Tier und heute

Von

Auf die Amsel wartend, der Wind fährt in eines der bei­den von mir unbe­merkt gebaut­en Nester, zerzaust eines, einige Ästchen, Gras­büschelchen und Wiesen­moos fall­en auf den Boden, geräusch­los, selb­st der Wind ist nicht hör­bar, die Amsel taucht nicht auf, ihre Nester habe ich noch nie gese­hen, die bei­den unter dem Ter­rassendach sind nicht von ihr.

Wo ist sie, wann begin­nt sie zu sin­gen, heute wäre wohl ihr Flügelschlag zu hören.

Den Anfang eines Vogelge­sangs vernehme ich nicht, die Zeit darin span­nt sich anders als auf den Uhren, zeiger­los, eher ein Schweben, das sich plöt­zlich, aber behut­sam bemerk­bar macht.

Wir sagen Früh­ling, wir sagen Amsel, ich sage Zeit – die Begriffe sind da, aber wer und was umgibt sie wie, macht sie plas­tisch, greif­bar, anschaulich über ihr erstes Bild des Wis­sens hin­aus?

Jedes Wort sein festes Bild, das ja, aber ich sage nein, möchte zurück in ein selb­st ent­wor­fenes Bild von der anders ges­timmten Zeit, der Amsel, vom Früh­ling – mein Gefühl eines Geschehens, noch ohne Worte, Sätze, ja, so mache ich einen Satz mit der Amsel von Zweig zu Zweig, vom Dach auf die Leitung, ein Strom, der mich von den Augen bis zu den Zehen­spitzen erfasst.

Dieser Klang der Amsel­stimme, ihre Mod­u­la­tion, ihr Getriller, der Rhyth­mus, der den Garten umfasst und offen lässt zugle­ich.

„Selb­st ent­wor­fenes Bild“ sag ich, die Automa­tis­men der Sprache hin oder her, weg mit der Zuord­nung, die mir Unmit­tel­bares ver­baut:

Das „Offen lassen“ bringt mich weit­er, öffnet was, ein Bogen tut sich auf von den Fal­ten auf der Stirn, die von innen kom­men ins ungewisse Blau da oben, das hin­ter der Amsel sich auf­baut, wölbt,
die Amsel mag ihr Revi­er absteck­en, mich nicht in Lock­rufen ver­suchen, wie ich später von der kundi­gen Nach­barin erfuhr, aber für mich als Hören­den, schafft sie es, ja, ja, doch:

Ich bilde mir ein, zu schweben, ein sich in das Innere mein­er Wahrnehmung und Empfind­ung senk­endes Bild, das mich nicht aus, son­dern e-in-bildet,

– und das in dieser un-eigen-arti­gen Sit­u­a­tion, nicht selb­st gewählt dieses Allein­sein, diese Iso­la­tion im Früh­ling des Abstands, der Sicher­heit, ger­ade dann, wo alles auf­bricht, raus­drängt, sich färbt, Düfte sind und Sin­gen:

Wir sagen Früh­ling, Abstand, Sicher­heit – ist das was Zusam­men­hän­gen­des, stimmt da was übere­in?

Für mich ist es das Ges­timmte der Amsel, es ist be-stimmt ein anderes, das behaupte ich mit aufgeris­senem Mund, weil es ein frei Gegebenes ist, das Andere, das da ist, das (wenn über­haupt) ihrer Ver­hal­tensweise, das der Amsel bedarf; die mag vorgegeben sein, ein inneres Pro­gramm, das aber kein­er Auf­forderung entspringt und entspricht.

„Auf­forderung zur Vor­sicht“ sagen wir, hören wir. Was ist Vor­sicht?
Kön­nte es nicht eine Art Nach­sicht sein – also gehe ich einen Schritt zurück, ich wachse so ohne „Tum“, und teile das Wort in: „vor der Sicht“. Denn die Sicht ist das Bild, das gegeben ist, fest­geschrieben, einge­bran­nt, aber „vor der Sicht“, nun ja, da schau ich,

ich, ein­er unter der Amsel, hof­fend auf das Offene, das die Sicht, den Blick in ein tätiges Schauen ver­wan­delt, das mir die Amsel schenkt, kann ich so dieser Auf­forderung im Sinn eines Gehor­sams ent­fliehen?

Im freien Sinn der Sinne, statt Gehor­sam sin­niere ich „Gehör-Sam-en“, hmm, ich spüre den Flügelschlag, da tut sich was zwis­chen meinen Schul­tern: hin­auf! in die Zehe, hinab! ins Gehirn, und ja, sage ich zu diesem Rich­tungswech­sel, ich will, ja ich will, ich will den Samen, der mir etwas in das Ohr pflanzt, hören!

Nun ja, dieses Wollen ist mit dem Willen ver­bun­den, aber den set­ze ich nun mal auss­er Kraft, so er von: „beispiel­haft sei für andere“ geprägt ist, also zu erfüllen hat, was gefordert ist.

Aber nun: die Ohren auf, die Amsel schlägt an, ist sie nun frei oder stört sie meine Anwe­sen­heit in ihrem Raum?
Oder ist es was anderes in ihrem Revi­er, das sie abzusteck­en ver­sucht?

Ich rücke kein Revers zurecht, das ich nur in der Vorstel­lung habe, denn im realen Raum trag ich ja während ich sitze und dies schreibe, kein Sakko, so ein­fach läuft der Hase und spricht der Vogel nicht.

Halt, plöt­zlich don­nert es,
da, wo ich sitze, unter dem Ter­rassendach, bin ich geschützt,
– und die Amsel?
Flugs hebt sie ab, sie will plöt­zlich nicht mehr sin­gen, trillern, lock­en oder war­nen.

Tja, ihren Willen möchte ich haben, ein­fach auf­steigen und weg.

Doch die Rosen um mich herum, die bleiben ja in ihrer Pracht, und voll mit Blüten hängt der Strauch in die Wiese, das Gras, die Erde.
Sie, die Rosen bleiben ver­bun­den mit dem, was sie nährt, und schützen sich mit ihren Dor­nen,
und, diesen Schutz nehme ich auf als den meinen:
Sie hal­ten was fern – und ich steche nicht.

Mutig scheint das nicht zu sein in dieser Lage, aber egal ist es nicht, es ist eine Möglichkeit, zu sein und zu wirken, ohne die anderen im Raum tat­säch­lich zu ver­let­zen. Also fliege ich mit den Rosen auf eine eigen­willige Weise im Vorstellen doch:

Ges­tat­ten, Amsel lautet mein Name nicht, doch ich fliege.

Für die Amsel sitze ich jedoch weit­er­hin auf der Ter­rasse, auf das Dach pras­seln die ersten schw­eren Tropfen, Der Vogel ist längst abgeschwirrt, aber ich füh­le sein Schwin­gen, das mich durch die Rosen trägt.

Ich weiss nicht, ob das Tier ein Bild von mir hat, welche Umrisse ich für es abgebe, wie ich rieche oder wie laut ich bin in seinen Ohren.
Aber welch­es Geschlecht spricht denn da: es, sie, ich –
Das seine, das ihre, es ist ja sie, und ich?, meines, das der Amsel?

Es und sie und ich – also wir sind auf jeden Fall miteinan­der, und der Gehör­samen spriesst und spriesst und lässt auch die Rosen weit­er wach­sen und noch schönere Far­ben annehmen als das pur­purne Rot.

Sie sind einzeln und ver­mis­cht, rosa, rot, gelb, weiss – ist das eine Pracht der Unter­schiede, die ein Gemein­sames zeigt in den Stäm­men, daraus die Blüten wach­sen, auch für die Bienen, die sich nach dem Gewit­ter in ihren Kelchen ergötzen wer­den.

Ist dies die heile Welt am Sam­stag „als die Amseln san­gen“? Sie ist ja nur eine, wieso also die Mehrzahl, mehrere sind bis hier die Rosen, aber auch die Amsel ist ein Vieles, nicht nur als Tier unter Tieren.

Hab ich da ne Meise? – nun nicht so recht, eine Amsel wohl,
aber ihre Schwest­er, die Meise, die stirbt zur Zeit, was heisst, sie ist nicht mehr da, ver­schwun­den, ent­fleucht ohne jeden Atemzug des Abschieds. Ich sehe sie nicht ster­ben, sie ist ein­fach weg, genom­men durch das Meisen­ster­ben irgend­wo, irgend­wie und doch gelenkt.

Vor einem Jahr war es die Amsel, die starb, ihre Wiederkehr ist nun ein Neues, nie des Gle­ichen, sie tri­um­phiert wed­er nach hin­ten noch nach vorne.

Es heisst ja, sie lebt im Jet­zt, das edle Tier, und hat nun ein Recht als Wesen, das lebt, das aber der Meise so gar nichts hil­ft, sie ist dem Vor­gang, der ein Abgang ist, aus­geliefert,

die Rosen blühen zwar weit­er, der Regen wird stärk­er, die Amsel schützt sich im Blät­ter­w­erk des Nuss­baums, und die Meise
– wo mag sie dahin däm­mern, gar abstürzen, wo ist das Gras ihr Sarg?

Ich nehme Anteil, werde zum Teil des Tieres, wo ist mein Gras, den Sarg lass ich weg, dieses Bild muss wieder raus aus meinem Kopf,

o, ich Tropf, da sick­ert was in mich ein, das ich nicht loswer­den kann, dieses Bild aus diesen Buch­staben s a r g, ich komm mir kurz wie im Sturzflug vor, kein Schweben mehr, das Köpfchen der Meise wird zum Schädel, der Schn­abel geht über in meinen Mund, der aber geht nicht über, die Schreib-Hand lahmt – alles um mich herum bleibt gle­ich, die Zeit ist nun Zeiger und Ver­weis zugle­ich, der Raum ist wieder mit ein­er Tür ver­schlossen, durch die trete ich nicht raus, aber auch nicht rein, war ich je drin­nen, nun muss ich es sein, aber bin ichs – ist es ein Traum?

Nein! Es ist der gefun­dene Raum über das Gle­ichgezwitsch­er hin­aus, den mir die Amsel durch­löch­ern half und hil­ft. Im Gle­ichgezwitsch­er gehört das A zum Traum, aber ich bin nicht bere­it, das, was sich da verän­dert hat, durch die Rück­kehr in deine ange­bliche Nor­mal­ität aufzugeben. Kein Traum,a

– ein Raum des Wan­dels ist es, den ich unter dem Gefilde der Amsel fühlen lernte, das was da gesun­gen wird und schwebt und hören lässt, ist nicht dis­tanziert, geset­zmäs­sig,
jed­er Pfiff, den mir das Gespräch mit der Amsel ent­lockt, ist ein ander­er, ger­ade weil ich ver­suche, dass sie mich hört, ja erhört, ist es der Wun­sch, die Botschaft mit dem Wind hin­auf zu tra­gen, immer wieder, es ist ein Ereig­nis ohne Marsch-Sub­stanz, die es schw­er­fäl­lig und zum Gle­ichk­lang machen würde.

Har­monie des Unter­schieds, wir ver­steigen uns ins Rauschen und ste­hen mit den Beinen auf dem Boden, und sollte er eine Leitung sein, dann ist sie voll Span­nung, der Funken entzün­det sich, und wir schwär­men, dies aber mit Ein­dringlichkeit, ja, die Rose sticht, ja die Amsel piekt, ja, die Meise stirbt, aber wird wieder aufleben,
das Denken des hier Niedergeschriebe­nen ist etwas aus der Ferne, die mich umgeben mag, aber die Ein­dringlichkeit des Gefühls ist ein Hier und Jet­zt, das die Furcht, die uns akut über­leben hil­ft zur chro­nol­o­gis­chen Frucht ver­wan­delt, die uns schmeck­en lässt am gemein­samen offe­nen Tisch, ohne Zeige-fin­ger, so gings mir mit der Amsel, so geht’s mir mit dem Schreiben, so hoffe ich, dass es weit­erge­ht:

O freue die Spreu ein
sich wird wei­den
zum Blüten weit öff­nen
maulig schert
Mund das Schrift­fordere weg
auf Weg­wiege das Stim­mige
muntert von Aussen nach Innen
den Tod aus dem Zeitauge weg
ist es ein Tor wild (Zeiger los) rot