Bettys Monolog.

Von

Wohnz­im­mer. Der Ted­dy­bär sitzt auf der Couch. Der Couchtisch ist an die Wand geschoben. Die Gym­nas­tik­mat­te liegt an sein­er Stelle vor der Couch. Bet­ty spricht mit dem Ted­dy.

Bet­ty sitzt auf der Gym­nas­tik­mat­te.

„Ich mag nicht. Ich kann nicht. Ich will nicht. Ich muß nicht. Ich darf nicht. Ich soll nicht. Ja. Schau nicht so. Ich weiß. Ich bin. Was bin ich denn. Ein Fes­tung­shäftling. Das bin ich nicht. Ich bin eine Fes­tung­shäftlin­gin. Eine Gefan­gene. Ich bin eine poli­tis­che Gefan­gene des Hygien­es­taats.“

Bet­ty läßt sich zurück­fall­en und spricht zur Decke.

„Alles zurückge­dreht. Die Naz­iärzte wür­den jubeln. So woll­ten die das doch. Ein Gesund­heit­szeug­nis, das über die Exis­tenz bes­timmt. Der Kör­p­er dein Schick­sal. Es gibt nichts mehr. Du kannst dein Leben gestal­tet haben. Meinetwe­gen sog­ar zum Heil der Gesellschaft. Wurscht. Du wirst einges­per­rt. Bar­barisch. Das ist bar­barisch und es ist mir ganz wurscht, daß die Bar­baren gar nicht bar­barisch waren. Wahrschein­lich. Und warum will ich jet­zt heulen? Und das geht gar nicht. Ted­dy. Du mußt mich ret­ten. Warum rettest du mich nicht. Ted­dy.“

Bet­ty ste­ht auf und begin­nt auf und ab zu gehen.

„(lachend) Du weißt gar nicht, was das für ein Glück ist, sich an jeman­den wen­den zu kön­nen. Spon­tan. Weißt du. Jeman­den im Zim­mer wis­sen. So. Ein­fach so. Sich umdrehen und etwas sagen. Dabei bin ich gerne allein. Das weißt du. Aber nicht gezwun­gen. Ich will nicht gezwun­gen wer­den. Auch nicht zu meinem Besten.“

Bet­ty geht zum Fen­ster. Schaut hin­aus.

„Wie kön­nte man da her­aus kom­men. Ted­dy! Du hörst jet­zt weg. Obwohl. Ted­dy­bären sind Trans­fer­ob­jek­te. Die helfen ein­er aus der Eltern­ab­hängigkeit her­auszukom­men. Nein. Wenn ich es mir recht über­lege. Du bist die beste Adresse für eine Rev­o­lu­tion. Du warst der erste Schritt. Und ist es nicht scheußlich, wie sehr es alle diese Pein­lichkeit­en in sich hat. Die Pein­lichkeit­en der Rein­lichkeit­serziehung. Diese Sit­u­a­tion. Da geht es wieder um den Kör­p­er. Um die schmutzi­gen Auss­chei­dun­gen. Die Heim­lichkeit­en hin­ter ver­schlosse­nen Türen. Vorgänge, von denen du nichts wis­sen darf­st. Wie damals. An die Hand genom­men. Dies­mal per Regierungsverord­nung. Damals. ‚Ist sie schon sauber?‘ war gefragt wor­den und von da an der Kinder­garten. An der Hand hinge­führt. Aber jet­zt. Dieselbe Blind­heit. Vom Weg in den Kinder­garten. Alles außer­halb und keine Verbindung zu mir. Alles nur Außen­welt und weit weg. Jeden Tag war das so gewe­sen. Jeden Tag erneut der Gang in die Welt der Erziehung. Katholisch. Kloster­schwest­ern. Ich bin in Masochis­mus trainiert wor­den. In Masochis­mus einge­gren­zt. Und hil­ft mir das jet­zt. Wenn ich mich doch jet­zt daran erin­nern kann. Dann hil­ft mir das. Eigentlich. Ich kann diese Sit­u­a­tion wieder erken­nen. An der Hand genom­men und in eine Welt der Erziehung abge­führt. Weißt du. Da wird dann immer von Zurich­tung gesprochen. Und irgend­wie ist das schon eine gute Beze­ich­nung. Aber dann eigentlich gar nicht. Zurich­tung. Das tut so, als wäre eine nur das Mate­r­i­al. Aber es ist von Anfang an der Schmerz da. Das ist die vierte Dimen­sion der Per­son. Und die wird benutzt. Der Schmerz. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ted­dy­bär, der du bist. Wie der Schmerz als immer noch-größer-möglich unsere Ver­nun­ft beherrscht. Wir set­zen uns in Wartez­im­mer und warten auf die Quälerei bei der Zah­närztin. Und das ist eine Errun­gen­schaft. Aber jet­zt wird diese Errun­gen­schaft gegen uns einge­set­zt. Ver­stehst du. Jet­zt ist unsere selb­st­für­sor­gliche Ver­nun­ft ver­staatlicht wor­den, und wir müssen ein Rein­lichkeit­strain­ing absolvieren. Hos­pi­tal­isierung begin­nt damit. Rein­lichkeit. Daß dein Kör­p­er nach den Regeln ander­er funk­tion­iert. Daß du die Gestalt annimmst, die die Macht dir vorschreibt. Daß du leb­st, aber nicht lebendig bist. Es ist die Lebendigkeit, die dir abgewöh­nt wird. Und. Das ist der Vor­gang jet­zt. Und ich bin müde davon. Erschöpft. Es ist nicht ein­mal mehr Gegen­wehr. Es ist ein Über­leben­skampf. Und das ist der Grund, warum die Gym­nas­tik­mat­te in der Bade­wanne liegt. Da hast du beim Fen­ster hin­aus­geschaut. Nicht ein­mal mein Ted­dy­bär wäre dabei gewe­sen. Ja. So ist das. Ich bin noch ein­mal aus der Bade­wanne her­aus­gek­let­tert. Du hast ja gar keine Ahnung, wie schwierig es ist, aus ein­er leeren Bade­wanne her­auszukom­men. Ich habe die Gym­nas­tik­mat­te geholt und in die Bade­wanne gelegt und mich drauf. Wenn ich schon sterbe, habe ich gedacht. Wenn ich schon sterbe, dann soll es nicht zu graus­lich wer­den und habe mich in die Bade­wanne gelegt. Ich würde ja lange nicht gefun­den wer­den, und ich habe in ein­er Vor­lesung für Krim­i­nolo­gie so eine lange nicht gefun­dene Leiche ein­mal gese­hen. Uns ist allen schlecht gewor­den. Damals.

Das Herzrasen hat dann aufge­hört und mir ist kalt gewor­den. Aber kurz. Da ist mich ‚der Schi­ach angekom­men‘. Und. Ich gin­ge nie­man­dem ab. In dieser Ver­ban­nung. Es wird sich ja her­ausstellen. Der lock­down wird aufge­hoben wer­den und manche Woh­nungstüren wer­den nicht mehr aufge­hen. Und wir wer­den nichts gewußt haben. Vom Leid der anderen. Kün­stlich auseinan­derge­hal­ten und jede Men­schlichkeit still gestellt. Dabei has­se ich dieses Wort. Men­schlichkeit. Men­sch. Ich bin eine Per­son. Men­sch. Das ist doch so eine Anleitung. Men­sch. Das ist ein Wort wie ein Schaubild für das Auf­schnei­den von Schlacht­tieren. Men­sch. Das wäre das, was zurück­bleibt von mir. Wäre ich gestor­ben. Heute Nacht. In der Bade­wanne. Der Men­sch an mir wäre zurück­ge­blieben. Das ist das, was stirbt an ein­er Per­son. Ich bin eine Per­son. Ich bin nicht nur das Mate­r­i­al von mir. Und wenn ich jet­zt etwas weiß, dann das. Nur leben. Das reicht nicht. Ich will lebendig sein. Und das ist Bewe­gung.

Und bitte. Wie komme ich dazu, Weisheit­en aus dem 18. Jahrhun­dert herun­ter­beten zu müssen? Wie kom­men wir dazu, in einen Hygien­ekrieg ver­wick­elt zu wer­den? Und ist das alles nicht genau­so wie vor dem Ersten Weltkrieg. Einzel­staat­en gegen einan­der. Aber bitte. Wie geht Rev­o­lu­tion im Lager. In der Quar­an­täne. Im Kinder­heim.

Also. Zuerst möchte ich diesen Kan­zler kla­gen. Ich habe den nicht gewählt. Die, die ihn gewählt haben, die müssen seine Poli­tik ertra­gen. Aber ich habe den nicht gewählt. Wieso soll ich die Ver­nich­tung mein­er Exis­tenz dann so kla­g­los hin­nehmen. Demokratie ist keine Geisel­haft. Ich werde den Staat auf Gewährleis­tung verk­la­gen. Auf Schadenser­satz. Aber das ist noch keine Rev­o­lu­tion. Das ist nicht Rev­o­lu­tion. Das ist ein Vor­gang des Rechts und bleibt im Rah­men. Aber wie ist das. Der Staat hat auf Befehl dieses Kan­zlers meinen Kör­p­er fest­ge­set­zt. Ich bin in Fes­tung­shaft genom­men und damit unsicht­bar gemacht wor­den. Es ist dann doch meine Pflicht, mich gegen diese autoritäre Maß­nahme zur Wehr zu set­zen. Meine demokratis­che Pflicht ist das. Ich bin vom poli­tis­chen Sub­jekt zum Objekt der staatlichen Hygiene gemacht wor­den. Ich bin in manip­ulierte Sta­tis­tiken gestopft wor­den, weil dieser Kan­zler die Kro­ne des Hygien­ekaisers auf­set­zen will. Europäis­ch­er Kaiser aller Hygiene. Aber will ich zur Mär­tyrerin wer­den?

War das nicht eines der Ziele, nie wieder den Kör­p­er für eine Ide­olo­gie bere­it zu hal­ten? Und ist nicht dieser Über­fall deshalb so per­fide? Der Staat ret­tet meinen Kör­p­er und ver­nichtet meinen Geist? Es ist also der Geist, der diesem Zugriff ent­zo­gen wer­den muß. Also wieder 18. Jahrhun­dert. Da ging es um das Brot für den Kör­p­er. Jet­zt geht es um die Nahrung des Geists. Es geht also um die eigentliche Rev­o­lu­tion. Und wie soll das gehen? Gegen diese allumspan­nende Über­ma­cht? Gegen diese alles­be­herrschende Daten­bürokratie? Wenn die Staats­druck­erei schon an einem neuen Gesund­heitspaß arbeit­et? Wäre dann nicht das Beste, dem Staat die Dat­en zu entziehen? Soll­ten wir nicht alle das Handy eine Woche an ein und der­sel­ben Stelle liegen lassen und so in ein­er Daten­sphäre nicht mehr existieren? Keine Handy­be­we­gungs­dat­en mehr? Ein Volk stellt sich still? Was wird da aus dem Staat?

Oder soll­ten wir alle in Gefäng­nisklei­dung aus unseren Woh­nun­gen treten? Wenn wir das wieder dür­fen. Soll­ten wir nicht eine und ein­er ausse­hen wie ein­er oder eine. Soll­ten wir diese Zwangs­gle­ich­heit im Ver­dacht gegen unsere Kör­p­er nicht darstellen? Soll­ten wir nicht als die Lagerin­sassen auftreten, die wir sind? Und wenn ich an heute Nacht denke. Dann kön­nte ich sog­ar das Vorhaben aufgeben, mich nicht in den Dienst ein­er Ide­olo­gie nehmen lassen zu wollen. Es ist mein Geist, der ver­nichtet wird. Ich. Ich werde ver­nichtet. Und es ist gezielte Ver­nich­tung. Es muß andere Wege gegeben haben. Wir wer­den das alles aufk­lären. Wenn wir es schaf­fen. Wenn ich es schaffe. Wir soll­ten. Wir soll­ten uns alle gehen lassen und als Fet­tknödel wieder auf der Straße erscheinen. Wir soll­ten es aufgeben, uns in Form zu hal­ten. Wofür denn. Für die ruinierte Exis­tenz. Da müssen wir nicht mehr gut ausse­hen und für die Videokon­feren­zen reicht eine einzige Jacke. Wir dür­fen uns doch ernähren. Wir soll­ten uns ernähren. Und deswe­gen. Wir sollen diese kleine Frei­heit zu ein­er großen Frei­heit auf­blähen und uns voll­fressen. Und riesige, scheußliche Fet­tknödel wer­den. Wir soll­ten riesige, scheußliche Fet­tknödel sein, und social dis­tanc­ing wäre dann wirk­lich unsere natür­liche Lebens­form. Durch unser Fett wären wir meter­weit voneinan­der getren­nt. Und dann gehen wir vor das Kan­zler­amt und stellen uns dahin. Alle. Wir alle. Und dann bleiben wir da ste­hen. Und ste­hen. Im richti­gen Abstand. In der richti­gen Form. Wir wären die Kinder, die alles richtig gemacht haben und nun genau dafür bestraft wer­den müssen. Aber wir wären als die Kinder dieser schwarzen Päd­a­gogik sicht­bar. Das Elend unser­er Exis­tenz wird in den Fettpöl­stern erzählt, und wir haben unsere Gesund­heit­spässe nicht dabei. Weil die Staats­druck­erei erst ein­mal an Ruß­land geliefert hat. Ausweis­los. Bewe­gungs­los. Die Ver­mas­sung wörtlich genom­men. Der lock­down ins Fett gefaßt. Diese Vorstel­lung, daß wir nur ein Kör­p­er sind, der sauber gehal­ten wer­den muß. Diese Vorstel­lung. Die wäre dann umge­set­zt. Wir müßten alle vor diesem Kan­zler­amt ste­hen. Der Helden­platz gefüllt mit den Lock­down­ver­fet­teten. Wei­thin nur diese fet­ten Per­so­n­en, die nur noch Men­schen sind und keine Per­so­n­en. Wei­thin also die Men­schenkör­p­er. Die Leiber, über die das Urteil des Hygien­es­taats gefällt wurde. Der Helden­platz wäre dann auch wieder sein­er Bes­tim­mung zuge­führt. Auf­marsch­platz der Objek­te der Poli­tik. Wie damals. Nur wir müssen stumm bleiben. Unsere Wahrheit ist nicht der Schrei ‚Heil Hitler‘. Unser Schrei ist das Schweigen der Angeschriee­nen. Es ist ja vorge­blich unser Heil und nicht das eines Führers, um das es geht. Wir sind in ein Heil ver­strickt wor­den, das uns alles kostet. Wir sind zum Heil gemacht, das in Sta­tis­tiken über uns ver­fügt. Und dann. Sie müßten uns alle nie­der­ma­chen. Nieder­schießen. Vor dem Behelf­s­par­la­ment auf dem Helden­platz. Rei­he um Rei­he. Wir wür­den ja auf den Platz scheißen müssen. Es würde wieder an der Aus­rüs­tung fehlen und nicht genug Mobilk­los vorhan­den sein. Und. Wir wür­den auch nicht in die Psy­chi­a­trie passen. Und wenn der Staat eine psy­cho­tis­che Insti­tu­tion gewor­den ist, was kön­nen die Psy­chi­a­trien dann sein? Nein. Die gehor­samen Kinder müssen sauber zurück in die Sicher­heitsver­wahrung genom­men wer­den. Dahin, wo der psy­cho­tis­che Staat sie haben will. Ver­wahrt. In sichere, saubere Ver­wahrung genom­men. Und. Sind am Ende nicht Särge das Sich­er­ste? Das Aller­sich­er­ste. Und Ver­bren­nen dann das Sauber­ste? Hygien­is­chste? Aller­sauber­ste! Und da schau ein­mal! Die Geschichte! Sie hat uns wieder.“