Die Stadt
Es gibt eine leere Stadt. Die Zeit steht wie die Luft. Der Platz erinnert an einen Kinderfänger. Ein Turm steht da. Nicht in der Mitte. Als hätte man ihn hinauszentrifugiert.
Im Boden: Löcher. Für die Galgen. Man hat sie nie versiegelt. Zur Sicherheit.
Der Rest ist Spielzeug rundherum. Modelleisenbahnlandschaft: ein stillgelegtes Umspannwerk, Felder, Wälder, Wiesen, Haus und Hofer. Eine Wand? Vielleicht. So weit waren du und ich nie fort. Das Spiel ist noch nicht aus. Oder es hat noch nicht begonnen.
Eine Welt ohne Figuren. Nur wir beide.
Ich gehe mit meinem blauen Plastik-Jojo die gepflasterte Straße hinauf und hinunter.
Du wartest auf die Rückkehr der anderen.
„Sie sind lange weg.“ sage ich.
„Vermisst ist nicht tot.“
„Und wenn sie leben, hierher kommen sie nicht zurück.“
„Und wenn doch, so werde ich hier sein.“ Ich auch. Wo denn auch sonst. Mit einer Nelke im Haar sitzt du am Stadtturm. Sie welkt im Dunkeln und du siehst es nicht. In der Früh lässt du sie im Fluss davontreiben. Sie geht unter. Strudelt so wie alles auf den Grund. Du pflückst eine neue und setzt dich neben den Turm. Und es wird wieder Abend.
Auch am Tag wissen wir beide nicht wohin. Die Wegmarken sind lange verwittert. Die Zeiger der Uhren zeigen alle in eine Richtung. Was dort sein soll, weiß ich nicht. Frieden ist immer nur Ort und Zeit dazwischen. Selbst die Wildnis und Steve Reich halten kurz inne. Intensiv. Selten. Wie der Krieg.
Nur die Zigaretten glühen immer weiter. Eine mit der anderen angezündet. Alles Glut, Asche, Staub und Neuwagen.
Dann setzt die Musik wieder ein. Oder der Wald.
Je nachdem, wie viele Zigarettenlängen der Frieden gedauert hat, ist die Überraschung über dessen Ende größer, oder weniger groß. Oder es steht immer noch nullzunull.
Du sprichst von Plänen und ich kann dich nicht nachvollziehen. Alles steht unverrückbar fest und die Zeichen auf Krieg. „Gehst du hin?“, muss ich zurückfragen. Wer sollte uns denn holen und wohin? Sie haben uns nicht vergessen, sie sprechen nur nicht mehr über uns. Wie kannst du hoffen, dass sie zurückkommen, wenn dies nur bedeuten kann, dass sie uns holen. Für die nächste Runde. „Letzte Runde, letzte Runde!“, rufen sie jedes Mal verschwörerisch. Der Krieg ist kein Kirtagsfahrgeschäft. Alles nur verheiße Luft. Sinnlos auf- und laubgeblasen. Von still beohrten Tauben in die Welt gegurrt. Festgezurrt ins Lazarett. Genesung auf dem Himmelbett. Auf, dass du bis zum nächsten Einsatz wieder zusammengewachsen bist. Ein fittes Fleichpflanzerl in Vorfreude auf das Feuergefecht. Zum gleich Essen oder zum Totschießen? Kein Hunger mehr auf Erden. Alte Meister können wir auftauen und frittieren. Go West und guten Appetit.
Der Himmel
Wer von uns den Blick nach oben richtet, sieht nichts. Fahl ist gar kein Ausdruck für einen Himmel, der niemals Farben gekannt haben kann. Sonne, Mond und Sterne sind auf diesem Untergrund eine Zumutung. Die Anspannung lässt nach, wenn wir die Wolken nicht mehr zählen können. Sie sich zu einer einzigen, undurchdringlichen Decke verdichtet haben. In der Dämmerung werden auch die Nelken ihre Farben verlieren. Alles ist Sand. Nur das süßholz-schwarze Schneckenloch scheint in seiner Lakritze heller. Verschwindet nicht im Sepia. Schwebt leicht oberhalb des Ockersees.
„Zwölf Stück haben wir noch.“ Aus besseren Zeiten möchte ich sagen, bis mir einfällt, dass diese eigentlich jetzt sein müssten.
„Wie viele waren es beim letzten Mal?“, fragst du.
„Zwölf.“
Ich trenne die beiden Fäden der Schnecke zum Teilen auf. Die restlichen zwölf knittere ich zurück ins Papiersackerl.
Für bessere Zeiten. Für schlechtere Zeiten. Diese oder jene. Zeiten und Unzeiten.
Viel zu weit weg ist der Himmel, um ihn zu riechen. Wo fängt er an? Dieser wahrscheinlich gar nicht. Sengt die Sonne unser Felder zu Tode, sind wir die bleichen Sensenmänner der schwarzen Ähre. Der Himmel verdingt sich im Acker.
Du glaubst dem Himmel mehr als ich. Ich denke, er lässt uns im Stich. Wie alles.
Du meinst dort oben manchmal ihre Gesichter zu sehen. Ich sehe nur dich. Daran kann ich glauben. Tag und Nacht sind eine Spieluhr. Wenn Großvater sie aufzieht, beginnt alles wieder von vorne. Nur manchmal neigt sich die Sonne dem Ende zu. In eine Richtung, die wir nicht kennen. Die Sterne klirren. Sie wackeln. Kontakt bricht ab. Der Mond hält sich raus. Das ist nur eine Phase.
Vielleicht waren die Himmelskörper einmal eins. Und das, was jetzt der Himmel ist, die Haut, die alles unter sich zusammengehalten. Ein Mensch. Eine Richtung. Eine Mission.
Die häutige heutige Himmelsdecke ist nie gerissen. Sie hat sich aufgefaltet. Unbemerkt. Und die Einzelbestandteile des Körpers einer undefinierbaren Ätherverlorenheit preisgegeben. In ihrer Verzweiflung stoben sie auseinander, die himmlischen Organe. In ihrer Vereinzelung sind sie zu nichts mehr nutz. Können nicht mehr zusammenfinden. Die Sterne senden Strahlen aus, in der Hoffnung von den anderen gesehen zu werden. Werden immer heller. Ihr eigener Schein macht sie blind. Nie können sie die anderen erkennen. Ihr Zerbersten in millionen Splitter ist der spektakuläre, letzte Schrei, einen Funken Aufmerksamkeit zu erlangen. Und alle Hoffnung auf ein Wiedersehen verglüht. Uns haben sie hier vergessen. Uns Kinder der Sonne. Bleich und vernachlässigt, waren wir lange nicht in gesunde Farben getaucht. Es mangelt an allem. An Licht nie, doch das macht uns Angst. Wer im Licht, ist wird gesehen. Wer im Licht ist, wird vergehen. Schnell zurück in die Bunker. Diese sind schon lange an der Oberfläche, schon lange nicht mehr echt. Doch immer nicht beleuchtet. Du selbst strahlst noch schwach nach außen. Ich klebe mich zähflüssig in deinen Orbit, damit zumindest wir zusammenbleiben können. Ich bin nur der Mond. Du leuchtest mich an. Strahlst für zwei. Illuminierst meine Illusion. Operativ ist nichts mehr zu retten. Das Hirn tot. Die Organe hilflos, hirnlos, hinfällig, schwerfällig im All treibend.
Falls noch etwas lebt, brodelt es atmosphärisch weit darunter. Nasskalt kumulierte Watttigkeit. Der Wolk im Schafspelz. Sie lügen und lassen uns im Regen stehen. Sie ziehen auseinander. Über uns hinweg. Brauen sich zusammen. Verdünnisieren sich. Verschwinden täuschend echt im Himmelblau. Sammeln sich im Unsichtbaren. Erniedrigt drücken die Neider uns nieder. Die Wärme trügt. Sie decken uns gewaltsam, dicken uns luftig ein. In ihnen weht es eisig. Sturm.
Der Himmel wölbt sich. Die Wolke gelbt sich. Bald hagelt es. Mich aus.
Das Gebet
Meinen Augen traue ich schon lange nicht mehr, doch das, was ich nicht sehen kann, kann ich nicht glauben. Ich bete zu den Steinen, zu den Feldern, zu den Ästen. Zu dem, was war, weil alles, was noch sein wird, sehe ich nicht. Und alles, was ist, macht mir Angst. Meistens aber bete ich zu dir. Dich an. Wenn mich niemand hören kann und niemand, das bist du.
Kantilenen und Rauchringe möchte ich mit dir verzehren.
Vergorenes für die Verlorenen. Der Nachgeschmack von überreifen Kirschen bleibt zwischen den Zähnen kleben.
Luftbläschen an den Algen sind wir. An die Oberfläche gestiegen. In Hochspannung zerplatzt, wenn vorher nicht schon die spitzen Fühler der Garnelen uns erwischt hätten.
Wir suchen uns ein Bett aus Moos und legen unsere müden Köpfe darauf.
Wenn die Feuchtigkeit unsere Wirbel erreicht, verwesen wir gemeinsam, oder ziehen uns mit letzter Kraft aus dem Schlamm.
All die Hoffnung, die ich an dich knüpfe, spinnst du weiter in die Luft. Die Reste der Kirschen fliegen später durch den Äther. Prallen dort auf keinen Widerstand. Verpuffen.
„All die Träume aufgestiegen.“ Wohin, das sagst du mir nie.
Könnten Kerne Kriege kapern, wir hätten schon tausendmal die Zeit zerkirscht, zerknirscht, zerspuckt. Doch es war schon lange nicht mehr Sommer.
Immer schneit es. Kirschblüten zu Schneeflocken und Schneeflocken zu Asche.
Was fehlt, wenn nichts mehr vom Himmel fällt?
Die Schatten über uns würdigen wir keines Blickes.
Gehen geduckt darunter und beten: nur keine Raketen. Bis die Sonne wieder durchbricht. Scheint so, als wäre nichts gewesen.
Übermütig siehst du mich an, springst und voltigierst dabei ungewollt die viel zu tief hängenden Wolken. Ein wilder Ritt. Rücklings deine Glieder wieder in die Lieder werfend.
Wäre die Zeit nicht schon lange tot, dann würde sie jetzt schneller vergehen. Dort liegt sie reglos. Irgendjemand hat sie eingegraben. Selbst daran können wir uns nicht erinnern. Kein Gedanke regt sich. Uns bewegt schon lange nichts mehr. Und wir keinen Hebel. Die Nebel knebeln unser Tun. Sägen durch die Klarheit. Verstellen uns jede Sicht. Mit ihnen verdichtet sich auch die Vermutung, dass es dahinter wohl nichts zu finden gibt. Du kehrst also immer wieder zu den Bräuchen derer zurück, die uns verlassen haben. Beweihräucherst deine Sinne. Machst dir im Kopf ein Bildnis. Ahnst die Ahnen. Bekennst dich zu dem Bekannten. Alle deine Wege kreuzen sich und haben vierzehn Schritte. Dreimal fällst du. Der Schmerz, der dich durchzuckt, heißt für dich Leben. Wofür das alles, fragst du dich nie.
Glauben und vertrauen. Das ist gut genug.
Die Feiertage richtest du nach Sonne, Mond und Trauer. Ohne Zeit sind alle Bräuche heidnisch. Nur die Wörter, die du gebrauchst, erinnern daran, dass das alles einst, in den Büchern festgeschrieben, seine Richtigkeit hatte. Wörter, die ich schon lange gern als trügerischen Alptraum abgetan hätte. Doch ausgesprochen sind sie zu vertraut.
Warum kannst du sie nicht endlich ruhen lassen.
Immer noch versuche ich den Fragen auf den Grund zu gehen. Die verlorenen Anhaltspunkte in geregelte Bahnen zu lenken. Der Boden ist hart, die Gewässer zu stark.
Dämmerung für meine Dämme immerfort. Jede Mauer stößt unweigerlich an ihre Grenzen. Die Sande zerlaufen. Sind uns nur mehr die Substanz für Sandburgen. Keine hohen Türme sollen es sein. Die dicken Grundmauern allein beruhigen beständig. Wir kneifen die Lider zusammen, bis die Körner zur Mauer verschmelzen. Die feste Burg kann niemals fallen, die Schneeflocken darauf. Decken sie putzig verputzt zu. Betrachten ihr Werk und rinnen an den Seiten runter. Unmerklich tragen sie Schicht um Schicht ab. Die Mauern, abgeschliffen, tragen für einen Augenblick den Glanz des Beständigen, bevor sie langsam erodieren, oder von den Wassern endgültig überspült, zerteilt, aufgelöst werden. Die Ruinen könnten uns berühren, wäre nicht alles ohnehin schon ruiniert.
Der Neophyt
Wer es in der Stadt nicht mehr aushält, fährt aufs Land. Nur um es dort dann auch nicht mehr auszuhalten. So wie die meisten Fragen stellt sich jene nach dem Ort jedoch schon lange nicht mehr. So sind wir hier hineingeworfen. Ohne Hintergedanken und Verwerfungen.
Viel öfter als etwas aus dem Boden heraus, schießt jemand in den Boden hinein. Zwischen den Löchern findet sich noch dort und da Grund. Etwas nistet sich ein. Wir könnten all den Pflanzen beim Wachsen zuschauen. Er war plötzlich da.
Hin und wieder muss etwas Neues wachsen, damit es wieder etwas zu Töten gibt.
Knöterich Töterich. Und er sieht so aus, wie die, die wir mit aller Macht vergessen mussten. Haben. Wir wissen, er wird unheilvoll uns überwuchern. Wenigstens bringt er etwas. Der Einzige, der wuchs, also nahmen wir ihn.
Wer denkt beim Anblick einer Pflanze an das Töten?
Wenn Blumen blühen an diesem Ort, sind alle Mühen und Sorgen fort,
sangen die Alten, als sie noch unter uns waren. Die, die nicht mehr sind und damals schon nicht mehr waren, sind die einzigen, die immer noch unter uns sind. Dort liegen sie. Auch ihre Mühen und Sorgen sind bei uns.
Gewarnt hat uns niemand, und so sahen wir auch dem Neuen nur beim Wachsen zu. Nie kam neues Leben über uns, zwischen uns. Gar nie in uns.
Baum des Lebens, hätte dich beinahe jemand pathetisch genannt. Baum der Hoffnung.
Wie sollst du uns etwas geben, das wir nicht kennen?
Fette grüne Blätter sprossen aus dir heraus, wie wir sie noch nie gesehen. Selbst in den Urwäldern, fern wie nie in Raum und Zeit, konnte das Wagnis dieses Wachstums niemand je eingegangen sein. Eingehen wirst du nimmer, auch nicht in unsere Geschichte. Wer sollte diese auch schreiben? Wir beide hofften, du würdest nie aufhören. Deine Zweigenkrone zöge ganz die letzten Dornen aus der Geschichte. Endlich zu Ende. Und wahr wär nur was ist und sein wird, nie wieder was war:
Ein einziges Warlos. Unwar kocht ein letztes Mal Uralwasser am Samowar, bevor es, die Hänge verbrühend, ins Tal donnert.
Du holst mich und zeigst auf seinen Stamm nah bei der Erde:
„Er verholzt.“
Seit Menschengedenken, und die Menschen das sind wir, war nie das Ende nahe, doch trotzdem alles immer nur entwurzelt, -zaubert, -bunden, -ehrt.
Und als alle uns verließen, mit ihnen auch das letzte lose Ende. Jetzt bist du hier. Mit Blättern, Ästen, Zweigen, dem hölzernen Stamm, verwurzelt. Wenn eine Raupe sich zu dir verirrt, verpuppt sich, verwandelt, verzaubert uns. Nur bitte kein Zerschmetterling. Wir empfinden das, was vielleicht Freude genannt werden mag. Die absonderliche Absenz der Verzweiflung. Die abscheuliche Essenz des Vergessens. Deine Jahre scheinen schneller zu vergehen.
Oder die Ringe, die Ringe in deinem Stamm, spannenlanger Hansel, sind nudeldick.
Mein Hirn!?
Ganz ohne sichtbare Widersprüche synthetisierst du massenweise Sauerstoff. Versüßholzraspeln müsste man dich. Du und ich hätten uns sonst früher oder später noch den letzten Atem geraubt.
Sprosse für Sprosse kletterst du weiter in der Leiter unserer Ehrfurcht. Eine Knospe macht noch keinen Frühling. Bei dir aber kündigt sich ein unzähliger Rosengarten an. Ein Baum, unumstößlich, zum Berge ersetzen. An einem Frühlingstag erwachen wir, aufgeschreckt durch Schüsse. Die Blüten platzen auf, singen das englische Knalleluja. Das erste Mal seit langem, schweigen du und ich uns aus Demut, anstatt aus Sprachlosigkeit an. Selbst wenn wir noch sprechen könnten, hätten wir keine Worte für deine Farben. Brutal blühst du uns nieder. Ehrfürchtig erdrückt geben wir alle Verantwortung ab. Liederliche Leichtigkeit. Lädierte Lämmer Gottes. Laissez-faire, Untergeher. Unterdrückt, ausgeschmückt. Schmucklos rein. Herrlichkeit Natur. Ave Arbore.
Nach dem Frühling geben wir nicht nur dem Platzt, nein der ganzen Stadt, deinen Namen. Deine haushohen Blätter werfen Schatten auf halb Neu-Phytien. Wir sind nun gewappnet. Und du sollst ein Wappen haben. Ist das Zivilisation? Dort wo deine Krone endet und das ist weiter als die Mauern, spüren wir immerzu deine Wurzeln unter uns.
Der Herbst kommt und deine Blätter färben sich bedrohlich. Du wirst doch wohl nicht…
Und doch. Du wirfst sie alle ab. Es kracht. Zeigst uns deine Äste, dein Skelett.
„Ich kann den Himmel zwischen ihm nicht mehr finden.“
„Hast du Angst?“
„Dort müsste er doch sein. War doch nur von den Blättern die Sicht verstellt.“
Du zeigst nach oben und ich versuche mit aller Kraft den Himmel zu finden.
Dort ist er auch, bin ich mir sicher. Sehen kann ich ihn nicht. Die Erinnerung zeigt mir ein Bild, wie es den Himmel nie gegeben hat. Unsere Hirne sind verästelt. Wir können dich begrenzen, beschneiden, zäumen, wie machst du uns also Angst?
Meinst du etwas Böses.
„Meinst du er meint irgendetwas?“
Du siehst so anders aus als auf dem Wappen, das wir dir geschaffen.
Unser Bild hat nie gefunden, was du bist.
Riesige Kohorten mögen warten vor den Pforten. Oder nicht?
Du lässt uns im Dunkeln tappen. Und wenn sie da sind, spendest du ihnen Schatten.
Es schneit und du erfrierst. Zu schnell zu mächtig. Nicht wetterfest im Festtagswetter. Du vergehst und wir hätten dich vergessen. Doch hast du den Himmel nun ganz mitgenommen. Es schneit und wir frieren. Wir sind scheinbar langsam den Zeiten gewachsen. Nach deinem Tod überwiegt nicht Trauer, nicht Triumph. Wie hatten wir nur an dich glauben können. Wie hatten wir nur nicht sehen können, dass du so bist wie sie alle davor. Doch: wir wollten glauben. Wir konnten sehen. Es bleibt also nur Scham und Reue vor uns selbst. Verleugnung? Es gibt hier niemanden, vor dem wir hätten versuchen müssen das Gesicht zu wahren.
In weichen Schnee hüllen wir uns ein. In dumpfe Versöhnlichkeit.
Die Nähe
Im Schnee ohne Spuren den rechten Weg gehen. Wer suchte der findet, wer siechet der schwindet. Dieser Ort hat keine Zeit. Wie wir. Alles ist wahr. Nichts und niemand zählt mehr. Ordnet. Alles ist gleich gültig. Und mir alles. Außer dir.
„Kannst du dich an etwas erinnern?“
Deine Gedanken tropfen zäh auf die modrigen Überreste der majestätischen Blätter.
Grauer Honig aus Zellenwaben.
„An nichts, was wirklich gewesen sein kann.“
Uns hat damals niemand fortgeschickt. Um uns zurücklassen zu können, hätte jemand an uns denken müssen. Ich denke, du irrst, wenn du meinst wir wären hier immer schon gewesen.
„Ich nehme Raum und Zeit in Zaum und reit wieder zurück“, sagte ich unzählige Male stumm zu dir. Es ist die Freiheit, die mich aufhält. Weil: wohin?
Tonnenweise Brotkrumen streue ich aus und finde dennoch nie nachhaus.
„Kannst du dich an irgendetwas erinnern?“
„Wenn, dann bestimmt nicht an den Weg.“
Beim Hinaufschauen merke ich: selbst die Sterne lassen mich im Stich. Alle leuchten.
Nicht einer heller. Der Stillstandshimmel lässt mich gleichförmig verderben.
Es gibt nur mehr ein Bild. Das Einzige, das immer noch Geschichte macht. Die Schlacht.
Bevor du zum Turm gehst, siehst du mich an. Beim Blick durch dich hindurch sehe ich alles klar vor mir.
Noch im Schützengraben werd ich daran denken.
Wie Musik die Gesichter erleuchtet.
Wie Gedichte uns innerlich Häuten.
Wie sonnenwarme Steine sich in den Rücken formen.
Wie sich Augen um Augen ineinander verzahnen. Ohne Gewalt.
Wie Berge ihre Schatten ins Tal werfen.
Die Zumutung ist blassrosa und bodenlos. Ich nehme sie schon lange nicht mehr ernst.
Die Sonne spiegelt kalt in meinen Tränen deine Augen.