Schreiben im Zeichen des Geldes

Die Marktbedingungen, unter denen freie Schriftsteller arbeiten, schlagen sich in der Ästhetik nieder – und in der sozialen Zusammensetzung des Literaturbetriebes.

Von

Thomas Bernhard (c) Andrej Reiser / SV

Thomas Bern­hard im Rück­blick: „Gute Geschäfte machen ist wenig­stens so schön wie Schreiben.“
Foto: Andrej Reis­er / SV

Ein Fea­ture der deutschen Aus­gabe des Man­ag­er Mag­a­zins wid­mete sich vor eini­gen Jahren Unternehmern und Man­agern, die lit­er­arisch schreiben. Einige der Autoren wie Ernst-Wil­helm Händler oder der ehe­ma­lige Recht­san­walt und zeitweise Ver­lagsleit­er Georg M. Oswald wis­sen bei­de Sphären zu vere­inen, andere haben der Wirtschaft ganz den Rück­en zugekehrt. Die Moti­va­tio­nen sind unter­schiedlich, neben dem Über­druss an der „fremdges­teuerten Exis­tenz“ eines Man­ager­da­seins ste­ht die Hoff­nung, mit dem Traum ein­er anderen Tätigkeit oder gar Exis­tenz ernst zu machen und statt des Berufs ein­er Beru­fung zu fol­gen. Über die neuen Gehaltsabrech­nun­gen macht sich kein­er der Renegat­en Illu­sio­nen. Um es auf den durch­schnit­tlichen Jahresver­di­enst eines „beschei­de­nen Man­agerge­halts von, sagen wir, 125.000 Euro zu brin­gen“, rech­net Eva Buch­horn im Jahr 2012 vor, müssen Romane geschrieben wer­den, die sich bei einem Laden­preis von 19,80 Euro min­destens 68.900 Mal verkaufen. In der Branche gelte das als Erfolg. Bere­its ab 20.000 Verkäufen darf der Titel eines „Best­sellers“ reklamiert wer­den, ver­sichert das Blatt ein­er Leser­schaft, die einen anderen Umgang mit Zahlen pflegt, als dass sie sich von diesen beein­druck­en ließe. Dass der Artikel den­noch nicht pein­lich aus­fällt, ist auch durch die Bild­strecke sichergestellt: Sie zeigt sieben Män­ner im reifen Alter, großteils mit Jack­ett und Hemd, nicht anders klei­det man sich in Unternehmen. Selb­st die stereo­typen Sta­tussym­bole fehlen nicht. Ernst-Wil­helm Händler schaut aus seinem „schwarz glänzen­den Audi A6“, in ein­er Hand sein Dik­tierg­erät, „dunkel­grauer Anzug, Krawat­te, Akten­tasche“. Utz Claassen sieht aus, wie er immer aussieht, nur der Kon­text ist ein ander­er, statt für die EnBW tritt er als Krim­i­au­tor in eigen­er Sache auf. Die Insze­nierung der Man­ager­autoren über­spielt die mageren Ver­di­enst- und Absatz­zahlen der neuen Branche, die ganz niedri­gen fehlen aber eh. Wer wis­sen will, was lit­er­arisches Schreiben in den Niederun­gen der Sta­tis­tik bedeutet, wird aus dem Man­ag­er Mag­a­zin nicht schlau.

Pro­fes­sionell Schreiben

Regelmäßige Zahlen über die Einkom­men von Autorin­nen und Autoren veröf­fentlicht die Kün­stler­sozialka­sse (KSK) – und zeich­net darin die Kar­ri­ereaus­sicht­en all jen­er vor, die sich anders als die Man­ager­autoren von vorn­here­in für den Weg des Schreibens entschei­den, indem sie sich etwa an einem der Lit­er­a­turin­sti­tute in Leipzig oder Hildesheim bewer­ben. Die KSK ver­tritt und sub­ven­tion­iert den Schutz von derzeit 185.000 selb­st­ständi­gen Kun­st- und Kul­turschaf­fend­en, die in die drei über­greifend­en Sparten Wort, Bild und Musik aufgeteilt sind. Die Rubrik Wort kann immer­hin die höch­sten durch­schnit­tlichen Jahre­sein­nah­men für sich verze­ich­nen, am 1.1.2018 lag die Summe über 20.000 Euro, ab 30 ver­di­enen Frauen erhe­blich weniger als Män­ner, im Schnitt beträgt die Dif­ferenz 6.000 Euro. Andere Zahlen, die in diversen Radio- und Zeitungs­beiträ­gen der let­zten Jahre im Umlauf sind, wer­den mit Beträ­gen um 10.000 bis 15.000 Euro Jahres­ge­halt ver­an­schlagt, ohne dass die Herkun­ft und Auf­schlüs­selung der Dat­en offen­gelegt wäre. Die Dif­ferenz mag auch daher resul­tieren, dass unter der Rubrik Wort mehrere Beruf­s­grup­pen wie Lek­toren, Jour­nal­is­ten und Über­set­zer geführt wer­den.

Außer Zweifel ste­ht nur, dass mit Buchverkäufen allein kaum Exis­ten­zen bestrit­ten wer­den kön­nen. Astrid Vehst­edt, ehe­ma­lige Vor­sitzende des Berlin­er Lan­desver­bands für deutsche Schrift­steller, erk­lärt 2017 in Deutsch­landra­dio Kul­tur: „Nach den Zahlen, die ich zur Ver­fü­gung habe, kön­nen über­haupt nur 5 Prozent der Autoren von ihren Büch­ern leben. Ich hab’ auch noch eine andere Zahl, wenn man 3000 Büch­er in zwei Jahren verkauft, dann hat man einen Stun­den­lohn von 1,54 Euro.“

Bei Vehst­edt fall­en nicht nur andere Zahlen als im Man­ag­er Mag­a­zin, auch die Über­set­zung der Verkauf­szahlen in Stun­den­lohn wirft mit dem lächer­lichen Betrag eine andere, grund­sät­zliche Einkom­mensfrage auf. Aber lässt sich das Schreiben über­haupt mit ein­er reg­ulären Lohnar­beit ver­gle­ichen? Klas­sisch, wie in Kants Kri­tik der Urteil­skraft, wird die Kun­st vom Handw­erk unter­schieden. Während das Handw­erk eine „Lohnkun­st“ bildet, muss die Kun­st als freie nicht in den Warentausch ein­treten. Kun­st hat für Kant „mehr Wert, weil sie keinen ökonomis­chen Wert hat“.¹

Kants Wer­turteil mag sich heute nicht mehr so leicht aufrechter­hal­ten lassen, Lit­er­atur und Kun­st sind waren­för­mig gewor­den. Zudem bedin­gen sich ökonomis­ch­er Erfolg und ästhetis­che Wertschätzung gegen­seit­ig, in der bilden­den Kun­st noch weit stärk­er als in der Lit­er­atur. Den­noch verträgt sich Kants Bes­tim­mung nach wie vor mit dem Recht. Finan­zamt und KSK behan­deln Schrift­steller als Unternehmer und lassen in dieser Fig­ur die bürg­er­lichen und kün­st­lerischen Werte der Unab­hängigkeit und Frei­heit ver­schmelzen. Die KSK kann das schrift­stel­lerische Unternehmer­tum daher über eine Ger­ingfügigkeits­gren­ze reg­ulieren: Pro­fes­sionell zu schreiben heißt pro­saisch 3.900 Euro im Jahr zu erwirtschaften.

Wenn der Ver­dacht, dass Schrift­steller let­z­tendlich doch Lohnar­beit leis­ten, peri­odisch wiederkehrt, dann liegt das nicht nur an gerin­gen Einkom­men, son­dern auch an den Vorschüssen, mit denen sie in ein Kred­it-, und das heißt ein Schulden­ver­hält­nis, mit Ver­la­gen ein­treten. Schulden, so der Eth­nologe David Grae­ber, bedeuten „die Übereinkun­ft zwis­chen Gle­ichen, nicht mehr gle­ich zu sein.“²

Einige Autoren des 20. Jahrhun­derts von Robert Musil bis Wolf­gang Koep­pen oder Thomas Bern­hard beka­men die Vorschüsse von ihren Ver­la­gen über Jahre wie reg­ulären Lohn, der mitunter nachver­han­delt wurde, monatlich aus­gezahlt. Nicht sel­ten häuften sie der­art Schuldenkon­ten an, die ins­beson­dere dort, wo die Pro­duk­tion stock­te, wie im Fall von Musil oder Koep­pen, zu Lebzeit­en nie mehr beglichen wer­den kon­nten. Während die genan­nten Autoren die Auseinan­der­set­zun­gen über die Bezahlung in ihrer Kor­re­spon­denz mit den Ver­legern pri­vat aus­focht­en, prangerte Hein­rich Böll die Sit­u­a­tion öffentlich an: Schrift­steller seien let­ztlich nichts anderes als „tar­ifge­bun­dene Mitar­beit­er ein­er Großin­dus­trie“, die hon­o­rar­basierte Ent­loh­nung komme einem Aus­beu­tungsver­hält­nis gle­ich. Autoren mögen sich für „feine Leute“ hal­ten; indem sie Hon­o­rare beziehen, verkaufen sie sich angesichts eines Buch­mark­ts, der Mil­lio­nen umset­zt, fak­tisch als „sehr feine Idioten“. Seine Rede „Ende der Beschei­den­heit“ hält Böll 1969, unmit­tel­bar bevor der wirtschaftliche Auf­schwung der Nachkriegszeit erste Risse zeigt. Die Sit­u­a­tion hat sich sei­ther, mit der Umgestal­tung des Kap­i­tal­is­mus seit den Siebziger- und Achtziger­jahren, ver­schärft.

Die Kün­st­lerin ist als Kreativ­sub­jekt zu ein­er Norm für das prekäre Exis­tenz­mod­ell ein­er Kul­tur- und Kreativbranche gewor­den, die sich nach dem Mon­i­tor­ing­bericht der Bun­desregierung aus dem Jahr 2017 „ähn­lich wie die deutsche Gesamtwirtschaft entwick­elt“ und mit über 1 Mil­lion Kern­er­werb­stäti­gen und einem Jahre­sum­satz von 150 Mil­liar­den Euro einen dom­i­nan­ten Fak­tor der deutschen Wirtschaft bildet, und darin in schar­fem Kon­trast zu den Arbeits­be­din­gun­gen und Einkom­mensver­hält­nis­sen der Beschäftigten ste­ht. Die ange­bliche unternehmerische Frei­heit des Kreativ­sub­jek­ts stellt sich als Zwang dar, der gegenüber ein­er reg­ulären Lohnar­beit in ein­er gesteigerten Selb­staus­beu­tung resul­tiert.

Schreiben am Markt

Die Ger­ingfügigkeits­gren­ze der KSK deutet an, dass sich trotz Verän­derun­gen im Urhe­ber­recht, Ein­rich­tun­gen wie Ver­w­er­tungs­ge­sellschaften, in Deutsch­land die Buch­preis­bindung sowie die Ein­rich­tung der KSK in den let­zten 200 Jahren offen­bar wenig an der all­ge­meinen finanziellen Sit­u­a­tion von Schreiben­den geän­dert hat. Wenn Ver­lage nach wie vor Hon­o­rare und keine Löhne zahlen, dann ist das Vergü­tungssys­tem ein Erbe aus dem 18. Jahrhun­dert.

Bis zum Ende des 18. Jahrhun­derts treten Autoren mit dem Manuskript alle Rechte an den Ver­leger ab und erhal­ten ein Hon­o­rar, das auf keinem Tauschw­ert, son­dern auf Anerken­nung basiert, es ist dabei eine von drei For­men standesmäßiger Anerken­nung. Zum Geld des Ver­legers kommt „der Beifall der Ken­ner“ und „die Sicherung oder Verbesserung der beru­flichen Exis­tenz durch die Huld der Mächti­gen“.³

Anna Rosina de Gasc: Gotthold Ephraim Lessing

Got­thold Ephraim Less­ing zählte zu den ersten Autoren in Deutsch­land, die ver­sucht­en, sich auf dem Markt zu behaupten. Nach zehn Jahren gab er den Kampf auf.
ILLUSTRATION: Anna Rosi­na de Gasc

In der zweit­en Hälfte des 18. Jahrhun­derts wer­den die feu­dalen Struk­turen zunehmend durch mark­t­för­mige abgelöst, indem Ver­leger das Hon­o­rar an den Absatz kop­peln. Beson­ders die Lit­er­atur kann sich an eine rasch wach­sende Leser­schaft richt­en, es ist die Zeit, in der in Deutsch­land (später als in Eng­land) der pro­fes­sionelle Schrift­steller erst­mals die Bühne betritt. Less­ing, Klop­stock und Wieland gehören zu den ersten, die unter den neuen ökonomis­chen Bedin­gun­gen schreiben, frei von den Zuwen­dun­gen eines Fürsten oder Adli­gen – und scheit­ern: „Nimm meinen brüder­lichen Rat, und gib den Vor­satz ja auf, vom Schreiben zu leben“, legt Less­ing 1768 seinem Brud­er nah. Nach zehn Jahren gibt er den Kampf auf und nimmt eine Stelle als Bib­lio­thekar an. Für die näch­ste Gen­er­a­tion, zu der Goethe, Schiller und Karl Philipp Moritz gehören, sieht es kaum bess­er aus.

Möglich wird das Mod­ell des pro­fes­sionellen Schrift­stellers neben neuen Repro­duk­tion­stech­niken wie Papier­mas­chine und Schnell­druck­presse vor allem durch die bis dahin ungekan­nte „Lesesucht“ eines neu erschlosse­nen Pub­likums sowie die Beteili­gung der Autoren am Absatz durch trans­par­ente und ver­hand­lungs­fähige Hon­o­rare. Dies führt zu ein­er Umw­er­tung, das Hon­o­rar fällt nun zunehmend mit der Ent­loh­nung zusam­men und wird darin „zugle­ich Gradmess­er und Index des Erfol­gs.“

Dass dies auch trotz gewiss­er Erfolge am Markt nicht funk­tion­iert, liegt auch an den unreg­ulierten Mark­tbe­din­gun­gen. Bevor das Urhe­ber­recht in Deutsch­land 1834 über­re­gion­al kod­i­fiziert wird, ist auf­grund der Nach­drucke (bzw. der soge­nan­nten Raub­drucke) auch ein ökonomis­ch­er Erfolg am Markt kein Garant für ein sicheres Einkom­men. Ver­lässlich ist nur das Hon­o­rar, das sich bei Ver­tragsab­schluss nach der Anzahl der Druck­bö­gen richtet, was in erster Lin­ie heißt, dass viel geschrieben wer­den muss.

Einen beson­ders hohen Out­put erzielt Karl Philipp Moritz, der stets an drei oder vier Pro­jek­ten gle­ichzeit­ig arbeit­et. Bere­its Karl Friedrich Klis­chnig hält in seinen Erin­nerun­gen (1794) an den Fre­und fest, dass nie­mand die Kun­st des Selb­st­pla­giats so gut wie Moritz beherrscht habe, der ganze Pas­sagen gerne mehrfach ver­wen­dete.

Dass die klas­sis­chen Autoren zu notorischen Vielschreibern wer­den, entspringt dem banalen Mark­t­druck, der für die Autoren nur allzu bewusst in direk­tem Wider­spruch zu ihrem selb­st­ge­set­zten Kun­stanspruch ste­ht: „Über­dem zwingt ja das deutsche Pub­likum seine Schrift­steller, nicht nach dem Zuge des Genius, son­dern nach Spec­u­lazio­nen des Han­dels zu wählen“, hält Schiller fest.

Der Markt fordert und pro­duziert aber nicht nur Quan­tität statt Qual­ität, und das in einem Bere­ich, der sich mit seinen ästhetis­chen Wer­turteilen maßge­blich über Qual­ität definiert. Die Autoren der Klas­sik bedi­enen zudem die pop­ulären Gen­res, die anders als die „hohe Lit­er­atur“ tat­säch­lich über die engen Kreise der Gelehrten hin­aus gele­sen und gekauft wer­den. Moritz ver­fasst Reise­berichte; Schillers Der Geis­terse­her oder seine His­to­rien­stücke wer­den auch von den neuen Mark­t­ge­set­zen und deren Nach­frageökonomie motiviert und dik­tiert.

Die Ökonomisierung gestal­tet das Schreiben auf vielschichtige Weise um. Die Fik­tion des lib­eralen Mark­tes als Ort der Frei­heit, an dem gle­iche Indi­viduen in eine Tauschbeziehung zueinan­der treten, wie sie Adam Smith in Wohl­stand der Natio­nen for­muliert (die erste Auflage erscheint 1776 gle­ichzeit­ig mit Schillers allerersten lit­er­arischen Veröf­fentlichung), erweist sich von Anfang an als Illu­sion. Wenn sich das Hon­o­rar als Vergü­tungssys­tem trotz