Das Geschäft für den Gitarrengott

Von

Hätte er eine Inspi­ra­tionskrise und mit etwas anderem zu tun, er würde ausse­hen wie jed­er. Dazu wird es aber nie kom­men. Ihn kann man nicht auf ihren Wegen tre­f­fen, begeg­nen kann man ihm nur auf seinen Wegen.

Betritt man die Musikalien­hand­lung, da sitzt er, aus­ge­bre­it­et über Griff­brett, Sait­en und Gitar­reko­r­pus, einge­graben in die aus seinen bun­ten Gewän­dern her­aus um die um sich herum ver­streuten, zer­legten, aneinan­derg­erei­ht­en und ver­sam­melten Töne, durch­drun­gen von irgen­det­was tief in seinem Inner­sten. Hier geht er auf seine Tourneen, hier geht es hin­auf in die höch­sten Höhen sein­er Spiel­launen, in die nur noch er sich fol­gen kann und in denen er vor Selb­stvergessen­heit den ganzen Tag lang nicht mehr vom Ses­sel auf und wegkommt. Mit Schuhen, die nicht zu binden sind. Ohne Sock­en, für die es in den richti­gen Schuhen keinen Grund gibt, im gefühlten, im richti­gen Leben, das er unter seinen bun­ten Gewän­dern in Unter­ho­sen und Unter­leibchen im Dasitzen führt. Man kann auch neben dem Grab von Jim Mor­ri­son auf dem Fried­hof Père Lachaise, ohne noch einen einzi­gen neuen Ton von ihm zu hören, darauf warten, dass der Funke über­springt oder hier neben ihm die Ohren auf­sper­ren, was alles möglich ist, bevor auch er geht und man nur mehr hören kann, was im Radio, das einen nicht spielt, von einem gespielt wird.

Er streckt die Gitarre von sich, er weiß, was er schafft. Er kann aus jed­er Gitarre, die hier hängt, etwas machen, auch aus jed­er, die nach nichts klingt. Man muss sie ihm nur brin­gen, die Zwölf­sait­i­gen, die Zweistieli­gen, die Kon­trag­i­tar­ren, die Bass­gi­tar­ren, die Oktavgi­tar­ren, jede, alle. Er kann sie weit weg gestreckt von sich vor seinem Bauch genau­so spie­len wie ohne Gurt bis zur Brust hin­aufge­zo­gen oder mit Gurt hin­un­terge­lassen bis zu den Knien. Er kann sie über und hin­ter seinem Kopf spie­len, seitlich links, seitlich rechts, er kann sie ohne Spielun­ter­brechung von sich wegstreck­en und wieder her­anziehen, er müsste nicht ein­mal mehr spie­len. Nur ein Artist mit der Gitarre oder sie zertrüm­mern, das ging bei ihm nie, dazu war er immer schon zu sehr mit ihnen verwach­sen und kör­per­lich zu mas­siv. Er hat Töne im Kopf, keine Gedanken. Legt er eine Gitarre aus sein­er Hand, führt sie ein Eigen­leben ohne ihn weit­er, mit jeman­den, der vielle­icht sein ganzes Leben lang danach sucht, dass sie so klingt, wie er sie zum Klin­gen gebracht hat.

Man weiß mehr über ihn, als es Hin­weise darauf gibt, dass irgen­det­was davon tat­säch­lich so gewe­sen sein kön­nte, wie man es sich von ihm erzählt. Lob reicht, alles andere strengt ihn viel zu sehr an. Man weiß nie von ihm, ob er einem auch zuhört. Was man sich von ihm erzählt, begin­nt immer damit, man hat gehört. Von seinen Anfän­gen. Aus seinen wilden Jahren. Mit sein­er ersten Band, die als Vor­band die Haupt­bands an die Wand gespielt hat, bis sie nie­mand mehr von den Haupt­bands haben wollte, von denen ab dem ersten Akko­rd nichts mehr zu hören war. Seine Songs wollte man sich merken, die der anderen kan­nte man schon von den Plat­ten. So wie er wollte man spie­len, die Gitarre, die er spielte, wollte man haben, die Anlage, die Effek­t­geräte, so wie er wollte man sich anziehen und was er sich anzieht, solche Haare wie er wollte man haben, aber über­all zugle­ich kann man eben nicht sein und hätte man es kön­nen, hätte man aufge­hört, der zu sein, der man war. Das Geschäft gehört ihm nicht, aber es würde keinen Tag ohne ihn über­leben. Er hat nie Kom­merz gemacht, und das bleibt auch so, bis zum Ende sein­er Tage.

Er brummt und nickt zu allem, was ihm gefällt, so lange er zwis­chen den laut­en Tönen aus allen Laut­sprech­ern noch etwas hört. Sie ver­fol­gen ihn schon vom ersten gesproch­enen und gesun­genen Ton an. Er muss, singt er etwas, will er etwas sagen, lauter sein als sie, lauter als die anderen, am Bass, am Schlagzeug, an der Rhyth­mus­gi­tarre, am Key­bord, als der Bläser­satz, der Back­ground-Chor, als er selb­st auf der Gitarre, lauter sein als alle, die, solange sie sehen, dass man eine Gitarre in der Hand hält, lauter sind, als man mit sein­er Gitarre, mit seinen Effek­t­geräten und sein­er Anlage sein kann. Es ist eine Gnade, wenn man rechtzeit­ig nichts mehr hört.

Kommt die zu laute Musik nicht von ihm selb­st, set­zt er sich möglichst weit von ihr weg. Nur dann bewegt er sich. Für die von ihm selb­st gespielte Musik sind ihm seine aus­gestreck­ten Arme ent­fer­nt genug, damit er auch noch alles hört, wenn er in sich und in sein Instru­ment ver­sunken seine Zeit ver­sitzt. In seine Welt abge­taucht. Am lieb­sten in sein­er eige­nen Hall auf Fame hin­ter seinem eignen Wall of Fame, wo sein ständi­ger Platz ist, wo er bei sich zu Hause ist. Ganz.