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DER MANN

Bevor ich die Tür meines Haus­es auf­schließen kann, öffnet mir eine Frau, die mich unver­wandt anschaut – und sie ist auch nicht mit mir ver­wandt. Ich kön­nte sie nun fra­gen, was sie in meinem Hause zu suchen habe: ihr Taschen­tuch, ihre Unschuld? Aber ich sage nichts und drücke mich an ihr vor­bei, um zu meinem Lehn­stuhl zu kom­men. Ich set­ze mich hinein und harre schweigend ihrer möglichen Erk­lärun­gen. Sie aber scheint nichts der­gle­ichen vorzuhaben. Ich habe Gele­gen­heit, sie näher zu betra­cht­en. Sie erin­nert mich an nie­man­den, aber so geht es mir meis­tens mit Men­schen, auch mit mir, wenn ich mich unver­hofft in ein­er Aus­la­gen­scheibe oder Regenpfütze sehe.

Das ist eine uner­freuliche Aus­gangspo­si­tion, denke ich. Nur sie kann mir aus dieser Ver­legen­heit helfen. Aber sie macht sich stumm an der Abwasch zu schaf­fen. Ich seufze. Sie reagiert nicht. Vielle­icht ist sie schüchtern. Vielle­icht ist sie auch gar nicht da. Ich sollte sie fra­gen, ob sie eine Ein­bil­dung sei. Wenn sie nicht antwortet, hat sie sich selb­st ver­rat­en. Und ich kann zu meinen Gewohn­heit­en zurück­kehren. Mir eine Pfeife ansteck­en, mir eine Pfauen­fed­er ins Haar steck­en. Ich weiß nicht, was ich für gewöhn­lich tue. Durch den Schreck ist mir die ganze Selb­stver­ständlichkeit mein­er Lebens­führung genom­men. Und ich spüre eine tiefe Abnei­gung zu dieser Frau oder Ein­bil­dung in mir entste­hen. Ich beobachte diese Empfind­ung genau, um meinem Wesen auf die Schliche zu kom­men. Jet­zt dreht sich die Frau um, als wollte sie mein­er Abnei­gung Nahrung geben. Wenn sie jet­zt auch noch zu sprechen begin­nt – aber sie enthält sich listiger­weise sprach­lich­er Aus­drucksmöglichkeit­en.

Ich über­lege, wie mein Tag bis jet­zt ver­laufen sein kön­nte, aber er scheint mir ent­fall­en. Hätte ich eine bes­timmte Erin­nerung an ihn, kön­nte ich ganz unver­fänglich ein Gespräch anknüpfen, denn dieses Schweigen bringt uns nicht weit­er, fol­gere ich scharf­sin­nig. Ich muss mir Klarheit über ihre Anwe­sen­heit ver­schaf­fen, über ihr Wesen, denn dann ergibt sich alles andere von allein. Ich ent­falte mein Taschen­tuch und schnäuze mich umständlich, vielle­icht um Zeit zu gewin­nen.

Sie ste­ht regungs­los da. Es kön­nte sein, dass sie über etwas nach­denkt. Beispiel­sweise über mich. Ver­mut­lich bin ich ihr eben­so wenig bekan­nt wie sie mir. Oder ich bin ihr so ver­traut, dass sie mir nichts zu sagen hat. Vielle­icht sollte ich wieder gehen. Nur wohin? Ich bin doch ger­ade erst nach Hause gekom­men.

Für einen Moment bin ich offen­bar ein­genickt. Ich schlage die Augen auf und habe ihr Gesicht ganz groß vor meinem. Spätestens jet­zt sollte sie mir eine Frage stellen. Dann ließe sich eine Art Beziehung her­stellen. Ich selb­st werde die Ini­tia­tive nicht ergreifen. Ich bin zu leer dafür. Ich bin wirk­lich ganz und gar leer. Mir fällt kein besseres Wort für meinen Zus­tand ein. Wie lange werde ich mich ein­er Hand­lung enthal­ten kön­nen?

Ihr Gesicht weicht jet­zt zurück. Als würde ihr Kopf auf ein­er Stange steck­en. Und jemand ander­er ihn bewe­gen. Allerd­ings hat sie nichts Pup­pen­haftes, das muss ich ihr zugute­hal­ten. Ich kratze mich am Kopf. Der Schlüs­sel zu diesem Geschehen kann nur ich sel­ber sein. Ich sollte bis auf weit­eres von ihr abse­hen. Vielle­icht löst sie sich dann auf. Sie wird mich in Musik auflösen, fällt mir ein. Aber das gehört nicht hier­her. Sie gehört nicht hier­her. Das kön­nte ich ihr sagen. Aber das wäre ein Ver­stoß gegen das Gebot der Gast­fre­und­schaft. Nun, ein­ge­laden habe ich sie nicht. Ich glaube nicht, dass ich mir gerne Gäste ein­lade. Mein Haus hat nichts Ein­laden­des. Es scheint ganz auf mich zugeschnit­ten. Als wäre es nach meinem Bild erbaut. Aber das geht jet­zt zu weit. Das geht entsch­ieden zu weit.

Sie kön­nte eine Ein­schle­ichdiebin sein. Darum gibt sie sich diesen Anschein der Unschuld. Vielle­icht habe ich Wert­ge­gen­stände, von denen ich selb­st nichts weiß. Und sie hat sie gefun­den. Um ihre ver­brecherischen Absicht­en zu ver­schleiern, bleibt sie noch ein paar Tage und erledigt Haushalt­sar­beit­en. Eines Nachts wird sie ihr Dieb­sgut hin­auss­chaf­fen. Zusam­men mit mein­er Leiche.

DIE FRAU

Ich höre jeman­den an der Tür kratzen. Ein Tier vielle­icht. Ich schaue nach, und da ist ein fremder Mann. Ohne Gruß drückt er sich an mir vor­bei. Was will er hier? Er wird mir doch nicht Gewalt antun wollen? Ich möchte etwas sagen, möglichst bes­timmt, er solle augen­blick­lich mein Haus ver­lassen. Aber vor Schreck bringe ich kein Wort her­aus. Als wäre meine Zunge gelähmt. Auch er bleibt stumm, set­zt sich in meinen Lehn­stuhl. So, als wäre er hier zu Hause. Ich aber habe ihn noch nie in meinem Leben gese­hen. Ich kenne Män­ner nur von Wandgemälden. Ich habe nur meine Mut­ter gekan­nt, einen Vater habe ich nicht gehabt, weil ich eine Jungfernzeu­gung war. Zumin­d­est hat mir meine Mut­ter das an Eides statt erk­lärt. Wir brauchen keine Män­ner, ihr erster Glaubenssatz, den sie mir mit einem Trichter in den Kopf gefüllt hat.

Der Mann hat geseufzt. Er macht eigentlich keinen gefährlichen Ein­druck. Vielle­icht ist er eine verklei­dete Frau. Bei mein­er gerin­gen Lebenser­fahrung und abgeschlosse­nen Lebens­form will ich das nicht vorschnell entschei­den. Seine Stimme kön­nte mir Auf­schluss geben. Män­ner sollen so tiefe Stim­men haben, dass sie damit Brun­nen bohren kön­nen. Ein Satz mein­er Mut­ter, über den ich lange nachgedacht habe. Als Kind nahm ich ihn wörtlich, heute denke ich, er sei bildlich gemeint. Der Mann, wenn er denn ein­er ist, macht den Mund nicht auf. Vielle­icht schämt er sich sein­er Zähne. Män­ner sollen Hauer wie Wild­schweine haben. Ich habe kleine Mausezähne, die für meine Zwecke aus­re­ichend sind.

Er scheint eingeschlafen zu sein. Eine Unver­schämtheit, in frem­den Häusern ohne ein Wort der Erk­lärung einzuschlafen. Vielle­icht ist er ver­wun­schen, vielle­icht ist er in einen hun­dertjähri­gen Schlaf gefall­en. Ich würde ihn gerne hin­aus­tra­gen und vor eine andere Tür leg­en. Doch dazu reichen meine Kräfte nicht. Auch würde er wohl aufwachen und sich wehren. Mir seine Fangzähne in Brust und Hals schla­gen. Und wenn er ein ver­schol­len­er Brud­er von mir wäre? Nach lan­gen Irrfahrten in sein Mut­ter­haus zurück­gekehrt? Vielle­icht hat er die Absicht, mit sein­er Schwest­er eine neue Fam­i­lie zu grün­den. Als Mann ist ihm das zuzu­trauen. Ich werde ihm im Fall des Fall­es ern­sthaft davon abrat­en.

Ich nähere mich ihm, um seine Züge zu studieren und nach Ähn­lichkeit­en mit mir zu suchen. Sein Bart ver­hin­dert ein zweifels­freies Urteil. Er schlägt die Augen auf. Ich weiche zurück. Am besten ignoriere ich ihn und erledi­ge den Abwasch. Ein­mal muss er sich ja erk­lären. Dann wird ein Wort zum anderen führen. Und zur Sicher­heit habe ich ja einen ganzen Satz geschlif­f­en­er Mess­er.

DER MANN

Ich ver­suche mich an die Frauen meines Lebens zu erin­nern. Es sind so viele gewe­sen, dass ich unter all den Frauen kein einziges Gesicht behal­ten habe. Sie standen in meinen Dien­sten. Das machte die Beziehun­gen so unbeschw­ert. Vielle­icht sollte ich sie, die Fremde in meinem Haus, auch anstellen. Sie kön­nte den Haushalt führen, ich glaube, sie hat schon damit ange­fan­gen. Aber vielle­icht wird sie mich um den Fin­ger wick­eln wollen, vielle­icht ken­nt sie geheime Wick­el­tech­niken, so dass zulet­zt ich ihr Hausknecht wäre. Das darf natür­lich nicht sein. Sie muss gehen, bevor sie auf Gewohn­heit­srechte pochen kann. Sie scheint mir ver­schla­gen zu sein, ihre unschuldige Miene beweist es. Von ihr geht eine Gefahr aus, ich spüre das. Vielle­icht kann sie sich in ein Unge­heuer ver­wan­deln. Vielle­icht hat sie ein­er mein­er Feinde zu mir geschickt, um mich von meinen ein­träglichen Beschäf­ti­gun­gen abzu­lenken. Ich kön­nte zwar nicht sagen, worin die beste­hen soll­ten, aber ich habe meine Ahnun­gen.

Jet­zt hat sie mir einen Blick zuge­wor­fen, den ich als Auf­forderung zu einem näheren Ken­nen­ler­nen deuten möchte. Diese Mis­chung aus kindlich­er Neugi­er und gewerb­smäßigem Män­nerverzehr. Ich kenne diesen Blick. Ich reagiere ganz abweisend darauf, damit sie sich keine Hoff­nun­gen macht. Aber das wird ihre Anstren­gun­gen nur vervielfachen, wie die Erfahrung mich gelehrt hat. Vielle­icht schaue ich durch sie hin­durch. Dann wird sie meine Aufmerk­samkeit erre­gen wollen. Ver­mut­lich wird sie beiläu­fig Klei­dungsstücke able­gen. Darauf fall­en Män­ner für gewöhn­lich here­in. Nur ich nicht. Ich weiß ja, was hin­ter ihrer Schürze ver­bor­gen ist. Damit kann man mich nicht mehr bezwin­gen. Ich werde ein wenig dösen, um meine Über­legen­heit anzudeuten. Und vielle­icht über­rum­ple ich sie dann mit ein­er Attacke und sperre sie in den Keller. Das hat sich bewährt. Sie wird dann die Knochen im Keller ent­deck­en. Sie wird sich fra­gen, zu welchem Tier sie gehören, bis sie die Schädel bemerken wird.

DIE FRAU

Ich schaue ganz in Gedanken an ihm vor­bei. Wäre doch gelacht, wenn ihm nicht ein Wort auskommt. Wer zuerst spricht, hat ver­loren, das ist mir bewusst. Vielle­icht fällt er dann in sich zusam­men. Weil er ein Zauber­wort aus­ge­sprochen hat, das ihn zum Ver­schwinden bringt. Aber welch­es Wort kön­nte das sein? Und auch wenn ich es wüsste, es würde nichts nutzen, ich kann es ihm ja nicht souf­flieren. Vielle­icht sollte ich ganz angestrengt an ein Wort denken, ein beliebiges Wort, vielle­icht erre­iche ich seine Wellen­länge, und er muss das Wort sagen. Das Wort, das ihn fällt.

Und wenn er stumm sein sollte? Oder keine Sprachen spricht, weil er unter Tieren aufgewach­sen ist? Dann bin ich ver­loren. Ich muss ihm zuvorkom­men. Ich sollte ihm einen Gift­trank hin­stellen. Was aber verdächtig wirken kön­nte. Ihm das Gift ins Ohr träufeln, wenn er schläft, wäre sicher­er. Lei­der habe ich kein Gift im Haus, ich müsste erst im Wald nach einem Pilz suchen. Hier wach­sen nur giftige Pilze, hat meine Mut­ter behauptet. Aber ihr wurde alles im Mund zu Gift. Vor ihrer Spucke musste man auf der Hut sein.

Wenn ich nur wüsste, was er vorhat. Er kann ja auch in guter Absicht gekom­men sein. Aber ob diese Absicht­en auch für mich gut sein wer­den, ist fraglich. Ich werde mich bess­er vorse­hen. An Schlaf wird nicht zu denken sein. Ich habe ohne­hin schon genug geschlafen, das müsste für ein Leben reichen.

Meine Mut­ter ist eines Tages in den Wald gegan­gen und nicht mehr zurück­gekom­men. Wann kön­nte das gewe­sen sein? Gestern oder vor langer Zeit? Wer mag ihr begeg­net sein? Doch nicht er? Oder son­st ein Mann?

DER MANN

Hätte ich ein Gespräch mit ihr begonnen, wäre mir schon der Gesprächsstoff aus­ge­gan­gen. Einen großen Vor­rat habe ich nicht. Sie scheint ja auch keine Plaud­er­tasche zu sein. So gese­hen passen wir gut zueinan­der. Trotz mein­er aus­geprägten Abnei­gung gegen sie, die vielle­icht mit meinen bish­eri­gen Erfahrun­gen zu tun haben kön­nte. Mag ja sein, dass sie ganz anders ist. Dass sie noch zu mein­er großen Liebe wird, trotz ihres uner­wün­scht­en Ein­drin­gens. Aber wahrschein­lich­er ist, dass ich sie mir vom Hals schaf­fen werde. Werkzeug dafür habe ich im Haus. Am besten fette ich schon ein­mal meine Flinte ein, am besten vor ihr. Das wird ihr Ein­druck machen. Oder ich mache Liegestütze, um meine männliche Kraft anzudeuten. Vielle­icht über­wältige ich sie gle­ich, bevor es zu ein­er Beziehung kommt, die dann die Gewalt­bere­itschaft her­ab­set­zt.

Ich hat­te vor, einen ruhi­gen Abend zu ver­brin­gen, und nun habe ich sie als stumme Bedro­hung ständig vor mir und muss diese Über­legun­gen anstellen. Statt mich in mein Bett zurück­zuziehen und mich der Selb­st­be­friedi­gung zu wid­men. Oder gle­ich hier in meinem Lehn­stuhl zu Werke gehen. Das ver­bi­etet der Anstand. Obwohl ich ja nicht die feinen Unter­schiede prak­tiziere, ich bin mehr ein grober Klotz, der über Etikette spot­tet, ein Kraftk­erl, der sein­er Ver­dau­ung freien Lauf lässt. So zumin­d­est mein Selb­st­bild, das da an der Wand hängt. Ich kön­nte sie durch einen defti­gen Darmwind erschreck­en. Das kön­nte das Eis brechen. Aber will ich das?

Ich ver­schanze mich hin­ter mein­er Unzugänglichkeit. Mit Galante­rien werde ich mich nicht aufhal­ten. Das würde auch falsche Erwartun­gen weck­en. Wenn, dann würde ich einen kalten Ver­hörston anschla­gen. Woher die Frauensper­son kommt, ob sie amts­bekan­nt ist, wohin sie zu gehen gedenkt. Warum glaube ich, dass ich keine Antwort zu erwarten hätte? Ihr Mund ist nicht für Worte gemacht, will mir scheinen. Sie hält ihn fest ver­schlossen. Vielle­icht fürchtet sie, ihr kön­nte etwas hine­in­fliegen. Das hat schon manchen von lan­gen Reden abge­hal­ten, ihn ganz der Sprache ent­fremdet.

DIE FRAU

Ich kön­nte Musik aufle­gen. Etwas ganz San­ftes, das sich ihm aufs Gemüt legt. Aber wenn ihm die Musik miss­fällt, kön­nte ihn das erst recht zur Raserei treiben. Man ken­nt sich ja nicht aus mit Frem­den. Nicht ein­mal vorgestellt hat er sich mir. Ich mich ihm aber auch nicht. Jemand Drit­ter sollte uns bekan­nt machen. Aber ich glaube nicht, dass so schnell noch jemand mich heim­sucht. Und vor allem müsste er uns ja bei­de ken­nen. Meine Mut­ter hat zwar so getan, als würde sie alle Welt ken­nen, aber das dürfte reine Angabe gewe­sen sein, um ihre Macht­stel­lung im Haushalt zu unter­mauern. Vielle­icht ist er ja weit­gereist und mit vie­len Län­dern und Sit­ten ver­traut. Vielle­icht kommt er von weit her, hat seine Mut­ter­sprache vergessen und auch das Ziel sein­er Irrfahrt. Er wirkt allerd­ings nicht abgekämpft. Und als Seefahrer hätte er wohl seine Mannschaft mit. Ich weiß das aus Geschicht­en. Lauter schwank­ende Gestal­ten, die auf Land kaum gehen kön­nen. Sie wür­den ihre sit­ten­widri­gen Gesänge grölen und meine Vor­räte plün­dern wollen, bevor sie sich ein­er nach dem anderen über mich her­ma­chen wür­den, wovon ich nur eine unklare Vorstel­lung habe, die aber ist schreck­lich genug. Da spricht wohl meine Mut­ter aus mir. Ich müsste meine Mut­ter und ihre Stimme aus mir vertreiben, damit ich ein eigenes Leben führen kön­nte. So bin ich immer in ein­er Vertei­di­gungsstel­lung, obwohl bis vor kurzem gar nichts zu vertei­di­gen war. Ich sollte, ich sollte vor ihn hin­treten und ihn auf­fordern zu gehen. Oder mir triftige Gründe für sein Ver­weilen zu nen­nen. Es kön­nte ja sein, dass er sich nur verir­rt hat. Und ganz ver­wirrt ist von dieser Verir­rung. Und sich erst erfan­gen muss. Ich kön­nte ihm meine Land­karte zeigen. Ich weiß allerd­ings nicht, wie ver­lässlich sie ist. Meine Mut­ter hat sie selb­st geze­ich­net. Sie zeigt einen Wald und dieses Haus. Mehr müsse man von der Welt nicht ken­nen, sagte meine Mut­ter. Jed­er solle auf seinem Fleck bleiben, wo einen die Geburt hingepflanzt hat, da solle man wach­sen. Eine ver­mut­lich anfecht­bare Anschau­ung. Denn dieses ein­sied­lerische Leben wird auf Dauer nicht allen genü­gen. Ich meine, selb­st ich habe meine Sehn­süchte, die sich auf die Ferne beziehen. Auch wenn ich davor zurückschrecke, diesen Wald zu durch­wan­dern.

DER MANN

Ich kön­nte das Feld räu­men. Aber wer weiß, was sie dann in meinem Haus anstellt. Vielle­icht erkenne ich es nicht mehr bei mein­er Wiederkehr. Bis jet­zt scheint sie keine Änderun­gen vorgenom­men zu haben. Vielle­icht ist sie erst vor kurzem ein­ge­langt. Ich wun­dere mich über die Selb­stver­ständlichkeit, mit der sie sich bei mir bewegt. Als wäre sie hier zu Hause, als wäre sie hier geboren wor­den.

Und wenn ich fehl am Platz bin? Wenn es ein Haus gibt, das genau meinem gle­icht? Aber warum ste­ht es dann genau dort, wo mein Haus ste­ht? Das ist doch die unwahrschein­lich­ste Möglichkeit von allen. Was nicht grund­sät­zlich gegen sie spricht. Ich sollte in allen Räu­men nach­se­hen, vielle­icht finde ich ja doch einen Unter­schied.

Ich bleibe lieber sitzen und überblicke die Lage. Ich kön­nte ja ver­suchen, mich in sie zu ver­set­zen. Ihr Gesicht­saus­druck gibt mir keinen Auf­schluss. Ich kön­nte ja etwas in sie hinein­le­sen. Aber damit würde ich mich von ihr ent­fer­nen. Sie ste­ht jet­zt ganz ruhig und beachtet mich nicht. Oder ist ganz darauf konzen­tri­ert, mich nicht zu beacht­en. Sie ver­mei­det, mir den Rück­en zuzukehren. Also ist sie sehr wohl auf der Hut vor mir. Vielle­icht mache ich eine über­raschende Bewe­gung. Wenn sie zusam­men­zuckt, ist klar, dass sie sich vor mir fürchtet. Vielle­icht entringt sich ihr ein Laut. Vielle­icht ver­liert sie die Ner­ven und läuft vor mir davon.

Ich kön­nte mir die Zeitung holen und zum Schein darin lesen. Ich mache ein Loch hinein, durch das ich sie beobacht­en kann. Das scheint mir ein guter Plan. Und neben­bei kann ich erfahren, was auf der Welt passiert. Obwohl diese Nachricht­en alles andere als glaub­würdig sind. Jed­er Artikel ist eine Erfind­ung, die einen von den Tat­sachen ablenken will. Ich muss das gar nicht erst über­prüfen. Ich lese das nur zu mein­er Zer­streu­ung. Irgend­wo scheint es Krieg zu geben. Der Name des Lan­des sagt mir nichts. Ver­mut­lich gibt es dieses Land gar nicht. Über­all in der Fremde dro­hen Gefahren, damit man die Heimat nicht ver­lässt. Das ließe sich mit ihr besprechen. Unter anderen Umstän­den, wenn sie nicht ein unge­beten­er Gast wäre. Wenn sie beispiel­sweise meine Frau wäre. Was sie niemals sein wird. So eine mis­strauis­che, ver­schla­gene Per­son wird mir niemals nahekom­men. Kör­per­lich scheint sie dur­chaus anziehend, was ja für alle Frauen gilt. Sie sind alle nach dem­sel­ben Mod­ell geschaf­fen. Unter­schiedlich sind nur die Män­ner. Die haben einen anderen Schöpfer, jed­er seinen eige­nen. Ich frage mich, ob ich mich sel­ber erschaf­fen habe. Das sind die Fra­gen, mit denen ich meine Tage ver­bringe.

Sie ver­lässt den Raum. Ob ich ihr nachge­hen soll?