Liebes Leben

Von

In mein­er ersten Deutschschu­lar­beit erzäh­le ich die Geschichte der Liebe. Alfred Kol­ler­itsch ist ein großer Mann mit bre­it­en Schul­tern und rot­braun gewell­tem Haar. Bish­er hat­te ich nur weib­liche Lehrper­so­n­en gehabt. Schon Alfred Kol­ler­itschs Anblick lässt mich hof­fen, dass nun alles anders wird. Er schrieb Büch­er, die ich auf dem Schul­weg in der Buch­hand­lung Leykam von meinem Taschen­geld besorge. Eines, den Roman „Die Pfir­sichtöter“, ent­deck­te ich im Bücher­re­gal meines Vaters und nahm es ein­fach mit. Das Buch „Die Grüne Seite“ habe ich aufgeschla­gen im Bank­fach liegen und befüh­le die Seit­en wie die Haut eines geliebten Wesens, als meine Rech­nung aufge­ht und mein Lehrer darauf aufmerk­sam wird, dass ich da etwas im Bank­fach ver­stecke. Der Maulwurf in meinem Schoß macht Sies­ta. Der bren­nende Dorn­busch über­strahlt alles. Ich läch­le meinen Deutschlehrer an. Er schenkt mir lange tiefe, manch­mal auch besorgte Blicke. Er sieht mich an, als ob ich ein süßes kleines Mäd­chen wäre. Und das bin ich auch, nur für den Lohn seines Blick­es, der mich schützend umhüllt. In seinen strahlend­blauen Augen kann ich mich erst­mals bewusst wider­spiegeln, ich sehe, ich erkenne mich, aber ohne viel zu spüren, außer Aufre­gung und Lust auf jeden neuen Schul­t­ag. Wie er in der Erken­nt­nis lacht und strahlt, als er erken­nt, dass ich heim­lich sein Buch lese. Er murmelt etwas, wen­det sich ab, aber nur um sich sogle­ich zu mir umzu­drehen und mir in den Deutschstun­den eine Bühne zu geben. Ich darf Reden und Fen­ster­re­porta­gen hal­ten, ich darf Rol­len­spiele spie­len, ich gebe eine One-Woman-Show im Deutschunter­richt. Um ihm noch mehr zu gefall­en und seinen Blick weit­er­hin auf mich zu ziehen, sorge ich für über­raschende Kleinigkeit­en. Ein­mal ziehe ich mir Mamas Ring mit den auf­fäl­li­gen Rubin­split­tern an. Dass ich älter wirke, als ich bin, sagt mein Deutschlehrer. Dass ich schon eine junge Dame sei. Und in der allerersten Deutschstunde, nach­dem er sich vorgestellt hat­te mit den Worten, Grüß euch Gott, ich bin der Alfred Kol­ler­itsch, fragte er in die Klasse, ob unter uns ein Dichter oder eine Dich­terin sei. Ich hat­te mich sofort gemeldet. Der Blick, den er mir daraufhin zuwirft, ist ein Blick der Verzück­ung. Wie süß ich war, so selb­st­be­wusst und niedlich, dass ich mich mit zehn Jahren als Schrift­stel­lerin, als Dich­terin sah. Ich wollte immer sein, was man in mir sehen wollte, um geliebt zu wer­den. Um über­haupt beachtet zu wer­den. Um da zu sein. Der Drang ent­stand, meinen Deutschlehrer für mich zu gewin­nen und ihn eines Tages zu heirat­en. Mein Groß­vater hat­te auch meine Groß­mut­ter als Schü­lerin unter­richtet und war, als sie alt genug gewe­sen war, im Kuh­stall vor ihr auf die Knie gefall­en. Auf diesen Kniefall, es musste nicht im Kuh­stall sein, arbeit­ete ich in der Unter­stufe des Gym­na­si­ums hin. Darauf, dass er mich vom Fluch der Mis­sach­tung befre­ite und meinem Vater klar­ma­chte, wie wertvoll ich war. In der Deutschschu­lar­beit fädelte ich es bewusst so ein, dass mein Deutschlehrer erken­nen sollte, wie weit ich war und dass ich über die Liebe Bescheid wusste. Er kommt here­in und lässt uns die Hefte auf­schla­gen. Er über­legt sich spon­tan The­men für die Schu­lar­beit. Ein­mal eine Bildbeschrei­bung, ein­mal einen Zeitungs­bericht, und dann über­legt er kurz und sagt lächel­nd, wer wolle könne von sein­er ersten Ver­liebtheit erzählen. „Als ich zum ersten Mal ver­liebt war…“ Alle Schü­lerin­nen und Schüler, nur ich nicht, beka­men die Deutschschu­lar­beit­en in der näch­sten Deutschstunde benotet zurück. Mich traf, dass er allen ihre Hefte zurück­gab, nur mir nicht. Mein Heft hat­te er ein­be­hal­ten. War der Auf­satz so gut? Oder war er so schreck­lich? Am Nach­mit­tag läutete bei uns zu Hause das Tele­fon. Es war der Schuldirek­tor, ein Bun­des­brud­er der Stu­den­ten­verbindung meines Vaters. Ich kan­nte ihn aus mein­er Kinder­garten­zeit, wenn er sich mit Papa getrof­fen hat­te und dabei auch mir vorgestellt wor­den war. Mama sagte, ich hätte eine Eins bekom­men, aber in mein­er Deutschschu­lar­beit seien ver­störende Sätze. Sie zitierte den Schuldirek­tor, der diese Sätze offen­bar zitiert hat­te. Die Beschrei­bung meines Zun­genkuss­es mit Andi hat­te Alfred Kol­ler­itsch alarmiert. Er sagte for­t­an Loli­ta zu mir, und als ich anf­ing, mich mit elf veg­e­tarisch zu ernähren, sagte er „Bren­nesserl“, um mich zu neck­en. Meine Mut­ter erwäh­nte die Deutschschu­lar­beit nicht mehr. Haupt­sache, ich hat­te ein Sehr gut. Alfred Kol­ler­itsch warf mir immer öfter sor­gen­volle Blicke zu. In seinen Deutschstun­den durfte ich weit­er­hin nach vorne vor die Klasse treten und aus dem Ste­greif Reden hal­ten. Das war das Schön­ste, wenn alle mir zuhörten und ihre Blicke auf mich richteten. Und am Ende applaudierten.

In Wahrheit war ich nie, nie ver­liebt in Andi gewe­sen. Son­dern erst­mals wirk­lich ver­liebt in Alfred Kol­ler­itsch, der, als ich ger­ade zehn war, über vierzig war, aber für mich der Mann mein­er Träume: Vater, Dichter, Philosoph, und Kinder wollte ich auch eines Tages mit ihm haben. Ein­mal nach der Deutschstunde lief ich zum Kathed­er und fragte ihn, ob ich ihm meine Büch­er zu lesen geben dürfe. Mein Vater, der auch Deutsch studiert hat­te, hat­te erwäh­nt, dass Alfred Kol­ler­itsch die Lit­er­aturzeitschrift manuskripte her­aus­gab. Deshalb gab ich ihm „Brumml, der Bär“ und „Pasti‚s Aben­teuer“, meine handgeschriebe­nen Erstlingswerke. Eine Mitschü­lerin, Chris­tiane, spot­tete, dass er diese mit Filzs­tift gekritzel­ten Geschicht­en sofort in den Papierko­rb wan­dern ließe und sein Inter­esse nur gespielt habe. Das traf mich, aber ich glaubte an meine Ent­deck­ung durch den so genan­nten Lit­er­atur­papst von Graz und der Steier­mark. Er hat­te lit­er­arische Größen wie Elfriede Jelinek und Peter Hand­ke ent­deckt, warum nicht auch mich. Ich wollte, ich musste alles tun, seine Aufmerk­samkeit zu sich­ern, daher set­zte ich alles daran, als Schrift­stel­lerin ernst genom­men zu wer­den und möglichst bald ein Buch zu veröf­fentlichen.

Zu Hause hat­te mein Brud­er damit begonnen, eine Zeitung zu grün­den. Er nan­nte sie GW nach seinen Ini­tialen und kopierte sie in der Lan­desregierung, wo Omi als Amt­srat und dann Ober­amt­srat beschäftigt war. Als Kind hat­te ich immer Büro und Püree ver­wech­selt. Omi und Papa mussten täglich ins Püree. Während ich zu Papa nur ein­mal im Leben kam, durfte ich mit Omi vor allem in der Unter­stufe des Gym­na­si­ums an ihren Arbeit­splatz begleit­en. In der Volkss­chule war mit den Hausauf­gaben alles erledigt gewe­sen. Jet­zt musste ich ab der ersten Klasse für Math­e­matik, Geo­gra­phie, Biolo­gie und für Physik ab der zweit­en Klasse ler­nen. Ich musste den Lern­stoff dur­char­beit­en, mit Leucht­s­tift markieren, Auszüge daraus exz­er­pieren und dann Omi im Büro alle Fra­gen dazu beant­worten. Wir simulierten eine Prü­fungssi­t­u­a­tion. Die Lehrer im Gym­na­si­um macht­en so genan­nte Lern­stoff-Wieder­hol­un­gen, deren Beno­tung in die Bew­er­tung der Mitar­beit und der gesamten Leis­tung mite­in­floss. Omi trichtere mir den Lern­stoff ein, sagte meine Mut­ter. Ich legte mich immer sel­tener abends in ihr Bett. Ich war wieder vom Durch­gangsz­im­mer neben dem Zim­mer meines Brud­ers ins Essz­im­mer zurück­ge­wan­dert. Im Durch­gangsz­im­mer hat­ten mich die unmit­tel­bare Nach­barschaft zu meinem Brud­er, der Dreck aus seinem Zim­mer zu mir warf, und die Max-und-Moritz-Tapete sowie das bei mir plakatierte über­lebens­große Poster von ABBA belastet. Mit Mama das Essz­im­mer zu teilen, war das gerin­gere Übel. Die Zeitung, die mein Brud­er bei Omi in der Lan­desregierung pro­duzierte und die nie­mand las außer ihm und unseren Eltern, brachte mich auf die Idee, eine MW Tierzeitschrift zu schreiben und bei Omis Bürokopier­mas­chine zu vervielfälti­gen. Und wie einst die Kirschen, verkaufte ich bere­its von der ersten Edi­tion zehn Stück in mein­er Schulk­lasse. Sowohl Lehrer als auch Mitschüler kauften begeis­tert, was ich mir aus­gedacht, geschrieben und geze­ich­net hat­te. Auch Gert Edlinger nahm ein Exem­plar der MW Tierzeitschrift mit nach Hause. Er war noch immer in mich ver­liebt, aber mein Herz schlug auss­chließlich für Alfred Kol­ler­itsch. Dass ich ihn nach der Matu­ra heirat­en würde, hat­te fest­ge­s­tanden, als Chris­tiane mir tri­um­phierend eröffnete, dass er schon mit ein­er anderen Schü­lerin ver­heiratet sei. Chris­tiane wusste über das Pri­vatleben unseres Deutschlehrers Bescheid, da ihr Vater mit ihm befre­un­det war. „Du bist zu spät. Er wartet nicht auf dich.“, eröffnete mir Chris­tiane vor ein­er Deutschstunde. „Er hat erst vor kurzem Gabi geheiratet. Das ist schon die zweite Schü­lerin, die er zur Frau nimmt.“ Die Infor­ma­tion war ein Wer­mut­stropfen, schmälerte die Hoff­nung jedoch nicht. Dann war ich die dritte! Die dritte Schü­lerin, die er zur Frau nehmen würde, sobald ich die Matu­ra hat­te und Gabi ihm dann zu alt gewor­den wäre. Meine Jugend hielt ich damals für den Bonus und ging davon aus, damit alle älteren Frauen zu übertr­e­f­fen, denn ich war jung, niedlich, aber schon frühreif und all­wis­send. Ich wusste zu jed­er Frage des Lebens eine Äußerung zu machen und bildete mir zu jedem The­ma meine spon­tane Mei­n­ung. Als Mama mit winzi­gen Füßchen aus Met­all vom Bischof­s­platz nach Hause kam, pin­nte ich sie mir sofort zu den Mini-Wäscheklam­mern und so genan­nten Flöhen, bemal­ten Holzpüp­pchen mit Fransen, an meine Jean­s­jacke, um zu zeigen, dass ich gegen die Fris­ten­lö­sung war. Als Her­mann Nitsch das öffentliche Inter­esse erregte, wet­terte ich mit mein­er Mama gegen seine Veröf­fentlichung getra­gen­er Damen­binden und des Men­stru­a­tions­blutes. Im Som­mer zuvor war ich einige Tage allein mit Omi im Ferien­haus meines Großonkels gewe­sen, Papa und Mama mussten ihren Romaufen­thalt wegen Mamas Blut­stürzen abbrechen und ihr wurde im Lan­deskranken­haus auf der Geburten­sta­tion die Gebär­mut­ter ent­nom­men, als sie knapp über dreißig war.

Gert Edlinger kommt nach dem Unter­richt auf mich zu und lässt mir schöne Grüße von seinem Vater, dem ORF Redak­teur Klaus Edlinger aus­richt­en. Er lässt fra­gen, ob ich bere­it bin, ihm ein Radioin­t­er­view über meine MW-Tierzeitschrift zu geben. Und ob! Nach­dem ich zu Hause davon erzählt habe, reagiert Mama verärg­ert, fast vor­wurfsvoll. Das sei doch nicht meine, son­dern die Idee meines Brud­ers gewe­sen, eine Zeitschrift zu machen. Sie gibt mir das Gefühl, etwas Unrecht­es zu tun, eine Idee geklaut zu haben. Ich ver­spreche hoch und heilig, offiziell klarzustellen, dass es seine Idee war, die ich abgekupfert habe. Zum ersten Mal darf ich das Funkhaus betreten, zum ersten Mal bit­tet mich ein ander­er Mann zum Inter­view als Papa. Und wäre ich nicht schon in Alfred Kol­ler­itsch ver­liebt gewe­sen, mit dem ich mich als so gut wie ver­lobt betra­chtete, hätte ich mich in Klaus Edlinger, nicht seinen mir zu jun­gen Sohn, ver­liebt. Er set­zte sich mir gegenüber. Jed­er von uns hat­te sein eigenes Stand­mikrophon. Er schenk­te mir Aufmerk­samkeit und ließ mir aus der Kan­tine ein Getränk brin­gen. Und das Wichtig­ste war: Er schaute mich die ganze Zeit an. Er getraute sich, mich länger anzuse­hen als Papa. Das Inter­view wurde einige Tage später auf Radio Steier­mark gesendet. Ich hat­te noch immer ein schlecht­es Gewis­sen und mich beeilt, meinen großen Brud­er als Ideenge­ber zu benen­nen. Der Redak­teur fragte mit angenehmer Radios­timme, was der Inhalt mein­er Zeitschrift sei. Ich erk­lärte, dass ich damit Tiere ret­ten wolle und dass man Ele­fan­ten nicht zur Elfen­beingewin­nung töten, son­dern ihnen ein­fach die Zähne absä­gen sollte. Dann gab es zwei Seit­en mit einem Aufruf, Jägern die Gewehre wegzunehmen. Ich hat­te ein Kreuz­worträt­sel über eine Seite geze­ich­net und noch mehr Tipps zur Unter­stützung von Tieren. Zudem einen Aufruf, niemehr Pelz zu tra­gen, denn dafür müssten Baby­robben ster­ben. Der Redak­teur war zufrieden. Mit einem Hochge­fühl ver­ließ ich das Funkhaus. Ich hat­te daran Gefall­en gefun­den, Inter­views zu geben, Rede und Antwort zu ste­hen und Auskun­ft zu erteilen. Ich begann, Briefe an den ORF zu schreiben. Der erste Briefempfänger war Otto König, ein Zoologe, der damals eine Tiersendung im Fernse­hen präsen­tierte. Papa besuchte ein­mal einen Vor­trag, den Otto König in Graz hielt, mit mir. Wir gin­gen anschließend zum Pult nach vorne und Papa stellte mich als größten Fan vor. Otto König blick­te kurz zu mir hin­unter und meinte dann zu Papa, dass ich mich am besten gle­ich für eine Mitar­beit und Assis­tenz bewer­ben sollte. Bei­de lacht­en und kein­er sprach noch mit mir. Seit­dem schick­te ich ihm Bewer­bun­gen um seine Assis­ten­ten­stelle, die er bei der Begeg­nung erwäh­nt hat­te. Er schrieb mir nie zurück.

Mit zehn ent­deck­te ich im Talk­for­mat „Tritsch-Tratsch“ ein Mäd­chen namens Vera Russ­wurm, die jedes Mal, im Pub­likum sitzend, ihre Mei­n­ung zu unter­schiedlichen The­men äußerte. Der Mod­er­a­tor Joki Kirschn­er erk­lärte das so, dass die Sendungs­mach­er somit auch der Jugend eine Stimme geben woll­ten. Mit vierzehn schick­te ich an den ORF einen Brief, dass eine über Zwanzigjährige keine Jugendliche mehr sei und dass sie richtige Jugendliche wie mich zu Wort kom­men lassen soll­ten. Als ich dann auf unserem Fes­t­net­ztele­fon einen Anruf vom ORF erhielt und mich der Mitar­beit­er des Lan­desstu­dios Steier­mark Pert Ober­hauser zu Probeauf­nah­men ein­lud, hing der Haussegen schla­gar­tig schief. Seit ich meinen zwölften Geburt­stag gefeiert hat­te, erst­mals und das einzige Mal mit ein­er Torte mit Kerzen, behan­delte Mama mich vol­lkom­men anders. Sie warf mir vor, mich völ­lig verän­dert zu haben und jet­zt nicht mehr ihr kleines Katzi zu sein. Sie hörte auf, mich zu umar­men und mit mir in die Innen­stadt zu gehen, wo wir unsere gewohnte Strecke von einem Feinkost­laden, dem Frankow­itsch, über die Eis­diele Schleck­er­mä­ulchen zu Schwest­er Seraphine hat­ten. Ich ver­stand nicht, was sich verän­dert hat­te – außer Mama. Wann immer ich die Woh­nung im drit­ten Stock ver­ließ, um mich mit Fre­undin­nen zu tre­f­fen oder zu Ilona zu gehen, rief sie mir bösar­tige Worte nach, darunter auch die Beze­ich­nung jen­er Frauen, die bei uns gegenüber am Straßen­rand standen und in fremde Autos stiegen. Ich kon­nte nicht begreifen, was passiert war. Sie erwäh­nte meine lan­gen blonden Haare und dass man mich nicht mehr allein hin­aus lassen dürfe, da ich eine wan­del­nde Ein­ladung sei. Umso schock­iert­er war sie dann über die Ein­ladung des ORF zur Sendung „Tritsch-Tratsch“. Ich war vierzehn und durfte nicht allein hin, aber nie­mand wollte mich begleit­en. Schließlich erkan­nten meine Eltern, dass es doch am besten wäre, den Ter­min wahrzunehmen, um das möglichst schnell hin­ter sich zu brin­gen und zu vergessen. Die Zer­ris­senheit zu Hause kon­nte ich nicht nachvol­lziehen. Ich hat­te auf ihre Unter­stützung gehofft und erwartet, dass ich sie damit stolz machen würde, im Fernse­hen zu sein. Mir fiel, da ich mich so schlecht fühlte, gar kein The­ma ein. Im Som­mer vor der Livesendung trainierte mich mein Großonkel in telegen­em Auftreten. Ich hat­te den Text auf einen der Zettel, auf die son­st Gottes­briefe kamen, man­gels besser­er Ein­fälle geschrieben. Ich war nicht mit dem Herzen, nur mit dem Ver­stand dabei. Ich hätte so viel zu sagen gehabt. Aber jet­zt, wo die Chance da war, emp­fand ich nichts als nur Schuldge­füh­le. Ich hat­te ein schlecht­es Gewis­sen, Mama und Papa mit diesem Auftritt Kum­mer zu bere­it­en. Mein Vor­trag ging darum, wie ungerecht es sei, dass wir Jugendliche selb­stre­dend in Öff­is zum Auf­ste­hen und Platz­machen ver­dammt seien, wen­ngle­ich wir einen fordern­den Schu­lall­t­ag hät­ten, und in Lebens­mit­telgeschäften wür­den wir in aller Regel zulet­zt bedi­ent. Erwach­sene hät­ten es ins­ge­samt in der Gesellschaft bess­er... Mein Großonkel wies mich darauf hin, beim Sprechen den Kopf zu bewe­gen, wie eine Nachricht­en­sprecherin, da man son­st im Fernse­hen zu starr wirke. Ich solle mir zwis­chen­durch wie zufäl­lig eine Haarsträhne aus dem Gesicht stre­ichen, riet er mir. Auf der Hin­fahrt nach Wien ignori­erten mich Mama und Papa. Sie unter­hiel­ten sich über Papas Unterkun­ft in einem Mut­ter­haus des Schwest­er­nor­dens, wo Pfar­rer Hauff wohnte, der mich mit zwölf zum let­zten Mal auf seinen Schoß genom­men hat­te. Dazu komme ich später. Zur Sendung kann ich nur sagen, dass sie ein Rein­fall war. Mama beobachtete miss­bil­li­gend, wie Joki Kirschn­er mich zur Begrüßung umarmte. Sie flüstert mir zu, dass ich keines­falls mit diesen Fernsehleuten allein sein dürfe, und wurde in den Zuschauer­raum gebracht. Ich fühlte mich statt am Ziel mein­er Träume wie den Wölfen zum Fraß vorge­wor­fen. In meinem in Vil­lach gekauften indis­chen Kleid wirk­te ich älter. Felix Dvo­rak war der einzige der Anwe­senden, der mich auf­munterte. Der Sendungsver­ant­wortliche, dessen Name mir ent­fall­en ist (Dieter Böttch­er), fragte: „Warum schaut die so fin­ster?“ Joki Kirschn­er ver­suchte, die Sit­u­a­tion zu ret­ten, da eine fast schmerzhafte Span­nung in der Luft lag, und nahm mich in die Kan­tine mit. Vor der Sendung einen Zwiebel­rost­brat­en zu essen, war keine gute Idee, wie sich im Nach­hinein her­ausstellte. Nach dem so genan­nten Ladl­spiel, wobei es um das Errat­en der Schublade ging, in der sich ein Bril­lant befand, durfte ich meinen Kurzvor­trag hal­ten. Ich sitze in der ersten Rei­he im Pub­likum, die Kam­era zeigt ein rotes Licht, und ich beginne zu sprechen. Ich füh­le nichts, nur Angst, nir­gend­wo mehr willkom­men zu sein, mich zu ver­lieren im Unsinn mein­er Rede und im ewigen Fall sein.