Alles ist möglich

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„Alles ist möglich“, stand auf ein­er Reklametafel, als das Liebe­spaar die Apotheke betrat. Sie kauften einen Schwanger­schaft­stest.

Zuvor hat­te der Mann, ein jüdis­ch­er Schaus­piel­er, bei einem Cast­ing gute Chan­cen für eine Rolle in einem Holo­caust-Film gehabt, sein Englisch klang dem Pro­duzen­ten schlussendlich zu englisch, mit zu wenig deutschem Akzent, und so wurde ihm abge­sagt. Er hätte so gut gepasst, von der Statur, der Phys­iog­nomie. Er hat­te sein­er Lieb­sten vor der Absage davon erzählt und gesagt, „lei­der kön­nen wir uns dann drei Monate nicht sehen“, und sie hat­te gejam­mert und Trä­nen ver­gossen. Nach der Absage trafen sie sich, und er sagte zu ihr:

„Ich bleibe bei dir, muss nicht ins Konzen­tra­tionslager“, und sie lacht­en bei­de. Er machte gerne Witze über den Holo­caust, das war seine Art, mit der Ver­gan­gen­heit umzuge­hen, seine Großel­tern und seine Tan­ten waren im Konzen­tra­tionslager umge­bracht wor­den.

Der Schaus­piel­er war in der Maske, als er seine Lieb­ste ken­nen­gel­ernt hat­te, denn sie war die Masken­bild­ner­in gewe­sen. Er hat­te zu ihr gesagt: „Mach mich jüdis­ch­er, als ich bin, noch jüdis­ch­er.“ Da schmink­te sie sein Gesicht ble­ich, denn sie war der Mei­n­ung, er müsse ein Bücher­jude sein, der nie sein Zim­mer ver­lässt und immer am Studieren ist, sie strichelte seine Augen­brauen dichter und schwärz­er und betonte seine Unter­lippe. Ihm war alles recht, so angenehm fand er ihre Hand in seinem Gesicht. Sie sollte nicht aufhören, ihn zu mod­el­lieren. Sie sprach kein Wort. Das gefiel ihm beson­ders, und er fragte sie, was er tun müsse, falls er vorhätte, sie einzu­laden, zum Beispiel auf ein feines Aben­dessen oder nur auf einen süßen Küchen, angenom­men, sie würde wollen, was er wolle – Kon­junk­tiv fol­gte auf Kon­junk­tiv.

Sie war eine Französin und reizend, wie man sich eine junge Französin in der Phan­tasie aus­malt, ein Gespinst, sie war viel jünger als er, denn er war schon ziem­lich alt.

Er holte weit aus, sagte, es sei alles ohne Hin­tergedanken, kön­nte auch nur ein bloßes Sich-Anschauen wer­den und bleiben, und sie lachte und sagte zu.
Daraus fol­gte eine gemütliche Liebes­beziehung. Sie stylte ihn um, er klei­dete sich nach ihren Vorstel­lun­gen, weiche, teure Jack­en und Hosen aus guter Wolle, eine Mütze auf seine weißen Haare – seine Haare waren dicht und lock­ig, was sie liebte. Sie war glück­lich, dass er die KZ-Rolle nicht bekom­men hat­te.

Sie brachte einen Buben zur Welt, der schön war wie sie, „und so klug wer­den wird wie du“, sagte sie. Er nahm sich vor, auf seine Ernährung zu acht­en, Sport zu treiben, er wollte ver­mei­den, wie ein Groß­vater auszuse­hen.

Der Bub ist inzwis­chen ein junger Mann. Vater und Sohn wohnen zusam­men, in vielem sind sie sich ähn­lich. Lei­der ist die Mut­ter irgend­wann ver­schwun­den. Das Leben mit den bei­den war ihr zu ein­tönig gewor­den.