Man kann es nur falsch machen

Die sieben Todsünden der Literatur

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1. Sich entschuldigen

Entschuldigung, dass ich jet­zt was sage. Also entschuldigen Sie, dass ich hier so das Wort ergreife, ich wollte hier nicht so here­in­platzen, ich wollte mich hier nicht so aus­bre­it­en, aber das, was ich eben gesagt habe, war gar nicht so gemeint. Also das kam jet­zt schär­fer rüber, das wollte ich nicht so for­muliert haben, man weiß ja, wie alles hier sofort falsch zuge­ord­net wird, also ich wollte mich nicht dieser einen Seite zugeschla­gen wis­sen, ich wollte auch nicht die andere bedi­enen, Sie müssen das ja falsch auf­fassen, was ich hier sage. Ich muss Ihnen erk­lären, wie ich dazu komme, also das kön­nten Sie son­st in die falsche Kehle bekom­men, durch die richtige, da spazieren nur immer die anderen, die, denen man zuhört, weil sie sich nicht immer erk­lären. Die, die gle­ich umkom­men wer­den vor Lachen, wenn sie mir zuhören, aber das Lachen wird ihnen schon verge­hen. Nein, wird es nicht. Wis­sen Sie, das war jet­zt nicht so gemeint. Das kam jet­zt ein biss­chen scharf rüber, und scharf wollte ich schon mal gar nicht sein, eher unscharf, eher in der Unschärfe bleibend, zurück.

Der Lust am Text, jen­em schö­nen Buch von Roland Barthes, das durch Gen­er­a­tio­nen von Lit­er­aturstudieren­den weit­erg­ere­icht wurde, ist ein merk­würdi­ges Zitat des Philosophen Thomas Hobbes vor­angestellt: „Die einzige Pas­sion meines Lebens war die Angst.“ Merk­würdig schon aus dem Grund, weil es in der Folge gar nicht um die Angst als Pas­sion geht, son­dern eher im Gegen­teil um die Über­win­dung jed­er Angst, um die Kun­st, sich nicht erk­lären, sich niemals entschuldigen zu müssen. Ich habe die Kun­st immer sehr schlecht beherrscht, im Schriftlichen habe ich diesen Hang zur Entschuldigung zumin­d­est teil­weise abstreifen kön­nen, der speziell uns Frauen ein­trainiert wird von klein an, im Mündlichen habe ich mich immer weit­er entschuldigt, eine durch und durch ver­haftete Geste. Kopf einziehen, ich habs ja nicht so gemeint, ich erk­läre mich, ich zeige mein Tun her im Modus der Bere­itschaft, mich stets und immer zu rev­i­dieren, mich anzu­passen. Der Flucht­modus eben. Im Schriftlichen kam ich dieser Kun­st, mich nicht zu erk­lären weitaus näher, das Schriftliche war meine Ret­tung, durch das Schriftliche kon­nte ich auch jede Menge Mündlich­es ziehen. Es war sozusagen auch ein wenig dazu da, das Mündliche zu ret­ten, es ger­adezurück­en, nein, es wieder krumm zu machen, ganz wie man die Sache betra­cht­en mag.

Eine kür­zlich erfol­gte ORF-Sendung mit dem Titel Punkt eins sollte mir das nochmal klar machen, „sehr viel bist Du in all den Jahren nicht weit­ergekom­men in Sachen Entschuldigung und Selb­sterk­lärung.“ – „Ja, ich lasse mir noch immer die ver­rück­testen Fra­gen stellen und ver­suche sie oben­drein zu beant­worten.“ Welche Konzepte meine Lit­er­atur biete, die Demokratie zu ret­ten. Um ein Uhr mit­tags, kurz nach den Knödeln, dem veg­a­nen Schnitzel oder der kuli­nar­ischen Kaf­feelö­sung. Weil keine Zeit bleibt. Mir bleibt ja nie Zeit. Die Zeit ist immer schon futsch, bevor ich loslege. Diese Radiosendung brachte mich den­noch inner­lich auf Punkt eins, weil ich mich jen­er vagen poli­tis­chen Wel­terk­lärung anheim gab, die von der soge­nan­nt engagierten Lit­er­atur immer abge­fragt wird und deren Ausübung nicht die Sache dieser Lit­er­atur sein kann, selb­st wenn sie deren Antrieb­skraft bleibt. Also die Frage nach Aufk­lärung, Sol­i­dar­ität, Frei­heit und somit auch nach der Möglichkeit, sich gemein­sam die Welt zu erk­lären, und in dieser zu koex­istieren. Wie kön­nen wir die Demokratie ret­ten, das europäis­che Pro­jekt? Ist es nur noch ein Pro­jekt der Eliten? Wie kön­nen wir der sozialen Spal­tung und unseren Blasen entkom­men, ja, der Hate­speech etwas ent­ge­genset­zen? Was tun angesichts der mas­siv­en ökol­o­gis­chen Krisen? Fra­gen, auf die es bere­its ständig Antworten gibt, die zu wieder­holen man mich auf­muntert. Schon das für kün­st­lerische Äußerung übliche Streben nach Orig­i­nal­ität wäre dabei verkehrt. Und die mich nach solchen Sendun­gen erre­ichen­den Wel­terk­lärungs­mails, Klugscheißerei, etwas Hass, aber auch fre­undlich gemeinte Zuschriften sind das Echo solch ein­er Übung. Plöt­zlich war es da, das sich mir erk­lärende Wald­vier­tel, das sich mir eröff­nende Tirol­er Berg­land, die mich angreifend­en Vorarl­berg­er Mel­dun­gen, ganz Öster­re­ich umgab mich plöt­zlich als Zuschrift und Kor­rek­tur, dass ich es falsch, aber nicht ganz so falsch gesagt hätte, oder kom­plett idi­o­tisch sei, hirn­ris­sig, ein willfähriges Werkzeug der Mächti­gen, dumm wie Bohnen­stroh, nein, sowas sagt man in Öster­re­ich nicht – fake news! Solche Zuschriften hätte es immer schon gegeben, erläutert man mir, das gehöre zum Job dazu. Mein Fehler war nur, dass ich darauf reagiert habe. Ja, da waren sie wieder, die Schienen der Selb­sterk­lärung. Runter von dem Gleis!

Mark Twain zu Beginn von Huck­le­ber­ry Finn: „Wer ver­sucht, in dieser Erzäh­lung ein Motiv zu find­en, wird gerichtlich ver­fol­gt; wer ver­sucht, eine Moral darin zu find­en, wird des Lan­des ver­wiesen; wer ver­sucht, eine schlüs­sige Hand­lung darin zu find­en, wird erschossen. Auf Befehl des Autors, durch G. G., Chef der Artillerie.“

2. Pläne ein­hal­ten

Das habe ich nie gemacht, darüber weiß ich nichts zu bericht­en ...

3. Schär­fer stellen, Unschärfe abstellen, Dis­tanz ver­lieren (oder zu lange)

... also weit­er im Text. Ja, wir befind­en uns mit­ten in einem Wald der Legit­i­ma­tions­diskurse! Und darin ruft der Ambas­sador der Wirk­lichkeit: „Schär­fer stellen!“ Auch Bertolt Brechts Wahrheit war schon konkret und sie will es auch bleiben. „Wir müssen wis­sen, was Sie ver­di­enen und wom­it Sie ihr Geld ver­di­enen, Sie lit­er­arische Fig­ur, Sie!“ – „Recht hat er, nur her­aus damit.“ Er gibt es nicht her­aus, weil er es nicht hun­dert­prozentig weiß. Also nicht wirk­lich. Und sie weiß nur, wohin sie gehen muss, also welche Ansuchen sie schreiben muss, um Geld zu bekom­men für ihre Tätigkeit. Und diese Fig­ur da hat über­haupt keine Ahnung, woher ihre Miete kom­men soll. Ja, genau, die mit den wusche­li­gen Haaren, Sie haben es schon geah­nt, so jemand weiß immer nicht, wie die Miete reinkommt. – „Das ist doch ein Bäck­er.“ – „Also, das hätte ich jet­zt nicht gedacht.“ – „D.h. Brauerei, irgend­was mit Hefe.“ Während wir den bei­den Stim­men zuhören, was ein Bäck­er heute so ist oder sein kann und wo sein Bäck­er­da­sein nun wirk­lich aufhört, und wie das ganze über­haupt zu finanzieren ist, spuken Lit­er­aturkri­tik­erin­nen in ihren Befun­den über Genauigkeit, nein die Präzi­sion von Tex­ten durch die Szene, die mir vorschwebt. In besagten Kri­tiken wirkt es immer so, als mein­ten sie das Scharf­stellen eines optis­chen Instru­ments, als wäre der Text das objek­thafte Werkzeug, um etwas Dahin­ter­liegen­des zu sehen, mit eini­gen Mechaniken ein­stell­bar. Ein Fer­n­glas wie das in Pasoli­n­is Saló oder die 120 Tage von Sodom herumgere­ichte Instru­ment zur Steigerung der Lüste. Das lit­er­arische Sicht­feld bleibt in dieser Vorstel­lung allerd­ings auf sicher­er gle­ich­bleiben­der Dis­tanz.

Schärfe geht mit Unschärfe ein­her, das wis­sen die Optik­er. Und dann gibt es noch diese Gruppe an Denkerin­nen, die wie die aus­tralis­che Lit­er­atin und The­o­retik­erin McKen­zie Wark sich aus ein­er marx­is­tis­chen Per­spek­tive in die Tra­di­tion ein­er „Tek­takolo­gie“, ein­er neuen Verbindung zwis­chen Natur­wis­senschaft und Geistes- und Sozial­wis­senschaft begeben, und über einen agen­tiellen Real­is­mus nach­denken, während ich in den Unter­ho­sen des Real­is­mus da sitze und ver­suche, noch ins Gespräch zu kom­men, also in die Erfahrung­shaushalte der Men­schen einzusteigen. Eine Tätigkeit, mit der ich selb­st im Shut­down nicht aufhören kann, die sich aber als nicht sehr pro­duk­tiv erweist. Gesprächs­furor, sowas ist immer auch ein Kurz­schluss, aber auch ein Garant für sich ver­stel­lende Schär­fe­grade. Die Erfahrung­shaushalte der Men­schen haben keine Fen­ster, in denen man (schon gar nicht dig­i­tal) von außen die Jalousien hochziehen kann, man kann nicht hinein­se­hen, weil man sich mit ihnen niemals im sel­ben Raum befind­et, „die Blind­heit der Erfahrung als Ausweis ihrer Authen­tiz­ität“ (Hein­er Müller) ist kein ein­fach besuch­bar­er Gegen­stand. Schärfe ist ein Ver­hält­nis, eine Kon­stel­la­tion, eine Rei­bung unter­schiedlich­er Optiken. Sie benötigt Unschärfe, mit der man sich sicher­lich aus allem rausre­den kann. Diese sollte aber nicht zum Kaschieren der erzäh­lerischen Faul­heit, nicht zur Weltabge­wandtheit dienen. Sie sitzt zwis­chen aktiv und pas­siv, zwis­chen abstrakt und konkret, zwis­chen Akteur und Umfeld, zwis­chen Zen­trum und Periph­erie, zwis­chen Folge und Ursache ... und das mit­ten in den Ver­w­er­fun­gen eines Mis­an­thro­pozäns (Clover/Spahr).

Aber Moment! Jemand im Hin­ter­grund murmelt ger­ade etwas undeut­lich: „In der Demokratie kom­men wir nicht um Wahlergeb­nisse herum, um Repräsen­ta­tion und um Kom­pro­misse.“ Aber die Lit­er­atur kann nicht nur mit den Repräsen­tan­ten ver­han­deln, wie McKen­zie Wark in „Moleku­lares Rot“ verdeut­licht. Trotz­dem, alleine die Dis­tanz zu ver­lieren ...

4. In die Ver­längerung gehen, sich selb­st unter­brechen

Über Dis­tanzver­lust habe ich gar nicht wirk­lich etwas gesagt, nichts, dabei gäbe es so viel zu sagen, aber ich komme gegen­wär­tig nicht raus aus dieser Sit­u­a­tion mit ...

Was ver­längern wir hier – etwa die Wirk­lichkeit? Die eige­nen Texte? Das Pro­gramm, das einem mit­gegeben wurde. Neolib­erale Muster­voll­streck­ung, het­ero­nor­ma­tives Pro­gramm – Wo fängt mein Unlearn­ing an, wer ist mein Zim­merkol­lege dabei? Und mit wem mache ich über­haupt weit­er, wenn das Weit­er­ma­chen nicht abzustellen ist? Rolf Dieter Brinkmann hat uns schon weit­er­ma­chen sehen in West­wärts 1&2, da hat er uns alle weit­er­ma­chen sehen, zwei Seit­en lang und diese zwei Seit­en gehen weit­er, denn wir sehen uns nur noch mehr weit­er­ma­chen, jet­zt vielschichtig, und es ste­ht nur ein Kurzhör­spiel eines Helge Schnei­der dage­gen, jenes mit der Verkehrs­de­bat­tensendung irgendwelch­er 80er Jahre, die in die Ver­längerung gehen (Auto! Auto!) Ein Hör­spiel, in dem er wirk­lich alle Stim­men beim Weit­er­ma­chen nach­macht. Satirische Imi­ta­tion ist heute ein heik­le Prak­tik gewor­den, als Mann eine Frau, als Deutsch­er eine Ital­iener­in (es ging um Sophia Loren), sowas geht nicht mehr. Doch die hil­flose Deplaziertheit von Helge Schnei­ders Nachah­mungs­di­enst bringt die eben­so hil­flose Deplaziertheit in dieser typ­is­chen Ursprung­spro­gram­mierung zum Erscheinen, und sein lowtec-hafter Irrsinn hebelt den innewohnen­den Sex­is­mus und Ras­sis­mus aus. Aber wir? Wir machen weit­er.

Nen­nen wir es die bre­ite Gegen­wart, die wir fort­set­zen, das macht manch­mal auch die The­o­rie, und ich gebe zu, auch ich gehe ganz schön in die Ver­längerung, zumin­d­est in meinem Lebens- und Arbeits­bere­ich, meinen Pro­duk­tionsvorgän­gen. Ich rede mich auf Zeit­prob­leme raus, d.h. auf meine Kinder, die mir Zeit­prob­leme ver­schaf­fen, das ist per­fide. Aus­gerech­net die, die die Zukun­ft darstellen, sollen schuld sein, dass ich sie ver­massle. Schuld daran, dass ich jet­zt erst ein­mal weit­er­ma­che, denn ich muss sie ja großkriegen. Irgend­wie müssen sie ja großzukriegen sein. Sie wach­sen weit­er, nach oben, nach unten und auch in alle Him­mel­srich­tun­gen, wird behauptet. Zukun­ft ist heute mehr ein Fehlen an Vorstel­lungskraft gewor­den als das Gegen­teil.

5. Alles gesagt haben

Will ich hier ausre­den? Will ich hier endlich ein­mal alles gesagt haben? Natür­lich, son­st würde ich mich hier nicht zu Wort melden. Ich möchte das eine oder andere unter­brin­gen, niemals aber wirk­lich alles gesagt haben. Jed­er Text endet mit diesem Gefühl: Jet­zt reichts aber wirk­lich. Um dann weit­erzuge­hen in ein „daraus erwächst aber diese oder jene Frage“, ich möchte endlich die Bühne für mich, ich sitze mit mein­er Lit­er­atur niemals in der Düs­sel­dor­fer Berg­er Kirche, die Johannes Stüttgen, ein Beuyss­chüler als Tre­ff­punkt der Ringge­spräche einge­führt hat, im Rah­men des „Arbeit­skreis­es Direk­te Demokratie“, wo eine andere Art miteinan­der zu sprechen kul­tiviert wird. Man lerne dort, dass das, was man so bren­nend sagen möchte, irgend­wann von jemand anders gesagt werde, ver­ri­et man mir, man lasse sich aber auch ausre­den. Das kann ich ganz und gar nicht glauben. Wenn ich spreche, wer spricht dann nicht? Wenn ich nicht spreche, wer sagt meine Sachen? Wie ist dieser Raum geregelt? Und was wird bei dem gle­ichzeit­i­gen Sprechen der Lit­er­atur gehört? Wer hört zu? „Lit­er­atur als soziale Plas­tik“ lautet eine Über­schrift in meinem Pro­gramm, unter der u.a. der Name Milo Rau ste­ht, aber im Grunde führen zu wenig Lin­ien aus sein­er Arbeit zu mir, wenn ich ehrlich bin (eine zu umständliche Sünde, um sie hier anzuführen, vielle­icht gar nicht sün­denkat­a­logfähig?). Immer inter­essiere ich mich noch zu sehr für die Herrschaftssprachen und für Herrschaftswis­sen, immer noch zu wenig für die Wider­stands­gesten, für die Seite der Unter­drück­ten. Also für den Ort, an dem das Dra­ma seinen wahren Wohn­sitz hat.

Dort wo ich mich aufhalte, herrscht dieses eine Gefühl vor: Endlich ausre­den zu wollen. Und mit­ten dahinein platzt dann und wann der Gedanke, ob ich wohl abge­hört werde. Vielle­icht sage ich ja das Falsche, das, was mir dann auf die Füße fällt. (Zum Tele­fon greifen! Part­ner­län­der sich­ern!) Der para­nois­che Gedanke, den Gilles Deleuze so wun­der­bar dekon­stru­iert hat, weiß genau, wann er sich ein­stellen muss. Para­noia ist die gesellschaftliche Antwort mein­er misslin­gen­den Sub­jek­tivierungsstrate­gie.

6. Abschreiben

Nein, nicht so, wie Sie das jet­zt denken, also dass ich abschreiben würde, also Copy­rightver­brechen, klar, da kom­men Sie jet­zt drauf, das ist so Ihre Welt ... Nein, es geht um das Abschreiben der Möglichkeit­en, Abschreiben der Zukun­ft, die ent­täuscht­en Hoff­nun­gen, und das sind ja nicht wenige. Das Abschreiben des öffentlichen Raums, wie es sich ger­ade her­ausstellt, find­et statt. Schnell haben wir uns an das gewöh­nt, was jet­zt ist. Wenn nur die Kinder­be­treu­ung ste­hen würde, wenn nur die Pflege der Alten ste­hen würde, dann gäbe man sich schon zufrieden. Erst­mal. Ein paar Sport­stät­ten bitte, aber nicht mehr. Dass (nicht nur) in diesem Land alle gut leben kön­nen soll­ten, den Gedanken des guten Lebens für alle, den habe ich eigentlich bere­its abgeschrieben, ohne es zu wis­sen. „Der Geschichte ins Weiße im Auge zu sehen“, so Hein­er Müller, ist immer noch eine zu erlan­gende, nicht abzuschreibende Fähigkeit.

Aber inmit­ten dieses Nach­denkens über das Abschreiben werde ich noch ein­mal von dem Gedanken mein­er Abhör­barkeit unter­brochen. Etwas schwäch­er bere­its: Wie abhör­bar bin ich eigentlich? Noch nie soviel tele­foniert wie in diesen Pan­demiezeit­en, aber wer ist noch alles mit in der Leitung? Und was sind das für Zoom-Räume, in denen wir uns begeg­nen – was davon erfasse ich nicht? Wer sitzt mir tat­säch­lich gegenüber in den blind­en Kästchen? Der, dessen Name drauf­ste­ht? Vielle­icht sind es viele? Der para­nois­che Gedanke weiß wirk­lich genau, wann er sich ein­stellen muss.

7. Zum Ernen­nungsmin­is­ter wer­den, nein, immer kürz­er wer­den, nein, Recht haben

Ich sagte doch bere­its, die volle Gesund­heit, also das Mehr an Gesund­heit (mehr Gesund­heit geht immer), das Plus, das wir hier erre­ichen kön­nen, also die ganze Gesund­heit (also die will ich haben), das gin­ge nur wenn ...Ver­dop­peln sie Ihre Gesund­heit (set­zen Sie auf mich), raus aus Ihrer Gesund­heit kön­nen Sie nicht ein­fach so und sich in eine Krankheit hine­in­stehlen, deren Namen ich find­en müsste, füllen Sie also alle Behält­nisse Ihrer Gesund­heit auf – Ich wün­sche Ihnen ein fließen­des Dasein im Gesund­heits­bere­ich. Sie wer­den schon merken, wenn Sie krank sind, dann wird alles eben Gesagte Maku­latur. Der, den es erwis­cht, sieht in jed­er Rede über Gesund­heit einen zynis­chen Angriff, das Nach­denken darüber verge­ht sofort. Zero­tol­er­anz für Keime. Zero­coro­n­a­hash­tag. Während wir mit dem Leben gegen das Leben argu­men­tieren, und die einen und die anderen sich zu Wort melden, dass die eine oder andere zuerst geimpft wer­den sollte, stellt sich bei mir immer mehr die Überzeu­gung ein, dass ich in dieser Debat­te nichts ver­loren habe. Ich möchte nicht entschei­den, wer zuerst geimpft wird, ich möchte nicht entschei­den, was das für eine Krankheit ist, ich möchte nicht entschei­den, welch­er Quar­an­täne­plan jet­zt sin­nvoller ist und welch­er unsin­niger ist. Ich kann es gar nicht und bin angewiesen auf die Entschei­dun­gen ander­er.

Nein, kein Ernen­nungsmin­is­ter (männl.) wer­den. Dazu gehört auch: Nicht andauernd Dringlichkeitssitzun­gen auszu­rufen. Über­all gibt es sie jet­zt. Dringlichkeitssitzun­gen in Radiosendern, in Unternehmen, Regierun­gen, immer ist die Zeit weg, schon aufge­braucht, schon abge­baut, immer gibt es diesen inter­nen und exter­nen Druck, die Angst um die Arbeit, um die Gelder, und immer gibt es dazu die Fest­stel­lung ein­er fehlen­den Debat­tenkul­tur. Und was kommt dabei her­aus: „Um das lange Wort zu ret­ten, müssen wir es kürzen.“ Hieß es z.B. bei der Radio­dringlichkeitssitzung, wo man über Tagesin­nen­flächen, über Prime Time und Dri­ve Time eines Medi­ums nach­dachte. Das Faz­it waren immer gewaltige Kürzun­gen im Kul­turbere­ich.

Nein, kein Ernen­nungsmin­is­ter wer­den. Dazu gehört allerd­ings auch: sich allzuschnell zum Opfer aus­rufen oder jeman­den als solch­es beze­ich­nen. Opfer-Täter­spuk betreiben (Spucke meist dabei). Nazis, die andere schreiend als Nazis beze­ich­nen. Unvergessen diese säch­sis­chen Szenen, in denen sich Pegi­da und Antifa gegenüber­ste­hen und gegen­seit­ig mit Nazirufen anschreien. Das war keine Sym­me­trie, (ich stelle nie Sym­me­trien her), das ist eine rechte Strate­gie, Sie wis­sen das. Die Sym­me­trien, die da immer wieder behauptet wer­den, kom­men auch von Ernen­nungsmin­is­tern. (Links wie rechts gebe es Extrem­is­mus usw.) Hufeisen wer­den gewor­fen und tre­f­fen die, die nicht ins Licht kom­men.

Aber: Das Opfer muss ange­betet wer­den, schreibt Elfriede Jelinek in ihrer Recht­fer­ti­gung­sorgie „Schwarzwass­er“, man muss Opfer wer­den. Dieser Mode, mit dem gefühlten Opfer­sta­tus zu argu­men­tieren, während andere tat­säch­lich Opfer sind, ist am ehesten damit zu begeg­nen, dass Für­sprache zu ein­er Ermäch­ti­gung wer­den kann. „Ab jet­zt wird zurück­gelacht“?

Nein, nicht zum Ernen­nungsmin­is­ter wer­den. Es ist ja nicht mehr zu überblick­en, wer alles unter einem neuen Holo­caust lei­det. Doch die Achille-Mbe­m­be-Debat­te in unserem schö­nen Nach­bar­land, eine Hoheits­de­bat­te über den Genozid­be­griff, lehrt auch, dass, neben dem üblich gewor­de­nen Aus­rech­nen der Toten, nicht über kolo­nialen Ter­ror zu sprechen ist, weil dieses Gespräch den Holo­caust ver­harm­lose. Die Ver­mehrung tox­is­ch­er und sich verselb­st­ständi­gen­den Debat­ten erzeu­gen die Sit­u­a­tion, in der alles, was ich sagen kön­nte, immer schon verkürzt ist. Lit­er­atur als Instanz der Ver­wick­lung darf nicht in diese Verkürzung gehen, nicht mit hineinge­hen und in ihr ver­schwinden.

8. Den Selb­st­wider­spruch zele­bri­eren

Pech gehabt. Eine achte unter den sieben Tod­sün­den gibt es nicht. Der achte Punkt wird also gestrichen. Und unter­halb dieses Strich­es lungern sie hier herum, die han­del­süblichen Sün­den nieder­er Tem­per­atur: Ein­sprachigkeit. In der Hor­i­zon­tale bleiben, nur in die Ver­tikale gehen, den Wech­sel zwis­chen Schärfe und Unschärfe nicht organ­isieren, ach, hat­te ich ja schon, also mich wieder­holen, einen Exorzis­mus betreiben und die Sache für erledigt hal­ten, die Umstände nicht betra­cht­en, den Rah­men nicht the­ma­tisieren, Kon­textfra­gen manip­ulieren, ohne es zu wis­sen, nicht mit dem Gegenüber rech­nen, Exploita­tion betreiben (das ist nun wirk­lich nichts Neues), nichts Neues sagen, nur Neues zu sagen behaupten. Keine Direk­tein­sätze zuzu­lassen, nur im Kon­junk­tiv steck­en bleiben, zuviel Hypotaxe, zuviel Parataxe. Dem Zweifel zu wenig oder zuviel Raum geben, kein tänz­erisches Ver­mö­gen besitzen oder zuviel Tänz­erisches – keine Kalib­rierung des Blicks unter­nom­men haben, die Selb­st­be­fra­gung unter oder über­schätzt haben. Sich über­schätzen, sich unter­schätzen, die falschen Part­ner­in­nen suchen, Zusam­me­nar­beit­en auss­chließen, Zusam­me­nar­beit­en übertreiben. Dem ersten Ein­fall fol­gen oder ihm gar nicht fol­gen, mit der Verkürzung der Dinge ständig argu­men­tieren, am Ende immer kürz­er wer­den wie hier (und die Skizzen­haftigkeit her­ausstellen), also nicht wirk­lich dran bleiben, zu sehr dran bleiben, sich auf Ver­weigerungss­chienen befind­en, sich nicht fest­machen wollen, und so weit­er und so fort – sagen Sie jet­zt nicht: „alles nur eine Frage der Maßver­hält­nisse!“ Alles für eine Frage der Maßver­hält­nisse hal­ten, denn die sind schon prekär gewor­den, immer im Rutschen.

Angst zu haben ist übri­gens keine Sünde und schon gar keine Tod­sünde. Das ist mehr so eine Real­ität. Die Angst ste­ht uns derzeit allen ins Gesicht geschrieben. Sich insofern am Alpha­bet der Äng­ste ver­suchen, vom panis­chen Auf­flack­ern in den Augen des Schwarzwass­er-Poli­tik­ers, bis zur verzweifel­ten Suche der Not­stands­men­schen, kann den­noch als Bewe­gung raus aus dem Sün­denkat­a­log gese­hen wer­den (wenn man denn raus­möchte), in dem ganz zulet­zt, kleinge­druckt, ste­ht: Tod­sün­den auf­schreiben. Aber nicht so schlimm, wir sind in Öster­re­ich.