fre­un­deskreis aufzubauen. Ich dachte wirk­lich, ich würde mich jet­zt der geisti­gen Welt wid­men, rech­nete dabei aber nicht mit dem effizien­za­lerten Geist, der da bere­its um sich griff, wenn die Kommiliton*innen ihre Apples zuk­lappten und fragten, wie viele Punk­te sie nun für diesen ganzen Aufwand hier bekä­men. Es ging im Studi­um um viele andere Dinge, an die ich nicht so sehr gedachte hat­te: Es ging um ECTS Punk­te und rasches Vorankom­men. Man stieg aufs Gas und nicht, wie ich mir erhofft hat­te, auf die Bremse. Man redete und arbeit­ete und schrieb an der Ober­fläche, und nicht, wie ich meinte, die ich die Uni­ver­sität ja bish­er nicht gekan­nt hat­te, in der Konzen­tri­ertheit. Ich begann, ohne das bewusst so zu pla­nen, eine Art geheimes Par­al­lel­studi­um, denn ich merk­te bald, dass ich mich viel mehr dafür inter­essierte, wie die Soziolog*innen, also die Vor­tra­gen­den aber auch die Studieren­den, miteinan­der rede­ten und zu mir oder anderen sprachen. Ich studierte im Grunde wahrschein­lich mehr die Sprache als den Inhalt, was in der Sozi­olo­gie ja insofern min­destens genau­so wichtig ist, als das eine vom anderen nicht zu tren­nen ist, solange das gemein­same Ziel die Beschrei­bung der sozialen Wirk­lichkeit bleibt.

Sozi­olo­gie war für mich immer das einzige Studi­um, das ich mir hätte vorstellen kön­nen. Meine Schwest­er, über­haupt in vie­len Din­gen das große Gegen­teil zu mir, hat­te Ger­man­is­tik studiert, und Ger­man­is­tik lang­weilte mich zu Tode. So spät, wie ich erst ein­stieg, so sich­er war ich mir dafür. Zum einen, wie eben beschrieben, wegen der Bemühung um Genauigkeit in der Sprache. Zum anderen, weil das Zuführen dieser Lehre in mir ein Gefühl der Kohärenz her­stellte. Ich will ver­suchen, das zu beschreiben: Der sozi­ol­o­gis­che Blick ist ja meis­tens ein­er von außen und ich merk­te durch das Studi­um, dass ich immer schon von außen geschaut hat­te, auch wenn ich, wie zum Beispiel in die Lebenswelt in den ver­härmten Innerge­birgs­dör­fern, in etwas hineinge­boren war, auch wenn ich von außen betra­chtet dazuge­hört hat­te. Im Studi­um fiel mir auf, dass ich diesen sozi­ol­o­gis­chen Blick nicht erwer­ben musste, son­dern ihn, gle­ich einem Gen­de­fekt, bere­its mit mir trug. Auch da, wo ich her­stammte, hat­te ich stets von außen geschaut und war – vielle­icht deswe­gen- von den anderen immer tief entrückt gewe­sen, auch wenn ich damals noch zur Schule ging und im Großen und Ganzen mit­machte. Ich war ein Affe unter Affen, aber zugle­ich war ich immer schon auch die Besucherin vor der Glass­cheibe im Zoo, wen­ngle­ich ich erst im Studi­um erfuhr, dass es den Zoo gibt. Im Studi­um lernte ich, dass man so etwas Teil­nehmende Beobach­tung nen­nt, und fand in dieser Beze­ich­nung eine Art Leben­süber­schrift; und weil ich das Leben nie tren­nen kon­nte von der Arbeit des Schreibens, war es auch meine Arbeit­süber­schrift, kurz: Es war die Art, zu schreiben, und so war es auch die Art, zu denken und zu leben.

Das führt mich zum Was Sie so schreiben und warum, dem Punkt also, den ich eigentlich erzählen soll, die Kurzbi­ogra­phie, das Was-machst-du-so. Ich weiß heute mehr als jemals, warum ich mich immer so gewehrt habe, gegen das Erzählen. Nichts war mir unsym­pa­this­ch­er als das Wort Geschicht­en. Ich habe das Schreiben damit nie gle­ichge­set­zt und je älter ich werde und je mehr sich der Lauf der Welt und das Schreiben der Anderen, der Zeitgenoss*innen und der Umgang mit der Wirk­lichkeit und über­haupt die Def­i­n­i­tion von Wirk­lichkeit und das Rin­gen um sie verän­dert, desto mehr, das wis­sen wir, steigert sich im Schreiben die Sehn­sucht nach dem Echt­en und Wahren, dem Wahrhafti­gen. Dabei ist mir völ­lig egal, was sich tat­säch­lich zuträgt, was eine kühne Lüge ist, was ein Fieber­traum. Für mich macht es nicht den ger­ing­sten Reiz aus, dass ich behaupten kann, mein zweit­er Roman basiert auf ein­er wahren Lebens­geschichte, denn wer traut sich zu behaupten, zu wis­sen, was das heißt? Ich jeden­falls nicht. Ich fand diese Frage auch immer max­i­mal unin­ter­es­sant. Mir geht und ging es immer um etwas ganz anderes, den Punkt, an dem Leser*in und Schreibende sich begeg­nen, weil sie wis­sen: Genau so würde es gewe­sen sein. Es ist wahr, auch wenn es sich nicht zuträgt. Es ist wahr, weil wir wis­sen, dass es so gewe­sen wäre.

Hier sollte etwas vom bere­its Gesagtem zusam­men­fließen, aber ich bin mir nicht sich­er, ob es das tut. Das eine ist der Markt und das andere die Wirk­lichkeit, stand in der Kurz­nachricht von heute Mor­gen. Ich bin Teil dieses Mark­tes gewor­den, weil ich vom Büch­er­schreiben lebe, im Moment. Dass das jed­erzeit vor­bei sein kann, und ziem­lich sich­er ein­mal vor­bei­sein wird, wahrschein­lich früher, als ich mir vorstellen kann, weiß ich, aber es ängstigt mich nicht. Ich bin schon oft abge­treten, ich weiß, wie sich ein Abschied anfühlt, und dass es nicht das Schlimm­ste sein muss, weiß ich auch (Kurzprosa auf ewig). Wenn ich über­haupt ein­mal alt werde, dann nicht mit diesem Markt, son­dern mit der Wirk­lichkeit. Die Wirk­lichkeit, an die ich oben ver­sucht habe, mich zu näh­ern, an die ich ein Leben lang ver­suchen werde, mich zu näh­ern anhand der eige­nen Arbeit, anhand der Arbeit der anderen, anhand der Ver­lässlichkeit von weißem Papi­er. Das alles kön­nte auch verkürzt gesagt wer­den, aber nicht von mir. Ich kön­nte sagen: Ich bin Affe und Besucherin. Ich kön­nte behaupten, gel­ernt zu haben, was ein Zoo ist. Ich kön­nte sagen: Mein Name ist. Ich stamme aus. Ich kön­nte mir einen Platz zuschrieben, einen Beruf. Ich kön­nte erk­lären, wie schw­er es ist, einen Anfang zu machen, und von der Angst reden, ein­mal ein Ende zu set­zen. Ich kön­nte am anderen Ende begin­nen bei: Wer bist du? Was bist du? Ich kön­nte sagen: Meine Arbeit ist das Schreiben, aber wenn ich aufhöre zu arbeit­en, schreibe ich auch.