Das Literatenleben ist bekanntlich kein Honiglecken. Das gilt auch für eine Gruppe von Autoren in San Francisco und Portland in den Jahren zwischen Beat Generation und summer of love, die Don Carpenters Roman Freitags im Enrico’s bevölkert. Im Zentrum dieses Literatenzirkels steht der Korea-Veteran Charlie Monel, von dem seine Bewunderer nichts Geringeres erwarten als den „Moby Dick des Kriegsromans“ oder wenigstens den Nachfolger von Norman Mailers Die Nackten und die Toten.
Charlie teilt diesen hohen Anspruch und wird darin noch bestärkt von seiner Frau Jaime Froward, die ebenfalls schriftstellerische Ambitionen hegt. Während Charlie aber Jahr um Jahr Karton für Karton mit Tausenden von Romanseiten füllt, gelingt es Jaime in wenigen Monaten ein Erinnerungsbuch über ihre Kindheit und Jugend zu schreiben.
Spätestens in diesem Moment erkennt Charlie die Hybris seines Unterfangens, das Roman-Konvolut landet in der Mülltonne und er selbst tröstet sich mit Linda, der Muse seines Kollegen Dick Dubonet, der für eine im Playboy veröffentlichte Kurzgeschichte gefeiert wird, dessen Karriere aber sonst nicht so recht in Gang kommen will. Jaimes Debüt hingegen wird zum Bestseller. Mit den Tantiemen und dem Geld für die Filmrechte lassen sich Eigenheim, Porsche und ein Au-Pair-Mädchen für Tochter Kira finanzieren. Und Charlie? „Er hasste das Buch, wollte aber sein bequemes Leben als ihr Ehemann nicht aufgeben.“
Der vierte im Bund ist der Einbrecher Stan Winger, der an einem College bei Charlie einen Kurs für Kreatives Schreiben belegt, später ein erfolgreicher Krimiautor wird und es schließlich als Drehbuchschreiber nach Hollywood schafft.
Drogen und Romanprojekte
Mit Freitags im Enrico’s gelingt Don Carpenter ein facettenreiches Porträt der Post-Beat-Generation, mit atmosphärisch dichten Szenen vom Bohèmeleben im angesagten Viertel North Beach. Dort verkehren die Literaten in der No Name Bar, im Vesuvio oder eben im Enrico’s, konsumieren reichlich Drinks und Drugs und schwadronieren nächtelang über Romanprojekte oder den baldigen Durchbruch. Klar, dass dabei auch um die Wette über Kollegen hergezogen wird, und wer glaubt, dass Schriftsteller weniger zu Neid und Missgunst neigen als beispielsweise Schauspieler, war noch auf keiner Buchmesse. Das Digitalzeitalter ist noch fern, es wird eifrig auf den Tasten von Schreibmaschinen herumgehämmert, wobei Kohlepapiere so unverzichtbar sind wie heute USB-Sticks, und gönnen sich die Schriftsteller nach getaner Arbeit in ihrer Lieblingsbar einen Ramos Fizz oder Wild Turkey, haben sie vor sich kein Brummding liegen, das von Zeit zu Zeit nervende Klingelgeräusche von sich gibt, sondern sie werden bei Anrufen vom Barkeeper höchstpersönlich ans Telefon gerufen.
Das Hohelied über das wilde Leben der Bohème stimmt Carpenter gleichwohl nicht an, dafür ist er zu sehr Realist, vertraut mit Verlockungen und Dämonien des Schreibens. Mögen die Literaten am Ende ihrer Tage auch einsam und/oder rettungslose Säufer geworden sein, sie verlieren trotz aller Verzweiflung nicht ihren Sarkasmus und Witz und machen im Übrigen um ihr Schicksal kein großes Gewese.
Carpenters Blick ist, bei aller Schärfe und Genauigkeit, von Nachsicht und Zuneigung geprägt, kein Wunder, verkehrte er doch selbst viele Jahre in vergleichbaren Kreisen. Carpenter war eng befreundet mit Richard Brautigan, einem der prominentesten Vertreter der counter culture, dessen Werk Forellenfischen in Amerika seinerzeit eine Millionenauflage erlebte. 1984 schoss sich Brautigan eine Kugel in den Kopf.
Carpenter selbst schaffte es nie zu einer vergleichbaren literarischen Prominenz, weder mit dem Kriminalroman Hard Rain Falling noch mit seiner Hollywood-Trilogie. Nach seinem Tod war kein einziges seiner Werke mehr im Druck. Immerhin, 30 Jahre nach seinem Erscheinen, wurde Hard Rain Falling in der Klassikerreihe der New York Review of Books wieder aufgelegt.
Doch nicht nur das Scheitern ist bitter, auch der Ruhm ist nicht immer süß. Zwar gelingt Jaime durch eiserne Disziplin – trotz der immer zahlreicher werdenden durchzechten Nächte sitzt sie jeden Morgen um sechs am Schreibtisch – noch ein zweites, nicht ganz so erfolgreiches Buch, aber der Preis für ihre Schreibobsession ist ein kaputtes Familienleben.
Und Charlie? Findet einen Lektor, der das von Jaime vor der Müllabfuhr gerettete Opus Magnum zu einem leicht konsumierbaren „Moby Dickerchen des Kriegsromans“ umarbeitet, das Charlie endgültig den Glauben an sich und die Literatur verlieren lässt. Aber es kommt noch dicker: Der Vietnamkrieg tobt und Hollywood will aus Charlies nicht tot zu kriegendem Kriegsroman den Antikriegsfilm fabrizieren.
Schreiben und Depression
Als Skriptdoktor wird dem mit den Gesetzen Hollywoods überforderten Charlie ausgerechnet Stan Winger zugewiesen. Der hat nicht nur ein Händchen für die Dramaturgie von Filmen, sondern auch für die des Lebens. Gefangen in einer unglücklichen Ehe, entsteht in ihm die Idee, mit einem Frauentausch seine und Charlies Probleme sozusagen in einem Aufwasch zu lösen. Das Schicksal von Dick Dubonet hat da bereits zahlreiche Kapriolen geschlagen, und der Hinweis, dass „The Great American Novel“ dabei eher nicht herausgekommen ist, fällt gewiss nicht unter Spoilerverdacht.
Schon Kafka wusste, dass „ein nicht schreibender Schriftsteller ... allerdings ein den Irrsinn herausforderndes Unding“ ist. Ins Englische übersetzt klingt das fast noch apodiktischer: „A non-writing writer is a monster courting insanity.“ In Freitags im Enrico’s heißt es lapidar: „Trotz des Frühlings wollte die Depression nicht weichen: sie wurde vielmehr so schlimm, dass Jaime zu schreiben begann.“ Als Carpenter wegen verschiedener Krankheiten nicht mehr in der Lage war zu arbeiten, griff er in die Schreibtischschublade, holte seinen Revolver heraus und tat genau das, was zehn Jahre zuvor bereits sein Freund Brautigan getan hatte.
Tempo kommt vor Tiefgang
Freitags im Enrico’s ist pointiert geschrieben und lässt den versierten Drehbuchautor durchscheinen, als der Carpenter hauptsächlich sein Brot verdiente. Allerdings ist der Preis für das Erzähltempo und die zahlreichen Wendungen eine gelegentlich etwas holzschnittartige Figurenzeichnung, auch sprachliche Raffinesse und philosophischer Tiefgang zählen nicht durchgängig zu den Stärken des Buches. Andererseits glänzt Carpenter immer wieder mit Passagen wie folgender: „Es war gespenstisch, wie sich die Autos anhörten, nur das Brummen der Motoren, während die Reifen lautlos über den Schnee rollten. Kaum waren sie fort, setzte Jaime sich an den Küchentisch. In der Ecke schlief Kira. Draußen begann es wieder zu schneien. Jaime dachte an Selbstmord.“
Don Carpenter: Freitags im Enrico’s. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 2017.
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