Das Hintergrundrauschen

Über Zufälle, die keine sind.

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Es gibt Ereignisse, die fall­en einem ein­fach zu oder buch­stäblich auf den Kopf und verän­dern oder been­den gar eines Men­schen Leben. Man mag sie Zufall nen­nen oder Schick­sal, da einem die Hin­ter­gründe und Zusam­men­hänge nicht bekan­nt sind – warum sich beispiel­sweise aus­gerech­net jet­zt ein morsch­er Ast vom Baum löst und den darunter Ste­hen­den erschlägt –, erk­lären lassen sie sich wahrschein­lich nicht oder nur unzure­ichend. Und dann gibt es Zufälle, die keine sind, weil das Unter­be­wußt­sein (das bekan­nter­maßen mehr weiß als das Bewußt­sein) seine Hände (mitunter wörtlich zu nehmen!) im Spiel hat und die Geschehnisse beziehungsweise das eigene Ver­hal­ten steuert und einem dadurch die Gele­gen­heit zu ungeah­n­ter Erken­nt­nis oder Leben­szusam­men­hän­gen bietet. Von drei solch­er Fälle soll hier die Rede sein.

1

Ich schreibe seit län­ger­er Zeit an ein­er Erzäh­lung über meine Tante, genauer: über eine Episode in ihrem Leben, als sie während der NS-Zeit als Jun­glehrerin arbeit­ete, weit weg in der süd­böh­mis­chen Prov­inz, in einem gren­z­na­hen Dorf, das nur nach einem lan­gen Fuß­marsch von der näch­sten Bahn­sta­tion aus zu erre­ichen war, weshalb sie nur sel­ten (wahrschein­lich zu den sprich­wörtlichen heili­gen Zeit­en) ihren Vater (die Mut­ter war schon gestor­ben) und ihre Schwest­er (meine Mut­ter) in Linz besuchen kon­nte, sich unendlich ein­sam fühlte und wohl deshalb eine für sie unglück­lich endende Beziehung zu einem deutschen Offizier eing­ing, eine Liai­son, der ein Kind entsprang, von dem sich dessen Erzeuger dis­tanzierte, der meine Tante sog­ar unter Druck set­zte, seinen Namen nir­gend­wo zu erwäh­nen oder gar amtlich bekan­nt zu geben, so daß sie gezwun­gen war, als Allein­erzieherin und Lehrerin den Sohn großzuziehen, und das zu jen­er Zeit und in ein­er erzkatholis­chen Fam­i­lie. Seit ich an dem Text arbeite, geht mir eine Melodie nicht aus dem Kopf; sie begleit­et mich schi­er täglich, vor allem wenn ich mich hin­set­ze und zu schreiben ver­suche; sie ist das Hin­ter­grun­drauschen der let­zten Wochen, und so sehr ich mich bemühe, die paar Tak­te zu iden­ti­fizieren und einem Werk (es muß ein klas­sis­ches sein) zuzuord­nen, es will und kann (oder darf?) mir nicht gelin­gen.

Meine Tante habe ich in Erin­nerung als eine gebildete (sie ver­fügte über eine Pri­vat­bib­lio­thek und eine Plat­ten­samm­lung, alles, was meine Fam­i­lie nicht besaß) und gle­ichzeit­ig sehr emo­tionale Frau, die, wie man so tre­f­fend sagt, nah am Wass­er gebaut war. Wenn sie gewisse Plat­ten auflegte, wurde sie sehr schnell gerührt und hat­te Trä­nen in den Augen. Als Kind begriff ich die Zusam­men­hänge nicht; ich fühlte nur die hohe Emo­tion­al­ität, daß da etwas für meine Tante ganz Wichtiges vor sich ging, etwas Tragis­ches, das meinen Hor­i­zont über­stieg und weit über das Zim­mer, ja vielle­icht sog­ar die Stadt oder gar das Land hin­aus reichte. Vor allem Schu­bert hat­te es ihr ange­tan, die Unvol­len­dete und ganz beson­ders die bei­den Zyklen Die schöne Mül­lerin und die Win­ter­reise. Wenn sie eine dieser Plat­ten auflegte, dann sang sie so lange leise mit, bis ihre Stimme ver­sagte und sie mit wäßri­gen Augen ver­s­tummte. Daß das mit ihrer Geschichte zu tun hat­te, erfuhr ich erst viel später (aber da war sie schon ver­stor­ben), eben­so warum unsere gemein­samen Woch­enen­daus­flüge oft an die Gren­ze zwis­chen Oberöster­re­ich und der dama­li­gen Tsche­choslowakei führten, wo wir dann immer einen Aus­sicht­sturm bestiegen, um hinüber, in das andere, feindliche Land zu blick­en, was mich als Kind auf ganz selt­same Weise berührte, diese Rät­sel­haftigkeit der Gren­ze, die, unsicht­bar, eine der­art schöne Land­schaft entzweis­chnitt und ver­hin­derte, daß man hinüber und herüber gelan­gen kon­nte, oder wenn, dann nur unter aufwändi­gen Aufla­gen und Kon­trollen, und wenn die Tante aus­giebig durch den Feld­stech­er geblickt und die Land­schaft nach ihrem Dorf abge­sucht hat­te und ihn an mich weit­er­re­ichte, hat­te sie jedes Mal wie bei den Plat­ten einen ver­schleierten, feucht­en Blick und schwieg für län­gere Zeit.

Jet­zt also schreibe ich über sie, weiß mehr von ihrem Schick­sal als damals, tausche mich, vor­sichtig, um ihn nicht zu ver­let­zen, mit ihrem Sohn aus, und bin den­noch ahnungs­los. Wie son­st kön­nte es mir passieren, daß ich durch die Stadt gehe, in deren Nähe ich wohne, immer im Geiste an dem Text arbei­t­end, an For­mulierun­gen feilend und sie mem­o­ri­erend, um sie schließlich zu Hause aufzuschreiben, stets begleit­et von der Melodie, die mir so bekan­nt vorkommt und die ich nicht und nicht iden­ti­fizieren kann? Wie ist es möglich, mich wochen­lang mit dem Leben mein­er Tante zu beschäfti­gen und das Nahe­liegende nicht zu sehen, ja nicht ein­mal in Erwä­gung zu ziehen? Weil mein Bewußt­sein noch nicht reif dazu ist? Oder weil sich etwas in mir wehrt gegen eine Erken­nt­nis, ein tief­eres Ver­ste­hen, das weit über das Zim­mer, ja vielle­icht sog­ar die Stadt oder gar das Land hin­aus reicht und sog­ar mit mir zu tun hat?

Es ist die Zeit des zumin­d­est momen­ta­nen Siegeszugs der CD. Ich habe mich lange gesträubt, von Plat­te auf CD umzusteigen, ver­fechte die Ansicht, die Musik klinge auf CD viel flach­er, die Dynamik ein­er Plat­tenein­spielung würde nie erre­icht wer­den, aber als auf ein­er neu gekauften und erst wenige Male abge­spiel­ten Plat­te Glenn Gould bei sein­er Inter­pre­ta­tion von Bachs Gold­berg Vari­a­tio­nen von einem unüber­hör­baren Knis­tern und Knack­sen begleit­et wird, das schnell schlagzeu­gar­ti­gen Charak­ter annimmt, ist mein Wider­stand gebrochen und ich erste­he meinen ersten CD-Play­er. Aber zu einem CD-Play­er gehören auch abspiel­bare CDs; also betrete ich einen Plat­ten­laden, der wenig später einem Mod­egeschäft weichen wird müssen, und bin von dem Ange­bot über­wältigt und über­fordert. Ich kön­nte natür­lich Goulds Ein­spielung auf CD kaufen, um Bachs Musik störungs­frei genießen zu kön­nen, aber irgen­det­was in mir sträubt sich dage­gen, und so begebe ich mich auf die Suche nach etwas, von dem ich keine genaue Vorstel­lung habe, blät­tere in den Regalen, ziehe CD um CD her­vor und stecke sie wieder zurück, kann aber den Laden doch nicht unver­richteter Dinge ver­lassen, nehme deshalb eine CD aus der Schütte mit Ange­boten und ersuche die Verkäuferin, mich probe­hören zu lassen.

Was dann geschieht, ist ein­er jen­er rät­sel­haften Momente, die mir in meinem Leben immer wieder zus­toßen wie Zufalls­bekan­ntschaften, die sich zu besten Fre­und­schaften wan­deln, oder eine ein­er Laune geschuldete Kursän­derung ein­er Autor­eise, die mich uner­wartet und beglück­end in schön­ste Land­schaften bringt. Einein­halb Tak­te genü­gen, um das Musik­stück zu erken­nen und als jenes zu iden­ti­fizieren, das mich als Grun­drauschen seit Wochen begleit­et und bedrängt hat. Ich brauchte gar nicht auf den Ein­satz des Sängers zu warten, um zu wis­sen, was er sin­gen wird: Fremd bin ich einge­zo­gen, / Fremd zieh ich wieder aus. Es ist das Lied Gute Nacht, das erste Stück aus Schu­berts Win­ter­reise, und in genau jen­er Inter­pre­ta­tion, die meine Tante auf Plat­te besaß: Diet­rich Fis­ch­er-Dieskau, auf dem Klavier begleit­et von Ger­ald Moore. Und schla­gar­tig eröff­nen sich mir Zusam­men­hänge und begreife ich, daß meine Tante diese bei­den Ver­szeilen als ihr Lebens­mot­to begriff und warum sie beim Hören der Plat­te und beim Blick in den Böh­mer­wald weinte.

2

Etwa zwei Jahrzehnte früher. Da sitzen zwei Jugendliche im mit viel zu großen und dun­klen Möbeln vollgestopften Wohnz­im­mer des einen und lauschen der Musik, die aus den Box­en der Stereoan­lage dringt. Immer wenn sie einan­der tre­f­fen, legt der eine von ihnen die neuesten Plat­ten oder Alt­bekan­ntes auf, sie disku­tieren die Texte und Cov­er, und der andere, der mit­tler­weile lei­dlich gut Gitarre spielt, erläutert die Musik, die Raf­fi­nessen der Kom­po­si­tio­nen, die Riffs und das Fin­ger­pick­ing der verehrten Musik­er. Cat Stevens’ Mona Bone Jakon war ger­ade dran, ein­er ihrer Göt­ter, nun die neueste Errun­gen­schaft: Dono­vans Sin­gle Celia of the Seals, ein trau­riger Song über das Abschlacht­en von Robben. Dann die Rück­seite: The Song of Wan­der­ing Aen­gus. Sie scheren sich nicht darum, wer dieser Aen­gus ist, sie geben sich ein­fach der Musik hin, der met­allisch klin­gen­den Akustikgi­tarre und Dono­vans ätherischem Gesang. Am Ende, kurz vor den let­zten Tak­ten, springt der eine elek­trisiert auf. Was da Dono­van gesun­gen habe? Keine Ahnung, sagt der andere und hebt den Ton­arm ein paar Rillen davor auf die Plat­te. Jet­zt, wo sie konzen­tri­ert hin­hören, ist der Text klar ver­ständlich: And pluck till time and times are done, / The sil­ver apples of the moon, / The gold­en apples of the sun. Das ken­nt der eine, glaubt aber immer noch, sich zu täuschen. Wer der Autor des Textes sei? Die bei­den Jugendlichen lesen auf dem Plat­te­nauf­druck nach, suchen, find­en: William But­ler Yeats. Der eine der bei­den ist aus dem Häuschen. Das dürfe doch nicht wahr sein!
Schnitt. Ein gutes halbes Jahr davor war besagter Jugendlich­er im Buchgeschäft, das nur wenige hun­dert Meter von dem Gym­na­si­um ent­fer­nt lag, das bei­de besucht­en, und fragte den einäugi­gen Buch­händler (einen fre­undlichen, unge­mein bele­se­nen älteren Her­rn, der gerne beri­et, über dessen Ver­lust des Auges aber nie etwas zu erfahren war, weshalb ihn immer etwas Geheimnisvolles umwe­hte) nach einem Buch, in dem jene Geschichte zu find­en sei, die er ein paar Wochen zuvor in ein­er Antholo­gie gefun­den hat­te und die ihn so begeis­terte, daß er das Orig­i­nal­buch unbe­d­ingt haben wollte. Das Buch war nicht lagernd, aber ein anderes des­sel­ben Autors, der Roman Fahren­heit 451. Ob er das schaf­fen könne? Immer­hin han­dle es sich um ein englis­chsprachiges Buch, und er, der Jugendliche, sei nicht gut in der Schule. Wenn er sich bemühe und Geduld auf­bringe, sehr wohl, war die Antwort. Der Jugendliche kaufte das Buch, bestellte aber zugle­ich das gesuchte, das ein paar Wochen später ein­langte und wie der Roman achtzehn Schillinge und vierzig Groschen kostete. Zusam­men war das fast das Taschen­geld eines Monats; aber das war es ihm wert. Bei­de Büch­er avancierten zu sein­er Lieblingslek­türe und soll­ten ihn später in seinem eige­nen Schreiben nach­haltig prä­gen. Der Titel des Erzählban­des: The Gold­en Apples of the Sun. Sein Autor: Ray Brad­bury. Der Buchti­tel war einem Gedicht entlehnt, das auf ein­er der ersten Seit­en als Mot­to prangte: And pluck till time and times are done, / The sil­ver apples of the moon, / The gold­en apples of the sun.

Das erzählt nun der Jugendliche seinem Fre­und. Wenn ich mich recht erin­nere, haben sie den Song noch mehre Male ange­hört und darüber gerät­selt, wie es kom­men kon­nte, daß Brad­bury eine Ver­szeile eines Gedichts von Yeats als Buchti­tel nehmen und Dono­van just dieses Gedicht ver­to­nen kon­nte, das dann als B-Seite ein­er Sin­gle erschien, die ein öster­re­ichis­ch­er Jugendlich­er in ein­er Plat­ten­schütte fand und kaufte, um sie eines Nach­mit­tags seinem Fre­und vorzus­pie­len, der ger­ade Brad­burys Erzählband gele­sen hat­te. Das Rät­sel kon­nten sie bis dato nicht lösen.

3

Schau­platzwech­sel. Schon seit Stun­den durch­streife ich zu Fuß die Innen­stadt und die angren­zen­den Vier­tel von Mexiko, gebe mich den Far­ben und Gerüchen und Geräuschen hin, besuche zum wieder­holten Mal die Märk­te La Merced, Ciu­dadela und Sono­ra und mute mir einen Sinnes-Overkill zu, ich habe wehe Füße, mein Kopf dröh­nt, aber ich muß weit­er und weit­er. Ich bin hier, um für meinen in Pla­nung befind­lichen (und sich let­ztlich völ­lig anders gestal­tenden) Roman Azteken­som­mer zu recher­chieren und kann dies tun wegen eines Preis­es und eines Stipendi­ums, so daß ich mich für ein Jahr von meinem Brot­beruf freimachen kann und nun schon mehrere Monate hier bin. Noch immer ent­decke ich Neues, und das wird auch noch in Monat­en und Jahren so sein: Mexiko ist nicht auszu­loten, wahrschein­lich nicht ein­mal für seine eige­nen Bewohn­er.

Warum ger­ade Mexiko? Das ist nicht leicht zu beant­worten, zu viele Dinge spiel­ten und spie­len noch immer mit, und ich bin mir nicht ein­mal sich­er, ob mir selb­st alle Aspek­te bewußt sind. Da sind auf jeden Fall die Karl May-Romane, allen voran die fünf in Mexiko spie­len­den mit dem Dok­tor Ster­nau als zen­traler Fig­ur und die bei­den Ver­fil­mungen Der Schatz der Azteken und Die Pyra­mide des Son­nen­gottes, völ­lig mißglück­te Adap­tio­nen mit zahllosen Fehlern und ein­er ziem­lich ver­wor­re­nen Hand­lung, die mich aber als Kind unge­mein beein­druck­ten. Da sind die vie­len West­ern, in denen die Mexikan­er zwar oft schlecht wegkom­men und meist als Bösewichte, zumin­d­est aber als frag­würdi­ge Fig­uren auftreten (wie zum Beispiel in dem Klas­sik­er Die glo­r­re­ichen Sieben), Mexiko hinge­gen aber als Sehn­sucht­s­land fungiert, als Land der Frei­heit, der Freien, Unge­bun­de­nen, und damit dem in engen Fam­i­lien­ver­hält­nis­sen aufwach­senden Kind und Jugendlichen eine Folie für sein Fer­n­weh abgibt. Da ist die Radiosendung Musik aus Lateinameri­ka zu nen­nen, die die beg­nadete Mod­er­a­torin Eri­ca Vaal mit ihrer rauchi­gen Stimme mod­erierte und ein­er­seits dieses Fer­n­weh schürte, indem sie hierorts unbekan­nte Sän­gerin­nen, Sänger und Grup­pen vorstellte, und ander­er­seits Fort­bil­dung betrieb, indem sie Lied­texte vortrug und gesellschaftliche und poli­tis­che Hin­ter­gründe erläuterte. Hier hörte ich zum ersten Mal Guan­tanam­era, das mir zum Syn­onym für Lateinameri­ka und die Lebens­freude sein­er Men­schen wurde und mein Fer­n­weh befeuerte, und auch La Palo­ma, das ange­blich bei der Auss­chif­fung des Sarges von Kaiser Max­i­m­il­ian von Mexiko in Mira­mare gespielt wurde. Da ist die Fasz­i­na­tion des Her­anwach­senden für die mys­tis­chen Kul­turen der Azteken, Maya und Inka und schließlich jene Ausstel­lung über das antike Mexiko, die im Linz­er Schloß stat­tfand und Aus­lös­er für meine erste Mexiko­r­eise war.

Nun also bin ich hier und werde nicht satt von diesem Land, begebe mich auf waghal­sige Wan­derun­gen durch nicht unge­fährliche Stad­trand­sied­lun­gen, wo die para­caidis­tas, die Fallschirm­springer genan­nten ille­galen Land­flüchtlinge ihre erste und oft auch einzige Unterkun­ft find­en, wo Krim­i­nal­ität und Dro­genkon­sum hoch sind und so manch­er spur­los ver­schwindet, oder stöbere wie ger­ade jet­zt in der Libr­ería Gand­hi in meinem Lieblingsstadtvier­tel Coyoacán, ein­er 1971 gegrün­de­ten Buch­hand­lung, von der es mit­tler­weile fast siebzig Ableger im ganzen Land gibt. Hier finde ich, was ich suche und vor allem was ich nicht suche. Hier ver­bringe ich Stun­den, pausiere im dazuge­höri­gen Café, bestelle einen Mok­ka und ein pas­tel und schmökere weit­er. Soeben durch­forste ich die Musik­abteilung auf der Suche nach authen­tis­ch­er mexikanis­ch­er Musik. CDs sind mir für Zufalls­funde zu teuer, also stöbere ich unter den Musikkas­set­ten und stoße auf Ein­spielun­gen von Trios aus den 1950er und 1960er Jahren. Die Namen sagen mir nichts, also ver­lasse ich mich auf mein Gespür und kaufe eine von den Los Pan­chos: Drei Her­ren sind da abge­bildet in Schwarz-Weiß, mit Anzug, Krawat­te und Kurzhaarschnitt, alle drei spie­len Gitarre, sin­gen, schauen aber nicht in die Kam­era, son­dern einan­der an und lächeln. Das Pho­to wirkt alt­modisch, wie ein Echo aus ein­er längst ver­gan­genen Epoche; aber es spricht mich an, vielle­icht ger­ade deshalb.

Im Hotelz­im­mer lege ich die Kas­sette in das mit­ge­brachte Abspiel­gerät ein, und wieder ist es schon das erste Lied, sind es die ersten paar Tak­te, ist es eigentlich das Vor­spiel, bevor das Lied wirk­lich begin­nt, was mich – ich finde kein passenderes Wort – erschüt­tert und gle­ichzeit­ig beglückt und einen weit­en, über Kon­ti­nente und viele Jahre reichen­den Bogen span­nt: die hohen Män­ner­stim­men, die hochges­timmte Lead­g­i­tarre, der typ­is­che dreis­tim­mige Gesang – das alles klingt unge­mein ver­traut, als hätte ich es erst gestern gespielt, obwohl ich es seit über drei Jahrzehn­ten nicht mehr gehört habe, zulet­zt jeden­falls in Eri­ca Vaals Musik­sendung. Per­fidia heißt das Lied, und die ersten Verse laut­en: Nadie com­prende lo que sufro yo. /Canto pues ya no puedo sol­lozar. Was so viel bedeutet wie: Nie­mand ermißt, was ich zu lei­den habe. /Ich singe, weil ich nicht mehr weinen kann. Ich sitze da, gerührt, ver­wun­dert, und lausche den Liedern der längst ver­stor­be­nen Musik­er.