„Nicht vorschnell das Künstlernäschen rümpfen“

Ein Gespräch mit Georg Klein

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GISELA TRAHMS Ist es nur ein Schritt von der Lit­er­atur zum Feuil­leton? Wie kam es, dass Sie sich für bei­de entsch­ieden?

GEORG KLEIN Für das Schreiben von erzäh­len­der Prosa habe ich mich vor 35 Jahren mut­tersee­le­nallein entsch­ieden – mit bangem Herzen und flauem Gefühl im Magen. Denn ich wusste sehr wohl: Das kannst du nicht, und es ist arg unsich­er, ob du es je kön­nen wirst.

Das Ver­fassen von Feuil­leton-Tex­ten wurde mir zwanzig Jahre später von Redak­teuren, denen meine erste Roman-Veröf­fentlichung aufge­fall­en war, ange­boten. Es machte mir sofort Freude. Besorgt, es nicht hinzukriegen, war ich selt­samer­weise nie. Dazu kam, dass man mir, dem nicht mehr jun­gen lit­er­arischen Quere­in­steiger, fre­undlicher­weise die grausamen Ini­ti­a­tion­srituale des Jour­nal­is­mus, das Kürzen, das rig­orose Redigieren und Ver­schlimmbessern, von vorne­here­in ersparte.

TRAHMS In vierzehn Jahren haben Sie über drei­hun­dert Artikel geschrieben, die jet­zt erschienene Auswahl trägt den Titel Schund & Segen. Was bedeutet „Schund“ für Sie?

KLEIN „Schund“ ist für mich vor allem ein sen­ti­men­taler Begriff. Er umschließt alle kün­st­lerischen Werke, die in mein­er Kind­heit und Jugend erniedrigt zu mir kamen, mich faszinierten und mir nutzten, ohne dass ich ihre Erniedri­gung bemerk­te: schlecht über­set­zte und rabi­at auf Taschen­buchein­heits­for­mat gekürzte amerikanis­che Sci­ence-Fic­tion-Romane zum Beispiel, oder Comics, die als soge­nan­nte „Illus­tri­erte Klas­sik­er“ Werke der Weltlit­er­atur auf fün­fundzwanzig bunte Seit­en ein­dampften. Und anderes, das den Stand der Ehre und die Gnade der Aufmerk­samkeit auf weniger brachiale Weise einge­büßt hat: Ein­stige Best­seller, die man nur noch auf dem Flohmarkt oder im Inter­net-Ram­sch find­et wie Hilde­gard Knefs Schick­sal­sro­man Das Urteil. Nicht zu vergessen die große Schund- und Schwund­wun­dertüte des Fernse­hens: Meine erste Oper habe ich als Volkss­chüler auf dem Schwarzweißfernse­her von Nach­barn gese­hen.

TRAHMS Und „Segen“?

KLEIN „Segen“ gehört zu den Wörtern, denen wir bess­er nicht mit allzu engen Bedeu­tungskostü­men oder gar Def­i­n­i­tio­nen auf den Leib rück­en. Denken Sie nur an die schöne Wen­dung „das Zeitliche seg­nen“. Das müsste heute doch mehr sein als nur ein Euphemis­mus für „ ohne Wider­spruch abkratzen“? Im „Segen“ ver­stärken sich Geste, Blick und Wort zu beson­der­er Wirkung – im Fluch allerd­ings auch.

TRAHMS Lässt sich Schund in Segen ver­wan­deln? In Ihrem Roman unser­er Kind­heit entsteigt die Gruppe der Kriegs­versehrten dem Titel­blatt eines Land­ser­heftchens, wie sie in der Nachkriegszeit in allen Kiosken lagen. Sie nehmen den Schund ernst.

KLEIN Warum sollte ich hochnäsig verspot­ten, was mir viel gegeben hat? Und wenn ich bedenke, wie viel Erfahrungswider­stand und Inspi­ra­tion die Videospiele des zurück­liegen­den Jahrzehnts, zweifel- und aus­nahm­s­los Schund, unseren Söh­nen offeriert haben, bestärkt mich das darin, nicht vorschnell das Kün­stlernäschen über diese frag­würdi­gen Mach­w­erke zu rümpfen.

TRAHMS Also Mach­w­erk, also frag­würdig, den­noch: Gle­ich­mut? Das ganze öffentliche Gezeter sinn­los?

KLEIN Zumin­d­est frucht­los! Denn die Über­fülle an Schund, all das Halb­sei­dene, das zweck­haft auf den fix­en Erfolg schielt, kriegen wir mit schul­meis­ter­lichem Pochen auf Qual­ität nicht aus der Welt. Und merk­würdi­ger­weise trans­portiert das Triv­iale im bre­it­en Strom des Gewohn­ten nicht sel­ten auch Spurenele­mente des Neuen. Das kann man zum Beispiel an den Fernsehse­rien der let­zten zehn Jahre beobacht­en.

TRAHMS Ihre „abver­langten Texte“ beschränken sich nicht auf lit­er­arische The­men, Sie schreiben über Klon­tech­nik, Märklin-Eisen­bah­nen, das Win­drad und die tech­nisierte Natur, den 11. Sep­tem­ber …

KLEIN Das ergab und ergibt sich vor allem daraus, dass ich mich nie als Experte gefühlt habe. Ich bin kein Fach­mann für Lit­er­aturgeschichte oder Lit­er­atur­the­o­rie, nicht ein­mal aus­ge­fuch­ster Spezial­ist in Sachen Prosa-Ver­fassen. Mein feuil­leton­is­tis­ches Schreiben ist wie mein lit­er­arisches Schreiben nicht an erwor­ben­em und repro­duzier­barem Wis­sen ori­en­tiert. Wis­sen soll kom­men, aber auch wieder gehen. Mir ist nur recht, wenn mir beim Schreiben nicht allzu viel Gewusstes ins Bewusst­sein schießt. Lieber ver­traue ich darauf, dass ein orig­ineller sprach­lich­er Zugriff auch eine frucht­bare Per­spek­tive eröff­nen kann und sich dann ein inter­es­san­ter Sat­zlauf, ein inspiri­eren­der Gedanken­gang ergibt. Zu mein­er Über­raschung hat dies meinen Part­nern in den Redak­tio­nen gefall­en, und sie boten mir bald nicht nur die lit­er­arischen Kartof­fel­sorten, son­dern das ganze kun­ter­bunte Gemüse ihres Ressorts an.

Im Traum trug Hitler eine Strick­weste, darunter ein Freizei­themd mit offen­em Kra­gen.

TRAHMS Sie mis­chen auch Ihre per­sön­lichen Erfahrun­gen darunter. Sie erzählen von empörten Touris­ten, die am Dol­lart, dem Meer­busen, an dem Sie leben, die Nord­see nicht fan­den, oder von einem sym­pa­this­chen Deutschlehrer, der nicht so recht weiß, wer Odysseus ist. Insofern steckt auch dieses Buch voller Geschicht­en.

KLEIN Der­gle­ichen ein­flecht­en zu dür­fen, ist eine Art Gästepriv­i­leg. Als Autor erzäh­len­der Prosa bin ich ja nur