Essen & Trinken

Tortenschlachten. Kuren. Kurdiäten

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Heil­wass­er allein hil­ft nicht. Es muss dazu kilo­me­ter­lange Tor­te­nansamm­lun­gen mit den größten vorgeschnit­ten Stück­en mit den üppig­sten Cre­men geben und ganzen Torten dazwis­chen, damit sofort zu sehen ist, was die Torten alles enthal­ten und wieviel man davon haben kann. Hin­ter den Vit­ri­nen und dem Verkauf­spult in den Kühlbox­en noch viel mehr.

Heilun­gen hän­gen ganz von den Ver­hält­nis­sen ab, in denen die Men­gen zueinan­der ste­hen. Das klare Wass­er und die hochkonzen­tri­erten Back­mis­chun­gen spülen und füllen nach Herzenslust, wenn man sie in den richti­gen Mis­chun­gen aufeinan­der abstimmt. Erst Heilung, dann Her­aus­forderung der Heilung, dann wieder Heilung, dann wieder Her­aus­forderung der Heilung, es ist dieser ewige Kreis­lauf, der Orte mit Heil­wirkung so aufre­gend macht. Und für Neben­wirkun­gen sorgt, an die kein­er denkt.

Ihre von nie­man­dem bemerk­te Entste­hung ver­dank­te die in Kurorten bei Kuraufen­thal­ten ent­standene Torten­be­w­er­fungs­be­we­gung ein­er ganz ein­fachen Tat­sache, der Harm­losigkeit der Torte. Auch bei aller­größtem Mis­strauen ließ sich an der Her­stel­lung, am bestellen oder abholen ein­er Torte nichts anderes erken­nen als ein beab­sichtigter Anschlag auf das Gewicht, einen Krankheitsver­lauf oder Gesun­dung­sprozess oder auf die Gesund­heit der Zähne. In den Hän­den von Poli­tik­ern wurde sie, wie alles in der Poli­tik, zum Wer­be­botschafter – „Etwas Gutes oder Blu­men?“ – in den Hän­den der Torten­be­w­er­fungs­be­we­gung wurde sie zu ein­er für ihre anvisierten Opfer ver­häng­nisvollen Falle, Torte ein­er­seits, ander­er­seits mit­ten im Gesicht. Mit Nachah­mungstätern war zu rech­nen, nicht jedoch mit der fre­undlichen Auf­nahme der Torte­nat­tack­en in der Bevölkerung.

Ihren Vor­läufer hat­te die Torten­be­w­er­fungs­be­we­gung in den schwarz-weiß Slap­stick-Filmkomö­di­en, in denen das sah­ne­hältige Weiß oder das schoko­ladi­ge Schwarz der Torten eine beson­ders gute Kon­trast­möglichkeit zu den käseweißen oder sich verdüstern­den Gesichtern bot, in die die Torten gewor­fen wur­den, ihre Wurzeln hat­te sie in Kur­diäten, ihre tief­sten in den beson­ders stren­gen, in eigens darauf aus­gerichteten Orten mit viel frisch­er Luft in der näheren und weit­eren Umge­bung, in denen es immer ein über­raschend großes und vielfältiges Ange­bot an Speiselokalen und Kon­di­tor­eien und ein Überange­bot an fet­ten Speisen und beson­ders üppi­gen Torten gab. „Für die Besuche“, sagen die Gas­tronomen, „für die näch­sten Kun­den“, weiß das Kurper­son­al. Wurde man als Kur­gast beim Torte­nessen erwis­cht, bewarf man sich gegen­seit­ig damit oder warf sie sich als Zeichen des bewussten Verzichts selb­st an den Kopf. Kinderge­burt­stag ist eine Kur keine. Und nicht nur, weil auch kein Alko­hol im Spiel sein durfte, außer in den Cre­men.

Als das Torten­wer­fen an Pop­u­lar­ität nicht mehr zu über­bi­eten war, pick­te sich der erste, an Pop­u­lar­ität am meis­ten inter­essierte Poli­tik­er die erste Torte vor laufend­er Kam­era selb­st ins Gesicht. Es fol­gten ihm, sobald das Fernse­hen dabei war, alle. Kam das Fernse­hen nicht, gab es anschließend Torten, soviel jed­er davon in sich hine­in­stopfen oder sich und den anderen ins Gesicht schmieren kon­nte, bis das Fernse­hen doch wieder kam, weil es sich um die größte Torten­schlacht seit der Erfind­ung des Stumm­films han­delte. Der Erfolg gab der Torten­be­w­er­fungs-Eventver­anstal­tungskul­tur recht, es kamen alle, es woll­ten alle dabei sein. Inner­halb kürzester Zeit ver­bre­it­ete sich das Selb­st­beschmeißen mit Torten auf diplo­ma­tis­chem Weg als typ­is­che tra­di­tionelle Fast-Food-Brauch­tums-Antwort auf inter­na­tion­al erfol­gre­iche Junk-Food-Konzepte weltweit. Vor­erst nur bei Fes­tak­ten und Empfän­gen.

Zugegeben, es gibt appeti­tlichere Arten zu essen, als sich eine Torte ins Gesicht zu wer­fen, um sich, solange sie hält, ein paar Stücke aus der Torte her­auszubeißen und sich den auf dem Gesicht verbleiben­den Rest in den Mund zu streifen. Es kostete anfangs auch einige Mühe, die Sicher­heit­skräfte davon abzuhal­ten, die bei allen möglichen nicht als Ver­anstal­tung angemelde­ten Gele­gen­heit­en beim Torten­schmeißen auf sich selb­st anzutr­e­f­fende Bevölkerung durch ener­gis­ches Durch­greifen mit anschließen­der Aus­nüchterung­shaft vor der ver­meintlichen Selb­st­ge­fährdung zu bewahren. Vielle­icht, weil Teile der Sicher­heit­skräfte bere­its eben­falls an der Torte hin­gen bzw. die Torten an ihnen, jeden­falls grif­f­en sie auch dann nicht mehr in eine Selb­st­be­w­er­fung ein, als die härteren Torten allmäh­lich die weicheren abzulösen began­nen. Wir reden hier allerd­ings von einem Zeit­punkt, an dem der weltweite Siegeszug des von Kuranstal­ten und Kur­diäten aus­ge­gan­genen Torten­schmeißens und der Tortenselb­st­be­w­er­fun­gen noch nicht abzuse­hen, aber schon unaufhalt­sam war.

Aus ihrem zeitlichen poli­tis­chen Kon­text her­aus­gelöste aktu­al­isierte Neu­fas­sung 2022

Erstveröf­fentlicht in: Ger­hard Ruiss „Indika­tio­nen“, „Die Ver­bre­itung der öster­re­ichis­chen Torte in aller Welt“, edi­ton selene, Wien, 2000.

Textgrund­lage: „Einen tur­bu­len­ten Höhep­unkt erre­ichte die Wer­beak­tion für Öster­re­ich, als Außen­min­is­terin Fer­rero-Wald­ner von einem Podi­um aus die jun­gen Öster­re­ich­er unter­stützte und vor immer mehr her­beiströ­menden Kam­er­ateams Überzeu­gungsar­beit für Öster­re­ich leis­tete. Schließlich schnitt sie eine große Sacher­torte an und über­re­ichte ‚das erste Stück‘ einem franzö­sis­chen Jour­nal­is­ten und das zweite Stück einem bel­gis­chen Kol­le­gen.“ (Neue Kro­nen Zeitung, Wien, 20.6.2000) bzw. Diese Torte schaut so nett aus, wie die Öster­re­ich­er‘, meinte sie. Und: ‚Die öster­re­ichis­che Torte ist nicht giftig.‘ (Kuri­er, Wien, 20.6.2000)