Nach dem Signalton

Von

Brigitte, 73 Jahre alt, Pen­sion­istin

Was hab ich mir auch dabei gedacht, kurz vor Kas­sas­chluss hier aufzukreuzen. Die Leut haben schon wieder einen Stress, sagen­haft. Gibt’s mor­gen leicht wieder einen Lock­down, oder was? Ich hätt am Vor­mit­tag einkaufen gehen sollen, aber aus­gerech­net da musste die Manuela mit ihrer Brut kom­men. Her­mann wird sauer sein, sein Nuss­brot ist schon aus. Dabei kann er mit seinem neuen Gebiss höch­stens dran lutschen. Und Oliven­brot schmeckt eh viel bess­er. Mir jeden­falls. Zweite Kas­sa bitte! Wenn man hier nicht laut schre­it, dann passiert gar nix. Nur das qui­etschende Rad bekommt sein Öl, das hat die Tante Ger­da immer ganz richtig gesagt. Zweite Kas­sa! Son­st lassen sie einen stun­den­lang anste­hen, wie nix. Ist denen doch wurscht. Mit uns kann man’s ja machen. So, jet­zt aber. Was sich die schon wieder alle vor­drän­gen mit ihren voll­bepack­ten Einkauf­swa­gen, als müssten sie gle­ich zum Nord­pol auf­brechen. Ah, wun­der­bar, der junge Mann mit der Glatze geht zur zweit­en Kas­sa, der ist auf Zack, bei ihm geht’s schnell dahin, und grüßen tut er auch immer so nett. Und fragt sog­ar nach, wie es einem geht. Und merkt sich, was man ihm schon mal erzählt hat, die Krankheit­en, die Oper­a­tio­nen, alles weiß der, auch Monate später. Der kann gle­ichzeit­ig reden und abrech­nen. So wie die Kassiererin­nen früher, in den guten alten Zeit­en, die kon­nten das auch, vor der Ein­führung der Banko­mat­funk­tion. In den Neun­zigern damals, na das waren vielle­icht Tipp­maschi­nen. Die wussten jeden einzel­nen Code auswendig, man hat ihnen die Sachen aufs Band gelegt, und die haben dann in einem Affen­tem­po alles reingetippt, zack-zack, so schnell kon­ntest gar nicht schauen, wie die schon wieder fer­tig waren. Und zack: Der Näch­ste bitte, und du kon­ntest nicht mal dein Zeug ein­pack­en und warst schon weggeschub­st. Dabei war ich damals noch jung und flink! Da hab ich schon vom Hin­schauen auf denen ihre Hände einen richti­gen Stress bekom­men. Wie die Pianistin im Konz­erthaus, sog­ar noch schneller. Aber die Kassiererin­nen damals, die hat­ten so trock­ene, kaputte Hände, man wollt ihnen glatt eine Hand­creme vor­beib­rin­gen. Irgend­wann wurde es anders, als die Banko­mat­funk­tion kam. Langsamer und zivil­isiert­er. Dafür aber das ständi­ge Gepiepse. Immer dieses Gepiepse. Wie die Leute an der Kas­sa das aushal­ten, das frag ich mich schon. Und dann die gle­ichen Sätze, die sie auf­sagen: Brauchen Sie ein Sack­erl? Nach dem Signal­ton, bitte. Schönes Woch­enende! Mahlzeit! Nur komisch, dass der nette junge Mann mit der Glatze an bei­den Armen tätowiert ist, über­all, alles voll­gekritzelt, und sog­ar noch was am Hals, aber was geht mich das an, ist ja sein Bier. Soll doch jed­er machen, was er will, sag ich immer. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Her­mann find­et, ich mach’s mir zu leicht, und Tol­er­anz ist nicht das Gle­iche wie Indif­ferenz, eine eigene Mei­n­ung müsse sich ein erwach­sen­er Men­sch schon bilden, der was auf sich hält, sagt er dann und wedelt mit seinem Zeigefin­ger in der Luft, aber der Her­mann hat auch gut reden. Mit voller Hose ist leicht stinken. Er muss ja nicht einkaufen gehen, nie hat er sich mit dem All­t­ag herum­pla­gen müssen, immer hab ich ihm die kleinen Dinge abgenom­men, damit er in Ruhe arbeit­en kann an seinem Schreibtisch, was weiß schon der liebe Her­mann, wie man sich mit den Leuten arrang­ieren muss, mit den Handw­erk­ern, mit den Putzfrauen, mit den Nach­barn, mit den Ärzten und jet­zt mit seinen slowakischen Pflegerin­nen, was weiß der schon, was es alles braucht, um in der Meute durchzukom­men. Er ist der­jenige, der es sich leicht macht. Der herum­sitzt und doziert und alles bess­er weiß. Hat er eine Ahnung, was das ist, die All­t­ags­diplo­matie, wie ich das nenne. Nein, der Her­mann hat nur mit der großen Diplo­matie was am Hut, mit dem glat­ten diplo­ma­tis­chen Par­kett, wie er sagt. Aber wie man einen nor­malen Par­ket­t­bo­den ein­lässt, das muss der feine Her­mann nicht wis­sen. Geschweige denn wie man einen in die Jahre gekomme­nen Par­ket­t­bo­den schleifen lässt. Oder wie das ist, wenn zum ersten Mal: Zweite Kas­sa bitte! rufen muss, wieviel Über­win­dung das kostet. Weil man eben sieht, das ste­ht jet­zt an, und kein ander­er tut’s, also macht man’s selb­st. Man duckt sich nicht weg, wie alle anderen. So ähn­lich wie in der Damen­sauna, wenn man zum ersten Mal auf­ste­ht und fragt: Soll ich einen Auf­guss machen? Jede kön­nte es tun, aber es ist dann eine einzige Dame, die auf­ste­ht, den Schöpfer in die Hand nimmt und das Notwendi­ge erledigt. Einen Ruck muss man sich geben. Aber dem Her­mann ist das alles zu min­der. Der lässt lieber die anderen tun, und er selb­st ist fein raus. Jet­zt ist die Pan­demie schon lang vor­bei, jet­zt kön­nt er auch zumin­d­est manch­mal raus unter die Leute, kön­nt sich sein Zeug sel­ber zusam­men­su­chen, statt hin­ter­her rumzumeck­ern, was nicht alles fehlt, mit dem Roll­stuhl kön­nte er über­all hin, die Ivan­ka hat’s uns lang und bre­it gezeigt, so schw­er ist das gar nicht mit der Automatik, aber Nein, der Her­mann hat sich’s in der Pan­demie angewöh­nt, das Daheim­sitzen, und jet­zt kriegen ihn keine zehn Pferde da raus. Jet­zt kann er gut sagen: Na na, geh du allein, ich darf mich nicht ansteck­en, ich bin Risiko­gruppe. Na super. Und ich bin leicht keine Risiko­gruppe oder was? … Polizei? Was macht die Polizei hier?

 

Torsten, 26 Jahre alt, Stu­dent der Psy­cholo­gie, auf Eras­mus

Welchen Wein soll ich kaufen? Weiß oder Rot? Rosé? Bil­lig, teuer, mit­tel? Woher soll man wis­sen, welchen Wein man zum zweit­en Tin­der-Date in ihrer Woh­nung mit­brin­gen soll. Zweites Date, das ist heikel, wie zweites Album. Da kann man sich keine Patzer leis­ten. Ein Schnitzer, und schon ist man weg vom Fen­ster. Wenn ich einen teuren Wein nehme, dann glaubt sie, ich hab Geld. Schön wär’s. Dann erwartet sie aber näch­stes Mal wieder einen teuren und so weit­er und so fort. Und das treibt mich dann langsam aber sich­er in den Ruin. Wenn ich einen bil­li­gen nehme, denkt sie, ich bin ein Los­er. Wom­it meine Chan­cen sinken. Die gold­ene Mitte also. Ein Rosé, nicht zu teuer, nicht zu bil­lig. West­steirisch­er Schilch­er, Klas­sik. Klingt doch gut! Nur 4,49 Euro, macht optisch was her, wird schon nicht neg­a­tiv auf­fall­en. Aber was, wenn sie den Wein ken­nt und weiß, dass der unter der magis­chen Fün­feu­ro­marke liegt? Das kön­nte pein­lich wer­den. Hier in Wien ist ja jed­er Daherge­laufene ein Weinken­ner oder hat zumin­d­est gel­ernt so zu tun als ob. Gescheit daherre­den, das kön­nen sie gut hier. Was schre­it der Ver­rück­te da am Ein­gang rum? Klingt wie: Gehts olle scheißen, Oaschlächa dep­pate … Sowas in der Art. Man ver­ste­ht ja kaum, was diese Leute da sprechen in ihrem Dialekt, aber einen gewis­sen Charme hat das dur­chaus. Oaschloch, dep­pates, klingt doch char­man­ter als du dummes Arschloch. Mann, geht’s noch? Hat da jet­zt echt wer die Polizei gerufen? Nur weil ein­er sich im Super­markt mal seinen Frust von der Seele schre­it? Der tut doch keinem was. Welchem Schlaumeier ist es einge­fall­en, gle­ich die Bullen zu holen? Lauter Denun­zianten hier. Das ist doch ver­rückt. Viel ver­rück­ter, als das, was der arme Irre hier brüllt. Ver­mut­lich hat er ger­ade einen psy­cho­tis­chen Schub oder so etwas. Er schaut ja nicht mal beson­ders herun­tergekom­men aus. Saubere Klei­dung, die Jacke dürfte gar nicht mal so bil­lig gewe­sen sein. Naja, in Wien wird man schnell mal ver­rückt. Ich wollt’s den Leuten im Heim zuerst nicht glauben, aber schön langsam … Hat nicht Markus let­ztens erzählt, wie er in der U-Bahn neben einem Typen gesessen ist, der vom Schot­ten­tor bis Karl­splatz in ein­er Tour irgendwelche Bal­laden laut aufge­sagt hat, Wer reit­et so spät durch Nacht und Wind und so Zeug. Was Freud wohl dazu gesagt hätte? Wie dem auch sei, welchen Wein jet­zt? Freud, schau oba, wie sie hier sagen, schau oba bitte und hilf mir! Was wollen die Frauen? Einen teuren roten oder einen bil­li­gen weißen oder einen teuren bil­li­gen rot-weiß-roten… Ach, egal, auch schon wurscht, jet­zt nehm ich mal den bil­li­gen Rosé, der muss fürs erste reichen. Und eine Schoko­lade. Am besten eine von diesen Moser Roth, die schauen edel aus. Aber welche von denen. Schon wieder so viel Auswahl, ver­dammt. Egal, die rote. Rot kommt immer gut. Rosa Wein, rote Schoko­lade. Gle­ich schließen sie, und wenn ich so weit­ertrö­dle, dann steh ich bei Madame mit leeren Hän­den da. Das kann ich nicht brin­gen. Oder ich kann schon, aber nur ein Mal.

 

Goran, 45, arbeit­et an der Kas­sa

Meine Güte, hört dieser Tag denn nie auf. Zuerst die Ladung mit der defek­ten Ware, dann die zer­broch­ene Ölflasche, und jet­zt der Spin­ner da. Der hat uns heute ger­ade noch gefehlt. Noch dazu so kurz vor Feier­abend, da wird sich jet­zt alles verzögern, die Bullen wer­den nicht ein­fach so abziehen, die müssen sich schon noch bissl auf­plus­tern. Bissl Muskeln zeigen. Bissl Exeku­tive raushän­gen lassen. Dass der neue Fil­ialleit­er allen Ern­stes die Bullen rufen muss. Als ob wir mit dem Her­rn nicht allein fer­tigge­wor­den wären. Ein paar beschwichti­gende Worte, und der hätte sich schon wieder beruhigt und vertschüsst. Ist ja nicht das erste Mal. Aber der übereifrige Mag­is­ter Chris­t­ian Baum­gart­ner denkt sich, bess­er nix riskieren, bess­er auf der sicheren Seite. An manchen Tagen spin­nt halt mal der eine oder andere Kunde. So what? Gehts olle scheißen, naja, das fällt halt unter freie Mei­n­ungsäußerung. Eine Auf­forderung, nichts weit­er. Man muss sich ja nicht gle­ich ange­sprochen fühlen. It’s a free coun­try, Mag­is­ter Baum­gart­ner. Wenn du nur wüsstest, wie viele solche wie dich wir hier schon kom­men und gehen gese­hen haben. Ihr kommt voller Elan in den Laden, wollt das Rad neu erfind­en, sekkiert uns mit euren grandiosen neuen Ideen und euren Team­sitzun­gen, irgend­wann geht euch die Puste aus, dann werft ihr das Hand­tuch, und dann kommt eh schon jemand Neuer. Und inzwis­chen läuft der Laden ganz nor­mal weit­er, alles wie gehabt, jeden Tag kom­men die Men­schen eben und kaufen sich ihr Zeug zusam­men, aber diese Nor­mal­ität fällt euch gar nicht auf, weil ihr nur auf die Zahlen star­rt, und die Zahlen sind grund­sät­zlich nie gut genug, das näch­ste Quar­tal muss noch bess­er aus­fall­en, und im inter­na­tionalen Ver­gle­ich und über­haupt. Die fet­ten Pan­demie­jahre sind jet­zt halt auch vor­bei, wir an der Kas­sa sind keine Super­helden mehr, hack­eln jet­zt erst­mal ohne Applaus weit­er, und die ver­sproch­enen Bonuszahlun­gen und Gehalt­ser­höhun­gen kön­nen wir uns in die Haare schmieren. Sofern wir noch welche haben, ha ha ha. Komm mir nicht blöd, Mis­ter Mag­is­ter Baum­gart­ner, son­st lernst du mich noch ken­nen. Oder noch bess­er, du lernst mich gar nicht mehr ken­nen und ich dich auch nicht, denn ich ver­piss mich von hier. Ich bin ja nicht blöd, ich les doch auch die Zeitun­gen. Über­all wer­den Arbeit­skräfte gesucht, unsere­ins sitzt jet­zt endlich mal am län­geren Hebel. Ich kön­nt zurück ins Tat­too-Stu­dio, oder eine neue Aus­bil­dung machen, warum nicht. Zoran hat erzählt, bei ihnen im Flüchtlings­bere­ich suchen sie jet­zt hän­derin­gend. Erfahrung als Flüchtling hätt ich ja aus erster Hand, und alles andere kann ich ler­nen. So alt bin ich auch wieder nicht. Da geht schon noch was. Den Kred­it müssen wir halt noch abstot­tern, aber egal, das biss­chen Geld ver­di­en ich mir woan­ders auch.

Lisa, 7, mag Kau­gum­mis: Ein Polizist… Und eine Polizis­ten­frau! Moritz wird mir nicht glauben, dass ich Polizis­ten aus der Nähe gesehn hab. Mama sagt immer, Augen zu bei der Kas­sa! Mach die Augen zu! Ich hab trotz­dem geschaut. Mama sagt, Kas­sa ist eine kapi.. kap­i­talir­gend­was Falle. Über­all Zuck­erln und Schoko­lade, die machen dir Karies, sagt sie. Karies. Braune Zähne. Grausig. Hab ich nicht. Ich will keine Zuck­erln und keine Schoko­lade, ich will die Kau­gum­mis. Die blauen, die schar­fen. Moritz spuckt seine immer gle­ich aus, sie sind ihm zu scharf, ich klet­zle sie dann vom Tep­pich raus. Aber dann schmeck­en sie nicht mehr so gut. Jet­zt kommt der schirche Ton, jet­zt muss Mama was tip­pen, jet­zt mach ich wieder die Augen auf und schau trotz­dem.