Vom zweiten Tag Regen sind die Gehsteige geschliffen. Die Geschäftsportale mit ihren Reklameschildern werden in den Regenlachen zu Bruch gefahren. Noch sind nur die Schaufensterpuppen für die kommende Sommermode ausgezogen. Zwei mit dem Anbringen eines Strafmandats lange Zeit ratlose Polizisten nehmen nach eingehender Beratung vor dem falsch geparkten LKW pflichtbewusst die Räuberleiter als Rechtsweg. Automatisch schiebt der unter seiner Kappe gesichtslos gewordene Portier seine rotrasierte Kinnlade unter einer schweren Rasierwasserwolke nach vorn, um damit die freundlichen Provisionen für sein Wohlwollen nach Geschäftsschluss einzukassieren. Taschenkontrolle. Keine. Überstundengrund? Nachfrage in der Abteilung. Keine. Haar um Haar auftoupiert zupft sich die um Jahre zu spät zur Erfüllung von Lebensträumen eingetroffene Jugendliebe aller ihre Schneckenhausfrisur für einen raschen Rückzug zurecht. Die Haare und die Frisur, der letzte Triumph, der über alles bleibt, die Männer, die Kinder, die Jugend und die Vergangenheit, auch die eigene. Selbst die Perücken sehen schon echter aus, als es die Menschen darunter sein können.
Im sparsam beleuchteten Parterre herrscht die gewohnte, zum Nachher angehaltene Stimmung. Vom Geist einer in Güte einfältigen Fee getragen sind es immer dieselben drei Wünsche, die einem freigestellt sind: Einen guten Morgen, einen guten Appetit und eine gute Nacht. Zu ihnen kommen Menschen, die das schon immer haben konnten, was sie haben wollen, das darf sich nicht, das soll sich nicht, das kann sich nicht ändern, dazu sind sie da.
Punkt neun setzt die an allen Steilfalten festgemachte und an der Stirn angepflockte Heiterkeit mit ihrem Kreisgang um den Frohsinn ein: Sind doch nur bei den Bilderbuchschneemännern Rüben und Nasen von Haus aus gleich eins. Ist nichts los, spielen Stumpfsinn und Trübsinn miteinander Ping-Pong. Es ist egal wer von beiden im Ping-Pong besser ist und gewinnt. Das Spiel endet sowieso nicht. Ist viel los, verliert man sich im „Ja, bitte“ und „sehr gerne“ und im zur Bestätigung von allen von einem selbst Gesagten.„Komm, Flocki, Gassi“, leuchten die vom Perlweiß glänzenden Zähne in die neonlichtgeweißte Luft und führen eine Freundlichkeit zum Gesicht heraus, bei der der Kopf unter „Diverses“ mit dem Kennwort „auch Tagesfreizeit“ inseriert, und der Körper unter „kaufmännisches Personal“ nachzuschlagen beginnt.
Das Türschild mit der Nachricht: Ich komme um und der exakten Zeitangabe wann, hat sich allem Anschein nach als ein zum wiederholten Mal gleich mutwilliges Missverständnis herausgestellt. Aber das würde sowieso nicht da an der Tür hängen. Dazu müsste man alleine mit sich in irgendeinem Geschäft stehen, in dem die Leute sich nicht einmal mehr umsehen gehen, sondern das Umsehen gleich vor der Auslage erledigen.
Man hat es nicht mitrenoviert, man hat es nicht mitabgerissen und neu mitaufgebaut, es gehört zur Innenausstattung, wie es hier immer war, gleich nach der Klimaschleuse durch die Geruchswand der Parfumerieabteilung nach hinten und hinauf und hinunter in die Abteilungen für alles und alle mit jeder und jedem auf ihren oder seinem richtigen Platz. Es darf nur niemand schöner sein, als die, die kommen und etwas anhaben, das sie anprobieren und man sollte sich nie selbst vor einen der Spiegel stellen, die dazu da sind, damit sie den anderen schmeicheln.
Sanft beginnt der Windvorhang der Klimazone auf die Hoffnung, es könnte diesmal schon der Stichtag sein, ab dem das sowieso einmal ganz anders wird, in Richtung Schmutzrost einzudrängen. Wem die Welt nicht gehört, kann das Kanalnetz unter sich verteilen. Verwiesen auf das bisschen Anstrengung und den nur ein wenig guten Willen, mit dem noch immer jemand zu etwas kommt. Freilich erst, wenn man nicht dran denkt, dass den keiner kennt, und die, die man kennt, dabei selten mehr als eins geworden sind, nämlich alt dabei. Unsicher prüft sich da oder dort wer ein letztes Mal an zwei, drei Grimassen nach, voller Glauben, mit ausgerechnet den falschen Wimpern endlich in die richtigen Situationen zu kommen, voller Erwartung, hat man das an sich machen lassen und das, braucht man nichts mehr mit sich machen zu lassen.
Es macht nicht viel Lärm, wenn alle Eingänge zugleich entriegelt werden, gerade soviel, als würde man in etwas nicht allzu Großes hineinstechen, das nicht platzen kann, dem nur die Luft ausgeht.
Erstveröffentlichung: Single Swingers. Gerettete Texte. Erweiterte Ausgabe, edition selene, Wien 2003, ergänzte Fassung 2021