Material für eine Serie von Sandpapiercollagen

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1 – Am Beginn betritt ein Mann mit Infan­ter­i­estiefeln den Warter­aum, packt kurz danach ein Gurken­sand­wich aus und unter­hält sich kauend mit der bish­er stillen Pati­entin in der Ecke über Fet­tab­saugung, All­t­agsstress und Weisheit­szähne. Auf­fal­l­end sein stark ver­schmutzter Hemd­kra­gen, der sich­er auch dem Arzt zu denken geben wird.
2 – Fünf- bis sechs­mal kann der Tag sich kom­plett ändern und auf diese Weise vari­able Anschlußstellen schaf­fen. Olaf grinst nur, wenn der­lei Ver­schrobenes besprochen wird.
3 – Schim­mernde Ver­wand­lungs­ket­ten. Roßknödel am Lärchen­hang hin­ter der Luxu­s­pen­sion. Abends öffnet der Ver­lagsvertreter endlich seinen Stahlkof­fer, dessen Ver­schluß mit einem Zahlen­code gesichert ist.
4 – Im Stu­dio der Dra­maturgin­nen im Zen­trum der Stadt Tours ste­ht ein mit Resten alter Span­ntep­piche ange­füll­ter Kinder­wa­gen, der der Hundedame von Frau Charen­sol als Ruhe­bettchen dient.
5 – Mit depres­siv ges­timmtem Zwis­chen­durchges­tam­mel kön­nen die Gebrauchs­grafik­er Ralph und Ing­var wie erwartet wenig anfan­gen. Anders sieht die Sache aus, wenn es um Fotos jen­er nack­ten Mäd­chen aus dem Volk der Tuareg zu gehen scheint, die bish­er unbeachtet in der Klar­sichthülle ein­er Mappe für das Jubiläumsheft der ethno­graphis­chen Gesellschaft lagen.
6 – Ein Domi­nos­tein auf dem Park­platz vor der Müh­le. Stör­felder, gedanken­ferne Tun­nel. Die Aushil­f­skraft erzählt von ein­er Korn­händler­fam­i­lie, die das mar­o­de Wasser­schloß gepachtet hat, mit der ver­sproch­enen Sanierung allerd­ings bere­its vor Jahren in Verzug ger­at­en ist.
7 – Das Nageti­er muß in der Nacht veren­det sein, man tippt auf Herzstill­stand. Jonathan trug es in Doroth­eas Bade­haube in den Garten, wo er es in aller Eile gle­ich danach ver­graben wollte, hätte ihn nicht aus dem Fen­ster die big­otte Nach­barin, Frau Fäsecke, dabei beobachtet.
8 – Zum The­ma Promiskuität in den Büros der Dachge­sellschaft wollte sich Beate erst nach einem weit­eren Getränk und nur sehr zögernd äußern.
9 – „Was ist los mit Ihnen, strenger Mann? Bringt das Zer­schnipselte Sie der­art aus der Fas­sung?“ Ähn­lich kecke Worte fand am Fre­itag Han­nelore, als es darum ging, ob etwa staatliche Kon­trolle da und dort längst auch pri­vate Zonen über­wuchert haben mag.
10 – Daß Tour­man­ag­er Rus­sell Schlag­baum sich tat­säch­lich noch daran erin­nern wird, wie es dem armen Ron­nie Lane im bit­terkalten März auf sein­er Farm The Fish­pool nahe Shrews­bury ergan­gen ist, darf stark bezweifelt wer­den. Geblieben ist der Song, in dem es heißt The skin­ny girl made it clear that she came here only for the beer.
11 – Maultierkot auf dem Pri­vat­park­platz. „Auch du wirst spätestens am Don­ner­stag die Kabel­rolle brauchen, Rein­hild. Ohne Strom ste­ht man in dieser Gegend schnell im Regen.“ Rein­hild nickt und schweigt.
12 – Erneut hat sich Madame Borof­ka im Gefühls­bere­ich kom­plett ver­schätzt. Ihr ver­meintlich treuer Car­lo wäre ihretwe­gen nie und nim­mer bar­fuß über Glass­cher­ben gelaufen. Daß er die kleinen Gang­ster in der Tief­garage ins­ge­heim bewun­dert hat, spielt mit­tler­weile keine Rolle mehr.
13 – Lauwarmer Zwiebelein­topf für die teuren Zuchthüh­n­er aus Mada­gaskar. Ein Weberknecht im Nähkas­ten. Und auf der Couch ein Auto­maten­fo­to jen­er Brüste, die Genosse Ran­dolf mit dem Wort Erken­nt­nishunger zu verbinden wußte.
14 – Medika­mente­neng­paß-Sto­ries aus der Haupt­stadt. Dau­men­nagel­große Schneeflock­en am Eis­lauf­platz. Im Rad­sportzen­trum wird zu später Stunde süßer Man­delkuchen aus­geteilt. Beim The­ma Kriechtiere im frühen Meso­zoikum ist der Pri­vat­gelehrte aus Slavon­s­ki Brod erneut in seinem Ele­ment.
15 – End­los lang ver­mag die Lab­o­ran­tin um den Ver­lust des bunt bestick­ten Schals aus Ana­tolien herumzu­la­bern, während die Müngers­dor­fer Truppe mit dem Abtrans­port der Zelt­stan­gen beschäftigt ist. Exakt zwei Wochen später taucht der Bofrost-Mann ganz pünk­tlich wieder auf, fre­undlich und entspan­nt, obwohl er stets in Eile ist.
16 – Mit Elek­tropop hat­te der gerten­schlanke Leit­er des aus Min­neso­ta stam­menden Orch­esters klar­erweise nichts am Hut. Was ihn jedoch beschäftigt hat: Der Zufall, daß der nach Süd­west­en hin erweit­erte Sol­daten­fried­hof mit­tler­weile an den Wasser­graben gren­zt.
17 – Es ist bekan­nt, daß schon ein Funken von Ver­we­gen­heit genügt, und eine ganze Szenen­folge nimmt auf ein­mal Tem­po auf und Farbe an. San Leonar­do wiederum nahm armen Sün­dern einst die Ket­ten ab: Ein Beicht­bild­chen aus dem Aostatal erzählt dazu eine berührende Geschichte. Eine andere kreist eher um den Eulen­flaum im Dachstuhl der Dreifaltigkeit­skapelle.
18 – Ob das Märchen von der freien Liebe auch den Jung­ma­trosen aus Machatschkala im Kopf herumgegeis­tert war, als sie am frühen Nach­mit­tag an Land gin­gen?
19 – Zwei Ord­nung­shü­terin­nen, umwölkt von ein­er bestens aus­tari­erten Kom­po­nente aus sehr zartem Rosen­wasser­duft, ver­gaßen plöt­zlich ihren Mon­tags­grant und hiel­ten sich auf diese Weise alle Optio­nen offen. Die jün­gere der bei­den schnalzte mehrmals mit der Zunge.
20 – Echt­es Karpaten­wet­ter. Nur einen Stein­wurf weit ent­fer­nt von den Ruinen des Amphithe­aters ließ Yolan­da sich von Raban boost­ern. Er war ver­mut­lich leicht illu­miniert, wie man im Wald­vier­tel zu sagen pflegt.
21 – Der havari­erte Dampfer mit den Sauer­kraut­con­tain­ern stand bere­its seit Tagen in der Bucht. Dok­tor Quad­fastl jedoch wollte zuallererst ein­mal nur wis­sen: Wer bitte küm­mert sich um die Erleuchteten?
22 – Orig­inal­ton Agniesza: „Ganz schön dreist, wie unser neuer Koad­ju­tor aus Jele­nia Góra unlängst voll Ver­ach­tung auf den Tanz­bo­den gespuckt hat.“
23 – Erin­nerun­gen an das keltische Neu­jahrs­fest. Und im Pub gin­gen zwei mächtig Angeschick­erte mit alt­bekan­nten Weisheit­en hausieren, in denen es zum Beispiel darum ging, daß man nach New­cas­tle natür­lich keine Kohle liefern müsse. Und eine Frau mit wilder Turm­frisur gab anschließend bekan­nt: Hap­pi­ness comes easy if it‚s bright and breezy …
24 – Im Sem­i­nar zum Auf­bau größer­er Reser­ven im Bere­ich der Selb­stkon­trolle kriegte Ramona einen Lachan­fall. Auch die Geheimnisse des Inter­vall­fas­tens dürften sich ihr bish­er nicht erschlossen haben.
25 – „Fick dich, rus­sis­ches Kanonen­boot!“ war die empörte Antwort der Bewohn­er jen­er kleinen Schwarzmeerin­sel, die alle kurz danach erschossen wur­den.
26 – In Pantof­feln und im Schlafrock durchs Gelände streifen: Für Lajos kein Prob­lem. Seine Herzens­dame freilich hat er nie zum Pfer­deren­nen mitgenom­men oder wenig­stens zu einem teuren Aben­dessen aus­ge­führt. Aber am Dien­stag kurz nach fünf lag er erneut auf ihr, den Kopf zwis­chen den Beinen.
27 – Die Heil­masseuse gibt nun zusät­zlich noch alle vierzehn Tage im Gemein­dezen­trum Ratschläge betr­e­f­fend aus­ge­wo­gene Ernährung. Auch diverse Wohlfühl-Falt­broschüren wer­den ange­boten.
28 – Selb­st char­mante Liebe­spaare hin­ter­lassen Spuren. Mag­da und Helene sind jedoch nicht dazu da, sich auch um der­lei Dinge noch zu küm­mern. (Die let­zte Hon­olu­lu-Par­ty war genaugenom­men ohne­hin ein echter Rein­fall.)
29 – Im Likörstübchen wird ganz dezent gefeiert. Und nur zwei Straßen weit­er: Vier süße neue Katzen­ba­bies im Gesin­de­haus, dessen hüb­sches Stro­hdach Radovan im Juni während eines Wutan­falls tat­säch­lich abge­fack­elt hätte, wären die bei­den Sportler aus dem Klub in Tuzla ihm nicht in den Arm gefall­en.
30 – Leer­stand­skon­ferenz im Insti­tut für Raum­pla­nung. Die Gast­stu­dentin hat es eilig, deshalb stellt sie nur drei kurze Fra­gen, ver­schwindet anschließend in aller Eile aufs WC und ruft danach ein Taxi, dessen Fahrer offen­bar ein echt­es Red­haus ist. Vor der Ampel an der Baustelle im Innen­stadt­bere­ich erzählt er von dem Burgschaus­piel­er, der von sein­er Urlaub­s­fahrt zurück­gekom­men sei in eine aus­ger­aubte Woh­nung.
31 – Ein Bün­del Hüh­n­erfed­ern baumelt an der Tür der Unterkun­ft der Hirten in dem schmuck­en Dorf am Rande der Rhodopen. Es gibt Fladen­brot und frische Ziegen­but­ter. Auf dem dreibeini­gen Melkschemel aus Ahorn­holz ste­ht eine Schale mit Ringlot­ten.
32 – Tier­filmer Vaclav strahlt, als er das wack­e­lige Fohlen der Giraffe endlich trinken sieht. Er klopft mit seinem Dau­men­nagel mehrmals auf den Blechkanis­ter, winkt danach in Rich­tung Kam­era und hört im Kopf wom­öglich Engelschöre, während Lud­mil­la rasch das näch­ste Aspirin zer­stampft.
33 – Danke für die fre­undliche Begleitung durch den Tag. Ein let­zter Höhep­unkt: die leg­endäre Typhu­sopfer-Galerie im Abendlicht. (Keine achtzig Kilo­me­ter weit­er nördlich bolzte ange­blich zur sel­ben Zeit ein junger Eber durchs Gehölz.)
34 – Völ­lig über­trieben war natür­lich auch die Angst, bere­its das Tis­chge­bet kön­nte wom­öglich länger dauern als die eigentliche Mahlzeit. Doch der Grund­satz, erst ein­mal die Ruhe zu bewahren, hat schon des öfteren vor Schnellschüssen und Pein­lichkeit bewahrt.
35 – Straff ges­pan­nt wie ein gigan­tisch großes Tram­polin: der Him­mel über Tatabánya. Im gut besucht­en Strand­café ges­tand eine gelang­weilte Natalya: „Seit kurz­er Zeit trage ich immer häu­figer gestoh­lene Klei­der. Schuld daran ist Ist­vans Brud­er, der jede zweite Woche durch die Märk­te Bratislavas zieht.“ (Die Garte­nar­chitek­tin fragte hin­ter­her nicht ohne Grund: „Warum sind alle hier so durchgek­nallt?“)
36 – Jet­zt auch im halb­wegs gut sortierten Einzel­han­del jed­erzeit erhältlich: Füll­hörn­er für Heubo­den und Vor­ratskam­mer.
37 – Am Mittwochabend um halb acht: Ganzkör­per­tat­toofre­unde vor dem noch son­nen­war­men Dom im Zen­trum von St. Pöl­ten. Musi­ca Sacra-Fly­er vor dem Würstl­stand. Und nie­mand weiß, was mor­gen kommt.