Tag zweiundfünfzig – 29/01/24
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Wind rüttelt am Auto. Das Loipengerät fährt vorbei. Sonst keine Geräusche, keine zufahrenden Wägen, keine geöffneten Autotüren. Es muss noch finster sein. Du siehst es durch die Fensterscheibenabdeckungen deines VW-Busses nicht. Die Standheizung surrt leise. Sie ist auch das einzige, das deinen Wagen von irgendeinem anderen parkenden Auto unterscheidet. So verboten Übernachten abseits von Campingplätzen ist, es hat noch nie jemand geklopft, weder mitten in Ortschaften oder Kleinstädten noch auf den nachts verwaisten Parkplätzen von Sportanlagen wie dem Ramsauer WM-Stadion hier.
Es schneit, das hörst du. Im Wind bekommen die nassen Flocken spätestens am Autodach ein Geräusch. In der Früh soll es bereits regnen, vormittags ist sogar wieder Sonne möglich. Dann wird dein Sohn entlang der Runde, die nun das Loipengerät glättet und spurt sein erstes Skilanglaufrennen laufen. Seine Skier liegen gewachst im Stauraum unter deinem Bus-Bett. In ein, zwei Stunden kommt er an, wird mit den anderen Jugendlichen aus dem weißen Kleinbus seiner Schule steigen, nachdem er seit Corona fast drei Jahre lang nicht zur Schule gegangen war. Jetzt läuft er in einer Schulmannschaft sein erstes Rennen, so wie er seit Anfang Dezember jede Woche ein, zwei Mal mit den anderen zur Loipe unterwegs gewesen war. Allein darum geht es beim Rennen, nicht um die Platzierung.
Das Loipengerät kommt zurück, immer noch keine anderen Geräusche, selbst die der Schneeflocken sind verschwunden, sind vielleicht schon nur mehr leichter, weicher Regen. Manchmal warst du in den letzten Jahren auf den Rückfahrten von dem am Rand des Landes gelegenen Wohnorts des Sohnes noch hier. Wenn du von dort Sonntagabend spät weggekommen bist, wenn selbst die halbe Fahrt retour nach Wien schon hart an der Müdigkeitsgrenze gelegen wäre und eine Nacht hier zudem ein paar Loipenkilometer am nächsten Morgen ermöglichte, bevor es zurück an den Schreibtisch ging.
Am Ende dieser Nacht erinnerst du dich aber an einen Aufenthalt vor sechzehn Jahren. Du warst nicht allein hier. Es war ebenfalls vor einem Rennen, es war am Abend und dann die ganze Nacht. Seitdem wusstest du, dass die Erziehungsberechtigung für den kleinen Menschen, der zu dem Zeitpunkt noch nicht auf der Welt war, mit einer Bedingung verbunden sein würde, die unerfüllbar gewesen wäre. So nah das in diesen Augenblicken ist, so deutlich wird, wie wenig Bedeutung es noch hat. Im Grunde keine, wenn dich der Sohn nachts wegen dieser oder jener Erlebnisse im Internat um Rat fragt oder einfach nur erzählt und erzählt. Wenn ihr euch jetzt jede Woche seht, manchmal mehrmals. Und so wird 450.00 Kilometer später, also einmal zum Mond und auf halbem Weg wieder retour, auch Erziehungsberechtigung zu einem Wort. Wie Mond, wie Nacht, wie Parkplatz. Stunden später zischt er auf den Skiern an dir vorbei und lächelt.
* * *
Das Geld. Das Leben. Kannst du es nicht in anderen Worten sagen, kleiner, versteckter? Oder einfach nur konkreter?
Wind rüttelt am Auto.
112,66 € sind es an einer Wiener Shell-Tankstelle am Nachmittag vor dem Rennen. Wenige Tage später werden es 114,65 € sein. So fährst du seit Jahr und Tag. Seit Herbst sind es weniger Kilometer. Das Internat in Bruck an der Mur liegt weit näher. Dafür fährst du öfter. Und der Zug ist keine Alternative, denn der Wagen ist auch Wohnzimmer für euch beide, ist Ausruh- und Diskutierort, ist Balkon oder Terrasse, manchmal am Meer, manchmal in den Bergen, manchmal lediglich an einem Feldweg.
Es muss noch finster sein. Du siehst es durch die Fensterscheibenabdeckungen deines VW-Busses nicht.
Gut vier Jahre muss der Wagen noch halten. 27.000 Kilometer hatte er beim Ankauf vor viereinhalb Jahren. 128.000 sind seitdem dazu gekommen
Es schneit, das hörst du. Im Wind bekommen die nassen Flocken spätestens am Autodach ein Geräusch.
249,90 € sind es am Spätnachmittag des Renntages in den Werkstätten jener Welser Firma, die den Bus vor über vier Jahren ausbaute. Als Summe der ersten Verschleißerscheinungen ist das zum Glück nicht viel. Auch wenn in Wirklichkeit in diesen Tagen jede Summe zu viel ist. Am Zahlungsgerät der grüne Haken, das Piepen, gefolgt vom leisen Motor der Kassazettelrolle.
... immer noch keine anderen Geräusche, selbst die der Schneeflocken sind verschwunden, sind vielleicht schon nur mehr leichter, weicher Regen.
Es wird wieder finster, die Scheinwerfer glänzen, das Hin und Her der Wischblätter. Du fährst weiter. So geht es vom Tag in die Nacht. Und du erzählst. Vom Tag in der Nacht. Und wieder retour. Auf dieser auswendigen Strecke folgen vor Monatsende noch die 630 € für den Unterhalt, ein Lebensmitteleinkauf und etwa 540 € für die Miete. Zu Februarbeginn werden mit den Versicherungen, der Amazon-Prime-Abbuchung sowie Apple-Music und dem Cloud-Speicherplatz kaum mehr als 1.300 € geblieben sein.
Das ist das Geld, sagst du. Das andere ist das Leben.
Und du weißt noch nicht einmal, wie sehr dir die folgenden Wochen darin Recht geben werden. Auch wenn du tagelang kein Wort heraus bringen wirst.