Herbst

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Als ich an diesem Dien­stag, dem 23. Okto­ber 1973, um zwanzig Minuten nach acht Uhr wach wurde, ohne dass mich, wie wochen­tags damals üblich, mein vor eini­gen Monat­en mit sechzig Jahren in Pen­sion gegan­gener Vater geweckt hat­te, und es somit  zu spät war, um noch im Rah­men der glei­t­en­den Arbeit­szeit ins Büro zu kom­men, erfasste mich, schon während ich in meinem kalten Zim­mer aus dem Bett sprang, mit ein­er davor noch nie erlebten Inten­sität die Vorah­nung ein­er furcht­baren Katas­tro­phe!

Vor drei Tagen, am 20. Okto­ber, war ich 19 Jahre alt und damit nach damals gel­ten­dem Recht volljährig gewor­den. Meine in der Inns­bruck­er Uni­ver­sität­sklinik mit den weni­gen ihr noch verbliebe­nen Kräften verge­blich gegen den Bauch­spe­ichel­drüsenkrebs und damit um ihr Leben kämpfende Mut­ter hat­te mir in ihrem Grat­u­la­tions­brief noch mit der für sie typ­is­chen tapfer­en Zuver­sicht angekündigt, dass wir meinen Geburt­stag – selb­stver­ständlich wie jedes Jahr mit der oblig­at­en, von ihr geback­e­nen und liebevoll verzierten Torte! – nach­feiern wür­den, sobald sie vom Spi­tal wieder daheim wäre.
Tat­säch­lich sollte sie nur noch ein einziges Mal in ihrem Leben für zwei Tage nach Hause kom­men und dabei den zum Kranken­bett umfunk­tion­ierten Diwan in der Küche jew­eils bloß für den müh­samen, an ihren let­zten Kräften zehren­den Gang ins Bad beziehungsweise auf die Toi­lette ver­lassen.
Die erst vor weni­gen Monat­en bezo­gene, eben­erdi­ge Werkswoh­nung in der Bahn­hof­s­traße in Lend Nr. 84, direkt neben dem Franz Anger­er Volk­sheim der Gew­erkschaft gele­gen, war mit 55 Quadrat­metern die mit Abstand größte, die meine Fam­i­lie zeitlebens bewohnt hat­te! Sie ver­fügte über drei Räume und – erst­mals im Leben mein­er Eltern wie natür­lich auch in meinem eige­nen – über einen kleinen Vor­raum sowie Warmwass­er und ein gle­ich­falls sehr kleines, mit ein­er von meinem Vater mon­tierten Heizspi­rale verse­henes Badez­im­mer, in dem sich auch das – zum ersten Mal nicht mehr auf dem Gang außer­halb der eige­nen vier Wände gele­gene! – Klos­ett befand.
Da sie einen Raum an mich abge­treten hat­ten, lebten meine Eltern also auch in der ersten „abgeschlosse­nen dre­it­eili­gen Woh­nung“ ihres Lebens, die nach so kurz­er Zeit schon ihre let­zte wer­den sollte, wie eh und je in ein­er Wohnküche mit angren­zen­dem Schlafz­im­mer.

Ich ran­nte bloßfüßig über die aus­gekühlten Böden die weni­gen Schritte in die Küche, wo der Vorhang des einzi­gen Fen­sters noch zuge­zo­gen war, und sah im Vor­beilaufen ein Spar­buch sowie etwas Bargeld auf dem Esstisch liegen.
Auch im angren­zen­den Eltern­schlafz­im­mer war der Vorhang zuge­zo­gen. In Sekun­den­bruchteilen nahm ich wahr, dass auf dem Nachtkästchen meines Vaters eine halb geleerte Sli­bow­itzflasche stand. (Er musste sich den Schnaps am Vortag extra gekauft haben, da er, der aus der Wachau stammte, zwar  immer, wenn Besuch kam, mit einem Glas Wein anstieß und so einen „guten Tropfen“, wie er zu sagen pflegte, auch genoss, ich ihn jedoch meine ganze Kind­heit hin­durch niemals Schnaps trinken gese­hen hat­te.)
Die an der Wand neben seinem Bett ange­brachte Nacht­tis­chlampe war eingeschal­tet und bestrahlte indi­rekt die ein wenig aus seinem Mund getretene, wul­stige Zunge im Gesicht meines Vaters, der sich im Pyja­ma und bloßfüßig mit leicht eingeknick­ten Knien an einem sehr dün­nen Strick, der um das in der Zim­merecke durch den Raum führende Ofen­rohr geschlun­gen war, irgend­wann in der vor­ange­gan­genen Nacht erhängt hat­te.
(Seit diesem Tag sollte es mir noch lange Jahre hin­durch großes Unbe­ha­gen bere­it­en, nach dem Auf­ste­hen in der Woh­nung einen Raum mit zuge­zo­ge­nen Vorhän­gen zu betreten. Und so schob ich sie dann Abend für Abend vor dem Schlafenge­hen zurück.)

Wie alle anderen Parteien in diesem der Alu­mini­um­fab­rik in Lend gehören­dem Wohn­haus ver­fügte auch meine Fam­i­lie über keinen Tele­fo­nan­schluss, also hat­te ich alles, was jet­zt getan wer­den musste, per­sön­lich zu erledi­gen, ehe ich mit dem Zug nach Inns­bruck fahren kon­nte, um mein­er Mut­ter die fürchter­liche Todesnachricht zu über­brin­gen.
Rück­blick­end kommt es mir so vor, als habe ich in den darauf­fol­gen­den Stun­den mit dieser Betrieb­samkeit den kaum zu ertra­gen­den Schmerz dadurch vor­erst auf Abstand gehal­ten, dass ich ihm im Wortsinn davon­ge­laufen war: Zuerst ran­nte ich zur Ärztin, deren Ordi­na­tion sich im unteren Teil des Gew­erkschaft­sheimes befand, danach zur Gen­darmerie.

Wobei ich wirk­lich „blin­d­lings“ von ein­er Örtlichkeit zur anderen unter­wegs war und heute, bald ein halbes Jahrhun­dert später, die Rei­hen­folge logisch rekon­stru­ieren muss, da die noch immer Bek­lem­mungen aus­lösenden Bilder jew­eils für sich zu ste­hen scheinen.

Anschließend gab ich auf dem Weg zum Ort­sp­far­rer Franz Guggen­berg­er, bei dem ich auch schon einen Begräb­nis­ter­min vere­in­barte, im Büro Bescheid, warum ich heute nicht zur Arbeit erschienen war. (Eine Arbeit, mit deren Geld ich beab­sichtigte, mir in ein, zwei oder vielle­icht drei Jahren des Sparens das von mir geplante Studi­um an der Wiener Fil­makademie zu finanzieren.)

Nach­dem die Gen­darmeriebeamten den Leich­nam meines Vaters freigegeben hat­ten, kam das Bestat­tung­sun­ternehmen Wazlawik aus Schwarzach. Im Leichen­wa­gen fuhr ich dann in den Nach­barort mit, um in der Fir­ma von Kränzen über Partezettel bis hin zur Sar­gauswahl alle geforderten Entschei­dun­gen zu tre­f­fen.
Beim Bestat­ter ver­suchte mich die Frau des Eigen­tümers im herb­stlichen Halb­dunkel des Raumes mit gedämpften Worten zu trösten. Dabei erschien mir das, was sie sagte, als abso­lut ver­rückt, ger­ade weil sie es mit so großer Überzeu­gungskraft vor­brachte, als glaubte sie tat­säch­lich auch selb­st daran; als seien diese Worte nicht ihrer jahre­lang aus­geübten Pro­fes­sion geschuldet, wenn sie sagte, dass es ganz bes­timmt der Föhn gewe­sen sei, ja, der Föhn habe meinen Vater Suizid verüben lassen.
Ich nick­te, ohne etwas darauf zu sagen. Erst viel später erfuhr ich, dass ihm, einem erkennbar hyper­sen­si­blen und leicht in Angst zu ver­set­zen­den Men­schen, in der Uniklinik in Inns­bruck mehr oder weniger im Vor­beige­hen mit­geteilt wor­den war, dass seine Frau Wei­h­nacht­en „bes­timmt nicht mehr“ erleben werde!
So sehr, wie dieses Paar aneinan­derge­hangen war, wäre meinem Vater ein Leben als Witwer abso­lut unmöglich gewe­sen! Daran hat­te ich nicht den ger­ing­sten Zweifel. Auch nicht, dass er längst auch auf anderen Wegen in Erfahrung gebracht hat­te, dass es bei Bauch­spe­ichel­drüsenkrebs keine Heilung gab. (Jahrzehnte später sagte mir mein in Inns­bruck leben­der Cousin Hel­mut, der meine Mut­ter für die paar Tage Auszeit aus der Klinik mit dem Auto nach Lend gefahren hat­te, dass sie „so elend“ beisam­men gewe­sen war, dass er schon befürchtete, sie sterbe ihm während der Fahrt.)

Selt­sam, in welch­er Deut­lichkeit mir nach dem Ver­lassen des Bestat­tung­sun­ternehmens über Jahrzehnte hin­weg eine vol­lkom­men neben­säch­liche Szene in Erin­nerung geblieben ist: Auf dem Weg zu dem neben dem Bahn­hof gele­ge­nen Post­amt in Schwarzach begeg­nete ich einem flüchti­gen Bekan­nten, der ger­ade an der Straße als Ver­mess­er tätig war, und dem ich auf seine nur als Floskel gedachte Frage, wie es mir gehe beziehungsweise was ich denn in Schwarzach mache, sofort vom Selb­st­mord meines Vaters erzählte und von den vie­len Din­gen, die ich im Zusam­men­hang damit jet­zt hier im Nach­barort zu erledi­gen hätte, bevor ich weit­er hastete, als wäre ich tat­säch­lich ger­ade dabei, vor irgend etwas davonzu­laufen.
Vom Post­amt in Schwarzach schick­te ich meinem Brud­er Franz, der als Sohn eines Brud­ers mein­er Mut­ter eigentlich mein Cousin war, den meine Eltern aber von sein­er Geburt an als Ziehsohn angenom­men und uns bei­de gle­ich­berechtigt als Brüder aufge­zo­gen hat­ten, da Franz’ leib­liche Eltern bere­its sehr viele Kinder hat­ten, ein Telegramm in die Schweiz, in der er seit eini­gen Jahren lebte, da er in Neuhausen am Rhe­in­fall als Chemik­er im Forschungsin­sti­tut der Alusu­isse beschäftigt war, zu dessen Konz­ern auch die Alu­mini­um­fab­rik in Lend damals noch gehörte.
Dann rief ich die väter­lichen Ver­wandten in Niederöster­re­ich an sowie meine Tante, die jüng­ste Halb­schwest­er meines Vaters – er war das ledi­ge älteste Kind sein­er Mut­ter gewe­sen –, die als Ordenss­chwest­er in der Apotheke des Kranken­haus­es der Barmherzi­gen Schwest­ern in Linz tätig war. Es über­raschte mich, wie gefasst sie die Nachricht auf­nahm; ganz so, als han­dle es sich um das, was man einen natür­lichen Todes­fall zu nen­nen pflegt. Auch später, als sie zum Begräb­nis anreiste und einige Wochen danach, als sie mich erneut für ein paar Tage besuchte, hörte ich von ihr kein einziges Wort darüber, dass es meinem Vater wom­öglich nicht zuge­s­tanden wäre, sich selb­st gegen das Weit­er­leben zu entschei­den. Sie erwäh­nte nur, dass er in seinem ganzen Leben immer schon alles sehr schw­er genom­men habe, was ich sofort bestäti­gen hätte kön­nen, es jedoch aus einem unerfind­lichen Grund nicht tat. Irgend­wie hat­te ich den Ein­druck, so wenig über­rascht, wie sie war, als habe sie mit so einem Ende bei ihm schon längst gerech­net. (Die bei­den ver­standen sich ihr Leben lang außeror­dentlich gut – der überzeugte Sozial­ist und die Kloster­schwest­er!) Überdies machte sie eine Andeu­tung, dass Papa ihr gegenüber offen­bar bere­its Suizid­ab­sicht­en geäußert habe. – Ver­mut­lich im Zusam­men­hang mit sein­er panis­chen Angst vor Krankheit­en, seit er – davon immer wieder erzäh­lend – als Kind den grauen­haften Kreb­stod eines Onkels miter­leben musste, der sich vor Schmerz selb­st die Lip­pen vol­lkom­men zer­bis­sen hat­te! Dieser Onkel hat­te als Folge seines starken Zigaret­tenkon­sums an Zun­genkrebs gelit­ten – und seit Papa in Pen­sion war, begann ihn dieses Trau­ma mehr und mehr wieder einzu­holen; er ent­deck­te auf sein­er Zunge einen – wohl harm­losen – Belag, und befürchtete sogle­ich das Schlimm­ste! Die örtliche Spren­gelärztin emp­fahl ihm, mit der Zahn­bürste und einem Mund­wass­er die Zunge abzureiben!
Für ihn war Krebs seit sein­er Kind­heit nicht nur ein abso­lut sicheres Todesurteil gewe­sen, son­dern eines, das uner­messliche Qualen ver­hieß und abso­lut unheil­bar, nicht ein­mal zu lin­dern  war!
Bei mir hät­ten natür­lich auch alle Alar­m­glock­en läuten müssen, wie man bei uns zu sagen pflegt, als mein Vater bei einem kleinen Spazier­gang vor weni­gen Monat­en unver­mit­telt gesagt hat­te: „Es wäre wohl eh schnell vor­bei?“ Er fragte das unaufgeregt, fast beiläu­fig. Da wir davor schweigend gegan­gen waren, hat­te er offenkundig ständig nur an den Suizid gedacht. (Meine Mut­ter war zu dem Zeit­punkt noch nicht in der Uni­ver­sität­sklinik in Inns­bruck, son­dern im Kranken­haus in Schwarzach gewe­sen.) Irgend­wie klang er so, als sei für ihn zu diesem The­ma ohne­hin alles gek­lärt, geblieben nur noch diese kleine Frage, die er jet­zt so neben­her gestellt hat­te.
Ich fühlte mich hil­f­los und über­fordert und reagierte auf diese Mis­chung aus Frage und Fest­stel­lung wie auf ein abso­lut unre­al­is­tis­ches Hirnge­spinst. Papa ließ es sofort dabei bewen­den, als sei ihm der Satz als eine Art Zumu­tung her­aus­gerutscht. Und er kam die Monate, die er danach noch lebte, mir gegenüber nie wieder auf dieses The­ma zurück.
Meine Tante, mit dem Orden­sna­men Sr. Mak­ri­na, hat­te zu mein­er Verblüf­fung auch damit kein Prob­lem, als für sie offenkundig war, dass ich wirk­lich nur ihr zuliebe in die Kirche ging. „Son­st gehst du über­haupt nie, gell?“ sagte sie ohne vor­wurfsvollen Unter­ton. Ab und zu wenig­stens, bat sie, solle ich doch gehen. „Eh nicht immer. Ab und zu aber schon.“ (Sie ver­langte allerd­ings nicht, dass ich ihr etwas ver­sprechen solle, was ich wohl nicht hal­ten würde.)
Mich über­raschte ihr Ver­hal­ten auch deshalb so sehr, da Briefe und Karten dieser Tante immer voll waren mit religiösen Inhal­ten – zum Sinn des Wei­h­nachts- oder des Oster­festes – und nur ein, zwei dürre Sätze ihrem per­sön­lichen Befind­en gal­ten, an dem meine Eltern, vor allem mein Vater, allerd­ings auss­chließlich inter­essiert gewe­sen wären. Vielle­icht kam sie dabei ihrer mis­sion­ar­ischen Verpflich­tung nach, da ihr die Skep­sis meines Vaters in Glaubens­fra­gen nicht unbekan­nt war. Überdies dürfte es für die Frau, die beina­he ihr ganzes Leben lang unent­geltlich schw­er gear­beit­et hat­te, ein­fach­er und beruhi­gen­der gewe­sen sein, diese Geschicht­en wiederzugeben, als allen­falls auf eigene – gesund­heitliche oder ganz alltägliche Prob­leme ihres Lebens als Ordenss­chwest­er aus­führlich­er einzuge­hen. (Davon sollte sie mir gegenüber erst Jahrzehnte später bei Besuchen Ver­schiedenes erzählen. Wie gehäs­sig die Schwest­ern untere­inan­der sein kon­nten. Ihr, die im Kloster­garten voll Hingabe Vögel zu füt­tern pflegte, wurde von Mitschwest­ern etwa das Fut­ter ver­steckt und ähn­liche kleine Bosheit­en ange­tan.)
Jeden­falls über­raschte es mich auch, als sie mir, lange nach Papas Tod, ein­mal erzählte, dass es mein Vater, der als ältester Halb­brud­er ihr ja den abwe­senden Vater erset­zen musste,  gewe­sen war, an den sie sich um Rat gewandt habe, vor ihrem endgülti­gen Entschluss, ins Kloster zu gehen. Lächel­nd hat­te sie ein­mal gesagt, dass es schon auch einen Mann gegeben hätte, in ihrem Leben. Jeden­falls sei mein Papa, der Sozial­ist, es gewe­sen, der ihr damals ger­at­en habe, in dieser Frage einzig auf sich selb­st zu hören, auf ihre eige­nen Bedürfnisse. Und wenn sie sich sich­er sei, dass sie das wolle, dann solle sie sich von nie­man­dem davon abbrin­gen lassen.
Mein Vater, der ledi­ge Sohn mein­er Groß­mut­ter, war ihr Lieblings­brud­er gewe­sen, da er als Ältester regelmäßig auf sie auf­passen musste. Oft hat­te er vergnügt von der „Reserl“ erzählt, wie sie sich als Säugling angemacht – „auf und auf angeschissen“ – und dann mit aller­größtem Vergnü­gen mit den Händ­chen in den eige­nen Kot gepatscht habe.
Auch mein Vater hat­te oft davon gesprochen, dass er für den Fall, dass er ein­mal ins Spi­tal müsse – da war selb­st mir als Kind sofort klar gewe­sen, dass er damit eine ern­ste Erkrankung meinte, also eine, bei der es um Leben oder Tod ging –, nur zu sein­er Schwest­er „Reserl“ nach Linz wolle …

Um 11 Uhr 15 fuhr ich mit dem Zug aus Schwarzach schon wieder nach Lend zurück, wo ich die Frau Sei­dl, eine enge Jugend­fre­undin mein­er Mut­ter, die wie andere Frauen von ihr als Aich­holz­er Anni sprachen, in ihrem kleinen, vis à vis des so genan­nten Werkkon­sums, direkt neben dem Bah­nüber­gang gele­ge­nen, Kiosk auf­suchte.

Die Frau bot mir an, doch meine Tante Liesl in Bischof­shofen anzu­rufen, da sie in dem Häuschen auch über ein Tele­fon ver­fügte, weil sie neben ihrem auf Obst und Gemüse spezial­isierten kleinen Geschäft auch noch ein Tax­i­un­ternehmen betrieb, für das gele­gentlich ihr Mann und sehr oft sie selb­st fuhr, während er sie im Kiosk ver­trat und dann in dem dun­klen Häuschen rauchend neben einem Tis­chchen in der Ecke saß und auf Kund­schaft wartete.
Da auch meine Saalfelden­er Ver­wandten damals noch keinen Tele­fo­nan­schluss besaßen, muss ich irgend­wie ihren in der Stadt Salzburg studieren­den Sohn, meinen Cousin Toni tele­fonisch erre­icht haben.
Die erwün­schte Ablenkung gelang nicht, als ich mir danach zu Hause im Radio meine Lieblingssendung „musicbox“ auf dem Popsender Ö3 des ORF anhörte, die mir einige Jahre früher mein allererstes Autoren­hono­rar einge­bracht hat­te. Ich war damals noch Schüler und hat­te für eine Sendung zum The­ma Dorf meine „Retorten­sage“ betitelte Satire über eine Frau mit Schnur­rbart geschrieben, selb­st auf Ton­band­cas­sette gele­sen und diese ins Funkhaus nach Wien geschickt, wo sie dann aus­ges­trahlt wor­den war. An dieser Sendung hat­te übri­gens noch ein ander­er, zu dem Zeit­punkt vol­lkom­men unbekan­nter Jun­gau­tor namens Franz Inner­hofer mit­gewirkt, der um zehn Jahre älter war als ich und sich der Dorf-The­matik, soweit ich mich erin­nere, auf viel real­is­tis­chere Art genähert hat­te als ich, der ja in dem Indus­trieort Lend und in keinem Bauern­dorf, geschweige auf einem Bauern­hof, aufgewach­sen war.
An diesem Tag jeden­falls war es mir gän­zlich unmöglich, mich auch nur für kurze Zeit auf die Sendung zu konzen­tri­eren. Irgend­wo in weit­er Ferne lief das Pro­gramm an mir vor­bei.
Nach ihrem Ende holte ich vom Bahn­hof den Pack­en mit Partezetteln, welche die Fir­ma Wazlawik per Bah­n­ex­press an mich geschickt hat­te und affichierte einen mit Reißnägeln an der großen Anschlagtafel in Unter­lend, bevor ich heimging und anf­ing, die Parten an die Ver­wandtschaft zu schick­en. In Lend hat­ten zu diesem Zeit­punkt durch das Weit­er­erzählen der Neuigkeit ver­mut­lich schon die meis­ten Men­schen vom uner­warteten Fre­itod meines Vaters erfahren.
Fast auf den Tag zwei Monate später musste ich erneut eine Parte aufhän­gen und ver­schick­en – dies­mal mit dem Namen mein­er Mut­ter…

Auszug aus ein­er in Arbeit befind­lichen, umfan­gre­ichen Erin­nerung­sprosa.