In Orten mit Dichterstellen und Dichtertreffen streifen Dichter durch den Ort. Die Ruhelosigkeit fällt ihnen leicht. Sie sind nur eine begrenzte Zeit hier. Und nur solche, die keine eigene Familie haben oder sie zu Hause lassen können und die das dichterische Ideal verkörpern, allein mit sich, unbeirrt und ungestört. Dichterinnen in aller Regel mit mehr Distanz zum örtlichen gesellschaftlichen Geschehen und mehr Nähe zum sozialen Einleben, Dichter mit einer größeren Durchdringung des örtlichen gesellschaftlichen Leben und mit größtmöglicher Distanz zu allem anderen.
Gibt es Fluss- oder Waldwege, gehen sie die Fluss- oder Waldwege entlang und machen sich Gedanken. Es gibt einen Grund, warum sie hier sind oder warum sie sich hier mit Dichtern treffen. Später, wenn sie an ihren Schreibtischen sitzen und an ihren Texten arbeiten, in denen sie die verzweifelt gesuchten Besonderheiten wiedergeben, die sie, ausschließlich sie und kein anderer bei diesem Aufenthalt oder diesem Treffen an diesem Ort vorgefunden hat, müssen sie diesen Einfluss auf ihr Werk in ihre Zeilen einfließen lassen und sich an diesen Grund erinnern.
Liegen an einem solchen Ort mit Wasser gefüllte, durchsichtige Plastikbeutel auf und in den Lebensmittelvitrinen, die auch von den Sonnenschirmen in den Gastgärten herunterhängen, kommen in den nächsten Büchern der Dichter des Dichtertreffens mit Wasser gefüllte, durchsichtige Plastikbeutel auf und in Lebensmittelvitrinen und unter Sonnenschirmen in Gastgärten vor, mit denen eine Ortsbevölkerung die vor ihren überdimensionierten Spiegelbildern erschreckenden Fliegen von unverpackten Lebensmitteln und aufgetragenen Speisen abhalten will. Was wirklich die Fliegen abgehalten hat, das war während des ganzen Aufenthalts nicht zu eruieren, die mit Wasser gefüllten durchsichtigen Plastikbeutel oder ein jeweils anderer auf dem selben Platz am Stammtisch mit einer Fliegenklappe in der Hand, oder die Kuhställe waren überhaupt schon längst wieder leer und die Fliegen bei den Kühen auf der Alm zu finden, was aber ein zu einfacher Vorgang wäre, um in einem Text näher darauf einzugehen.
Wären die Fliegen dageblieben, ließe sich daraus eine quer durch den Ort gehende Auseinandersetzung zwischen Fremdenverkehrs- und Landwirtschaftsinteressen entwickeln, in der die Kuhställe der Bauern die Fliegen bringen und die Zimmervermieter, die Gastwirte und ihre Gäste in ihren Stammlokalen an ihren Stammtischen auf ihren Stammplätzen und wechselnd auf dem Stammplatz zum Fliegenerschlagen sitzen, nicht, um die Zeit totzuschlagen, sondern die aus den Kuhställen der Bauern kommenden Fliegen. Vielleicht sogar als Attraktion für ursprüngliches Zusammenleben.
Zurück aus seinen Gedanken findet man alles vor wie gehabt: Aufgehängte Wasserplastikbeutel über den Tischen und das Fliegen Erschlagen mit oder ohne Fliegen. Vielleicht auch nur, damit das Schweigen an den Tischen wenigstens hin und wieder von einem Aufklatschen durchbrochen wird. „Erwischt?“ Antwort nicht notwendig, man sieht es: In der Zeit, in der man bis spätabends draußen sitzen kann, nie.
Nach der Sperrstunde gehören die Tische und Zimmer den Fliegen, weil in den Zimmern noch Licht brennt und dort keine mit Wasser gefüllten, durchsichtigen Plastikbeutel hängen oder weil es innen genauso finster ist wie in den Gastgärten, in denen sich die Fliegen nicht mehr in den mit Wasser gefüllten, durchsichtigen Plastikbeuteln sehen können und in denen kein Gast mehr sitzt, der sie erschlägt, wenn sie ihr entsetzliches Treiben nicht von selber in die Flucht schlägt. Oder einfach deshalb, weil es keine Fliegengitter vor den Fenstern gibt.
Kommen die Dichterinnen und Dichter nach Jahren zur Recherche für ihren nächsten Roman oder zur Überprüfung des Wahrheitsgehalt ihrer Lebenserinnerungen an diesen Ort zurück, ist von dem, an das das sie noch erinnern können, nichts mehr da. Sie haben es damals nicht festgehalten und nun ist nichts mehr davon vorzufinden. Statt durch den Ort zu streifen, suchen sie in schlecht belüfteten, unbetreuten Ortsmuseen danach oder verbringen ihre Zeit in Kellerarchiven und finden keinen einzigen Hinweis mehr auf etwas, das sie mit ihrem damaligen Aufenthalt verbinden.
Von ihrem Ort wird man in den kommenden Romanen und Biographien einmal etwas anderes lesen können.
Erstveröffentlichung: ah da oh. Gedichte, Skizzen, Szenen, edition selene, Wien 2003, erweiterte Fassung 2022