Dauerware

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Der Blick des Katers ist ein einziger Vor­wurf. Früher hat meine Latein­lehrerin mich so angeschaut, wenn mir die Dek­li­na­tion der Per­son­al­pronomen nicht ein­fall­en wollte. Bei jedem miss­glück­ten Ver­such schick­ten ihre Augen hin­ter der Nick­el­brille wilde Blitze in meine Rich­tung. Irgend­wann wandte sie sich ab, weil sie keine Hoff­nung mehr in mich hat­te.

Der Kater wen­det sich nicht von mir ab. Aber ich dek­lin­iere auch nicht. Ich ste­he da, in mein­er Küche, und kratze den Thun­fisch aus der Dose. Der Kater­hat ein Prob­lem damit, wenn das für seine Begriffe zu lange dauert. Der Thun­fisch liegt in einem Bett aus Gela­tine. Mit dem Löf­fel rühre ich darin herum und ver­frachte ein paar Stückchen auf einen Teller. Das schmatzende Geräusch, das dabei entste­ht, und das faserige Fleisch ekeln mich ein wenig.Der Kater ist mir ein Rät­sel. Dass er das mag. Jet­zt fängt sein Schwanz an zuzuck­en, ein Zeichen von Ungeduld. Er musste ohne­hin schon länger als son­st auf sein Aben­dessen warten. Aber es ist nicht meine Schuld, jeden­falls nicht nur. Ich wurde aufge­hal­ten, sage ich laut, ver­steh das bitte. Der Kater blinzelt nicht ein­mal. Es inter­essiert ihn nicht, dass ich auf dem Nach­hauseweg Julian begeg­net bin.

 

An der Kreuzung ste­ht er mit einem Mal neben mir. Schiefes Lächeln, schiefe Hal­tung. Er hat etwas von einem Frageze­ichen. Während die Fußgänger­am­pel auf Grün und wieder auf Rot springt, fan­gen wir ein Gespräch an. Wir reden, damit wir nichts sagen müssen. Wie die Abschiedspar­ty meines Brud­ers war, will er wis­sen. Und wie es der Katze gehe. Es ist ein Kater, kor­rigiere ich ihn. Ja, meine ich ja. Sein Lächeln wirkt wie angek­lebt. Ich schaue auf meine Sneak­ers und nehme mir vor, die Schnürsenkel das näch­ste Mal gle­ich­mäßig durch die Löch­er zu ziehen. Jeden Mor­gen rege ich mich darüber auf, dass das eine Ende länger ist als das andere. Ich sage, dem Kater gehe es gut und dass ich meinem Brud­er beim Umzug helfen werde. Er sagt, dass er sich dem­nächst die Weisheit­szähne ent­fer­nen lassen müsse. Oh, tut mir leid, ist sich­er unan­genehm. Beim näch­sten Grün gebe ich mir einen Ruck. Ich werd dann mal. Mit dem Dau­men zeige ich in die Rich­tung, in die ich nun gehen werde. Es ist der Weg zurück, die Straße, aus der ich ger­ade erst gekom­men bin.

Das ergibt keinen Sinn, aber Julian scheint es nicht zu merken. Er nickt, als säße er bere­its beim Zah­narzt und als hätte dieser ihm soeben von ein­er Betäubungsspritze abger­at­en. Okay, dann mach’s gut. Er läuft rüber, als die Ampel schon wieder auf Rot gesprun­gen ist. Ich erschrecke mich kurz. Aber die Straße ist frei, es ist nichts passiert. Schnell drehe ich mich um, bevor er sieht, dass ich ihm hin­ter­hergeschaut habe. Ich set­ze meinen Umweg fort, laufe ein­mal durch den Park, warte noch ein paar Minuten auf der Bank vor der Bib­lio­thek. Ich will ihm heute kein zweites Mal begeg­nen. Es genügt schon, dass wir bei­de in der­sel­ben Straße wohnen.

Mit dem Löf­fel fahre ich von innen am Rand der Dose ent­lang, nehme noch etwas von dem glib­beri­gen Inhalt auf und verteile ihn auf dem Teller. Ich halte die Luft an, um den Thun­fis­chgeruch nicht in die Nase zu bekom­men. Der Kater sieht immer noch zu mir hoch. In diesem Moment ver­ste­he ich wieder, warum er noch immer keinen Namen hat. Es passt ein­fach kein­er zu ihm. Der Kater hat im Prinzip keinen Charak­ter, also hat er auch keinen Namen.

 

Oft saßen wir auf meinem Balkon und tranken Rotwein aus Sen­fgläsern. Wir bestell­ten Sushi beim Liefer­di­enst und hiel­ten das für Luxus. Bis in den Novem­ber hinein hock­ten wir so auf mein­er schmalen Holzbank zusam­men und ver­sucht­en, uns gegen­seit­ig zu wär­men. Julian kon­nte sich begeis­tern wie kaum jemand. Für Kumu­lus­wolken oder für die Kon­sis­tenz von Wasabi. Sobald aber eine Irri­ta­tion aufkam, etwa ein schlecht gelaunter Kell­ner im Café, eine kri­tis­che Mail seines Chefs oder wenn ich in sein­er Anwe­sen­heit kurz den Anruf ein­er Fre­undin ent­ge­gen­nahm, fing er an sich einzu­mauern. Er baute dann eine Fes­tung, die mit der Zeit immer mas­siv­er wurde. Jed­er, der sich ihr zu einem ungün­sti­gen Zeit­punkt näherte, wurde zum Feind erk­lärt.

Der Kater kam, als wir zum drit­ten Mal glaubten, dass aus uns noch etwas wer­den kön­nte. Julian schenk­te ihn mir zum Geburt­stag. Er über­re­ichte ihn mir in ein­er mit Luftschlangen geschmück­ten Trans­port­box aus Plas­tik. Ein Kater als Kitt. Eine Zeit lang über­legte ich, ob ich ihn so nen­nen sollte.

 

Ich stelle dem Tier seinen Fraß vor die Füße und wun­dere mich über dieses halt­lose Schlin­gen. Der ganze Katerkör­p­er ist dieser einen Tätigkeit gewid­met, dem Ein­ver­leiben ein­er faden Fis­chspeise. Sein Rück­en ist anges­pan­nt, der Hals wie ein Akko­rdeon lang nach vorne gestreckt, die Augen starr auf den Teller gerichtet. Wie lange er wohl so fressen kann und wie viele Dosen Thun­fisch ich noch aus­gekratzt haben werde, bis der Kater völ­lig auseinan­derge­ht. Am Küchen­tisch sitzend greife ich zu meinem Smart­phone. Ich google Julians Namen und finde ein Foto sein­er Hand­ball­mannschaft, nach­dem sie ger­ade den Auf­stieg in die Bezirk­sli­ga geschafft haben.

Julian ist der Zweite von links in der hin­ter­sten Rei­he, der mit dem gescheck­ten Gesicht. Auf einem weit­eren Bild ste­ht er mit gesenk­tem Blick an einem Red­ner­pult. Ich lege das Smart­phone weg und beende dieses stumpf­sin­nige Tun. Immer­hin esse ich keinen Dosen­fisch.

 

Ein­mal waren wir auf einem Fes­ti­val. Wir lagen im Zelt und beobachteten eine Motte, die verzweifelt über unseren Köpfen umher­taumelte und den Aus­gang nicht fand. Auf der Haupt­bühne spiel­ten sie ger­ade den let­zten Gig des Abends, der Bass dröh­nte zu uns herüber. Kurz zuvor hat­te es Stre­it gegeben zwis­chen uns. Darüber, wer wem das näch­ste Bier spendierte oder über eine ähn­liche Frage. Wir hat­ten das Fes­ti­val­gelände ver­lassen, Hand in Hand waren wir zu unserem Zelt zurück­gekehrt und hat­ten kein Wort gesprochen. Als wir nebeneinan­der auf unseren Iso­mat­ten lagen, schwiegen wir weit­er. Wir waren wie erstar­rt, als hät­ten wir ger­ade ein trau­ma­tis­ches Erleb­nis zu ver­ar­beit­en. Die Nacht brach here­in. Ich war die erste, die es schließlich ver­suchte. Ich fragte irgen­det­was, ich suchte einen Weg. Vielle­icht suchte ich auch nur meine eigene Stimme. Er antwortete knapp und ich fragte erneut etwas. Ich glaube, ich meinte es gut. Es ent­stand eine drück­ende Stille zwis­chen uns, ich hörte nicht ein­mal unseren Atem. San­dra, sagte er schließlich in die Dunkel­heit, wann hast du eigentlich ange­fan­gen, dich nicht mehr nur mit ein­er Antwort zufrieden zu geben? Ich star­rte weit­er ins dun­kle Nichts. Die Augen kon­nte ich nicht schließen, schlafen schon gar nicht. Es war, als dürfe ich nichts ver­passen. Ich fror und fing an in mein­er Tasche nach meinem Kapuzen­pullover zu kra­men.

Vor mir auf dem Tisch die leere Thun­fis­ch­dose. Zu meinen Füßen noch immer der gefräßige Kater. Seine Zunge bewegt sich auf und ab, als hätte ihm jemand einen winzi­gen rosa Post-it vor den Mund gek­lebt. Der Teller ist ein wenig durch die Küche gewan­dert, hat inzwis­chen vor der Heizung Halt gemacht. Der Kater schnur­rt. Mit dem Zeigefin­ger drücke ich den ver­zo­ge­nen Aludeck­el herunter und werde mir zum ersten Mal der Absur­dität von Dosen-Thun­fisch bewusst. Etwas an sich schon schw­er Genießbares wird auch noch kon­serviert.

Ich hocke mich neben den fressenden Kater und lege meine Hand san­ft auf seinen Rück­en, füh­le die Weich­heit seines Fells. Er lässt es geschehen, merkt es vielle­icht nicht ein­mal. Erst kommt das Fressen, dann das Inter­esse an der der­jeni­gen, die den Fraß zubere­it­et. Ich blicke auf meine Hand und stelle mir vor, wie der Fisch nun in den Kater wan­dert. Hand auf Kater auf Fisch.

Dann ste­he ich auf und werfe die leere Thun­fis­ch­dose in den Mülleimer. Ein edel­stäh­lernes Schep­pern ist die Folge.

Der Kater sieht nicht ein­mal hoch.