Einzeller

Von

Das Klopfen und Häm­mern macht sie wahnsin­nig. Simone hat sich in ihr Zim­mer einges­per­rt und ver­sucht, den Lärm mit Musik zu übertö­nen. Handw­erk­er. Wasser­rohrbruch. Noch mehr Dreck. Die unge­le­sene Nachricht blinkt. Egal was er zu sagen hat, sie antwortet nicht auf die Nachricht des Min­is­ters. Gestern hat sie schon alles gesagt: Steck dir deine Nelken von 1976 in deinen reak­tionären Arsch.

So neben­bei hat er es fall­en lassen, der Herr Finanzmin­is­ter, den es doch fach­lich gar nichts ange­ht. Aber was soll er denn tun, wenn die Redak­teurin in der Press­es­tunde dann doch nach­hakt beim Fam­i­lien­rechtlichen. Da bin ich natür­lich ganz auf Parteilin­ie, hat er gesagt, ganz ohne Genier­er.

Was hat sie denn erwartet. Der pri­vate Min­is­ter lässt abtreiben, der dien­stliche ist ganz auf Parteilin­ie. Da hat er aber ein stat­tlich­es Stück Seele verkauft. Das wächst nicht nach.

Vielle­icht mag er sie gar nicht mehr. Und sie schätzt dieses Band zwis­chen ihnen völ­lig falsch ein. Wie sie immer schon Fre­und­schaften und Liebes­beziehun­gen zu Män­nern zu opti­mistisch eingeschätzt hat. Der Min­is­ter hat sich ziem­lich bre­it gemacht im Sohn des Milch­barons. Der Patri­arch hat sich durchge­set­zt. Und diese Fre­und­schaft, die Zärtlichkeit – vielle­icht studiert er sie ja nur. Weil sie Teil des Grol­lens ist, das mal lauter, aber auch wieder leis­er wird. So viele linke Fem­i­nistin­nen, die parteiun­ab­hängig denken, leben und ver­di­enen, gibt es nicht in sein­er Umge­bung. Sie kann ihm das Grollen über­set­zen. Der Min­is­ter ist ja son­st nur von hohen Töchtern unter­schiedlich­er Reifestufen umgeben. Von dezent gelifteten, schlank gebliebe­nen Begleit­per­so­n­en, die loy­al sind, tief in die bis zum Anschlag gefärbte Haar­wurzel. Von jun­gen Parteisol­datin­nen, die sich lern­be­gierig anbiedern. Frauen, die vom Patri­ar­chat immer, auch in Krisen­zeit­en, mit­ge­meint, mitgenom­men, mit­ge­füt­tert wur­den. Die in ihren hellen Vorstadtvillen und Parteizen­tralen satt ver­wahrt sind. Und vor allem: zufrieden.

Die nicht so zufriede­nen Frauen sind nach den let­zten Rezes­sio­nen vielle­icht auch nicht fem­i­nis­tis­ch­er, jeden­falls aber mehr gewor­den. Hofft Simone zumin­d­est. Die Armut nach der Pan­demie, die kriegs­be­d­ingte Teuerungswelle hat viele Men­schen aus­ge­he­belt. Manche wur­den aus­ge­hungert, manche nur ent­poli­tisiert, aber viele wur­den zornig, so zornig, dass sie übergeschnappt oder übergekocht sind. Zornig genug? Pop­ulis­mus und Kap­i­tal­is­mus gin­gen ganz schön ver­beult aus dem let­zten Jahrzehnt her­vor, aber es geht schon wieder bergauf. Die Grü­nen ver­bock­en es wieder mal. Und der Sozial­is­mus hat zu wenig Kon­junk­tur, um dem etwas ent­ge­gen­zuset­zen. Was sie so aus den Wahl­pro­gram­men her­aus­li­est, hat er auch dies­mal lei­der wieder auf die Frauen vergessen. Das muss man erst mal schaf­fen. In ganz Mit­teleu­ropa haben sich Frauen während und nach den Krisen mit ihren Kindern um Essen anstellen müssen, und einige sind obdach­los gewor­den. Und der Sozial­is­mus hat es nicht zusam­menge­bracht, daraus Kap­i­tal zu schla­gen. So etwas wird nicht so schnell verziehen. Die unzufriede­nen Frauen sind ein kleines Mut­ter­mal, allerd­ings eines, das den Der­ma­tolo­gen die Stirn run­zeln lässt. Der Min­is­ter ist erfahren genug, um wach­sam zu bleiben und genau hinzuse­hen. Außer­dem ist der Min­is­ter ein sex­ueller Viel­fraß.  Egal wie viel Macht er hat, er möchte sie auch noch sex­uell gespiegelt haben. Das Alphamän­nchen braucht seine Beta-, Gam­ma- und Deltaweibchen, er muss immer wieder aufre­it­en, ein­er Urangst gehorchend, sollte sich ein Nach­fol­ger näh­ern.

Und dann noch die Home­sto­ry, auf Hochglanz. Ganz klar, der sitzt schon mit der hal­ben Arschbacke auf dem Min­is­ter­stuhl der näch­sten Regierung. Egal, welch­es Min­is­teri­um. Die gratis Wahlwer­bung ist er sein­er Partei schuldig. Wie er sich mit sein­er ganzen Sippe abbilden hat lassen. Im Kreise sein­er Lenden­früchte. Wie her­metisch diese bürg­er­lichen Frauen ihre Kinder gegen den Fortschritt abschir­men. Und wie unter ihrer Patro­nanz das Sys­tem auch in der näch­sten Gen­er­a­tion gnaden­los funk­tion­iert. Die Schwiegersöhne sind ein biss­chen für­sor­glich gewor­den, schieben Kinder­wä­gen, püri­eren Zuc­chi­ni und dek­lin­ieren Vok­a­beln mit dem Nach­wuchs. Vor der Kam­era. Aber für­sor­gliche Män­ner gehen nie in die Poli­tik. Je mächtiger und bedeut­samer die beru­fliche Funk­tion, desto weniger Fam­i­lien­zeit.

Sie weiß, wie es beim Min­is­ter daheim läuft. Sie hat naive Fra­gen gestellt und ent­lar­vende Antworten bekom­men. Je pri­vater die Fra­gen wur­den, desto knap­per fie­len die Antworten aus; oft, weil der Min­is­ter die Antworten ein­fach nicht wusste.

Wie oft kommt eure Putzfrau? Wer wech­selt die Glüh­bir­nen in der Vil­la? Wo kauft ihr euer Fleisch ein? Wann ist deine Frau in den Wech­sel gekom­men? Nimmt sie Hor­mon­er­satzpro­duk­te?

Was du für Fra­gen stellst, sagte er dann.

So richtig ernst kann er sie trotz aller Gespräche nicht nehmen. Er hält den Fem­i­nis­mus für bed­ingt gefährlich. Er ist ja auch nicht ernst zu nehmend, so, wie er sich mit ein­er schlafwan­d­lerischen Sicher­heit in der drit­ten, vierten Rei­he der Tage­sak­tu­al­ität bewegt und sich damit abge­fun­den hat, am Frauen­tag in der ersten Rei­he posieren zu dür­fen. Wie der Min­is­ter sie gefragt hat, wann sie endlich ler­nen würde, sich für TV-Diskus­sio­nen ein passendes Gewand zuzule­gen. So ein Hose­nanzug ste­ht dir sich­er, sagte er. In dem kannst du viel bess­er deine stat­tlichen Eier zeigen. Wenn wir Röcke und Kostüme tra­gen müssten, kön­nten wir unmöglich dieses Land regieren.

Sie blät­tert sich durch das Mag­a­zin. Dieses Haus. Diese Hort­en­sien, die wie ein Kreb­s­geschwür um die Mauern der stat­tlichen Vil­la wuch­ern. Sie kön­nte in das Heft hineinkotzen, wenn sie schon etwas gegessen hätte. Aber die Küche ist Sper­rzone. In ihr stinkt und lärmt der Handw­erk­er.

Der Lärm macht sie wahnsin­nig. Simone ver­sucht, wegzuhören. Die Geräusche klin­gen willkür­lich. Als würde der Handw­erk­er über die Ide­olo­gie dieser WG Bescheid wis­sen und absichtlich Krach machen. Vielle­icht hat er Big Sista gese­hen. Unwahrschein­lich. Er ist doch nur ein Instal­la­teur, der ein biss­chen Mauer weg­stemmt, um einen Wasser­rohrbruch zu repari­eren, beruhigt sie sich. Schade, dass er nicht hier ist, um endlich die neue Heizung zu instal­lieren. Oder die Fen­ster auszu­tauschen. Oder eine neue Küche einzubauen, mit einem riesi­gen Kühlschrank, der sich von selb­st füllt.

Dass die Frauen so viel disku­tieren, kön­nte ja ein gutes Zeichen sein. Flo­ra ist die Brand­s­tifterin. Immer ist sie die Erste, der es zu ungeputzt, zu voll­geräumt, zu unor­gan­isiert, zu ungelüftet ist. Immer nörgelt sie an Maren, Simone und Eleono­ra herum. Weil sie das Gen­der­sternchen nicht aussprechen. Weil sie sich kri­tisch zu dem hip­pen Diskurs über Gen­der und Sexar­beit äußern. Flo­ra ist eine woke Sternchen­fem­i­nistin, das ist ihr nicht klar gewe­sen.

Die let­zte Big-Sista-Folge hat die Stim­mung nicht verbessert. Der Gast ist eine Gästin gewe­sen, eine Trans­frau, eine Sexar­bei­t­erin. Ray. Eine dieser glück­lichen, frei­willi­gen Sexarbeiter*innen, die alles legal­isiert wis­sen wollen und keine Polizei, keine Kon­trollen, keine Tabuisierung. Sie haben einan­der höflich begrüßt, Simone hat sie unter dem grellen Schein­wer­fer­licht in die Küche begleit­et, sie haben sich geset­zt, Eleono­ra hat ihnen Mine­strone, Wein und Kartof­felpuffer mit Kraut­salat kre­den­zt. Ray ver­weigerte die Maske, ein Make-up-Artist hat sich schon um mich geküm­mert, sagte sie. Sie trug haut­enge Jeans, hohe Stöck­elschuhe und eine gestreifte Bluse, aus der der halbe Busen raush­ing. Die Redak­tion hat­te eine glück­liche, elo­quente Bio-Hure aus­ge­sucht, die für alle sprechen soll. Eine Zeit­lang ging es gut. Draußen wurde es dunkel, sie sprachen über Frauen­poli­tik und Johan­na Dohnal; Simone hat­te das Gefühl, sich tiefer und tiefer in eine trügerische Idylle zu reden, die sie nicht ver­lassen wollte. Was sie aber müssen würde, wenn es um das The­ma ging.

Dann fragte der Mod­er­a­tor, ob hier nicht ver­schiedene Auf­fas­sun­gen von Fem­i­nis­mus aufeinan­der­prallen wür­den. Müssten. Haben brav ihre Auf­gaben gemacht, das Bürschchen und seine Redak­tio­nen. Haben sich im Inter­net schlau gemacht und sind in die tief­sten Gräben hin­abgestiegen, die der Fem­i­nis­mus aufzuweisen hat. Dort, wo es am lautesten plär­rt, am heißesten wütet zwis­chen den Frauen.

Ja, da gibt es große weltan­schauliche Dif­feren­zen, hat Simone zugegeben.

Nun, für Sie ist es Weltan­schau­ung, für mich Exis­ten­z­grund­lage, sagte Ray und legte das Besteck zur Seite.

Auch für eine Zwang­spros­ti­tu­ierte aus Nige­ria ist es Exis­ten­z­grund­lage, hat Simone kor­rigiert.

Ah, das kolo­nial­is­tis­che Denkprinzip, hat Ray geätzt. Die arme Afrikaner­in, die unseren Rat dazu braucht, was sie mit ihrem Kör­p­er macht.

Simone ver­drehte die Augen. Entschuldige bitte. Ich konkretisiere: die nige­ri­an­is­che, rumänis­che, bul­gar­ische und gern auch öster­re­ichis­che Zwang­spros­ti­tu­ierte, die sich ungeachtet ihrer Herkun­ft aus ein­er Not­lage her­aus zwang­spros­ti­tu­iert und nicht elo­quent oder ander­weit­ig selb­ster­mächtigt genug ist, um sich aus der Sit­u­a­tion zu befreien, weil sie einges­per­rt ist, keinen Pass hat oder halbtot verge­waltigt und geprügelt wird, wenn sie nicht spurt.

Ach, das Märchen von der armen Hure, seufzte Ray.

Maren eilte Simone zu Hil­fe. Wenn es doch nur ein Märchen wäre.

Das ist nicht Sexar­beit, ereiferte sich Ray. Das ist sex­uelle Gewalt.

Von der Umbe­nen­nung kann sich die Zwang­spros­ti­tu­ierte aber auch nichts kaufen, sagte Simone.

Ray schüt­telte den Kopf und legte the­atralisch die Arme auf den Tisch.

Ihr ste­ht nicht auf der Straße. Ihr redet nicht mit den Sexarbeiter*innen. Ihr habt keine Ahnung.

Hier sind wir also, dachte Simone: die Beton­schicht. Wahrheit gegen Wahrheit.

Das stimmt, sagte Simone. Aber redest du mit den Zwang­spros­ti­tu­ierten? Reden die? Dür­fen die reden?

Ich ver­ste­he nicht, wie ihr so unsol­i­darisch sein kön­nt, sagte Ray bit­ter.

Wer ist wir?, hat Simone gefragt.

Ihr Alt­fem­i­nistin­nen. Ihr Emma-Fem­i­nistin­nen. So viele SWERFs und TERFs1 unter euch. Es ist trau­rig.

Der Mod­er­a­tor hat schnell einge­wor­fen: Was ist eine SWERF, was ist eine TERF?

Damit die Zuse­her und Zuse­herin­nen sich ein Bild machen kon­nten, was außer­halb ihrer Lebenswirk­lichkeit an Begrif­f­en herum­fliegt. Brav sagte er das Glos­sar auf.

Bin ich wirk­lich radikal, wenn ich die Aus­beu­tung von Frauenkör­pern, und es sind mehrheitlich Frauen, die da kon­sum­iert wer­den …

Der Kör­p­er wird nicht verkauft.

Dein­er nicht, sagte Simone. Der von anderen vielle­icht schon. Aber es gibt ihn lei­der nicht, den frei­willi­gen Huren-Stick­er. So wie mit dem Bio-Güte­siegel. Wie gut es dem Huhn geht, entschei­det let­z­tendlich nicht das Huhn, son­dern der Kon­sument. Also, wo ist das Selb­ster­mäch­ti­gungsla­bel. Wie unter­schei­det der Freier zwis­chen zwang­spros­ti­tu­iert­er und selb­ster­mächtigter Sexarbeiter*in?

Das ist das Prob­lem mit euch Sec­ond-Wave-Fem­i­nistin­nen, sagte Ray gal­lig. Für euch sind alle Sexarbeiter*innen arme Hen­deln aus Massen­tier­hal­tung. Mit dem Ver­gle­ich hast du dich jet­zt ent­larvt.

Simone schüt­telte ener­gisch den Kopf. Lass dich doch mal auf den Ver­gle­ich ein, deinen Schwest­ern zuliebe. Wenn der Kon­sument ein glück­lich­es Huhn will, muss er ein teur­eres Bio-Huhn kaufen. Im Restau­rant oder am Grill­hendl-Stand wird’s schon schwieriger. Ist es nicht so am Straßen­strich? Und warum muss ich mir darüber Gedanken machen?  Warum ist das kein Freier-The­ma? Warum inter­essiert es die Freier nicht, Druck auszuüben auf die, die sich nicht an die Regeln hal­ten?

Ray war aufge­bracht und fuchtelte mit den Hän­den. Ist das dein Ernst?, rief sie. Bleiben wir jet­zt wirk­lich bei den Brathüh­n­ern?

Sie lachte jet­zt und gri­massierte in die Kam­era. What the fuck, formten ihre schö­nen, glänzen­den Lip­pen.

Ach komm, ent­geg­nete Simone ent­nervt. Ich habe nur das Patri­ar­chat ent­larvt. Der Ver­gle­ich ist aus so manch­er Freier-Sicht völ­lig legit­im! Der schert sich um die Frei­willigkeit sein­er Hure genau­so wenig wie um das Wohlbefind­en seines Grill­hendls. Das ist ja das Empörende am Kap­i­tal­is­mus. Der ist auch das Verbindende: Das Hendl aus Massen­tier­hal­tung und die Zwang­spros­ti­tu­ierte sind bei­de bil­liger als ihre humane, würde­volle Alter­na­tive. Der Kap­i­tal­is­mus freilich scheißt auf die Würde der Ware. Das ändert sich lei­der auch nicht, wenn glück­liche Sexarbeiter*innen erzählen, wie super ihre Arbeit ist. Wie nor­mal. Genau deswe­gen ist Sexar­beit nicht nor­mal, son­dern eben sehr speziell.

Vor allem ist sie tabuisiert und krim­i­nal­isiert, sagte Ray jet­zt patzig. Eine Ent­tabuisierung und Entkrim­i­nal­isierung der Sexar­beit würde uns mehr helfen als die Ein­mis­chung von Abo­li­tion­istin­nen wie dir.

Dir würde es helfen, erwiderte Simone. Du bist elo­quent und unab­hängig. Aber wie ist es mit denen, die nicht zu Wort kom­men? Weil sie nicht reden dür­fen? Die Sprache nicht kön­nen? Was wür­den die mir erzählen?

Schon wieder ent­mündigst du uns, sagte Ray patzig.

Wir denken aber nicht alle so, mis­chte sich Flo­ra ein. Ich per­sön­lich bin gar nicht auf der Emma-Lin­ie.

Simone sah sie über­rascht an.

Schau mich nicht so an. Ich bin Juristin, was erwartest du von mir? Die Polizeikon­trollen in diesem Land sind völ­lig unzeit­gemäß. Und das nordis­che Mod­ell drängt die Sexarbeiter*innen in den Unter­grund. Ist es nicht so?

Seit­dem wird Simone geroast­et. Und gepriesen. Danke, Big Sista. Sie hätte mit Ray über ungle­iche Bezahlung reden kön­nen oder über Abtrei­bung. Nein, anstatt über mögliche Sol­i­dar­ität zu sprechen, ist Simone in die Kluft hin­abgestiegen und hat mit­ge­plär­rt. Sie has­st sich dafür. Falsch. Sie has­st die Redak­tion dafür. Sie über­legt aufzuhören. Sie über­legt, das öffentlich zu sagen, sich zu dis­tanzieren. Aber sie hat sich den Ver­trag, den sie unter­schrieben hat, ange­se­hen. Ohne Pönale kommt sie da nicht raus, hat Flo­ra gesagt. Ein Aben­dessen muss noch sein.

Flo­ra und sie haben danach noch disku­tiert. Du ziehst uns noch alle durch densel­ben Kakao, hat sie gesagt. Sie hat sich schreck­lich gefühlt und tut es noch. Nicht nur wegen der Show.

Ich will nicht chillen, Sis­tas, hat Flo­ra unter Marens oder Eleono­ras Frieden­saufruf Chillt, Sis­tas auf die Tafel geschrieben. Ich will Luft kriegen, Sista. Auf der Tafel sieht dieser Dia­log fast lustig aus. Als wären es nur Kleinigkeit­en, die mit einem Augen­zwinkern wegge­blinzelt wer­den kön­nen. Flo­ra will mehr putzen als alle anderen. Sie will den heim­lichen Hasen, der nicht mehr heim­lich ist, ins Tier­heim brin­gen. Seine Haare, seine Kötel. Die ver­schiede­nen Auf­fas­sun­gen von Wohlbefind­en und Sicher­heit sind eben doch zu ver­schieden, auch wenn nur Frauen da sind. Ger­ade weil nur Frauen da sind.  So wie in allen Fam­i­lien wird gestrit­ten, weil jede und jed­er eine ein biss­chen andere Auf­fas­sung von per­sön­lichen Grundbedürfnis­sen hat. Vom Essen. Vom Schlafen. Vom Lieben. Vom Gel­daus­geben. Vom Geld­ver­di­enen. Vom Haustier­hal­ten. Vom Putzen. Davon, wie lange ein Men­sch auf einem Klo sitzen darf und wie genau es danach auszuse­hen und zu riechen hat, und wom­it sich aus­gewis­cht wird. Die Kle­in­fam­i­lien kriegen das auf die Rei­he, weil sie es seit Gen­er­a­tio­nen üben. Und müssen. Weil sie zusam­mengeschweißt sind. Nicht nur durch Liebe. Die gegen­seit­ige finanzielle Abhängigkeit ist ein bewährtes Bindemit­tel, das die Gesellschaft über die Kle­in­fam­i­lien­struk­tur zusam­men­hält. Das, die Moral und die Liebe, die Mut­ti immer noch her­vor­wür­gen kann, wenn sie doch das Klo putzt, in dem die Kinder ihre Kack­spuren hin­ter­lassen. Weil es nie­mand ander­er macht. Und wenn sie schon mal dabei ist, dann kann sie die Pisse von Vati, der sich beim Pinkeln nicht hin­set­zen will, auch schnell weg­wis­chen. Man will ja nicht ständig kämpfen und schimpfen. Alles Dasein wurzelt in der Liebe, da ist man sich weltweit einig.

Von Maren kam der Vorschlag, das Putzen auszu­lagern. Ja, am lieb­sten wür­den wir doch alle in unseren eige­nen Häusern wohnen und uns bedi­enen lassen. Dann gibt’s keinen Stre­it mehr. Wer es sich leis­ten kann, tut das auch. An den Reichen kann man sehr gut sehen, wohin der Trend gin­ge, wenn er kön­nte. Die Reichen wohnen nicht in WGs oder Wohn­häusern, sie haben gern Platz und Grün­land um sich, und Per­son­al, das die Dreck­sar­beit für sie erledigt und sich nach der Arbeit in seine Ritzen verzieht. Sie haben riesige Häuser, Köchin­nen und Putzkolon­nen, Erzieherin­nen und sog­ar Train­er, die sie zum Sport nöti­gen, aber nicht beim Leben stören.

Simone braucht Tee. Eleono­ra ist nicht zu Hause, sie muss sich ihren Tee selb­st machen.  Simone über­legt, ob sie sich etwas anziehen soll, aber dann schlüpft sie nur in ihren türkisen König­in­nen-Kimono mit den gold­e­nen Orna­menten. In der Küche packt der Handw­erk­er ger­ade sein Werkzeug zusam­men, ihr den bre­it­en Rück­en zudrehend. Sie stellt sich in die Türe, ver­schränkt die Arme, er dreht den Kopf zu ihr. Etwas Verächtlich­es ist in seinen Bewe­gun­gen, eine Respek­t­losigkeit, die sie in ihren eige­nen Wän­den nicht so oft erlebt. Er sieht durch sie hin­durch, sie ist nur eine alte Frau mit einem Wasser­rohrge­brechen, eine von vie­len, aus­tauschbar, lästig, aber sie hat eine Auf­tragsnum­mer und irgend­wie hat das etwas mit seinem Gehalt zu tun. Du Trot­tel, denkt sie. An der Wand prangt ein Loch, die geflick­te Leitung liegt darin brach, das weggestemmte Mate­r­i­al ist dürftig zusam­mengekehrt wor­den.

Ich bin fer­tig, sagt er.

Sieht aber nicht fer­tig aus, sagt Simone.

Ver­putzt muss noch wer­den, sagt er, aber erst, wenn es trock­en ist.

Ich weiß schon, sagt Simone, ist nicht mein erster Wasser­rohrbruch.

Sein Werkzeug hat er schon gepackt, jet­zt legt er ihr noch einen Zettel zum Gegen­ze­ich­nen hin, sieht sie immer noch nicht an. Sie kann nicht lesen, was sie unter­schreibt, es ist irgen­dein Geschmiere, das alles Mögliche heißen kann.

Den Boden wis­chen Sie nicht auf?

Er schüt­telt den Kopf.

Das ist aber schade, sagt sie. Pro­bieren wird man es ja noch dür­fen, oder?

Er hebt die Brauen. Jet­zt ist sie gle­ich ein biss­chen bess­er sicht­bar. Lästig muss man sein, wider­borstig, anmaßend, denkt sie, während sie unter­schreibt. Junger, männlich­er Handw­erk­er, alte, pen­sion­ierte Lehrerin im Mor­gen­man­tel, ganz klar, wer in der Gesellschaft höheres Anse­hen genießt, da kann sie noch so akademisch und Kundin sein, Achtung hat er für sie nur, wenn sie zum Prob­lem wird.

Sie nickt ihm zu und zeigt ihm den Weg zur Türe nicht, stattdessen geht sie kom­men­tar­los zum Fen­ster und lüftet. Die Tür fällt ins Schloss, sie sieht das Chaos, beschließt, den Boden zu wis­chen, um Stre­it zu ver­mei­den. Das Putzzeug wurde lieb­los in die Abstel­lka­m­mer gestellt, sieht nach Maren aus. Der Geruch von Hasenurin hängt auch im Putzfet­zen. In der Kam­mer. Sie wis­cht erst unter der ver­wun­de­ten Mauer, dann unter dem Tisch, vor dem Kühlschrank. In der Nis­che zwis­chen Kühlschrank und Wand Hasenkö­tel, jet­zt erst sieht und riecht sie die Urin­fleck­en. Dann macht sie weit­er, im Vorz­im­mer. Hasen­scheiße hin­ter dem Vorhang, unter dem Schuhkas­ten, dort beim Schirm­stän­der. Wie oft und wann ist dieser Hase frei in der Woh­nung herumge­laufen?

Maren, knur­rt Simone. Wo bist du? Vögel füt­tern im Park? Suppe kochen für Obdachlose? Deutsch ler­nen mit Flüchtlin­gen? Was ist mit dein­er Liebe zu uns? Nach dem Aufwaschen zögert Simone nur kurz, bevor sie Marens Zim­mer betritt. Auf dem Boden hin­ter dem Bett ste­ht der kleine Käfig, in dem das graue Häschen hek­tisch klopfend zurück­zuckt. Ein paar zer­nagte Karot­ten­stückchen liegen herum, ver­mis­cht mit Kot. Sie has­st diesen Hasen. Ist das über­haupt ein Hase? Eher ist es ein Kan­inchen. Der Käfig ist sich­er zu klein. Dass es so schw­er ist, so wenige Regeln einzuhal­ten. Simone riecht den Tiergeruch, öffnet wütend das Fen­ster in Marens Zim­mer. Wenn es kalt wäre, würde es erfrieren. Aber es ist Früh­ling, es ist warm. Sie kni­et sich vor das Tier, hebt den Käfig auf den Schreibtisch, es läuft aufgeregt herum, dann presst es sich ins Eck des Käfigs, seine Barthaare zit­tern, die großen, schwarzen Augen tax­ieren sie panisch. Ein Luftzug aus der Küche nimmt Fahrt auf, will mit den alten, morschen Fen­stern klap­pern, aber Simone hält dage­gen und bleibt noch kurz im Luft­strom ste­hen, bevor sie es ver­schließt, sich eilig anzieht, eine Decke über den Käfig wirft und mit dem Hasen die Woh­nung ver­lässt, bevor Maren zurück­kommt.

Auszug aus dem Roman Einzeller, Kapi­tel 13, gekürzte Wieder­gabe. Erscheint am 6.3.2023 bei Kre­mayr & Scheri­au.