Das Eli Eli Lama wirft sich vom Kreuz aus leichter vor als zur GoldImMundStund im Tresorraum. Auch lässt es sich einfacher an den Vater als an die Mutter richten, noch dazu bei auf ewig fragwürdigen Verhältnissen rund um die Vaterschaft, die sich, außer in den Momenten des Todes und der Zeugung, weder biologisch noch gesellschaftlich im Leben groß manifestiert hätte. Die letzte Watsche der Mutter aus dem Grab im Innersten der wahren Verbrecher zu erhalten, gibt einen zusätzlichen Stich in ihr ach so rotes Herz. Einzig die zuvor Letztgeglaubte, die nun hoffentlich die vorletzte gewesen sein mag, die fehlende Einsicht im Moment des Abschieds, die ein ewiges Fragezeichen hinterlässt, wiegt nun nicht mehr so schwer. Der Schmerzverlagerungsschlag ungeahnt wirkungsvoll, indem die andere Wange, nicht bewusst hingehalten, statt einer zweiten, gleichwertigen Erniedrigung einen vernichtenden Faustschlag erhält. Es steht die Tochter. Schmerzerfüllt. Selbst das Sterben der Mutter ist also schlussendlich nur ein Überbauproblem. Wenn der Tod vermeintlich nur das Leben kostet, entbindet der finale Abtritt aus dem Weltlichen keineswegs von irdischen Vermögensangelegenheiten. Es liegt eine ungeheure Ohnmacht in dem durch den Tod verursachten, eigenen Unvermögen selbst noch in die Geschehnisse eingreifen zu können, die viele Menschen durch Testamente und Notariatsgänge und Notizen und als Versprechen abgenommene Beteuerungen der bald Hinterbliebenen, prophylaktisch zu überwinden trachten. Alles verläuft nach systemischen Rechts- und Unrechtsregeln. Die Regeln können kritisiert werden und angezweifelt und angefochten und gebrochen. Wenn sich aber die künftige Tote entscheidet die Regeln nicht nur nicht zu beachten, sondern stattdessen einen entzündeten Lynchknoten als Grauzone schaffend selbst Recht zu sprechen, dann muss dieses absolut gelten. Jede Kritik daran wäre persönlich. Eine Respektlosigkeit der toten Mutter gegenüber, die die Beziehungen zu Vater und Schwester nicht hätten unbeschadet überstehen können. Das Recht war bei ihr und sie war das Recht. Der Versuch zu vermitteln, dass es nicht in erster Linie um den tatsächlichen Betrugswert, sondern vielmehr um eine persönliche Kränkung geht, die viel schwerer wiegt als die nun verlorenen Zweidrittel wäre eine vergebliche Blendung, die mit ihrem Glanz in den Augen der beiden anderen doch sowieso nur goldgelber Giftneid wäre. Also schweigt die töchterliche Tresorraum-Theresa in pflichtbewusst teilungsfreudiger Milde, ohne dass die Gabe den Anwesenden überhaupt bewusst wäre. Tu ungewollt Gutes und rede nicht darüber.
Der Witwer und die beiden Töchter der Verstorbenen verlassen gemeinsam das Bankgebäude. Gutes Einvernehmen zwischen den Hinterbliebenen. Keine Altlasten. Gleichberechtigt sind sie jetzt. Und zeichnungsberechtigt. Die Betrogene weiß, dass es nun zu spät ist über das Wemgehörtwas? und das Wemwieviel? zu sprechen. Jedes Wardasnichtmeins?! wäre pietätlos und vergeudet.
Vergoldet ist das Andenken an die Mutter, was eine Beurteilung über den Reinheitsgrad, der in der verklärten Erinnerung reinweißen Weste, unmöglich macht. Jeder Zweifel daran würde nur die Barrengier der Undankbaren zum Ausdruck bringen. Die Restfamilie trennt sich und geht nachhause. Niemand denkt nur im Entferntesten daran noch gemeinsam auf einen Kaffee oder ein Kipferl oder eine Käsekrainer zu gehen. Die Phase des ernstgemeinten Bedauerns darüber zu wenig Zeit miteinander zu verbringen, die ein Todesfall oft mit sich bringt, verfliegt zumeist in der viel zu intensiv gemeinsam verbrachten Zeit der Planung des Begräbnisses und der Termine auf den Ämtern und der Aufteilung des Nachlasses. Und so sieht man sich genauso wenig wie zuvor, bis dann das nächste Begräbnis denselben, halbherzigen Nachdenkprozess mit einer Halbwertszeit antiatomaren Ausmaßes auslöst. Wer die Kernfamilie nicht spaltet, bringt alle um. Der Vater und die Schwester gehen nachhause. Erleichtert. Keine weiteren Fragen. Sie, die vormals Reichere, in dem Bewusstsein die Fragen der eigentlichen Adressatin nicht mehr stellen zu können, wird sich diese nun selbst stellen. Das ist sie so gewohnt. Zuhause wurde sie nie von jemandem irgendetwas Relevantes gefragt. Wer die Nassräume teilt und das Wohnzimmer und die stickige Luft zum Atmen hinter den immer geschlossenen Rollläden, die das traute Heim abteilen gegen das Fremde da draußen, teilt nicht immer eine Welt.
Manche Kinder werden in die falsche Familie geboren. Dieser Satz steht vor ihr. Unangreifbar unumstößlich. Als Wahrheit, die ihre Wirklichkeit beschreibt und dabei nicht einmal behauptet, es gäbe ein Kind, das an ihrer Statt gepasst hätte.
Sie ist überzeugt dieses Kind gibt es nicht.
Sie wurde auch nur aus einem katzengoldenen Kuckucksei in diese Welt geworfen. Von dieser Frau.
Sie konnte es nie richtig machen und dann machte sie auch noch alles falsch.
Ihre Kindheit war ein Turmzimmer voll Stroh. Dort fällt es sich weich.
„Was machst du?“
„Ich spinne.“
stroh zu gold stroh zu gold stroh zu gold stroh zu gold klingt es fortwährend in ihrem Kopf.
Doch wer hätte sie sehen sollen von den Säuen, diese Perle.
Die Mutter konnte nicht verstehen. Die Mutter hatte Angst. Die Mutter hatte keine Macht. Die Mutter hatte nur Gewalt. Trotzdem hat sie den Namen der Tochter nicht erraten. Wer reißt sich jetzt entzwei?
Einmal war sie kurz davor gewesen die Tochter zu erkennen. Eine groteske Busfahrt in die Kronländer als Festung des Schönen. Nicht einmal die eingeschlossene Golden Hour der Frühe kann dieser Erinnerung einen Dolchstoß versetzen. Die damals an der ungarischen Grenze nicht gekaufte Heizdecke wärmt schwach in aller Einsamkeit von innen. Über der Armlehne des Erbfauteuils hängt die Tochter und den Momenten nach. Wenn das deine Mutter wüsste, das Herz im Leib tät ihr zerspringen. Zu Lebzeiten war das mütterliche Herz, ganz im Gegensatz zu ihrem eigenen, immerzu intakt gewesen. Wird sich das noch ändern, jetzt wo sie tot ist? Verschieden ist sie, denkt die Tochter. Doch wohl immer noch dieselbe. Sie klammert sich an den altbewährten Strohhalm zur Widerherstellung der Fakten und der Empathielosigkeit. Wenn alle anderen reißen, so bleibt dieser eine Strick, den die Mutter ihr damals als ultimativen Lebensausweg angeraten. Es ist besser so für dich. Für uns alle. Die externalisierte Strafe für das eigene Unvermögen die Liebe der Tochter nicht als Schande zu empfinden. Nie wurde zwischen gefletschten Goldzähnen mehr Hass hervorgepresst als bei der Verteufelung des Schönen, um das frau sich selbst betrogen fühlte. Mit dem finistrischen Tau seilte sich die Liebende ab, wickelte ihre Siebensachen ein und verließ das Haus. Sie hatte dort wohl nie gelebt. Stock und Hut. Wie sie damit aussah, konnte ihr gleichgültiger nicht sein. Wohlgemut war sie bestimmt nicht. Die Mutter endlich dort, wo sie hingehörte: aus dem Auge und dabei immer noch von Sinnen. Und doch unmöglich sie zu hassen. Manche Menschen entwickeln mit der Zeit im Leben eine Einzigartigkeit, andere sind von vornherein dazu bestimmt. Verdammt! Mutter kann durch nichts ersetzt werden. Wie will die Tochter die Erinnerung ummünzen, wenn sie in der Betrügerin irdischer Abwesenheit um Dukaten betrogen zurückbleibt? Vor dem Duktus der Hexe Kniesebein kann sie sich nur ducken. Oder sie muss ihn zerhäckseln.
Es bleibt nur die Ausflucht ins Bessermachen. Das eigene Dasein als Elstermutter.
„Kinder, merket eines: Alles könnte Gold sein. Und alles, was glänzt gehört euch.“
Die eigenen Küken bepinselt sie großzügig. Tunkt sie ein in den Goldtopf. Immer und immer wieder. Kaum geschlüpft schafft sie ihnen eine neue Schale. Meterdick und glänzend. Selbst wenn ich wollte, nie werd‘ ich euch brechen können.
Dabei merkt sie gar nicht, wie sie bei den Anstreicharbeiten Sprenkel abbekommt. Zögerlich bleibt an ihrem rauen Gerüst der ein oder andre Tropfen hängen. In den seltenen Sonnenstunden glitzert sie. Unbemerkt. Die Kinder werden älter. Ihr Goldpanzer zerkratzt. Die Furchen doch nie tief genug, um sie zu verletzen. Wie sind wir so beschützt, behütet? Mit der Zeit schauen sie hin. Im richtigen Licht entdecken sie die Spuren der eigenen Unverwüstlichkeit auf den Schultern der Urheberin. In zögerlichem Einvernehmen greifen sie lächelnd nach den Pinseln. Ganz sanft, ohne dass die Mutter es bemerkt, beginnen sie ihr Werk. Schicht für Schicht tragen sie auf und tragen dabei die Lasten ab, die unterdrückten. Unerträglich.
In diesem Glanz, der ihr zurückgegeben, erhebt sich die Mutter am Abend. Der Mond wirft seine ersten Schatten und löst die Demütigung in silbriger Fahlheit auf.
Niemand spottet mehr. Sie selbst hat sich aus dem Elend erlöst. So steht sie vor dem leeren Kreuz. Wirft nicht vor. Kein Grund zur Vergebung. Ich weiß, dass du wusstest, was du tust.
Wahrlich ich sage dir: nirgends wirst du sein. Heute nicht und nie. Das Paradies ist hier, da wo du nicht bist. Frau siehe, das ist deine Tochter! Meine Herrin, meine Herrin, ich habe dich verlassen. Mich dürstet nicht mehr. Ich habe es vollbracht. Mutter, mein Geist ist stets in meinen Händen.