Entlarvung eines Bauernfängers

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Endlich gegen 10 Uhr abends kam ich mit einem mir von früher her nur flüchtig bekan­nten Mann, der sich mir dies­mal unverse­hens wieder angeschlossen und mich zwei Stun­den lang in den Gassen herumge­zo­gen hat­te, vor dem herrschaftlichen Hause an, in das ich zu ein­er Gesellschaft geladen war.

„So!“ sagte ich und klatschte in die Hände zum Zeichen der unbe­d­ingten Notwendigkeit des Abschieds. Weniger bes­timmte Ver­suche hat­te ich schon einige gemacht. Ich war schon ganz müde.

„Gehn Sie gle­ich hin­auf?“ fragte er. In seinem Munde hörte ich ein Geräusch wie vom Aneinan­der­schla­gen der Zähne.

„Ja“.

Ich war doch ein­ge­laden, ich hat­te es ihm gle­ich gesagt. Aber ich war ein­ge­laden, hin­aufzukom­men, wo ich schon so gerne gewe­sen wäre, und nicht hier unten vor dem Tor zu stehn und an den Ohren meines Gegenübers vorüberzuschauen. Und jet­zt noch mit ihm stumm zu wer­den, als seien wir zu einem lan­gen Aufen­thalt auf diesem Fleck entschlossen. Dabei nah­men an diesem Schweigen gle­ich die Häuser rings herum ihren Anteil, und das Dunkel über ihnen bis zu den Ster­nen. Und die Schritte unsicht­bar­er Spaziergänger, deren Wege zu errat­en man nicht Lust hat­te, der Wind, der immer wieder an die gegenüber­liegende Straßen­seite sich drück­te, ein Gram­mophon, das gegen die geschlosse­nen Fen­ster irgen­deines Zim­mers sang, — sie ließen aus diesem Schweigen sich hören, als sei es ihr Eigen­tum seit jeher und für immer.

Und mein Begleit­er fügte sich in seinem und — nach einem Lächeln — auch in meinem Namen, streck­te die Mauer ent­lang den recht­en Arm aufwärts und lehnte sein Gesicht, die Augen schließend, an ihn.

Doch dieses Lächeln sah ich nicht mehr ganz zu Ende, denn Scham drehte mich plöt­zlich herum. Erst an diesem Lächeln also hat­te ich erkan­nt, daß das ein Bauern­fänger war, nichts weit­er. Und ich war doch schon Monate lang in dieser Stadt, hat­te geglaubt, diese Bauern­fänger durch und durch zu ken­nen, wie sie bei Nacht aus Seit­en­straßen, die Hände vorgestreckt, wie Gast­wirte uns ent­ge­gen­treten, wie sie sich um die Anschlagsäule, bei der wir ste­hen, herum­drück­en, wie zum Ver­steck­en­spie­len und hin­ter der Säu­len­run­dung her­vor zumin­d­est mit einem Auge spi­onieren, wie sie in Straßenkreuzun­gen, wenn wir ängstlich wer­den, auf ein­mal vor uns schweben auf der Kante unseres Trot­toirs! Ich ver­stand sie doch so gut, sie waren ja meine ersten städtis­chen Bekan­nten in den kleinen Wirtshäusern gewe­sen, und ich ver­dank­te ihnen den ersten Anblick ein­er Unnachgiebigkeit, die ich mir jet­zt so wenig von der Erde weg­denken kon­nte, daß ich sie schon in mir zu fühlen begann. Wie standen sie einem noch gegenüber, selb­st wenn man ihnen schon längst ent­laufen war, wenn es also längst nichts mehr zu fan­gen gab! Wie set­zten sie sich nicht, wie fie­len sie nicht hin, son­dern sahen einen mit Blick­en an, die noch immer, wenn auch nur aus der Ferne, überzeugten! Und ihre Mit­tel waren stets die gle­ichen: Sie stell­ten sich vor uns hin, so bre­it sie kon­nten; sucht­en uns abzuhal­ten von dort, wohin wir strebten; bere­it­eten uns zum Ersatz eine Woh­nung in ihrer eige­nen Brust, und bäumte sich endlich das gesam­melte Gefühl in uns auf, nah­men sie es als Umar­mung, in die sie sich war­fen, das Gesicht voran.

Und diese alten Späße hat­te ich dies­mal erst nach so langem Beisam­men­sein erkan­nt. Ich zer­rieb mir die Fin­ger­spitzen an einan­der, um die Schande ungeschehen zu machen.

Mein Mann aber lehnte hier noch wie früher, hielt sich noch immer für einen Bauern­fänger, und die Zufrieden­heit mit seinem Schick­sal rötete ihm die freie Wange.

„Erkan­nt!“ sagte ich und klopfte ihm noch leicht auf die Schul­ter. Dann eilte ich die Treppe hin­auf und die so grund­los treuen Gesichter der Diener­schaft oben im Vorz­im­mer freuten mich wie eine schöne Über­raschung. Ich sah sie alle der Rei­he nach an, während man mir den Man­tel abnahm und die Stiefel abstaubte. Aufat­mend und langgestreckt betrat ich dann den Saal.