Gedichte

Von

1.

Wir haben eine Juke­box zum Strand getra­gen und Muschel­geld einge­wor­fen, Pfahlmuscheln schienen dafür am Wenig­sten geeignet. Die Gis­cht ließ schon bald

alle Anzeigen ver­schwim­men, während wir herum­liefen, um möglichst runde Muscheln aufzuheben, Flach­sch­neck­en, wie du sie rief­st. Aus der Ferne sahst du

wie eine der Möwen aus, die im Rhyth­mus der Bran­dung auf das Meer zu und von ihm weg lief. Wir summten Lieder, die wir eigentlich der Juke­box hät­ten ent­lock­en

wollen. Wir nah­men an, dass bei Ebbe ganz automa­tisch etwas Flaute herrscht in den Kassen des Ozeans. Das Leucht­feuer der nahen Landzunge beschwor ein

hyp­no­tis­ches Schaus­piel. Alle Insek­ten der Gegend waren Par­ty. Du stolpertest über ein altes Schrap­nellgeschoss, das wie ein Ein­siedlerkrebs aus

seinem Bau lugte. Später lasen wir, dass solche Artilleriegranat­en mit Met­al­lkugeln gefüllt wären. Für die Juke­box wäre das uner­he­blich, doch hät­ten

wir den Flip­per­auto­mat­en füt­tern kön­nen. Die leeren, nach den Kugel­wolken ein­schla­gen­den Schrap­nell­hülsen wer­den auch Hohlbläs­er genan­nt,

es blieb unser Satz des Monats Mai. Wir fan­den schließlich eine alte Münze voller Seep­ock­en, sie passte ger­ade so durch den Schlitz. Die Luft wim­melte nur vor

Anzüglichkeit­en.

2.

Dein Atem roch nach Tequi­la und ein­er anderen Sache, bei der ich mir freilich nicht sich­er war. Zeit­genös­sis­che Kun­st schien mir noch die passend­ste

Zuschrei­bung darzustellen. Den Alko­hol hat­test du mit Zimt gar­niert, mit einem Biss in ein Orangen­stück besiegelt. Beschwipst hast du herumposaunt, ich sei

eine Ameise, die gle­ich über den Mund ein­er Göt­tin krabbelt. Aus dem Wasser­hahn im Zim­mer nebe­nan strömte der Ozean. Ich dürfe niemals vergessen,

ihn ordentlich zuzu­drehen, son­st wäre es mit dem geregel­ten Leben in dieser Stadt schla­gar­tig vor­bei. Ein­mal nur hättest du es ver­ab­säumt, wärst in der

Bade­wanne eingepen­nt. Bis dich die ersten Wellen auf­schreck­ten. Selt­sam anmu­tende Fis­che schwammen zwis­chen deinen Beinen, kleine Flun­dern und

noch kleinere Zack­en­barsche. Ein Krak­e­n­arm schoss plöt­zlich aus dem Abfluss her­vor und saugte sich an einem der Unter­schenkel fest. Du hättest aufgelacht,

weil es kitzelte. Du hörtest Geräusche in den Wän­den, als wür­den sich Riffhaie durch die alten Rohre zwän­gen, im Haus wur­den unverzüglich Rufe nach

Instal­la­teuren laut.

3.

Ich fuhr mehrmals im Monat an die Küste, um nach ein­er Woh­nung mit Meerblick Auss­chau zu hal­ten. Die Straßen­schilder waren unles­bar, löchrig, sie verdeck­ten

nicht den kle­in­sten Teil des Him­mels. Man kon­nte den Flu­grost förm­lich schmeck­en, das Salz macht keine Gefan­genen. Kam etwas in Frage, band ich eine

Nylon­schnur an die erst­beste Klinke, Fis­cher­knoten, von Nylon­schnüren hat­te ich reich­lich. 0,50 Mil­lime­ter geflocht­e­nen Nylons für die richtig großen Fis­che,

Häuser zählen dazu. Ich lief mit ein­er dick­en Spule los, die Schnur zog ab, als hätte ich einen Mar­lin gehakt. Ich musste an Hem­ing­way denken, der alte Mann sei jet­zt

endgültig und ein­deutig salao, was die schlimm­ste Form von Glück­losigkeit
darstelle. Es blieb unser Satz des Monats Juni. Natür­lich kon­nte ich

mir kein solch­es Haus leis­ten, es würde schon bald wieder mit dem Strand aus meinem Leben ver­schwinden. Ich beeilte mich, als hätte ich nicht bloß eine Tür

(die an einem Haus fes­thing) an der Leine, vielmehr und eigentlich den Ozean. Ich band die Schnur schließlich um einen der Eckpfeil­er dein­er Veran­da, malte mir

aus, dass for­t­an kein­er von uns, selb­st in den stärk­sten Stür­men, vom Weg abkäme. Alle hun­dert Meter würde ich ein Glöckchen anleinen, damit du mich

auch in fin­ster­ster Nacht an mein­er neuen Adresse auf­suchen kön­ntest. In den Gedanken schep­perte es melodisch, wenn auflandi­ger Wind durch die Straßen

tollte, Kurgästen wurde dieser sog­ar zur Heilung emp­fohlen.

5.

Mit dem Tod ließ das Gedächt­nis nach, wir unter­hiel­ten uns nur noch über die nahe­liegend­sten Dinge. Die Abwasch. Den Einkauf. Das Gefüge (was alles sein

kon­nte). Wir zweigten Wass­er im Bach hin­ter deinem Haus ab, und ließen die darin enthal­tene Strö­mung unsere Teller spülen. Das schlaff gewor­dene Wass­er

entsorgten wir durch die Toi­lette. Wir ver­ließen uns auf Ameisenkolon­nen, um unsere Nahrung her­beizuschaf­fen, zum Glück hiel­ten sie uns bei­de für ihre

Müt­ter. Ich habe keine Büch­er mehr gele­sen, du hast keinen Wein mehr getrunk­en, wir haben einan­der nicht mehr in die Augen gese­hen. Staub­mil­ben

bewegten sich mit größter Selb­stver­ständlichkeit durch die Flure. Ich wollte Unkraut jäten, hat­te aber den Unter­schied vergessen, wie man dieses von Blu­men

unter­schied. Der Bach mün­dete gle­ich hin­ter der näch­sten Anhöhe in einen Fluss, der sich nord­wärts ins Lan­desin­nere auf­machte. Absurd. Der Ozean lag in

südlich­er Rich­tung, man hätte ihn auch für eine Auto­bahn hal­ten kön­nen.

(das voll­ständi­ge Pro­jekt ist 2023 im Lim­bus-Ver­lag erschienen)