„Dr. Josef K. – Praxis für unklare Diagnosen und hoffnungslose Fälle“ prangte es Paunsdorf von einem messingfarbenen, patinabedeckten Schild entgegen. Der Eingang führte einige Stufen zu einer schweren Holztür hinauf, und mit einem mulmigen Gefühl öffnete er und trat ein. Es war ein warmer, freundlicher Tag, doch schon aus dem Flur schlug ihm diese feuchte, modrige Kühle entgegen, wie sie typisch für viele unsanierte Altbauten ist. Eine zweite Tür führte zu Rezeption und Wartezimmer, noch einmal zwei Schritte hinauf, und wo in anderen Häusern der erste Stock beginnt, lag hier das Erdgeschoss.
Es war wiederum der Geruch, der die Arztpraxis verriet: eine Mischung aus Medikamenten und Desinfektionsmitteln. Die Rezeption hatte eine hohe Bedienungstheke, die wie eine Schutzmauer gebaut war, nur eine kleine Durchreiche war frei. Dahinter saß die Sprechstundenhilfe. Ihre Arbeit nannte sich „Praxismanagement“, wie ein kleines Schildchen auf ihrem weißen T-Shirt verriet. Es dauerte, bis sie ihre Arbeit unterbrach und sich ihm zuwandte.
„Paunsdorf. Ich hatte angerufen. Sie sagten, ich könne noch vorbeikommen, auch ohne Termin.“ Seine Stimme klang unsicher und brüchig, er räusperte sich.
„Es kann etwas dauern“, sagte sie.
„Das macht nichts, ich habe Zeit“, log er und lächelte. Das Gegenteil war der Fall: Er hatte noch einiges in der Stadt zu erledigen, und er verabscheute kaum etwas so sehr wie langes Warten, gleich wo und warum.
Sie bat um seine Versichertenkarte und las sie ein. Paunsdorf betrachtete ihren wohlsortierten Arbeitsplatz: Terminkalender, Telefonbuch, Patientenakten, Überweisungen, Rezepte – alles lag akkurat nebeneinander, beinahe rechtwinklig ausgerichtet. Der Bildschirmschoner des Monitors flackerte nervös. Das Telefon schellte, sie nahm ab, bat die Anrufer, einen Moment zu warten und legte den Hörer beiseite. Dieser Moment konnte schnell zwei Minuten dauern – vermutlich war das die Zeit, in der der Anrufer eine freundliche Melodie hörte, untermalt von Durchhalteparolen wie „Do not leave the line!“ oder „Ne quittez pas!“
Die Rezeption lag im hellen Licht, das angrenzende Wartezimmer jedoch im Halbdunkel, und die Wartenden blickten zu Paunsdorf, als seien sie gespannt, was er machte, was nun passieren würde. Im dämmrigen Licht waren es nur ihre Augen, die leuchteten, und Paunsdorf hatte einen Moment lang den Eindruck, eine Horde Katzen sähe ihn an.
„Sie waren noch nicht bei uns?“, fragte die Praxismanagerin.
Er verneinte.
„Bitte nehmen Sie Platz.“
Er setzte sich, und da er an diesem Tag noch nicht viel gegessen hatte, nahm er einen Apfel aus dem Rucksack und biss hinein. Die nächsten Patienten riefen an. Er hörte jene Antworten, die sie auch ihm schon gegeben hatte: „In einer Stunde? Ja, das geht. Aber Sie sollten etwas Wartezeit mitbringen.“
Er nahm eine der ausliegenden Zeitschriften und begann, darin zu blättern. Das Heft war abgegriffen und alt, die Nachrichten, die darin standen, längst Geschichte: Berichte über Politiker, die inzwischen abgewählt -, Prominente, die bereits aus dem öffentlichen Leben verschwunden waren, Katastrophen, über die niemand mehr sprach. Die Rätsel waren alle gelöst. Er nahm weitere Hefte, mit ihnen verhielt es sich ebenso. Im Dämmerlicht zu lesen strengte ihn an, er betrachtete die Bilder und las die Überschriften, dann legte er die Magazine wieder zurück.
In Plastikhalterungen an der Wand steckten medizinische Ratgeber: handlich gefaltete Infoblätter zu Themen aller Art. Die Broschüren waren voller Warnungen: Nicht zu viel Sonne, das gibt Hautkrebs. Nicht rauchen, das gibt Lungenkrebs. Frauen ab Ende dreißig und Männer ab Mitte vierzig zur Vorsorge, wegen all der anderen Krebsarten. Solche Lektüre war für ihn nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen: Wann immer er über Krankheiten las, entdeckte er die genannten Symptome sogleich an sich selbst: Kleine dunkle Pünktchen auf der Haut, waren das nicht schon Melanome? Der morgendliche Husten, der ihn manchmal plagte, konnte das Lungenkrebs sein? Und der Durchfall vor ein paar Wochen, der gar nicht mehr aufhören wollte: Darmkrebs? Er steckte die Blätter in die Fächer zurück und nahm sich vor, dem Arzt auch diese Verdachtsmomente zu nennen – sobald er drankäme.
Die anderen Wartenden verloren das Interesse an ihm. Es war ruhig, nur das Rascheln von Zeitungen, ab und zu ein Husten und die Anrufe neuer Patienten waren zu hören. Vielleicht alle zwanzig Minuten wurde jemand hineingerufen. Paunsdorf wartete, dass sein Name fiel, doch immer wieder vergebens. Andere, die nach ihm gekommen waren, wurden hereingebeten, auch wunderte es ihn, dass niemand aus der Tür wieder herauskam, bestimmt gab es einen zweiten Zugang, durch den die Patienten das Haus verließen. Hätte dann aber nicht dennoch jemand hereinkommen müssen, um seine Jacke von der Garderobe zu nehmen? Zweifellos hingen dort mehr Jacken und Mäntel, als Wartende im Raum waren, und Paunsdorf wusste sich keinen Reim darauf zu machen.
Er ging nach vorn, fragte, wie lange es noch dauern werde -, er bemühte sich, ruhig zu bleiben, doch schaffte es kaum, seine Erregung zu verbergen.
„Bitte gedulden Sie sich noch einen Augenblick, Sie sind bald an der Reihe“, beruhigte ihn die Praxismanagerin. Ihre Worte klangen wie auswendig gelernt.
Sein Blick schweifte zu den Bildern, die das Wartezimmer schmückten: Sie waren völlig unmodern. Die Ärzte, die er bis dahin kennengelernt hatte, schienen alle Kunstliebhaber und -sammler zu sein, mit Praxisräumen, die nicht selten Galerien für zeitgenössische Kunst glichen. Nicht so hier: Alt und vergilbt waren Fotografien und Gemäldekopien. Lieblos sah der Wandschmuck aus, als habe man nur aus Verlegenheit etwas aufgehängt. Zusammen mit den alten Zeitschriften wirkte der dunkle Raum beinahe so, als wolle der Arzt keine Patienten haben. Paunsdorf wunderte sich, dass ausgerechnet er ihm als Spezialist genannt worden war.
Er holte sein Handy hervor, und bevor er es wie erbeten ausschaltete, kontrollierte er die SMS, die er in den letzten Tagen erhalten hatte. Die meisten davon löschte er. Dann nahm er seinen Taschenkalender, prüfte, was an diesem Tag noch zu erledigen war und machte sich Notizen. Genaugenommen hatte er immer etwas zu arbeiten, zu schreiben, zumindest aber zu lesen dabei, und eigentlich hätte er froh sein müssen, nun Zeit dafür zu haben, doch konnte er keinen klaren Gedanken fassen, solange er das Gefühl hatte, hier gehe es nicht gerecht zu.
Ihm fielen Besorgungen ein, die er noch zu machen hatte, er ging erneut nach vorn und bat um eine Einschätzung, wie lang es noch dauern werde und fragte, ob er die Zeit bis dahin außer Haus verbringen könne.
Die Praxismanagerin bejahte.
„Eine halbe Stunde?“, fragte er.
Sie nickte.
„Ich bleibe in der Warteschlange, an der Stelle, an der ich jetzt bin?“
„Ja.“
„Ich rutsche nicht wieder nach hinten?“
„Nein.“
Er versuchte, einen Blick hinter die Bedienungstheke zu erhaschen und zu erkennen, an welcher Stelle seine Patientenkarte jetzt lag. In der Mitte des Stapels entdeckte er sie, ein halbes Dutzend Patienten war noch vor ihm dran.
Die Praxismanagerin bemerkte seine Neugierde, sie sagte: „Nur noch eine kurze halbe Stunde.“
Paunsdorf glaubte, den Ansatz eines Lächelns auf ihrem Gesicht zu entdecken.
Nach einer halben Stunde kehrte er zurück, setzte sich, wartete. „Ganz schön lange, was?“, sagte er zu dem älteren Mann neben ihm. Der Mann reagierte nicht. „Dauert es hier immer so lange?“, fragte er die Dame, die zur anderen Seite saß. Keine Reaktion. Hilfesuchend blickte er in die Runde, doch die Patienten wichen seinem Blick aus. Er dachte daran, zu gehen, doch jetzt aufgeben hieße, dass alles umsonst gewesen wäre.
„Die anderen Patienten warten auch“, sagte die Praxismanagerin, als Paunsdorf sich erneut beschwerte.
„Ja, aber nicht so lange“, rief er.
Sie sagte, dass sie nicht wisse, wie lange der Arzt für seine Behandlungen brauche.
„Komme ich heute überhaupt noch dran?“, fragte er.
„Die Praxis ist so lange geöffnet, bis alle Patienten fertig sind“, sagte sie, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.
„ ... fix und fertig“, fügte Paunsdorf hinzu und setzte sich.
Noch immer sagte sie den Anrufern, sie könnten vorbeikommen, müssten nur „ein klein wenig Zeit“ mitbringen, und tatsächlich kamen neue Patienten an, so dass das Wartezimmer nicht leerer wurde. Am liebsten wäre er zum Telefonhörer geeilt und hätte gerufen: „Alles Lüge! Kommen Sie bloß nicht!“
Als nun aber jemand durchgewinkt wurde, der eben erst gekommen war, riss ihm der Geduldsfaden: Er ging zur Rezeption, forderte Rechenschaft, erregte sich, wurde laut und ungehalten, zog alle Blicke auf sich, und es war ihm nicht einmal peinlich. Die Angestellte sah ihn unbewegt und stumm an. Das machte ihn nur noch zorniger, er steigerte sich in seine Wut hinein, rief durch den Raum, dass dies Konsequenzen und ein Nachspiel haben werde, dass er sich beschweren -, dass er das, wo auch immer, melden werde. Dann wurde ihm dunkel vor Augen, und ein Schwächeanfall zwang ihn in die Knie.
Als er wieder zu sich kam, sah der das Gesicht der Praxismanagerin über sich gebeugt.
Sie fragte, ob er aufstehen könne.
Er versuchte es, schaffte es aber nicht.
Sie mühte sich, ihn auf eine Bahre zu legen, doch er war viel zu schwer, und es gelang erst mit Unterstützung einiger Männer aus dem Wartezimmer. Sie trugen ihn durch mehrere kleine in einen großen Raum und stellten die Bahre vor einer Treppe ab. Zu seinem Erstaunen sah Paunsdorf all die Patienten wieder, die mit ihm im Wartezimmer gesessen hatten – sie standen und saßen vor Untersuchungsapparaten, ohne dass etwas passierte, sie warteten stumm und geduldig. Vom Arzt war nichts zu sehen.
Die Praxismanagerin half Paunsdorf auf die Beine und geleitete ihn die Treppe hinauf, die zum Dachgeschoss führte. Sie klopfte an eine Tür, an der ein Schild „Arzt“ angebracht war. Ein tiefes „Herein“ war zu hören. Sie öffnete und bat Paunsdorf einzutreten. Der Arzt, ein untersetzt -, um nicht zu sagen dick wirkender älterer Mann, lag im weißen Kittel auf einer Liege, einer Art Feldbett, und rauchte Zigarre. Der Raum war klein: Nur ein Nachttisch, ein Spind, ein Medikamentenschrank und das Bett fanden Platz. Ein kleiner Tisch noch, so gestellt, das Licht darauf fiel, und der Stuhl, auf den Paunsdorf sich setzte. Warm und stickig war es unter dem flachen Dach, die Luft erfüllt von Tabakdunst. Das Dachfenster stand nur einen Spalt weit offen, zu wenig, um Erfrischung zu bringen.
Misstrauisch musterte der Arzt seinen Patienten, und verärgert schien er über die Störung. Er nahm einen Schluck aus einem Glas, von dem ein scharfer alkoholischer Geruch ausging, ließ sich zurück auf die Liege sinken, rauchte.
„Es stimmt nicht, was man Zigarren nachsagt“, sagte er gestikulierend, „sie sind nicht ungesund. Nur das billige Zeug, das man an jeder Ecke kaufen kann, ruiniert die Lungen – die Blätter der Kojana-Staude dagegen sind eine Wohltat. Weshalb wohl werden die Bewohner der Ostküste Kubas über neunzig, obwohl sie schon im Kindesalter Zigarre probieren? Glauben Sie nicht, was man Ihnen erzählt! Nehmen Sie lieber eine.“ Der Arzt hielt Paunsdorf eine Holzschachtel hin. Dieser lehnte ab.
„Und davon ...“, er zeigte auf eine Whiskyflasche, „... halten Sie wohl auch nicht viel?“
Paunsdorf schüttelte den Kopf.
„Weil alle Welt Ihnen sagt, dass es schädlich sei. Nicht rauchen und nicht trinken und hundert Jahre alt werden wollen ...“ Er lachte, nahm einen Schluck, legte den Kopf zurück. „Natürlich dürfen Sie nicht irgendwas trinken, nicht irgendwie und nicht mit irgendwem. Sie sind ja auch nicht irgendwer!“ Wieder lachte er. „Zwei Destillerien empfehle ich Ihnen: Talisker in Schottland und McCully in Irland. Wenn Sie sich an die halten, machen Sie nichts falsch. Beste Zutaten, Jahrzehnte gereift. Damit, mein Lieber, werden Sie hundert … wenn Sie, ich weiß es nicht, überhaupt hundert werden wollen.“ Er schraubte den Verschluss vom Flaschenhals und wollte seinem Patienten einschenken, doch der lehnte wiederum ab.
„Nehmen Sie“, sagte die Praxismanagerin, die immer noch in der Tür stand, „nicht jeder Patient bekommt davon. Der Herr Doktor meint es gut mit Ihnen.“
Beiden aber wollte Paunsdorf nicht widersprechen, also nahm er an. Er trank und musste husten. Er entschuldigte sich, sagte, dass ihm die Gewohnheit fehle. Der Arzt schenkte ihm trotz seiner abwehrenden Handbewegung nach.
„Nehmen Sie“, wiederholte die Praxismanagerin, „es kommen nicht viele Patienten bis in diesen Teil der Räume, es ist ein Privileg.“
„Meinen Sie?“, fragte Paunsdorf und setzte das Glas erneut an. Der Arzt nickte zufrieden, als er sah, dass es seinem Patienten zu schmecken begann. Er ließ sich auf die Liege zurücksinken und streckte alle Viere von sich: „Der Beruf ist nicht mehr das, was er mal war“, sagte er schwermütig, „wir Ärzte sind machtlos. Die Menschen versuchen sich an allen möglichen Therapien und verlieren den Blick für das Wesentliche. Sie verstehen nicht zu genießen, nicht zu leben, nicht zu leiden und nicht zu sterben. Angst ist ihr Ratgeber, und falsche Propheten führen sie in die Irre. Sie suchen einen zweiten und dritten Arzt auf, um eine zweite und dritte Meinung zu hören, bis sie nicht mehr wissen, woran sie glauben sollen. Sie hören auf jeden, der ihnen ein längeres Leben verspricht. Und wenn die Heilsversprechen nicht wirken, dann glauben sie nur zu gerne, dass sie nicht ernsthaft genug mitgearbeitet hätten, nicht streng genug mit sich waren. Ein nicht enden wollender Krampf.“ Der Arzt winkte Paunsdorf zu sich herunter und sprach leise weiter: „Es ist wie mit der Liebe: Sie können alle möglichen Tricks lernen, sich abmühen wie ein Doktorand, sich quälen wie ein Zehnkämpfer, doch erst, wenn Sie sich entspannen und alle Regeln wieder vergessen – erst dann kommen Sie ins Ziel und sind fähig zu genießen.“
Der Arzt hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da drängte sich jemand an der Praxismanagerin vorbei ins Zimmer, ein Patient, der sagte, dass er keine Zeit mehr habe und forderte, jetzt behandelt zu werden.
„Raus!“, fuhr der Arzt ihn an, dass er wie angewurzelt stehen blieb. Dann noch einmal: „Raus!“, dass die Dachkammer bebte und der Mann sie erschrocken wieder verließ.
„Schamlos“, sagte der Arzt und schüttelte den Kopf, und seine rot angelaufenen Wangen wurden nur langsam wieder blasser.
Paunsdorf wollte beginnen, von seinen Beschwerden zu berichten, doch der Arzt ließ ihn nicht zu Wort kommen. Schwer atmend sprach er weiter: „Die Menschen glauben an ewige Gesundheit und merken nicht, wie die Zeit ihnen zwischen den Händen zerrinnt, sie glauben, das Richtige zu tun und machen das Falsche. Ärztlicher Rat ist vergebens, der Beruf hat seinen Sinn verloren. Alles was ich tun kann ist, Illusionen aufrecht zu erhalten. Wenn ich noch einmal wählen könnte, ich würde etwas anderes machen: Maler oder Schriftsteller vielleicht.“
Es ist nie zu spät, wollte Paunsdorf einwerfen, doch fürchtete er, den Arzt zu verärgern und schwieg.
Unvermittelt begann die Praxismanagerin zu gestikulieren und sagte, es gäbe einen Notfall. Sie lief die Treppenstufen hinunter und bat den Arzt, schnell zu kommen. Paunsdorf schaute ihr verdutzt hinterher: Zum ersten Mal hatte sie ihre kühle Fassade verlassen und wirkte sogleich viel menschlicher auf ihn. Er wartete ab, neugierig, was der Arzt tun würde, doch der machte zunächst einmal gar nichts. Er stöhnte, richtete sich auf und sagte: „Die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit, der Schrei nach Liebe. Glauben Sie mir: Arzt ist kein leichter Beruf.“ Er gab seinem schweren Körper einen Ruck, ließ ihn wie eine Schaukel hin und her wippen, dass Paunsdorf schon Angst bekam, das Feldbett könnte zusammenbrechen, bevor er sich aufschwang und erhob. „Machen Sie es sich bequem“, forderte er seinen Patienten auf, „und bedienen Sie sich.“ Er zeigte auf Whiskyflasche und Zigarrenschachtel, eilte dann die Treppe hinab, die unter seinen Füßen vibrierte, dass Paunsdorf es bis in die Kammer hinauf spürte.
An verschiedenen Stellen des Zimmers, vor allem in den Ecken und dort, wo der Arzt gelegen hatte, entdeckte Paunsdorf leere und halbleere Medikamentenschachteln. Der Mediziner, ein Süchtiger? Paunsdorf war froh, dass es noch zu keiner Behandlung gekommen war, und er nahm sich vor, diese abzulehnen, wenn es soweit war.
Er wartete lange, bevor er die Treppenstufen hinunterging, um nachzusehen, wo der Arzt blieb. Doch er sah lediglich die weiterhin geduldig wartenden Mitpatienten. Er ging zurück und setzte sich. Und weil der Arzt es ihm erlaubt hatte, schenkte er sich einen Whisky ein. Wieder fühlte er einen Hustenreiz, und wiederum wurde es besser, als er ein zweites Glas trank. Eine wohlige Wärme erfüllte ihn, eine angenehme Stimmung und die Lust, von den Zigarren zu probieren. Schon die Holzschachtel roch würzig und erdig, er nahm eine Zigarre heraus und zündete sie mit Streichhölzern an, die er im Nachttisch fand. Zunächst paffte er, denn er hatte das Rauchen vor vielen Jahren aufgegeben. Hatte der Arzt nicht gesagt, dass diese Zigarren gesund seien? Er rauchte auf Lunge, und tatsächlich, es ging. Rauchen und Trinken schienen sich aufs Vortrefflichste zu ergänzen, und mit jedem Zug und jedem Schluck steigerte sich sein Wohlbefinden. Er spürte nichts als den Wunsch fortzufahren, er hatte keine Fragen, Zweifel, Bedenken mehr, und seine Beschwerden gab es womöglich nur in seiner Einbildung. Sein ganzes Leben schien klar und deutlich vor ihm ausgebreitet wie nie; vielleicht waren Whisky und Zigarre die eigentliche Therapie und die medizinischen Geräte nur Attrappe. Müdigkeit überkam ihn, er wehrte sich gegen den Gedanken, sagte sich, es stehe ihm nicht zu – doch schließlich zog er sich bis auf T-Shirt und Shorts aus und legte sich dorthin, wo der Arzt zuvor gelegen hatte. Er ließ den Kopf zurücksinken und sah hoch in das Sonnenlicht, das durch die Dachluke in den kleinen Raum fiel und Zigarrenrauch und Staubflocken tanzen ließ. Er fiel in Halbschlaf, hing Tagträumen nach und vergaß, weshalb er gekommen war. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zuletzt so wohl gefühlt hatte.