Er wolle nur fort von hier. Das waren die ersten Worte gewesen, die Heidrun je von ihm gehört hatte, doch dieser Satz reichte, um ihr Interesse zu wecken an diesem Fremden, der uneingeladen in ihr Haus gekommen war. Eine Freundin hatte diesen Typen auf Heidruns alljährliche Sommerparty mitgebracht.
Er stand in der Küche und spülte ein paar Gläser, als er sagte, er wolle nur fort von hier. Ob sie etwas für ihn tun könne, fragte Heidrun? Aber er schüttelte bloß den Kopf. Sein Entschluss, dieses Land zu verlassen, habe mit ihr nichts zu tun, meinte er und, nachdem er kurz zu ihr aufgeschaut hatte, murmelte er noch leise und beinah nur zu sich, ganz sicher nicht mit ihr, im Gegenteil.
Seine Eltern seien einst mit ihm, damals noch ein Kleinkind in diese Stadt gekommen, der Arbeit wegen, um nach drei Jahren wieder heimzukehren, doch dann hatten sie hier so gut verdient, dass die Rückfahrt immerzu verschoben werden sollte. Er wurde zu ihrer Ausrede. Sie könnten doch den Buben, so hatten sie gesagt, nicht aus dem Kindergarten herausreißen. Es sei besser, ihn die Schule abschließen zu lassen. Nun sei er immer noch da, um an der hiesigen Universität Jus zu studieren, obgleich seine Eltern längst wieder in ihrer Heimat lebten. Aber er habe den Wunsch, ihnen nachzufolgen, nie vergessen. Er war hier zuhause, doch eben nicht daheim und könne es – dafür sorgte schon allein sein Nachname – auch nie sein.
Die Anderen, auch jene Freundin, die ihn mitgenommen hatte, waren alle längst gegangen, als Heidrun noch mit Jo in ihrer Küche saß. Sie tranken ein Glas nach dem anderen und immer wieder erklärte sie ihm, wie gut er doch in dieses Land passe. Er gehöre genauso dazu wie sie, die hier geboren wurde.
Aber er schüttelte nur den Kopf. In den Augen der anderen sei er immer nur ein Außenseiter und eben die Tatsache, dass nicht einmal sie, die doch – wie ihm durchaus bekannt war – immerhin eine Assistentin am Institut für Kulturanthropologie war, dass also nicht einmal sie das begreife, beweise nur, wie fern sie einander waren, doch da hatte sie ihn bereits umklammert und meinte, so schnell lasse sie ihn nicht mehr weg.
Zusammen schmiedeten sie Pläne, wie sie ihr Leben verbringen wollten und Heidruns Augen leuchteten, wenn Jo ihr von seiner Geburtsstadt erzählte. Aber als sie ihn einundeinhalb Jahre später, als er sein Studium abgeschlossen hatte, fragte, ob er nun seine Träume erfüllen werde, zuckte er mit den Achseln und sagte, er habe ein einzigartiges Angebot; ein Praktikum bei einer renommierten Kanzlei.
Sie, die nicht von ihm hatte lassen können, solange er vorgehabt hatte, fortzugehen, wusste von einem Tag zum anderen nicht mehr, warum sie ihm je so leidenschaftlich verfallen war.
Jahre später trafen sie einander wieder bei einem Fest. Heidrun war mittlerweile zur Direktorin eines Museums in einer fernen Weltmetropole aufgestiegen. Sie sei angekommen, sagte sie, als er fragte, wie es ihr gehe. Er war Anwalt geworden, ein anerkannter Spezialist des inländischen Asylrechts. Ob er immer noch fortgehen wolle, fragte sie ihn, nicht ohne Spott. Nein, antwortete er, sein Ort sei bei jenen, die keine Heimat mehr suchen, sondern nur noch ein Zuhause.