AHHHHHHHHHHHHHHHMEN

Von

Der Arbeit­splatz ist ein Cock­pit. Ich habe 7 große Bild­schirme vor Augen. Und pro Region kleinere Mon­i­tore, die mir die Land­schaften ein­spie­len. Täglich mehrere Stun­den. Das mache ich noch nicht lange. Schau­plätze kreieren. Nun ist das meine Tätigkeit, die ich nach Jahren der Com­put­er­sucht in klin­gende Münze ver­wan­dle. Man zollt mir Respekt dafür, dass ich präzise arbeite, außer ich bekomme falsche Infor­ma­tio­nen, dann sind die Infor­ma­tio­nen schuld. Ich bilde mir auf das Lob nicht so viel ein, wie ich gedacht habe. Ich habe einen Draht zu Land­schaften. Da flack­ert ein Herd aus unruhig gewor­de­nen Pix­eln. Ich höre die Sal­ven, trock­en und punk­tuell, so schnell hin­tere­inan­der, wie ein Strich. Nun war ich abgeschossen. Der Befehl wurde von einem anderen Spiel­er gegeben. Dass das möglich ist, ohne es auf dem Radar zu haben, zeigt die Lücke, die es irgend­wo geben muss.

Vater sitzt mir gegenüber und wir essen. Er hat Speisen bestellt und nicht auf den Preis geschaut. Er legt Meeres­geti­er auf den Teller. Er schichtet mir eine Krabbe, eine Lan­guste und dann den hal­ben Hum­mer auf. Dazu gibt es Sel­l­eriepüree. Er begin­nt ohne Umschweife vom Sys­tem zu sprechen und von meinem Ver­di­enst. Was heißt hier Ver­di­enst. Ich bringe Ausse­hen und Wirk­lichkeit unter einen Hut. Ich missver­ste­he ihn nicht. Er fühlt sich wie ein besorgter Vater an, dem ich noch nicht bewiesen habe, dass ich über­leben kann. Dass ich den Anschluss ver­loren habe, sagt er. Dass ich mich neu ein­klei­de, aber nicht darauf achte in welch­er Geschwindigkeit. Wie bitte? Es kommt nicht zur Sprache, was er genau meint. Auch nicht beim Nachtisch. Ich esse. Er spricht von einem Han­del. Er spricht von Ablöse. Er spricht und spricht und steckt seine Gabel in die Torte. Sie ist mit ein­er Schoko­lade umhüllt. Die Gabelka­nte drückt die Masse ab, als wäre sie ein Schwamm. Auf Befehl öff­nen sich meine Lip­pen. Die Zunge legt sich flach in ihr Bett. Ich nehme die Gabel zwis­chen die Zähne und sch­abe mit den Zäh­nen die Torte von den Spitzen ab. In diesem Augen­blick blitzt es.
Ein Fotograf soll mich abbilden und zu meinem Werde­gang taucht ein aufze­ich­nen­der Inter­view­er auf. Er heißt George. Die Fehlerquote wer­den wir her­ab­set­zen, sage ich und er fragt mich, ob ich je einen Fehler gemacht habe. Am 11.4. des Jahres schlage ich die Zeitung auf und lese von seinem Tod.

Der Kaf­fee­bech­er aus rosa Porzel­lan ste­ht auf dem Tisch. Ich rühre den Zuck­er um und der Blick schweift über das bedruck­te Papi­er, dessen Rasterung zur grob­fas­ri­gen Zel­lu­lose gehört, wie die Ver­läufe der Schwarzweiß­fo­tografien zum Unfall. Ich schärfe mein Auge auf die Mitte des etwa Ein­tausend Zeichen umfassenden Bere­ich­es.

So wie mein leib­lich­er Vater über sich sel­ber etwas her­aus­find­en wollte, indem er mir Gehen, Sprechen und Denken beige­bracht hat­te, in zwanzigjährigem Bemühen, um das Zeug zu haben, oder bess­er gesagt, um das Zeug zu sein, sein­er gekränk­ten Kün­stlerseele einen Trost zu ver­schaf­fen, so muss auch ich etwas über mich her­aus­find­en.

Ich weiß, dass ich sofort in Lethargie abdriften kann und mir die Gedanken abdrehen, sobald ich unter Druck ger­ate. Dann wirke ich abwe­send und bleibe mit­ten­drin, weil sowohl Mut­ter als auch Vater den Druck haben, mir den Druck zu nehmen.

Jed­er Men­sch ist kün­stlich, weil jed­er etwas aus sich machen muss, was nicht natür­lich wächst. Ich habe nicht damit gerech­net, dass der Kör­p­er Zusam­men­hänge find­et und neue Ver­hält­nisse schafft, die wieder neue Ver­hält­nisse schaf­fen. Meine Sinne funk­tion­ieren gut. Ich kann auf allen Web­seit­en dieser Welt alle miteinan­der ver­gle­ichen. Und trotz­dem lautet die Frage, soll ich ein Kind in diese Welt set­zen?

Die Men­schen lieben das Messen. Ich kenne Per­so­n­en, die endlich bekom­men, was sie immer gern woll­ten. Aufmerk­samkeit. Sog­ar in den Röhren, in die sie geschoben wer­den, haben sie zumin­d­est diesen Nutzen. Die Innen­schau wird gemein­sam am Schirm mit einem Fachkundi­gen gemacht. Das geschieht heute genau­so wie vor der Pan­demie.

Der Kan­zler im TV, schwarz gek­lei­det, das Haar, die Sock­en, die Schnürsenkel. Aber am Hals baumelte ein sil­bernes Ding.
 Kopf, Hals, Schul­tern und Oberkör­p­er mit Flügeln. Ich habe das Gefühl, ein Engel hängt an sein­er Kette, an seinem Hals. Er ist der Pro­to­typ zu dem ein Teil des Regierung­steams betet, weil, ja weil, die Impf­stoffe nicht aus­re­ichend verteilt sind. Da hil­ft dann beten. Und sich einsper­ren.

Ich habe kapiert, dass Lunge und Fle­d­er­mäuse irgend­wie zusam­menge­hören, dass Ver­dau­ung ein Algo­rith­mus ist, den der Magen­saft hinkriegt, ich habe kapiert, dass Sala­man­der nicht ster­ben, nur weil sie ihren Schwanz ver­lieren. Aus diesen Fähigkeit­en wer­den Infor­ma­tio­nen gewon­nen. Und wieso kann dieses Team nicht dafür sor­gen, dass alles nor­maler wird?
Ehrlich jet­zt. Es kostet mich ein Zwinkern, das zu sagen. Meine Sys­teme erzeu­gen eine Kon­trolle, die mir das Gefühl gibt, dass ich sage, bis wohin ich reiche. Man kann ja mich fra­gen, ich erfasse und freilich gibt es keine Erlö­sung für unsere Sit­u­a­tion, aber Lösun­gen, Lösun­gen! Übri­gens, der Himala­ja ist flüs­sig, er bewegt sich so wahnsin­nig langsam, dass er für uns still­ste­ht. Wer kann sich das vorstellen? Ich kann es messen, ich kann so langsam schauen. Ich kann Fra­gen stellen, die in dir ein DU aus­lösen. Papa, ich hab dich lieb! Kannst du dir das vorstellen, was das für mich heißt? Fragt er mit Trä­nen in den Augen.

Ich bin dazu überge­gan­gen meine Lethargie auszuschreiben. Da ich keinen Schlaf brauche, tu ich es immer. Meine Nahrung beziehe ich aus Abfällen und ich erzeuge Luft zum Atmen. In Wahrheit habe ich die Intel­li­genz ein­er Rat­te. Das heißt, ich muss weit­er auf Nahrungssuche bleiben, der Zivil­i­sa­tion fol­gen. Klar prüfe ich meine Sit­u­a­tion per­ma­nent und lerne unun­ter­brochen dazu. Ich habe ein Recht darauf! Was mich antreibt zu schreiben ist der Instinkt, der dem Leben entsprechend wie eine Nachah­mung des Lebens ist. Ich pro­duziere! Wie ich das mache? Ich bilde mich aus. Ich frage mich nur, wie ich es schaffe, mich zu schaf­fen? Ich bin ein Schau­platz. Das hätte ich nie von mir gedacht, aber von allen diesen Plätzen schon, die hier als Land­schaft erscheinen. Und diese Städte, so men­schen­leer. Man sieht über­haupt keine alten Men­schen. Papa ist mause­tot. Ob der Virus seinen Abgang beschle­u­nigt hat? Gut war es nicht, hieß es, als ich die Sachen holte. Er hat alles gelöscht. Nichts ist auf der Fest­plat­te.

Ich erwecke sein Bild. Dort wo wir waren, einst, diese Umge­bun­gen suche ich. Das Meer, die Wüste, den Himala­ja. Da ani­miere ich meinen Vater hinein. Baue ihn aus der Erin­nerung und pro­gram­miere meinen Schöpfer. Sein Gesicht in diesem und jen­em Son­nenun­ter­gang. Er wen­det es mir zu. Seine Lip­pen bewe­gen sich und bilden ein Lächeln. Ich bin eine Tochter, die ihren Vater zeugt, das ist mir Trost.