In achtzig Tagen ... V

Tag neunundfünfzig – 22/01/24

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Tag neu­nund­fün­fzig – 22/01/24
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Manch­mal ruf­st du Hol­ly­wood an. Meis­tens zu oft. Deshalb bist du immer zu früh dran. Denn Hol­ly­wood meldet sich immer, sobald es Neuigkeit­en gibt. Wie Ende April let­zten Jahres als kurz vor den großen Streiks JC Chan­dor als Regis­seur veröf­fentlicht wurde. Jet­zt bleibt als let­zte große Entschei­dung noch die Verpflich­tung des Haupt­darsteller­paares. Früh­estens Jän­ner, hat­te es im Dezem­ber geheißen, wäre damit zu rech­nen.

Es ist der 16. Jän­ner. Hol­ly­wood hätte dir Bescheid gegeben, wäre schon jemand verpflichtet wor­den. Das weißt du und meldest dich trotz­dem und wirst wieder ein­mal zu früh dran gewe­sen sein. Alles sei gut, wer­den sie dir sagen. Genauer eine der Pro­duzentin­nen, die dir sog­ar dann etwas sagt, wenn nur gesagt wer­den könne, dass alles gut sei und du als ein­er der ersten informiert wirst, sobald der näch­ste Schritt offiziell werde. Das weißt du. Genau­so wie du weißt, der berühmtere Schrift­steller hätte sich gemeldet, gäbe es eine Antwort von dem größeren Ver­lag. Also schreib­st du auch ihm jet­zt.

Es ist früher Vor­mit­tag. Anna G. antwortet meis­tens mit­tags. Sie sitzt in New York, nicht in Hol­ly­wood, sie ist auch nicht Ama­zon, son­dern jene aus­führende Pro­duzentin, die Ama­zon Stu­dios erst an Bord holte. Und damit auch die bei­den James-Bond-Autoren, von denen die spek­takuläre und fast ewige Auf­tak­t­se­quenz über den Däch­ern Mex­i­co Citys in Spec­tre stammt. Ver­mut­lich schläft sie noch. Du schickst die Nachricht an sie ab. Es sind natür­lich immer Mails, nie Anrufe, und es ist immer New York, nie Hol­ly­wood. Mit­tags, wenn sie dir antworten wird, dass alles gut sei, ist bei ihr früher Mor­gen. Danach bringt sie ihre Kinder zur Schule, weshalb weit­ere Antworten meist erst später kom­men.

Dass alles gut sei, genügte schon fürs erste. Zumin­d­est für einen Blick auf das Kon­to. So genau du weißt, dass deine Hol­ly­wood­frage wieder ein­mal zu früh sein wird, so wenig Hellse­herei braucht es für dein Kon­to. Schließlich war es kein ander­er als du, der den Sohn-Unter­halt, die Miete und den Sozialver­sicherungsrest von 2023 zu begle­ichen hat­te, eben­so die über­tra­ge­nen Ski­langlauf­ski­er und -schuhe für den Sohn, die du zum Glück bei einem jun­gen Profis­portler inner­halb der Ver­wandtschaft bil­lig beziehst. Dass an dem Tag, an dem mit den 9.000 € die let­zte fixe Ein­nahme auf deinem Kon­to ein­traf, unter den ersten Aus­gaben Frisör, Fleisch und Wein zu find­en sind, mag ver­ständlich sein, drück­te aber den verbleiben­den Rest deines Überziehungsrah­mens mit einem Schlag auf 6.000 €. Dazu die Banko­matab­he­bung auf dem Weg zum Schul-Langlauf­train­ing des Sohnes, der seit weni­gen Monat­en in Schule und Inter­nat nur mehr einein­halb statt viere­in­halb Autostun­den ent­fer­nt ist, sowie eine Tankrech­nung am näch­sten Tag, schon ist der Spiel­raum um weit­ere 200 € klein­er.

Gle­ichzeit­ig tre­f­fen erste Hil­f­sange­bote bei dir ein. Und Fra­gen, ob das Insol­ven­z­tage­buch fik­tiv oder real sei. So weit ist es mit deinem Schreiben gekom­men. Nun ist es die Real­ität selb­st, stand gegen Ende des ersten Tage­buchein­trags. Ob es Zufall sein könne, dass die Pub­lika­tion der Rei­he just an dem Tag begann, an dem schließlich auch dein let­ztes fix­es Geld ein­traf?

Alles sei gut, schreibt Anna, every­thing click­ing along. In New York muss es noch fin­ster sein, bei dir ist hel­lichter Tag. Du lehnst das let­zte Hil­f­sange­bot ab und ver­suchst es jedes Mal gut zu erk­lären. Am Nach­mit­tag bist du beim Ski­langlauf mit dem Sohn.

* * *

Die Absage des größeren Ver­lages kam Mon­ta­gnach­mit­tag eine knappe Woche später. Es ist der 22. Jän­ner. Es tue ihm sehr, sehr leid, schreibt dir der berühmtere Autor. Im Dezem­ber war er noch opti­mistisch gewe­sen, hat­te das Manuskript weit­er gegeben, noch ehe er fer­tig gewe­sen war, damit seine Langsamkeit nichts aufhalte. Nach der ersten Jän­ner­woche fragte er noch ein­mal nach. Zu dem Zeit­punkt hat­te im Ver­lag noch nie­mand etwas gele­sen, man entschuldige sich, man werde sofort damit begin­nen, und er erwarte nun jeden Tag Nachricht.

Jet­zt ist der 22. Jän­ner. Prämie und Gebühr der Kon­to-Aushaf­tungsver­sicherung sind bezahlt, der Auto­mo­bil­club, eine Tankrech­nung unter­wegs zum Sohn, vier kleinere bis mit­tlere Super­mark­teinkäufe sowie die knapp 1.000 € der Kred­itkartenabrech­nung für den ver­gan­genen Dezem­ber. Macht ins­ge­samt knapp 1.500 €. Und du liest die Nachricht deines berühmteren Kol­le­gen, man habe im Ver­lag in deinen Text hinein­ge­le­sen und müsse lei­der absagen. Es sei nicht das, wonach man im Moment, vor allem mit Blick auf ein bre­it­eres, an Lit­er­atur inter­essiertes Pub­likum so inten­siv suche – und was der Ver­lag in Ergänzung zu dem, was man bere­its im Pro­gramm bzw. für die näch­sten Pro­gramme geplant habe, auch wirk­lich brauche.

Kein Wort zu Inhalt, zu Form, Erzählper­spek­tive oder ein­er anderen nar­ra­tiv­en oder gar lit­er­arischen Kat­e­gorie. Der berühmtere Autor über­legt sofort, wen er son­st noch ken­nt. Es fall­en ihm Leute aus Ver­la­gen ein, die aber kaum je Empfehlun­gen von ihm annah­men. Am Ende ste­hen zwei konkrete Ideen, doch dir geht nicht aus dem Kopf, wie die soge­nan­nte Leser­schaft hin­ter der Floskel vom bre­it­eren Pub­likum nur in Neben­sätzen, bloß pflichtschuldig in Satzein­schüben, an denen nicht ein­mal mehr die Beistrich­set­zung stimmt, noch als lit­er­arisch inter­essiert erwäh­nt wird.

Du denkst an die Däch­er von Mexiko City und an das, was den James-Bond-Autoren zu deinem „Räu­ber“ einge­fall­en sein mag. Du ver­magst kaum zu erah­nen, wie viel allein die Auf­tak­t­se­quenz von Spec­tre gekostet haben mag. Doch du erin­nerst dich, dass vor gut 20 Jahren die Geschäfts­führerin ein­er erfol­gre­ichen Lit­er­at­ura­gen­tur deinem Räu­ber beschied, er sei dra­matur­gisch unret­tbar und einem bre­it­eren Pub­likum nicht zumut­bar.

Das ist der 22. Jän­ner. Vor ein­er Woche lag der Rest in deinem Überziehungsrah­mens noch bei 5.800 €, jet­zt sind es keine 4.300 €. Von den 59 Tagen, mit denen diese Tage­buch­folge titelt, kön­nte selb­st dann nicht mehr gesprochen wer­den, wenn du jene für Feb­ru­ar einem Fre­und schriftlich ver­sproch­ene Schulden­rück­zahlung nicht leis­test. In achtzig Tagen, so heißt dein Tage­buch, und du hast dabei natür­lich an nichts weniger als die Welt gedacht und an die Wette ums Ganze: In achtzig Tagen ...

Die Wette bleibt, die Welt auch. Und du? Spätabends schreib­st Du ein­er Kol­le­gin und einem Kol­le­gen nach Kon­takt zu ihren Ver­la­gen. Der Kol­lege antwortet schon nachts, die Kol­le­gin am näch­sten Tag und der Ver­lag des Kol­le­gen am Vor­mit­tag sog­ar inner­halb ein­er hal­ben Stunde. Hol­ly­wood schreib­st du aus­nahm­sweise nicht.