Ich mag Menschen

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Die Wahrheit ist: Ich mag Men­schen.

Auch wenn sie manch­mal ner­ven. Mit ihrem Gel­tungs­drang und ihren Egos, empfind­lich wie Koral­len­riffe: schillernd, glitzernd, voller Leben, aber kaum kommst bis­si unbe­dacht mit dem kleinen Fin­ger an, zer­fall­en sie vor deinen Augen zu Asche, tot und grau, wie nur tote und graue Koral­len­riffe tot und grau sein kön­nen und nie steigt ein Phönix oder ein Fisch aus dieser toten und grauen Asche auf.

Ich mag Men­schen, auch die, die blaue Slim-Fit-Anzüge mit rosa, von der Mama gebügel­ten Hem­den kom­binieren.

Ich mag Men­schen, auch wenn sie BWL studieren. Nicht etwa, weil sie sich für Zahlen oder Wirtschaft inter­essieren, son­dern weil ihnen nichts Besseres einge­fall­en ist und für Atom­physik, Alt-Griechisch oder eine Lehre als IT-Fachkraft hat’s halt nicht gere­icht.

Ich mag Men­schen, auch IT-Fachkräfte mit ihren zu weit­en Jeans mit dem Gür­tel zu hoch an der Hüfte fest­gemacht und im Gür­tel steckt ein Led­ertäschchen mit einem Schweiz­er Taschen­mess­er oder einem Leather­man.

Ich mag Men­schen. Auch wenn sie in ihrer Freizeit gerne Schmetter­linge fan­gen und mit ihren pick­i­gen, fet­ten Fin­gern auf den Flügeln rum­tatschen, nur um zu schauen, ob es stimmt, dass er dann nicht mehr fliegen kann ...

Ich mag Men­schen, auch wenn sie manch­mal bis­si graus­lig reden und schlecht riechen.

Ich mag Men­schen, wenn sie U-Bahn fahren und dabei bis­si graus­lig reden und schlecht riechen.

Ich mag Men­schen, auch wenn ich mich manch­mal selb­st daran erin­nern muss, dass ich Men­schen mag, heute zum Beispiel, an so einem grauen Wiener Win­tertag, vor dem Fen­ster ist alles so tot und grau wie die Asche eines Koral­len­riffes und das einzig Schöne ist der Kater vom Rausch von gestern.

Ich mag Men­schen, deshalb gebe ich Work­shops, bei denen ich Eure Texte lobe und milde läch­le, wenn Ihr mir so gar nicht glauben wollt, dass es beim Schreiben nicht ums Tal­ent geht, son­dern darum, dass man sich hin­set­zt und hack­elt wie eine Wahnsin­nige und niemals den Stun­den­lohn aus­rech­net.

Ich mag Men­schen.

Aber missver­ste­hen Sie mich bitte nicht: Ich mag nicht alle Men­schen. Nein. Nein. Fix nicht alle.

Es gibt Men­schen, die mag ich nicht und denen habe ich ein paar Zeilen gewid­met unter dem Titel:

Vertrock­nete Träume & stein­hartes Brot

Dem Men­schen, der für die Indus­triel­len­vere­ini­gung arbeit­et und neulich zu mir gesagt hat, dass ich als Kün­st­lerin ja sowieso keine Ahnung von Wirtschaft hab und nicht immer so auf die Partei-Pro­pa­gan­da rein­fall­en soll, nur weil ich mich für Arbeitnehmer*innenrechte stark gemacht hab, wün­sche ich abso­lut nichts Schlimmes. Ich wün­sche ihm, dass ihm ein paar richtig gute Gedichte gelin­gen und dann schreibt er Ver­lage an. Nach den üblichen 142 Absagen bekommt er die Möglichkeit einen schmalen Band zu veröf­fentlichen, auf den er stolz ist. Die Veröf­fentlichung geht nicht voll­ständig unter ... Nein, das wün­sch ich ihm nicht! Ich wün­sche ihm, dass er zwei Rezen­sio­nen in wenig gele­se­nen Fachzeitschriften bekommt. Ich wün­sch ihm sog­ar einen Lit­er­atur­preis, keinen bedeu­ten­den und sich­er keinen hochdotierten. Der Preis ist ger­ade so groß, dass die Lokal­presse eine Kurzno­tiz bringt, mit Foto und ohne Auswirkung auf die Verkauf­szahlen. Jet­zt wis­sen auch die Nach­barn, dass er Gedichte schreibt. Wenn er jet­zt wie­der­mal großspurig seine Mei­n­ung kund­tut, dann sagen alle: „Was pudelst dich denn so auf, du schreib­st doch Gedichte! Und willst mit uuu­u­uns über uuu­u­un­sere Steuergelder reden, geh, sei stüüüüüü, schreib lieber a poar Gedichterl!“

Dem Men­schen, der mir nach einem Auftritt bis ins Detail gesagt hat, worüber ich meinen näch­sten „Slam“ schreiben soll, wün­sch ich ein Leben, zwei­di­men­sion­al und mit knall­gel­ber Haut. Genaugenom­men wün­sch ich ihm ein ganzes Leben zusam­men­geloopt aus dem Vorspann der Simp­sons und wie Bart ste­ht er an der Tafel und muss unendlich mal schreiben

„Man kann keinen Slam schreiben, nur einen Slam­text.“
„Man kann keinen Slam schreiben, nur einen Slam­text.“
„Man kann keinen Slam schreiben, nur einen Slam­text.“

Den Men­schen, die ihren Mit­men­schen so sehr mis­strauen, dass sie Ironie in ihren Aus­sagen damit kennze­ich­nen, dass sie mit den Fin­gern Anführungsze­ichen in die Luft malen, wün­sche ich ... nichts Schlimmes. Ist nicht rasend orig­inell, aber so schlimm ist es auch wieder nicht und man muss sich nicht wegen jedem Scheiß aufre­gen, nur weil vor dem Fen­ster alles grau und tot ist wie ein Koral­len­riff, das gestor­ben ist, weil ihr die Memes von Green­peace, Glob­al 2000 und Fri­days for Future wieder nur auf face­book geteilt habt, aber wed­er habt ihr gespendet, noch wart ihr auf ein­er Demo, noch habt ihr die Heizung zurückge­dreht, noch habt ihr mit eurem Nach­barn darüber gere­det, dass es echt nicht okay ist, wenn er Alt­bat­te­rien in die Biotonne schmeißt.

Dem Men­schen, der im Bil­la laut „Zweite Kas­sa“ gerufen hat, wün­sche ich ein drin­gen­des Bedürf­nis in einem Raum voll mit Men­schen und es gibt nur ein Klo. Also warten, warten, in der Schlange ste­hen, Beine zusam­men­pressen, warten, das Beste hof­fen ... Der Schweiß ste­ht ihm auf der Stirn! Warten, warten, endlich, Tür zu, absper­ren, Hosen runter und hin­set­zen und erle­ichtert ausat­men. Atmen in ein­er Tiefe und einem Rhyth­mus, den Frauen bei Press­we­hen ein­set­zen und: „Aaaaaaaaaah!“

Ich wün­sch dem Men­schen nicht, dass dann kein Klopa­pi­er da ist.

Nein!

Ich wün­sch ihm ein­lagiges Klopa­pi­er und dass er Angst hat, dass man die Spuren an seinen Hän­den sehen kann, wenn er zum Waschbeck­en geht, sich die Hände waschen. Dort ist der Seifen­spender leer und das Wass­er ist eiskalt und den Rest des Tages schnüf­felt er mis­strauisch, ob man eh nichts riechen kann.

Dem Deal­er, der an der U6 unwis­senden Möchte­gernkid­dies, getrock­netes Gras verkauft hat, und mit Gras meine ich: Gras. Das Gras, das in U6-Nähe am Gür­tel wächst, auf das alle Hunde und Men­schen mit Harn­drang und ohne Hem­mungen gepinkelt haben und das deshalb wahrschein­lich eh biss­chen psy­choak­tiv ist … dem Deal­er wün­sche ich, dass Kif­f­en legal­isiert wird und er für seine Geschäfte Steuern zahlen muss und Sozial­ab­gaben und wenn die Qual­ität nicht passt, dann kann man „help – das Kon­sumenten­magazin“ kon­tak­tieren. Er bekommt dafür, falls die Welt bis dahin nicht unterge­ht, das gle­iche wie wir: Eine Pen­sion, von der man nicht leben kann und wenn er Pech hat, kommt so ein Slim-Fit-Anzugträger und pfuscht an der Min­dest­sicherung rum.

Den Men­schen, die wed­er sich selb­st gegen, noch ihre Kinder impfen lassen wollen, weil sie überzeugt davon sind, dass man die Masern mit homöopathis­chen Glob­u­li heilen kann, wün­sch ich: dass sie mehr Glück als Ver­stand haben und ihr Kind wed­er krank wird, noch andere Kinder ansteckt, denn das Prob­lem ist ja: Bei so fiesen Krankheit­en, wie den Masern, Mumps, Röteln oder Covid, brauchen wir möglichst hohe Durchimp­fungsrat­en, man kön­nte das auch Sol­i­dar­ität nen­nen, und ich weiß, das ist ein Wort, das in Zeit­en von diversen Slim-Fit-Anzugträgern hart unter Beschuss ste­ht, aber es ist schon eine schöne Sache, diese Sol­i­dar­ität, glitzernd und bunt wie ein Koral­len­riff, bevor so ein Husch-Pfusch-Gesetz mit dem kleinen Fin­ger ankommt und der Zusam­men­halt in der Gesellschaft zer­bröselt zu Asche ...

Den macht­geilen Men­schen, die unseren sozialen Zusam­men­halt wegra­tional­isieren, stre­ichen und kürzen wollen, wün­sch ich ein Volk mit Inter­esse und mehr als einem Zeitungsabo und einem lan­gen Gedächt­nis. Auf dass wir alle zur Wahl gehen. Son­st haben wir ein Leben, lauwarm, mit zu Asche zer­brösel­ter Sol­i­dar­ität.

Lauter Tage, an denen das Schön­ste der Kater ist, der Kater vom Rausch der Jahre davor.