Rückblick eins – 01/09/92 bis 30/06/05
BUCHUNGSSALDO: zu hoch (vgl. Text) / DISPOSALDO: zu niedrig (vgl. Text)
Frau P. kenne ich schon lange. Wann ich ihren Namen in meinem Zahlungsverkehr zum ersten Mal wahrgenommen habe, weiß ich nicht mehr. Doch vermutlich werde ich bereits im September 1992, als ich im Zuge meiner Inskription auf ein Studierendenkonto-Angebot jener Bank einging, bei der man auch die Einschreibungsgebühr einzahlen konnte, jene mittlerweile ziemlich zerknitterte Visitenkarte bekommen haben, auf der Frau P. als meine Bankberaterin aufscheint. Damals noch ohne Mailadresse, die musste ich später auf andere Weise herausgefunden haben, schließlich finden sich in meinem E-Mail-Programm nicht wenige Mails mit ihr als Adressatin oder Absenderin. Persönliche Beratung hatte ich jedoch weder vor der Zeit unseres E-Mail-Kontakts, noch während dessen bei ihr gesucht; jahrelang kannte ich ihren Namen auch nur von den freundlichen Grüßen, mit denen die Kontoüberziehungs-Erinnerungsbriefe der Bank schlossen. Grund genug, ihr lieber nicht persönlich zu begegnen. Genau so hielt ich es in den Jahren des Studierens auch mit den Zahlen, die in diesen Briefen das Minus auf meinem Konto bezifferten, sammelte weder Kontoauszüge und hielt manchmal sogar die Hand vor den bei jeder Abhebung auf den Geldausgabeautomaten meiner Bank angezeigten Kontostand. Statt solchen Zahlen oder Frau P. vertraute ich lieber meiner Großmutter und meiner damaligen Freundin. Erstere unterstützte mich regelmäßig mit Bargeld, oder kam für meine Waschmaschine, neuer Rollos oder andere größere Anschaffungen auf, während Zweitere mir Geld von ihrem weit besser in Ordnung gehaltenen Studierendenkonto borgte, wann immer ich trotz Großmutter-Hilfe in größere Engpässe geriet.
Im Grunde ging das so dahin, bis ich, ohne mein Studium abgeschlossen zu haben, 2002 meinen ersten Roman veröffentlichte. Doch auch „Der Räuber“, ein anhand einer Tatsachengeschichte geschriebener Roman, in dem nicht zuletzt Filialen meiner Bank überfallen wurden, änderte an meiner finanziellen Situation vorerst nicht viel. Mein Minus war immer noch ein Minus, das mithilfe zweier, kleinerer Preise zwar für ein paar Tage ausgeglichen war, die monatlichen Fixkosten überstiegen die Verkaufserlöse aber immer noch um ein Vielfaches. Dennoch hatte ich gleich nach dem Erscheinen des „Räuber“ mit einem weiteren Roman begonnen, mit einem Krimi, und das nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, eine solche Geschichte unter einem Pseudonym womöglich bei einem richtigen Unterhaltungsverlag unterzubringen. Dass mein Kriminalroman dafür ganz und gar nicht geschaffen sein würde, zeigte sich jedoch schon bald, und so verriet ich meinem Verleger Jochen Jung von dem Manuskript.
2003 erschien die „Puppenstille“, verkaufte sich noch schlechter als „Der Räuber, erntete im Gegensatz dazu auch nur wenig Kritiker-Euphorie, bescherte mir jedoch gleich zwei Literatur-Stipendien. Eines davon verwendete ich für die aktuellen Ausgaben von Sommer 2003 bis Sommer 2004, das andere versuchte ich zum Großteil zu sparen, indem ich es per Dauerauftrag auf ein Wertpapier-Sparbuch einzahlte. So hoffte ich, davon und den spärlichen Roman-Einkünften annähernd zwei Jahre zu leben, was erneut eine Illusion gewesen war. Denn mein Minus wuchs weiter, und das trotz eines dreimonatigen Aufenthaltsstipendiums im Literarischen Colloquium Berlin im Spätherbst 2004. Anfang 2005 war ich dann mehr oder weniger pleite. Das war in den Monaten davor zwar absehbar gewesen, mehr gespart hatte ich dennoch nicht. Im Gegenteil, die damals für mich noch immer so ungewohnte Scheinsicherheit eines monatlichen Einkommens hatte mir in diesen eineinhalb Stipendiumsjahren zwei paar Lederschuhe, drei Anzüge sowie eine gestiegene Einkaufslust bei CD´s und Büchern eingebracht. Rettung bedeutete in diesen ersten Monaten des Jahres 2005 schließlich das über das ganze Jahr laufende Hans-Weigel-Stipendium und ein zweimonatiges Aufenthaltsstipendium der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich. Daneben schrieb ich für die Wochenendsbeilage der Tageszeitung „Standard“ zwei, drei Artikel und klammerte mich trotz der Verkaufserfahrungen meiner ersten beiden Bücher an die Tatsache, das unterdessen auf über dreihundert Seiten angewachsene Manuskript meines dritten Romans womöglich am Ende des Schweiz-Aufenthalts fertig zu haben. Weiter dachte ich nicht. Notfalls müsste ich mir irgendeine Lohnarbeit suchen, so viel war klar. Als Fahrradbote etwa, einer Tätigkeit, für die meine Wiener Ortskenntnisse genau so brauchbar waren wie meine körperliche Kondition als Ausdauersportler. Nur der Roman, der sollte, der musste, davor fertig werden. Denn nebenbei Schreiben, das konnte ich nicht.
Da sich aber die Situation auf meinem Konto trotz des Weigel-Stipendiums noch vor dem Schweiz-Aufenthalt bedrohlicher als zu Jahresbeginn erwartet angespannt hatte, nutzte ich am 30. März die Möglichkeit, mit Frau P. per Mail auf dem einzigen Gelände zu kommunizieren, auf dem ich mich sogar Gelddingen gegenüber einigermaßen sicher fühlte, und schrieb ihr unter dem Betreff „Kontoüberziehung“: S.g Frau P.; da ich in den nächsten Tagen zusätzlich zu den Dauerauftragszahlungen von rund 550 Euro des Weigel-Stipendiums eine Einzahlung von etwa 360 Euro (v.d. Tageszeitung „Der Standard“), sowie im Laufe des Monats eine weitere Einzahlung von der niederösterr. Landesregierung von 1460 Euro auf meinem Konto erwarte, ersuche ich Sie, die in den nächsten Tagen erwartbare Überziehung meines Kontorahmens von vermutlich maximal 200 Euro nicht zu einer Kartensperre führen zu lassen, mit freundlichen Grüßen, Martin Prinz. Kaum zwanzig Minuten danach antwortete mir Frau P.: Sehr geehrter Herr Prinz! Ihr Mail habe ich dankend erhalten und teile Ihnen mit, dass ich Ihre Einkaufsreserve auf 3.700,- bis Ende April erhöht habe. Danach wird ihre Einkaufsreserve wieder auf 3.000,- reduziert. Ich hoffe Ihnen hiermit gedient zu haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen M. P. - So fuhr ich in die Schweiz, arbeitete dort in der Idylle eines großen Bauernhauses für mich allein und mit Blick auf Wiesen und Felder an meinem Roman, gab natürlich mehr Geld als geplant aus, schob die Schuld daran auf die hohen Lebenskosten in der Schweiz und kümmerte mich sonst nicht weiter darum. Auf die Anfrage des „Standard“, einen Text zu einem Schiller-Jubiläum zu schreiben, ging ich trotz der notwendigen Konzentration auf den Roman ein. Mit dem Text - einer 4000-Zeichen-Fassung meiner bei 80 Seiten unfertig gebliebenen Diplomarbeit über Schillers Dramenfragment „Die Polizey“ - kämpfte ich dann aber so wie mit noch keinem, war mit dem Kopf viel zu sehr im Roman, und hielt es auf richtig körperliche Weise kaum aus, mich auch nur zwei Tage lang außerhalb des Manuskripts aufzuhalten, brauchte aber selbst diese nur knapp über hundert Euro dringend.
Ende des Monats musste ich für zwei Tage zurück nach Wien und wagte einen Blick in meine Kontoauszüge, worauf ich sofort wieder Frau P. schreiben musste, da die geplante Reduktion der so genannten Einkaufsreserve natürlich nicht möglich war: S.g. Frau P.; ich habe Ihnen Ende März geschrieben, dass ich in diesem Monat zusätzlich zu der Dauerauftrags-Einzahlung von rund 550 Euro eine Einzahlung von etwa 330 Euro (v.d. Tageszeitung „Der Standard“) sowie im Laufe des Monats eine weitere Einzahlung von der niederösterr. Landesregierung von 1460 Euro auf meinem Konto erwarte, und Sie um eine Erhöhung meiner Einkaufsreserve ersucht. Leider sind die zusätzlichen Zahlungen in der Höhe von 1820 Euro bislang nicht auf meinem Konto eingetroffen, müssen jedoch Anfang April – zusätzlich zu den regelmäßigen 545 Euro – auf meinem Konto landen. Bis nächste Woche wird meine Überziehung jedoch leider um die 3800 Euro ausmachen. Mit freundlichen Grüßen, Martin Prinz. Wiederum antwortete Frau P. unverzüglich: Sehr geehrter Herr Prinz! Ihr Mail habe ich dankend erhalten und teile Ihnen mit, dass ich Ihre Einkaufsreserve nochmals ein wenig angehoben habe, da Ihre derzeitige Überziehung mehr als 3.800,- beträgt. Die höhere Einkaufsreserve vermerke ich mir bis Anfang Mai 2005. Danach wird sie wieder auf 3.000,- reduziert. Ich hoffe Ihnen hiermit gedient zu haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen M. P. – Und obwohl ich mit den 3.800 Euro Überziehung Ende März falsch gelegen war, mit der Prognose der Eingänge hatte ich offenbar ausnahmsweise recht gehabt. Sonst wäre ich kaum bis in den Juni gekommen. Dann allerdings hätte ich mein Soll mit den 545 Euro der niederösterreichischen Landesregierung und den spärlichen Nebeneinkünften kaum mehr in Griff behalten. Denn Lesungen hatte ich, eineinhalb Jahre nach Erscheinen der Puppenstille, bereits im Frühling keine mehr gehabt. Und Taschenbuchrechte waren leider weder von diesem Roman, noch vom „Räuber“ verkauft worden. Dafür bekam ich für mein neues, nun bereits auf knapp vierhundert Seiten angewachsenes Romanprojekt Ende Juni ein einjähriges Projektstipendium und konnte Frau P. ein Mail schreiben, in dem ich die Höhe des aktuellen Solls zwar geflissentlich unausgesprochen ließ, umso zahlenfreudiger aber von dessen zukünftiger Reduktion schrieb: S.g. Frau P.; mit Monatsbeginn Juli stehen dem derzeitigen Soll meines Kontos Einkünfte in der Höhe von Euro – wobei mich hier die ungewohnt hohe Zahl offenbar so geschreckt hatte, dass ich sie einfach ausließ – gegenüber. Diese setzen sich zusammen aus den monatlichen 545 Euro eines bis Dezember laufenden Stipendiums der niederösterreichischen Landesregierung, sowie einem ab Juli für weitere 12 Monate beginnenden Projektstipendiums des Kunst-Staatssekretariats mit monatlicher Rate von 1.100 Euro (Gesamtsumme 13.200). Damit sollte sich das derzeitige Soll auch ohne Einrechnung weiterer erwartbarer Einkünfte mit Jahresende auf deutlich unter 1000 Euro reduziert haben. Wenn Sie deshalb meiner Einkaufsreserve bis Ende Juni vom derzeitigen Kontostand noch weitere 200 Euro hinzurechnen könnten, ließe sich diese mit Mitte des Monats wieder auf 3500 Euro senken, und mit Beginn des August schließlich auf 3000 Euro. Angesichts der bis in den Winter bei über 1600 liegenden Monatseinkünfte sollte das Soll dann auch dementsprechend weiter sinken. Ich hoffe, Ihnen damit einen, angesichts des derzeitigen Soll, notwendigen Überblick gegeben zu haben. Mit freundlichen Grüßen, Martin Prinz. - Wie hoch das Soll damals tatsächlich war, weiß ich nicht mehr. Weit höher als 3.800 Euro ganz sicher. Frau P. schien dennoch zufrieden gewesen zu sein: Sehr geehrter Herr Prinz, Ihr Mail habe ich dankend erhalten und teile Ihnen mit, dass ich Ihre Einkaufsreserve wunschgemäß erhöht habe. Des weiteren hab ich mir vermerkt, dass wir sie Ende August auf 3000 Euro reduzieren. Ich hoffe Ihnen hiermit gedient zu haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen M. P.
Tag neunundsiebzig – 02/01/24
BUCHUNGSSALDO: – 8693,42 € / DISPOSALDO 306,58 €
Tag siebenundsiebzig – 04/01/24
BUCHUNGSSALDO: – 8771,41 € / DISPOSALDO 228,59 €
Tag dreiundsiebzig – 08/01/24
BUCHUNGSSALDO: -9120,76 € / DISPOSALDO -120,76 €
Tag siebzig – 11/01/24
BUCHUNGSSALDO: - 120,76 € / DISPOSALDO: 8.879,24 €
Tag neunundfünfzig – 22/01/24
BUCHUNGSSALDO: - 5.712,6 € / DISPOSALDO: 3.287,40 €
Tag zweiundfünfzig – 29/01/24
BUCHUNGSSALDO: - 7.518,65 € / DISPOSALDO: 1.481,35 €