In einem solchen Ort

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So sieht ein intak­ter Ort aus. Frühan­dacht um sieben, Aben­dan­dacht um sieben. Für nie­man­den. Wür­den sie aber unterbleiben, käme auch zur Son­ntagsmesse kein­er. Das schlechte Gewis­sen, es nie zu schaf­fen, selb­st wenn sie es schaf­fen kön­nten, treibt sie an. Am Son­ntag gehen sie geschlossen zur Kirche. Voll wird sie selb­st dann nicht. Es sind zu viele wegge­zo­gen. Und nicht wiedergekom­men. Oder zu wenige zuge­zo­gen. Son­st ist aber alles da. Viel ist es nicht. Kein Kinder­garten, keine Schule, kein Bäck­er. Eine Kirche, ein Fried­hof, ein Wirtshaus, ein Kaufhaus für alle und alles, das so groß ist wie jedes andere Haus aller anderen im Ort. Nur das Auto des Kauf­manns ist größer als die Autos der anderen, son­st ist alles gle­ich groß oder gle­ich hoch und hat man es zu allen und allem gle­ich weit.

Weit­er weg, höher oder größer ist alles nur außer­halb des Orts. Im Ort bleibt alles unverän­dert, alles gle­ich. Bis wieder ein­er stirbt. Bis wieder ein Unwet­ter einen Weg herun­ter­reißt. Viel ändert sich auch dann nicht. Ein näch­ster Pfar­rer kommt in den Ort, die Kauf­mannswitwe führt das Geschäft weit­er, bis der Sohn groß genug ist, um das Geschäft zu übernehmen, die Wirtin war auch schon vorher die Wirtin und muss nun nur nicht mehr ihren Mann als let­zten Gast aus dem Wirtshaus brin­gen, und statt dem früheren Toten­gräber gräbt jet­zt wer ander­er die Toten ein. Eine Haupt- und Dauerbeschäf­ti­gung war es vorher nicht, eine Haupt- und Dauerbeschäf­ti­gung wird es genau­so in Zukun­ft nicht wer­den. Der neue sicherere Höhen­weg durch den Ort ist in keinem schlechteren Zus­tand als der alte Höhen­weg.

Zu See­len­messen und Beerdi­gun­gen kom­men, wie zu den Son­ntagsmessen, immer alle, zu jed­er näch­sten Beerdi­gung ein­er weniger. Begräb­nisse sind eine Ort­san­gele­gen­heit, bei Taufen bleibt man unter sich, in der Fam­i­lie. Aus ihrem Ort sind die wenig­sten, die meis­ten kom­men aus der Gegend, in der für alle das­selbe gilt, aus den Orten, in denen sie sind, kom­men sie nicht. Das Ausster­ben von Ein­heimis­chen, die aus den Orten kom­men, aus denen sie sind, geschieht ohne Eile, es ist eine Angele­gen­heit von mehreren Gen­er­a­tio­nen.

Miteinan­der zu reden, ist manch­mal notwendig, meis­tens nicht. Der Mann gehört vors Haus, der Frau das Mitleid außer Haus. Mit anderen reden zu müssen, ver­heißt zumeist nichts Gutes. Es muss sich eben alles aus­ge­hen, bevor die ersten Wan­der­er auf dem Weg, der an ihnen vor­beiführt, kom­men. Es müssen die Schilder, die vor Hun­den war­nen, vor neugieri­gen Ver­suchen, vom Weg abzuwe­ichen, rechtzeit­ig aufgestellt sein und zur Abschreck­ung genü­gen.

Alle Pflicht­en sind erfüllt. Die frisch gewasch­ene weiße Bet­twäsche hängt auf den Vor­baut­en und Balko­nen, schon weil die Wäsche luft­getrock­net in der klar­eren Luft oben noch viel bess­er riecht, die Zugänge zu den Getränkesta­tio­nen und Obst- und Gemüsek­isten, an denen sich die Wan­der­er selb­st bedi­enen sollen, sind frei. Die ohne­hin schon sehr kleine Hand­kas­sa, in die man seine Münzen für das mitgenommene Obst und Gemüse wer­fen kann, wird trotz­dem nie voll. Obst und Gemüse sind biol­o­gisch ange­baut, weil das Geld für die Spritzmit­tel fehlt. Der Hund wird nie­man­den ver­bellen, weil es ihn nicht gibt. So lange der alte Weg noch nicht unter ein­er Mure begraben war, ist der Reich­tum an ihnen vor­beige­gan­gen, seit­dem er unpassier­bar gewor­den ist, geht er durch sie durch.