Die Säuberung

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Wie wir auss­chauen? Fünf Kilo, min­destens. Wahrschein­lich acht. Wenn wir so weit­er­fressen, kriegen wir noch eine Postleitzahl. Bald ist unsere Anziehungskraft so groß, dass Monde um uns kreisen. Dabei war für uns extrem attrak­tive Men­schen die Maskenpflicht anfangs eine enorme Benachteili­gung. Und jet­zt? Mir passt keine Hose mehr.

Seit der Paket­zusteller unsere einzige Verbindung zur Außen­welt ist ... Selb­st der stellt die Kar­tons nur vor die Tür und ren­nt davon. Wie wärs mit Ing­w­ergemüse? Fisch? Papri­ka? Irgend­was für das Immun­sys­tem. Oder Kaiser­schmar­ren? Was? Auf keinen Fall ein süßes Mit­tagessen, das geht am The­ma kom­plett vor­bei. Sagst du immer. Warum kein Apfel­strudel? Nach der Lehre des Kon­trasts macht Aufre­gung Sinn.

Nein, ich nehm dich ernst, du bist kein Gespenst, auch wenn du in einem Lein­tuch leb­st. Hast dein Mor­gen­gesicht? Schlaf­grind in den Augen? Traum­sand hört sich schön­er an. Was hast heute vor? Wie immer? Aus dem Fen­ster schauen? Den ganzen Tag?

Gut, dass im Home-Office die Pendler­pauschale vergütet wird. Jet­zt bekommt man Kilo­me­tergeld und darf die Haus­patschen in Rech­nung stellen. Aber was, wenn man am Weg vom Bett zum Com­put­er mit einem Blu­men­stock kol­li­diert? Es gab ein­mal eine Zeit, da haben wir uns gefragt, wie es am Arbeitsweg mit Helmpflicht und Han­dynutzung ist. Früher.
Pst. Ruhig. Hörst du das? Nichts! Abso­lut nichts. Kein Autolärm. Nur ein paar Vögel zwitsch­ern. Schön. Was? Gestern hast du Wild­schweine gese­hen? Mit­ten in der Stadt. Die Luft ist bess­er gewor­den. Schade, dass wir nicht raus­dür­fen. Und alles das ver­danken wir Coro­na. Der Name ist genial. Stell dir vor, das würde wie irgen­dein Nahrungsergänzungsmit­tel heißen. Hätte niemals funk­tion­iert. Aber Coro­na! Das macht was her. Klingt majestätisch. Coro­na Patrona.

Glaub­st, lebt noch wer? Manch­mal träume ich, außer dem Paket­zusteller sind alle tot. Vielle­icht sind die ganzen Pressekon­feren­zen Aufze­ich­nun­gen? Virolo­gen, Sta­tis­tik­er, Poli­tik­er ... vielle­icht leben die alle längst nicht mehr. Nur wir. Der Paket­zusteller und noch ein paar, mit denen man ein gigan­tis­ches sozi­ol­o­gis­ches Exper­i­ment durch­führt. Was willst mit dem Gewehr? Geh, gib das weg. Und wisch dir das Schweißbärtchen von der Ober­lippe.
Ist heut Mon­tag oder Don­ner­stag? Egal. Was wir brauchen, ist Struk­tur. Wir kön­nten Heim­train­ing machen? Oder Lesen? Ja, stimmt schon, der Mann ohne Eigen­schaften ist auch beim drit­ten Mal lang­weilig ... und Heimki­no? Gut, dass die in Fil­men keinen Abstand hal­ten, ist natür­lich skan­dalös. Da kom­men sich welche beim Sprechen in kamikaze­hafter Gle­ichgültigkeit auf zwanzig Zen­time­ter nahe. Die geben sich die Hände, umar­men und küssen sich. Lauter Selb­st­mörder! Gut, dass solche Filme jet­zt ver­boten sind.

Mir ist trotz­dem nicht lang­weilig. Nie. Hast du gewusst, dass in ein­er Zünd­holzschachtel zwis­chen 67 und 81 Hölzchen sind? Jet­zt komm vom Fen­ster weg? Siehst eh nie­mand. Was? Nein, bitte, keinen Klopa­pier­witz, da bekomme ich Ohrenkrebs. Ja, wir haben darüber mal gelacht ... Ham­ster, Hän­de­waschen, Klopa­pi­er. Wie lange ist das her? Monate? Jahre! Das war eine andere Zeit. Damals haben wir den Zusam­men­hang zwis­chen Aus­gangssperre und Alko­holkon­sum getestet. Weißt noch? Ver­nich­t­en­des Ergeb­nis. Und wir haben ern­sthaft geglaubt, wir dürften eines Tages wieder raus. Lächer­lich. Wenig­stens ste­hen jet­zt keine Leute mehr auf Balko­nen und sin­gen. Hat sich ange­hört, als wür­den sie Per­chlorethylen gurgeln.
Weißt du noch? Damals hat es geheißen, wir wür­den viele Wun­den haben, in Quar­an­täne mehrten sich die Haushalt­sun­fälle. Die Zahl der amputierten Heimw­erk­er sei gestiegen, mehr Men­schen in den Notauf­nah­men, weil Kör­perteile in Gegen­stän­den fest­steck­ten, oder umgekehrt.

Wie wir auss­chauen? Schau mich an. Kennst du das Gesicht? Zwölf Kilo, min­destens. Geschätzt. Wahrschein­lich mehr.

Hast du das mit den Volks­fein­den gele­sen? Stell dir vor, diese sub­ver­siv­en Ele­mente haben sich in still­gelegten Fab­riken getrof­fen, um sich ... jet­zt kommts ... zu berühren. Wider­lich, gell. Es heißt, die haben gemein­sam gekocht und gegessen und abge­waschen, und das­selbe Klo benutzt, ohne Schutzanzug! Einen Tag der Umar­mung sollen die gefeiert haben. Wahnsinn. Oder? Wur­den alle eli­m­iniert, diese pro­le­toiden Hirn­schleimer. Hugs and Bugs? Geht’s noch? Gestern hat man eine mafiöse Vere­ini­gung hochge­hen lassen, die darauf spezial­isiert war, Vor­erkrankun­gen von E-cards zu löschen. Das sind die Schlimm­sten! Ver­brech­er! Dabei sollte man denken, Leute mit Vor­erkrankun­gen wären längst abge­holt. Sind alle in ein Sana­to­ri­um gekom­men. Da gings ihnen nicht schlecht. Bis dann die Postkarte mit dem Auf­druck gekom­men ist ... Todesur­sache und so weit­er. Es klingt vielle­icht hart, aber für die Gesellschaft ist es gut, dass diese Alten und Kranken weg sind. Weißt du, nur so wird die Gesellschaft wieder gesund.

Wann hast du wieder eine Videokon­ferenz? Du, näch­stes mal gehe ich im Taucher­anzug durchs Bild. Erst trock­en, dann nass und mit harpuniert­er Wärm­flasche. Na? Oder ich schle­iche als Stehlampe durch den Hin­ter­grund. Die wür­den schauen. Was? Ah ja, es gibt keine Kon­feren­zen mehr. Hat alles dicht­gemacht. Ger­ade jet­zt, wo ich Ideen hätte.
Jet­zt sitzt du immer noch am Fen­ster. Was? Zwei Leute im Schutzanzug? Und Min­destab­stand? Passt. Nein, wegen denen steh ich nicht auf. Ja, du hast ein­mal einen Mann ohne Mund­schutz gese­hen. Hast ihn auch, wie es deine Staats­bürg­erpflicht ist, angezeigt und eine Prämie bekom­men. Und den Orden. Pan­demiebekämpfer erster Klasse. Aber das ist Monate, Jahre ist das her.

Schau, was ich gefun­den hab. 100 Euro. Kann man sich nicht mehr vorstellen, dass wir alle mal mit Geld bezahlt haben. Wer das alles ange­grif­f­en hat. Unglaublich. Ekel­haft. Ich bin froh, dass mit diesem EU-Scheiß Schluss ist. Jet­zt haben wir wieder Nation­al­staat­en, und jedes Volk hat das, was es sich gewählt hat. Recht so. Seit alles online läuft, ist es vor­bei mit dem Gemauschel.

Im Inter­net hat jemand gemeint, der Virus sei so lust­feindlich und humor­los wie die ärg­sten religiösen Fanatik­er. Am näch­sten Tag war der Account gelöscht und der Schreiber weg ... für immer. Diese Leute, die behaupten, die Weltachse hätte sich ver­schoben ... man hätte Krankheit­en erfun­den, um Medika­mente zu verkaufen. Lauter Ver­schwörungs­the­o­retik­er!
Was ich zugenom­men hab? Seit es keine Zigaret­ten und keinen Alko­hol mehr gibt, bleibt als Möglichkeit zur Selb­stzer­störung nur das Essen. Ob man uns das auch ver­bi­eten wird? Es heißt, man plant eine Volks­diät. Wir sind nicht mehr gesund, um zu leben. Wir leben, um gesund zu sein.

Dafür ist jed­er Tag ein Son­ntag. Gut, dass es noch Essen gibt. Ing­w­ergemüse, Fisch, Papri­ka? Zu Mit­tag muss man schon ein­mal Apfel­strudel essen, wenn man ein Ich ist. Was kann passieren? Wir kön­nen höch­stens von der Couch fall­en. Schau mich an. 20 Kilo, sich­er.
Weißt noch, wie ich das let­zte Mal draußen war? Mit dem Plüschhund auf Rädern hab ich der Aus­gangssperre eins aus­gewis­cht. Was hätt passieren sollen? Im Schutzanzug mit Ein­weghand­schuhen, Gum­mistiefel, Schutzbrille und dem Abstand-Hal­ten-Schild. Damals wollte ich den Abstand­hal­ter aus dem Auto aus­bauen, aber der hätte nur beim Rück­wärts­ge­hen funk­tion­iert. Schon nach zwei­hun­dert Metern kam mir der erste Men­sch ent­ge­gen, im Gum­mi­anzug. Er wech­selte vorschriftsmäßig die Seite, ich auch. Wenig später die Katas­tro­phe, jemand stieg unver­mit­telt aus dem Auto aus, zwei Meter vor mir, ohne Schutzk­lei­dung. Ital­iener? Iran­er? Tirol­er? Jeden­falls ein Ter­ror­ist! Ich Herzrasen, Schweißaus­bruch. Grauen­haft. Mit­ten auf dem Gehweg lag ein Auswurf, eine schleim­grüne Viren­bombe. Und dann kam dieses kleine Mäd­chen an. Eh lieb. Es sagte Hal­lo. Ich, kurz davor zu explodieren, denke nur, geh weg, du Viren­schleud­er. Hal­lo? Wo sind deine Eltern? Die kön­nen doch ihre biol­o­gis­che Waffe nicht unbeauf­sichtigt herum­laufen lassen. Hal­lo? Tat­säch­lich ist mir diese min­der­jährige Selb­st­mor­dat­ten­tä­terin bis auf einen Meter nahegekom­men. Kann die nicht lesen? Abstand hal­ten! ... Hal­lo! ... Gut, dass du geschossen hast. Nach dem Voll­bad im Desin­fek­tion­s­mit­tel gings wieder.

Ein lauter Knall. Er zuckt zusam­men.

Was war das? Hast du geschossen? Ich weiß nicht, ob das in Ord­nung ist. Nur weil sich ein­er an den Schutzanzug greift und ihn vielle­icht einen Spalt öff­nen kön­nte, um auszu­at­men? Alles Kon­junk­tiv. Ja, ich weiß, dass das ein gemeinge­fährlich­es Ver­brechen ist. Aber gle­ich erschießen? ... Du hast recht, es geht nicht anders. Geh, wisch dir das Schweißbärtchen von der Lippe. Wir sind gesund, und wir müssen uns schützen. Etwas anderes gibt es nicht. Das ist alles, was jet­zt zählt.