Maßvoll zerrüttet

Gabriel Josipovicis Kürzestroman Wohin gehst du, mein Leben?

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Gabriel Josipovi­cis Wohin gehst du, mein Leben? ist ein Kürzest­roman von hun­dert Seit­en, über den man lock­er fast eben­so viele Seit­en schreiben kön­nte. Unter sein­er anmuti­gen Ober­fläche brodeln die Sub­texte, und obwohl der Roman schlicht und selb­stver­ständlich daherkommt und sich, wie man so sagt, ein­fach wegli­est, ver­wirrt er aufs Schön­ste.

Begin­nen wir mit der Wid­mung. Sie gilt dem Fre­und und Über­set­zer Bernard Hoepffn­er, der 2017 bei einem Spazier­gang am Strand von St. David’s Head in Wales den Tod fand, „emporté par la mer“. Ein Entschwun­den­er und Betrauert­er, der Josipovi­cis Büch­er ins Franzö­sis­che übertrug. Nicht lange nach seinem Tod erschien dieser Roman, dessen namen­los­er Pro­tag­o­nist ein Über­set­zer ist, der vom Versinken und Ertrinken träumt. So lesen wir den Text als Abschied, als Hom­mage und Vernei­gung.

Auf die Wid­mung fol­gt das Mot­to: „Ich friere. So eis­ern mein Him­mel ist, so stein­ern bin ich.“ Autor: Hölder­lin. Adres­sat: Schiller. In einem englis­chen Roman! Sehr uner­wartet, und trotz Kälte und Düster­n­is wer­den deutschsprachige Leser mit Anteil­nahme darauf schauen.

Dann begin­nt die Geschichte, leicht und voller Wun­der. Sie kreist um einen englis­chen, in Paris leben­den Witwer ungewis­sen Alters, der seinen Leben­sun­ter­halt mit dem Über­set­zen schrot­tiger Romane ver­di­ent. Er arbeit­et wie ein Automat, das heißt