In achtzig Tagen ... VI

Tag zweiundfünfzig – 29/01/24

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Tag zweiund­fün­fzig – 29/01/24
BUCHUNGSSALDO: - 7.518,65 € / DISPOSALDO: 1.481,35

Wind rüt­telt am Auto. Das Loipengerät fährt vor­bei. Son­st keine Geräusche, keine zufahren­den Wägen, keine geöffneten Autotüren. Es muss noch fin­ster sein. Du siehst es durch die Fen­ster­scheiben­ab­deck­un­gen deines VW-Busses nicht. Die Stand­heizung sur­rt leise. Sie ist auch das einzige, das deinen Wagen von irgen­deinem anderen park­enden Auto unter­schei­det. So ver­boten Über­nacht­en abseits von Camp­ing­plätzen ist, es hat noch nie jemand gek­lopft, wed­er mit­ten in Ortschaften oder Kle­in­städten noch auf den nachts ver­wais­ten Park­plätzen von Sportan­la­gen wie dem Ram­sauer WM-Sta­dion hier.

Es schneit, das hörst du. Im Wind bekom­men die nassen Flock­en spätestens am Auto­dach ein Geräusch. In der Früh soll es bere­its reg­nen, vor­mit­tags ist sog­ar wieder Sonne möglich. Dann wird dein Sohn ent­lang der Runde, die nun das Loipengerät glät­tet und spurt sein erstes Ski­langlaufren­nen laufen. Seine Ski­er liegen gewachst im Stau­raum unter deinem Bus-Bett. In ein, zwei Stun­den kommt er an, wird mit den anderen Jugendlichen aus dem weißen Klein­bus sein­er Schule steigen, nach­dem er seit Coro­na fast drei Jahre lang nicht zur Schule gegan­gen war. Jet­zt läuft er in ein­er Schul­mannschaft sein erstes Ren­nen, so wie er seit Anfang Dezem­ber jede Woche ein, zwei Mal mit den anderen zur Loipe unter­wegs gewe­sen war. Allein darum geht es beim Ren­nen, nicht um die Platzierung.

Das Loipengerät kommt zurück, immer noch keine anderen Geräusche, selb­st die der Schneeflock­en sind ver­schwun­den, sind vielle­icht schon nur mehr leichter, weich­er Regen. Manch­mal warst du in den let­zten Jahren auf den Rück­fahrten von dem am Rand des Lan­des gele­ge­nen Wohnorts des Sohnes noch hier. Wenn du von dort Son­ntagabend spät weggekom­men bist, wenn selb­st die halbe Fahrt retour nach Wien schon hart an der Müdigkeits­gren­ze gele­gen wäre und eine Nacht hier zudem ein paar Loipenkilo­me­ter am näch­sten Mor­gen ermöglichte, bevor es zurück an den Schreibtisch ging.

Am Ende dieser Nacht erin­nerst du dich aber an einen Aufen­thalt vor sechzehn Jahren. Du warst nicht allein hier. Es war eben­falls vor einem Ren­nen, es war am Abend und dann die ganze Nacht. Seit­dem wusstest du, dass die Erziehungs­berech­ti­gung für den kleinen Men­schen, der zu dem Zeit­punkt noch nicht auf der Welt war, mit ein­er Bedin­gung ver­bun­den sein würde, die uner­füll­bar gewe­sen wäre. So nah das in diesen Augen­blick­en ist, so deut­lich wird, wie wenig Bedeu­tung es noch hat. Im Grunde keine, wenn dich der Sohn nachts wegen dieser oder jen­er Erleb­nisse im Inter­nat um Rat fragt oder ein­fach nur erzählt und erzählt. Wenn ihr euch jet­zt jede Woche seht, manch­mal mehrmals. Und so wird 450.00 Kilo­me­ter später, also ein­mal zum Mond und auf halbem Weg wieder retour, auch Erziehungs­berech­ti­gung zu einem Wort. Wie Mond, wie Nacht, wie Park­platz. Stun­den später zis­cht er auf den Skiern an dir vor­bei und lächelt.

* * *

Das Geld. Das Leben. Kannst du es nicht in anderen Worten sagen, klein­er, ver­steck­ter? Oder ein­fach nur konkreter?

Wind rüt­telt am Auto.

112,66 € sind es an ein­er Wiener Shell-Tankstelle am Nach­mit­tag vor dem Ren­nen. Wenige Tage später wer­den es 114,65 € sein. So fährst du seit Jahr und Tag. Seit Herb­st sind es weniger Kilo­me­ter. Das Inter­nat in Bruck an der Mur liegt weit näher. Dafür fährst du öfter. Und der Zug ist keine Alter­na­tive, denn der Wagen ist auch Wohnz­im­mer für euch bei­de, ist Aus­ruh- und Disku­tierort, ist Balkon oder Ter­rasse, manch­mal am Meer, manch­mal in den Bergen, manch­mal lediglich an einem Feld­weg.

Es muss noch fin­ster sein. Du siehst es durch die Fen­ster­scheiben­ab­deck­un­gen deines VW-Busses nicht.

Gut vier Jahre muss der Wagen noch hal­ten. 27.000 Kilo­me­ter hat­te er beim Ankauf vor viere­in­halb Jahren. 128.000 sind seit­dem dazu gekom­men

Es schneit, das hörst du. Im Wind bekom­men die nassen Flock­en spätestens am Auto­dach ein Geräusch.

249,90 € sind es am Spät­nach­mit­tag des Ren­ntages in den Werk­stät­ten jen­er Welser Fir­ma, die den Bus vor über vier Jahren aus­baute. Als Summe der ersten Ver­schleißer­schei­n­un­gen ist das zum Glück nicht viel. Auch wenn in Wirk­lichkeit in diesen Tagen jede Summe zu viel ist. Am Zahlungs­gerät der grüne Hak­en, das Piepen, gefol­gt vom leisen Motor der Kas­sazettel­rolle.

... immer noch keine anderen Geräusche, selb­st die der Schneeflock­en sind ver­schwun­den, sind vielle­icht schon nur mehr leichter, weich­er Regen.

Es wird wieder fin­ster, die Schein­wer­fer glänzen, das Hin und Her der Wis­chblät­ter. Du fährst weit­er. So geht es vom Tag in die Nacht. Und du erzählst. Vom Tag in der Nacht. Und wieder retour. Auf dieser auswendi­gen Strecke fol­gen vor Monat­sende noch  die 630 € für den Unter­halt, ein Lebens­mit­teleinkauf und etwa 540 € für die Miete. Zu Feb­ru­ar­be­ginn wer­den mit den Ver­sicherun­gen, der Ama­zon-Prime-Abbuchung sowie Apple-Music und dem Cloud-Spe­icher­platz kaum mehr als 1.300 € geblieben sein.

Das ist das Geld, sagst du. Das andere ist das Leben.

Und du weißt noch nicht ein­mal, wie sehr dir die fol­gen­den Wochen darin Recht geben wer­den. Auch wenn du tage­lang kein Wort her­aus brin­gen wirst.