Lord Byron und die Erfindung des Pop

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Ein Vor­ab­druck aus Richard Schu­berths soeben im Wall­stein Ver­lag erschiene­nen Essaysamm­lung „Lord Byron – der erste Anti-Byro­nist“, ein Buch, das anlässlich des 200. Todes­jahres des englis­chen Dichters ein Panop­tikum von The­men behan­delt, die ihre Aktu­al­ität nicht einge­büßt haben (Ori­en­tal­is­mus, Fem­i­nis­mus, Anti­semitismus, Raubkun­st, Sit­tlichkeit und Lib­erti­nage, Homo­sex­u­al­ität, Dich­tung und Witz, Narziss­mus etc.) und bei denen Byron mal als Mod­er­a­tor, mal als Haupt­fig­ur agiert. Hier ein Auss­chnitt aus dem Langes­say „Lord Byron und die Erfind­ung des bürg­er­lichen Ichs“, die sich mit dem damals jun­gen Phänomen Pop auseinan­der­set­zt.


 

Selb­stver­lust durch Authen­tiz­ität

„Die Gesel­ligkeit des Spiels beruht nicht auf der gegen­seit­i­gen Selb­st-Offen­barung. Men­schen wer­den vielmehr dann gesel­lig, wenn sie vor­einan­der Dis­tanz wahren. Die Intim­ität zer­stört sie dage­gen.“
Richard Sen­nett

Byron wan­delte nicht nur an der Bruchkante zweier Zeital­ter. Der Riss ver­lief mit­ten durch ihn hin­durch. Was die Welt an ihm inter­es­sant fand, war – nie­mand wusste es bess­er als er – Schall und Rauch, Täuschung und Pro­jek­tion. Dass er diesen Riss erkan­nte und beredt machte, ist sein bleiben­des Ver­di­enst, sein wahrer Hero­is­mus. Der verächtliche Indi­vid­u­al­is­mus des Childe Harold, mit dem der adoleszente Lord sich selb­st mys­ti­fizierte, lieferte eines der reizvoll­sten Iden­ti­fika­tion­s­mod­elle für seine eigene und fol­gende Gen­er­a­tio­nen, eine prächtig-schöne, ein­same Raupe, aus deren Ver­pup­pung indes außer ihm kein Schmetter­ling schlüpfen würde. Das Ich ist eine Falle. Die soge­nan­nten sozialen Medi­en am Beginn des 21. Jahrhun­derts sind die aktuellen Fried­höfe dieses uner­lösten Wiedergängers. Byron gelang es den­noch, die Ver­pup­pung zu spren­gen, nur um aus der von ihm mit­geschaf­fe­nen Roman­tik ins geliebte Augusteis­che Zeital­ter zurück­zu­fliegen, zurück in die Zeit von Alexan­der Pope, Jonathan Swift, Hen­ry Field­ing und Mary Mon­tagu, von Ver­nun­ft, Witz und Spiel. Doch die Flug­bahn in die Ver­gan­gen­heit existierte nicht, der aparte, heimat­lose Kohlweißling wurde als Schädling emp­fun­den, und so blieb ihm nichts, als seine Zeitgenossen zu umflat­tern und zu neck­en.

Die Entwick­lung des mod­er­nen, bürg­er­lichen Sub­jek­ts vol­l­zog sich allmäh­lich. Mod­elle der Peri­o­disierung sind nicht mehr als Mod­elle. Wollte man aber einen abrupten psy­chohis­torischen Umschlag pos­tulieren, so kön­nte man den zum Beispiel auf den 2. Mai 1824 datieren. An diesem Tag sprach Johann Peter Eck­er­mann zu Goethe: „Ich trage in die Gesellschaft gewöhn­lich meine per­sön­lichen Nei­gun­gen und Abnei­gun­gen und ein gewiss­es Bedürf­nis zu lieben und geliebt zu wer­den. Ich suche eine Per­sön­lichkeit, die mein­er eige­nen Natur gemäß sei; dieser möchte ich mich ganz hingeben und mit den andern nichts zu tun haben.“ Darauf ver­set­zt ihm der alte Goethe, der noch ein­er anderen Zeit ange­hörte, fol­gen­den Rüf­fel: „Diese ihre Natur­tendenz ist freilich nicht gesel­liger Art; allein was wäre alle Bil­dung, wenn wir unsre natür­lichen Rich­tun­gen nicht woll­ten zu über­winden suchen. Es ist eine große Torheit zu ver­lan­gen, daß die Men­schen zu uns har­monieren sollen, ich habe es nie getan. Dadurch habe ich es dahinge­bracht, mit jedem Men­schen umge­hen zu kön­nen, und dadurch allein entste­ht die Ken­nt­nis men­schlich­er Charak­tere, sowie die nötige Gewandtheit im Leben. Denn ger­ade bei wider­streben­den Naturen muß man sich zusam­men­nehmen, um mit ihnen durchzukom­men. So soll­ten Sie es auch machen. Das hil­ft nun ein­mal nichts, Sie müssen in die große Welt hinein. Sie mögen sich stellen, wie Sie wollen.“1

Goethe, der an ander­er Stelle auch schrieb, wer in Gesellschaft vergesse, den Schlüs­sel von seinem Herzen abzuziehen, sei ein Narr, hat­te gegenüber Eck­er­mann, diesem Prach­tex­em­plar klein­bürg­er­lich­er Selb­stfind­ung, freilich leicht­es Spiel, sich als aris­tokratis­ch­er homme du monde in Kon­trast zu set­zen. Doch tadelte er auch den Eck­er­mann in sich selb­st, dessen Bedürfnisse ihm nicht fremd waren. […]

 

Pop! Goes the Weasle

 „Ich wachte auf und war berühmt.“
– Lord Byron

Ein leg­endär­er Satz in der Byron­mythografie, der weniger als Aus­druck von Byrons Selb­st­ge­fäl­ligkeit denn des kopf­schüt­tel­nden Erstaunens über den Anlass sein­er plöt­zlichen Berühmtheit zu lesen ist.

Als Lord Byron im Juli 1811 nach Eng­land zurück­kehrte, hat­te er im Gepäck: einen Schal und Rosenöl für Lady Gor­don, seine Mut­ter, vier Schädel aus Athen, eben­so viele Schild­kröten, einige antike Mar­mor­büsten für seinen Fre­und Hob­house, eine Phi­ole voll attis­chen Schier­lingstranks für sich selb­st und zwei Manuskripte für eine unbes­timmte lit­er­arische Zukun­ft. Sein alter Men­tor Robert Charles Dal­las, selb­st Dichter, fragte ihn, ob er denn einen Bericht über seine Reisen ver­fasst habe. Byron, der sich über die Mode des Reise­berichts und die Ver­w­er­tung authen­tis­ch­er Erleb­nisse erhaben fühlte, antwortete, er habe von Anfang sein­er Tour an nicht vorge­habt, darüber zu schreiben. Einige Tage vor sein­er Rück­kehr hat­te er an Dal­las geschrieben: „Ich glaube nicht, irgen­det­was getan zu haben, das mich von anderen Reisenden unter­schei­det, ausgenom­men vielle­icht, dass ich die Enge zwis­chen Ses­tos und Aby­dos durch­schwom­men habe, eine sehr lehrre­iche Erfahrung für einen Mod­er­nen.“

Seine Stärke sei die Satire, bedeutete er Dal­las und drück­te ihm eine Para­phrase auf die Dichtkun­st des Horaz in die Hand, ein Stück Gedanken­lyrik mit dem Titel Hints from Horace. Selb­st wenn die Satire gelun­gen gewe­sen wäre, wed­er Sujet noch Stil entsprachen der Mode der Zeit. Ver­legen hak­te Dal­las nach, ob er nicht auch etwas anderes habe. Etwas ver­dutzt wegen des ver­hal­te­nen Lobs pack­te Byron ein weit­eres Manuskript aus, das Frag­ment eines län­geren Gedichts, in dem er Ein­drücke sein­er Reise ver­ar­beit­et hat­te. Es hieß Childe Harold’s Pil­grim­age und war eigentlich nur für den inti­men Kreis sein­er Fre­unde aus der Stu­dien­zeit in Cam­bridge ver­fasst wor­den. Es ver­di­ene nicht, sprach Byron, gele­sen zu wer­den, aber wenn er, Dal­las, es haben wolle, schenke er es ihm. Und es war genau das, wonach der berühmte Ver­leger John Mur­ray gesucht hat­te und wofür sich Byron in gle­ichem Maße schämte, wie er sich darin gefiel. Ein Schlüs­sel­w­erk der Roman­tik! Mag sein, dass Byrons Ger­ingschätzigkeit Koket­terie war, oder ver­let­zte Eit­elkeit, denn er hat­te es zuvor einem Kol­le­gen zu lesen gegeben, dem es miss­fiel. Childe Harold war der unmit­tel­bare Aus­druck jen­er schwärmerischen Selb­st­mys­ti­fika­tion, die er an anderen Dichtern bere­its verspot­tet hat­te, aber den Stem­pel der schwärmerischen Zeit trug, gegen die er sich zeitlebens auflehnte und deren Symp­tom er doch war. Unverkennbar hat­te er sich in der Fig­ur des Harold gespiegelt: adoleszen­ter Indi­vid­u­al­is­mus, Selb­st­mitleid, Weltschmerz, Men­schen­hass, die Stil­isierung als ver­fluchte, getriebene Seele, die zu früh ver­stein­ert, in exo­tis­chen Orten nach stets neuen Sen­sa­tio­nen und Erlö­sung durch Liebe sucht. Es war Byron uncen­sored; seine spöt­tis­che Unbeein­druck­theit indes, die Attitüde, mit der er kaschieren wollte, die Gefühlsla­gen sein­er Zeit zu teilen, eben­so Koket­terie wie die Behaup­tung, nichts anderes als alle anderen Lev­an­tereisenden erlebt zu haben.

Dal­las schrieb an Byron: „Sie haben eines der köstlich­sten Gedichte geschrieben, die ich je gele­sen habe […]. Ich war so beza­ubert von Childe Harold, dass ich es über­haupt nicht mehr wegle­gen mochte.“ Dal­las schick­te das Manuskript an Mur­ray, und so wurde aus einem jun­gen Dichter, der so gerne ein neuer Pope, ein neuer Swift, ein neuer Sheri­dan gewor­den wäre, die Ikone der europäis­chen Roman­tik.

Es ist nicht mehr zu ermit­teln, ob Byron den Satz „Ich wachte auf und war berühmt“ wirk­lich gesagt hat. Nichts­destoweniger demon­stri­ert er schön die Ini­ti­a­tion ein­er ange­maßten Indi­vid­u­al­ität in ein Sys­tem, das weit mächtiger war als er. In der guten alten Zeit des Feu­dal­is­mus war der Kün­stler vom Adel abhängig gewe­sen, von dem er sich befre­ite, indem er den Schutz des Mark­tes suchte. Byron aber war adeliger Kün­stler und ver­stand sich auch als solch­er. In Eng­land hat­te sich seine Klasse längst mit dem Markt arrang­iert. Byron kon­nte es sich zunächst per Stand leis­ten, nicht allein Kün­stler zu sein, das heißt abhängig von Buchverkäufen, dem Wohlwollen der Rezensen­ten und dem Geschmack des Pub­likums. Das von ihm mitunter gehas­ste Standespriv­i­leg sicherte seine Autonomie und den Habi­tus, seine lit­er­arische Tätigkeit nur als „Kritzeln“ (scrib­bling) zu betra­cht­en, als zweck­freien Zeitvertreib und kreative Fleißauf­gabe. Die frag­ile Iden­tität des Autors war jed­erzeit geschützt durch Auswe­ichen in die Iden­tität des Reit­ers, Causeurs, Aben­teur­ers, Schloss­be­sitzers, Glo­be­trot­ters und Bon­vi­vants. Kon­se­quenter­weise lehnte er zu Beginn sein­er Kar­riere jeglich­es Autoren­hono­rar ab, übertrug das Copy­right von Childe Harold und The Cor­sair auf Dal­las. Mit kar­i­ta­tivem Groß­mut bestand Byron auf die Über­weisung der Verkauf­shon­o­rare an bedürftigere Kol­le­gen wie Samuel Rodgers, Samuel Tay­lor Coleridge und ein­mal sog­ar an den radikalen Dichter und Philosophen William God­win (wom­it er zweifel­sohne seinen kon­ser­v­a­tiv­en Ver­leger ärg­ern wollte) und gefiel sich darin, von Mur­ray befle­ht zu wer­den, das Geld doch anzunehmen. Seine zwei Anwe­sen New­stead und Rochdale waren mit Hypotheken belastet, er selb­st war hoch ver­schuldet. Zwis­chen Mur­ray und ihm herrschte als­bald das unaus­ge­sproch­ene Ein­ver­ständ­nis, dass Byron in Briefen und Äußerun­gen weit­er Mam­mon als Dichter­lohn von sich wies und dieser den­noch diskret auf seinem Kon­to lan­dete. Byron, der Kul­tur­markt und die Öffentlichkeit, die zwis­chen bei­den ver­mit­telte, waren in ihrem Ver­hält­nis zueinan­der alle­samt noch recht uner­fahren. If a star was born, it was a vir­gin birth.

Die paar Male, als ich in früheren Pub­lika­tio­nen über Byron schrieb, tit­ulierte ich ihn stets als ersten Pop­star. Pflicht­be­flis­sen zogen Lek­torin­nen dabei die Augen­brauen hoch, vielle­icht auch, weil sie endlich einen, der sich Stil- und Phrasenkri­tik anmaßt, eines knal­li­gen Anglizis­mus über­führen kon­nten. Doch meinte ich das wortwörtlich. Lord Byron ist der erste Star des Pop und auch sein erster gefal­l­en­er Engel.

Die Byro­ma­nia, die unmit­tel­bar nach der Veröf­fentlichung des Childe Harold ein­set­zte, zunächst nur in den Soireen der Soci­ety, sich aber sukzes­sive auf das gesamte Lesepub­likum aus­bre­it­ete, war ein völ­lig neues Phänomen, dem kein ver­gle­ich­bar­er Fall voraus­ging. Als Byron erwachte, um sich als Berühmtheit wiederzufind­en, war mit ihm eine neue Gesellschaft erwacht. Natür­lich hat­te Byron als Pop­phänomen seine Vorgänger. Die Geburt des poli­tis­chen Pop­ulis­mus als Per­so­n­enkult set­zt Richard Sen­nett mit dem Whig-Poli­tik­er John Wilkes an. Auch mit Goethes Werther und dessen Auswirkun­gen auf die europäis­che Jugend des späten 18. Jahrhun­derts ließe sich die Byron­these rel­a­tivieren. Doch nie­mand schick­te Goethe seine Schamhaare im Bil­lett, und es woll­ten zwar viele wie Werther, aber noch nie­mand wie Goethe sein, der zunächst nur als Name über einem berühmten Buchti­tel prangte.

Das Spez­i­fikum der Marke Byron, bleiben wir beim Pop, erk­lärt sich aus der his­torischen Kon­fluenz von bürg­er­lich­er Gesellschaft, Säku­lar­isierung bei kon­stan­ten religiösen Bedürfnis­sen, sen­ti­men­talem Ich, Genie- und Per­sön­lichkeit­skult, dem Siegeszug von Buch- und Medi­en­markt – und vor allem der rapi­den Zunahme des weib­lichen Lesepub­likums. Wie diese Bere­iche kausal aufeinan­der bezo­gen sind, wird immer ein Feld der Speku­la­tio­nen bleiben, und auch die Geschichte der Ide­olo­giekri­tik hat ihre Mytholo­geme: zum Beispiel das von der Erhöhung des solitären Ichs, weil die gesamt­ge­sellschaftliche Frei­heit unver­wirk­licht blieb.

Eine beze­ich­nende Pointe liegt darin, dass roman­tis­che Dich­tung, die zu einem Gut­teil doch die Flucht aus der Sphäre des Kom­merzes, kalter Ver­nun­ft und ökonomis­ch­er Objek­tiv­ität verkör­perte, ihre Massen­wirk­samkeit dem Wach­s­tum der Bewusst­seinsin­dus­trie ver­dank­te. Der roman­tis­che Sub­jek­tivis­mus war ein­er der erfol­gre­ich­sten Verkauf­ss­chlager pro­sais­ch­er Warenökonomie. Dem wertkon­ser­v­a­tiv­en Ver­leger John Mur­ray, dessen ide­ol­o­gis­che Tol­er­anz keine Prof­it­gren­zen kan­nte, bedeutete der Best­seller des lib­eralen Rebellen Byron die uner­wartete Goldquelle, die ihm ermöglichte, noch im sel­ben Jahr sein Büro von der etwas schmud­deli­gen Fleet Street in die Aber­mar­le Street im noblen West End zu über­siedeln.

Byrons Fre­und, der irische Dichter Thomas Moore, hat­te die Ratio­nal­isierung des Lit­er­aturbe­triebes und den Waren­charak­ter ätherisch­er Dich­tung mit einem hell­sichti­gen Gedicht per­si­fliert. Darin schlug er, um der stets wach­senden Nach­frage nach roman­tis­ch­er Dich­tung beizukom­men, ein Unternehmen zur Beschle­u­ni­gung des lit­er­arischen Pro­duk­tion­sprozess­es vor, in welchem bezahlte Ghost­writer am laufend­en Band die neuesten Scotts, Wordsworths, Nor­tons, Southeys und Byrons pro­duzierten. (Kaum eine Gen­er­a­tion später sollte Moores Vision Real­ität wer­den. Während Balzac, hin­ter der Tape­ten­tür vor den Gläu­bigern ver­steckt, in Büßerkutte und bei Hek­to­litern schwarzen Kaf­fees sich die Comédie humaine aus den Fin­gern sog, stand hin­ter der Marke Alexan­dre Dumas père bere­its eine lukra­tive Man­u­fak­tur aus bezahlten Schreiber­lin­gen.) Ein mul­miges Gefühl kön­nte Lesern und Leserin­nen beschle­ichen, wenn sie fol­gende Verse aus Thomas Moores Announce­ment Of A New Grand Accel­er­a­tion Com­pa­ny For The Pro­mo­tion Of The Speed Of Lit­er­a­ture in Hin­blick auf KI lesen:

Loud com­plaints being made in these quick-read­ing times,
Of too slack a sup­ply both of prose works and rhymes,
A new Com­pa­ny, formed on the keep-mov­ing plan,
First pro­posed by the great firm of Catch-‘em-who-can,
Beg to say they’ve now ready, in full wind and speed,
Some fast-going authors, of quite a new breed –

Such as not he who runs but who gal­lops may read –

[…]

There being on the estab­lish­ment six Wal­ter Scotts,
One cap­i­tal Wordsworth and Southeys in lots; –
Three choice Mrs. Nor­tons, all singing like syrens,
While most of our pal­lid young clerks are Lord Byrons.
Then we’ve ***s and ***s (for whom there’s small call),
And ***s and ***s (for whom no call at all).
In short, who soe’er the last “Lion” may be …
We’ve a Bot­tom who’ll copy his roar to a T,
And so well, that not one of the buy­ers who’ve got ‘em
Can tell which is lion, and which only Bot­tom.2

Was aber recht­fer­tigt für Byron und seine Ära die pop­pige Vok­a­bel Pop, die man doch spätestens für die Zeit nach dem Zweit­en Weltkrieg anzuset­zen gewohnt ist? Denn wenn Pop so all­ge­mein gefasst wird, dann ließe er sich doch ahis­torisch auf die beruhi­gende Banal­ität beschränken, dass außergewöhn­liche Men­schen beziehungsweise Hal­bgöt­tin­nen und Gottessöhne doch zu allen Zeit­en umschwärmt und somit poten­zielle Schamhaaradres­sat­en waren.

Die Plau­si­bil­ität von Byron als erstem Pop­star erhöht sich, wenn man vom gängi­gen Gemein­platz ein Stückchen abwe­icht, dass Pop seine Pop­u­lar­ität durch Eingängigkeit und Sim­pliz­ität erhalte, als Antipode zur exk­lu­siv­en Hochkul­tur. Dem wider­spricht, dass ab Mitte der 1960er-Jahre Maler und Anstre­ich­er bei der Arbeit nach­weis­lich Bob Dylans sur­re­al­is­tis­che Texte gesun­gen haben, in denen zum Beispiel „sil­berne Sax­o­phone“ den Auf­trag erteilen, die besun­gene Frau abzuweisen (I Want You). Doch wed­er die sin­gen­den Anstre­ich­er noch die Jury des schwedis­chen Nobel­preiskomi­tees hat­ten ern­sthaft Dylans Poe­sie studiert, wobei wir bei einem der zen­tralen Kennze­ichen des Pop wären: dem Pri­mat des Kün­stlers, sein­er Per­sön­lichkeit, sein­er Biografie über sein Werk. Weit­ere wären die Erhöhung zum Iden­ti­fika­tion­sob­jekt, eine bis zur Selb­stauf­gabe emo­tion­al­isierte Fange­meinde, imag­inäre Authen­tiz­ität, die Ver­schmelzung von Kün­stler­per­son und sein­er Kun­st zu einem auratis­chen Gesamt­paket, das der Markt in eine Ware trans­formiert, dessen Fetisch seine Bewun­der­er in Kon­sumenten und auf ver­track­te Weise selb­st in Waren ver­wan­delt.

Die erste Welle der Byro­ma­nia zeich­nete sich noch durch die Rezep­tion der Lyrik selb­st aus, der Iden­ti­fika­tion mit ihrer Haupt­fig­ur und den Topoi des Gedichts. Byrons Gedichte waren getrieben von ein­er nie zuvor gekan­nten Inten­sität. In der Tat wäre die Analo­gie zum Rock ’n‘ Roll nicht abwegig. Sobald Byron selb­st das Objekt der narzis­stis­chen Begierde wurde, geri­et seine Kun­st zur Devo­tion­alie, seine Porträts zu tausend­fach geküssten Votiv­bildern, seine Büch­er zu bloß hastig ange­le­se­nen Tal­is­ma­n­en, deren Berührung allein reichte, das eigene ereignis­lose Leben in einen ero­tis­chen Hex­ens­ab­bat oder eine Enter­fahrt in die Lev­ante zu ver­wan­deln. Childe Harold erfüllte ein roman­tis­ches Bedürf­nis, das for­thin auch dessen Schöpfer zu befriedi­gen hat­te, und wäre er nicht in Ung­nade gefall­en, so wäre auch sein höchst unro­man­tis­ch­er Don Juan mit der roman­tis­chen Brille gele­sen wor­den, und die Moral­is­ten hät­ten gegen die kon­forme Masse enthu­si­as­miert­er Byro­nis­ten einen schw­er­eren Stand gehabt. Mit der Abkehr von ihrem dämonis­chen Ver­führer, nach diesem ersten noch unver­stande­nen Rausch eines Popexzess­es, wur­den sie per kollek­tiv­er Buße auf den Pfad von Maß und Tugend zurück­ge­führt. Byron war nicht nur erster Pop­star wider Willen, Ahn­vater aller Bohemiens mit iro­nis­chem Stan­dortvorteil gegenüber naiv­en Roman­tik­ern, son­dern auch ein dialek­tis­ch­er Geburtshelfer der Vik­to­ri­an­is­chen Ära. Deren Mut­ter­gen­er­a­tion, jenes let­zte Auf­bäu­men des derb-fröh­lichen 18. Jahrhun­derts (ein­er Regency genan­nten Epoche), war eine lieder­liche Bon­vi­vante gewe­sen, ehe sie Buße tat und mit Trieb­verzicht, Leis­tung, Fortschrittsop­ti­mis­mus und der für Renegat­en so charak­ter­is­tis­chen moralis­chen Bestra­fungskom­pe­tenz die Weltherrschaft des Empires auf­baute.

Das dun­kle Geheim­nis des Starkults liegt in der narzis­stis­chen Beschaf­fen­heit der bürg­er­lichen Sub­jek­te, die sich der bewun­derten All­macht der men­schlichen Pro­jek­tion­szielscheibe unterord­nen, sich beschei­den und lern­bere­it geben. Es wirkt so, als macht­en sie ihr Objekt größer, als es ist, und sich klein­er, als sie sind. Doch so wie der Masochist einen größeren Lust­gewinn erfährt als der Sadist, ist diese Liai­son mit dem Super­star ein raf­finiert­er Trick des verkapsel­ten Selb­st. Im Star hat der zur Objek­tliebe immer unfähigere Men­sch ein Scheinob­jekt zur Ver­fü­gung, in welchem es sich selb­st lieben kann. Der Fan will nicht bloß die Aufmerk­samkeit, die Grat­i­fika­tion durch den Star, er will in ein­er imag­inären Hochzeit mit ihm ver­schmelzen, sich ihn ein­ver­leiben, seine schaman­is­che Macht übernehmen. Das ist die Tau­tolo­gie des Per­sön­lichkeitssub­sti­tuts, die von nichts fern­er sein kann als ide­al­er Indi­vid­u­al­ität.

„Je weit­er der vom Human­is­mus verk­lärte abstrak­te Begriff des Men­schen von ihrer wirk­lichen Lage ent­fer­nt war“, schrieb Max Horkheimer in seinem Essay Indi­vid­u­al­is­mus und Frei­heit­skampf, „desto erbärm­lich­er mussten die Indi­viduen der Masse sich selb­st erscheinen, desto mehr bed­ingte die ide­al­is­tis­che Ver­got­tung des Men­schen, die in den Begrif­f­en der Größe, des Genies, der beg­nade­ten Per­sön­lichkeit, des Führers und so weit­er sich bekun­det, die Selb­stern­iedri­gung, Selb­stver­ach­tung des konkreten Einzel­nen.“

Die Ver­got­tung des Popin­di­vidu­ums ver­langt die Negierung sein­er stören­den, wider­borsti­gen Eigen­heit. Deshalb schnüf­felt der Fan so gierig in dessen Pri­vatleben, um jede Abwe­ichung pro­jek­tiv in das ide­ale Spiegel­bild der eige­nen All­machtswün­sche zurück­zuscheuchen. Für die nie befriedigte Illu­sion, eine authen­tis­che Per­sön­lichkeit zu verehren, muss diese sowohl ihre Authen­tiz­ität als auch ihre Per­sön­lichkeit einge­büßt haben, um auch der Ent­per­sön­lichung des Fans einen indi­vid­u­al­is­tis­chen Anstrich zu geben. Diese Entwick­lung läuft zu dieser Zeit noch gemäch­lich aus dem Hafen der Geschichte wie die ersten Dampf­schiffe, wird aber Fahrt aufnehmen und im 20. Jahrhun­dert zur hege­mo­ni­alen Entwick­lung syn­thetis­ch­er Sub­jek­tiv­ität von der Stange. Guy Debord wird schreiben: „Der als Star in Szene geset­zte Agent des Spek­takels ist das Gegen­teil, der Feind des Indi­vidu­ums (…) Indem er als Iden­ti­fika­tion­s­mod­ell ins Spek­takel überge­ht, hat er auf jede autonome Eigen­schaft verzichtet, um sich selb­st mit dem all­ge­meinen Gesetz des Gehor­sams gegenüber dem Lauf der Dinge zu iden­ti­fizieren.“

Wenn es einen Byron’schen Helden gibt und so dieser Byron selb­st ist, wird dessen Hero­is­mus vor allem darin beste­hen, die Ansprüche sein­er Sub­jek­tiv­ität einen äußerst bru­tal­en Machtkampf gegen seine Verd­inglichung, an der er Mitschuld trägt, führen zu lassen. Er wird in seinem Arse­nal recht unter­schiedliche Waf­fen dafür find­en: Flucht in die Ein­samkeit, Flucht nach Ital­ien, sarkastis­che Gegen­wehr oder aber die eben­so listige wie fatale Tak­tik, ger­ade durch Annahme der zugeschriebe­nen Rolle die Deu­tung­shoheit darüber zu behal­ten: Wenn ihr Childe Harold haben wollt, dann gebe ich ihn euch.

Byron war 24 Jahre alt, der Erfolg seines anfänglich iro­nisch gemein­ten Rol­len­spiels ließ ihn als­bald mit der Rolle ver­schmelzen. Seine natür­liche soziale Unsicher­heit half ihm bei Empfän­gen und in Clubs, die Rolle des verdüsterten anämis­chen Außen­seit­ers hin­reißend zu spie­len und in eine strate­gis­che Stärke zu ver­wan­deln. Seine Fre­unde wie Hob­house und Scrope Davies lacht­en zu Beginn noch über die gelun­gene Trav­es­tie, als aber der Darsteller seines noch jun­gen Mythos aufhörte, mit ihnen hin­ter den Kulis­sen darüber zu lachen, wussten sie, dass ihm die Rolle in Fleisch und Blut überge­gan­gen war, und der erste Pop­star bekam die erste Lek­tion im noch als Ver­such­sanord­nung existieren­den Pop­busi­ness erteilt: die Unmöglichkeit, der eige­nen kul­turindus­triellen Verd­inglichung die Zügel anzule­gen. Der Her­ren­re­it­er, sich über alle Kon­ven­tio­nen und Dummheit­en erhaben füh­lend, spürte plöt­zlich selb­st einen Sat­tel auf dem Rück­en, den der junge Markt ihm aufge­set­zt hat­te, als dem besten Pferd, das sich je den Kon­ven­tio­nen und Dummheit­en der Gesellschaft wider­set­zt hat. Mit Markt meine ich natür­lich nicht bloß eine ökonomis­che Instanz, die nach Plan und Wille ver­fährt, son­dern das oft gar nicht bewusste und sehr vielschichtige Ver­hält­nis zwis­chen Mar­ket­ing, Insti­tu­tio­nen der Dis­tri­b­u­tion (Ver­lage, Druck­ereien, Zeitun­gen, Lit­er­aturkri­tik, Fanar­tikel­her­steller), Kon­sumenten und men­schlich­er Ware.

Doch noch gestal­tete sich alles burlesk und wie ein amüsantes Spiel. Aus jen­er Zeit, in der das Leben ein amüsantes Spiel zu sein hat­te, weil noch char­ac­ters und keine Per­sön­lichkeit­en aufeinan­der­trafen, stammte Eliz­a­beth Fos­ter, die Her­zo­gin von Devon­shire, der wir das Zeug­nis der ersten Symp­tome von Byro­ma­nia ver­danken: „Gegen­stand der Unter­hal­tung, der Neugi­er, der Begeis­terung sind im Augen­blick wed­er Spanien noch Por­tu­gal, noch der Krieg, noch der Patri­o­tismus, son­dern ist einzig Lord Byron! Das Gedicht liegt auf jedem Tisch, und er selb­st wird hofiert, ihm wird geschme­ichelt, er wird gelobt, über­all, wo er erscheint. Er ist blass, sieht krank aus, sein Kör­p­er ist hässlich [sic!], aber sein Gesicht ist schön; kurz und gut, er ist Gegen­stand jeden Gesprächs – die Män­ner sind eifer­süchtig auf ihn und die Frauen eine auf die andere.“3

Byrons Kör­p­er war mit­nicht­en hässlich, der zur Kor­pu­lenz Neigende war seit sein­er Stu­den­ten­zeit in Cam­bridge stark abgemagert. Die Her­zo­gin spricht damit in nicht son­der­lich sym­pa­this­ch­er Weise auf Byrons Behin­derung an, eine Sehnen­verkürzung des recht­en Fußes. Diese despek­tier­liche Wahrnehmung mag ein Kol­lat­er­alschaden des klas­sizis­tis­chen Schön­heit­sideals während Mrs Fos­ters Jugend gewe­sen sein, zu Byrons Zeit­en und danach erhöhte das Hinken sog­ar sein tragis­ches Flair und wurde Bestandteil des Pop­baukas­tens der Byro­ma­nia.

Nach anfänglichem Mit­spie­len begann sich das reale Vor­bild des Pop-Byron gegen diesen zu wehren, und zwar mit der aris­tokratis­chen Selb­st­gewis­sheit eines Asozialen, der offen­bar noch nicht einge­se­hen hat­te, dass er längst öffentlich­es Eigen­tum war. Diese Wider­borstigkeit kam ihm teuer zu ste­hen. Nur ein Men­sch erlag der Byro­ma­nia nicht. Stattdessen prägte er diesen Begriff. Anne Mil­banke, die Byrons ersten Heirat­santrag abgelehnt hat­te, schrieb 1812 das Gedicht The Byro­ma­nia:

Reform­ing Byron with his mag­ic sway
Com­pells all hearts to love him and obey –
Com­mands our wound­ed van­i­ty to sleep
Bid us for­get the Truths that cut so deep,
Inspires a gen­er­ous can­dour in the mind
That makes us to our friend’s oppres­sion kind.

Es half ihr nichts. Anne Mil­banke wurde seine Frau. Byron wusste, dass er nicht ein­mal seinen besten Fre­un­den darin trauen kon­nte, das notwendig falsche Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihm machte, zu kor­rigieren. Bei einem gemein­samen Aus­ritt eröffnete er Lady Bless­ing­ton, dass ihm seine Fre­unde das Leben gerettet hät­ten. Denn bloß die Angst, dass sie seine Biografien ver­fassen kön­nten, habe ihn vor dem Selb­st­mord bewahrt. „Ich weiß nur zu gut, was sie über mich schreiben wür­den – ihre Entschuldigun­gen, so lahm wie ich selb­st, die sie für meine Ver­fehlun­gen vor­brächt­en, bloß um diese unnötiger­weise bloßzustellen; und all dies mit der erk­lärten Absicht, zu recht­fer­ti­gen, was – Gott helfe mir! – nicht zu recht­fer­ti­gen ist, näm­lich meinen unpo­et­is­chen Ruf, den die Welt nichts ange­ht. Der eine würde seine Fed­er in gek­lärten Honig, der andere in Essig tauchen, um meine vielfälti­gen Ver­fehlun­gen zu beschreiben; und nur weil ich wed­er will, dass mein armer Ruhm süß kon­serviert noch sauer ein­gelegt wird, habe ich weit­ergelebt und meine Mem­oiren geschrieben, in denen die Tat­sachen für sich selb­st sprechen, ohne redak­tionelle Ergänzun­gen wie: ‚Wir kön­nen diesen unseli­gen Fehler nicht entschuldigen oder diese Unge­hörigkeit vertei­di­gen!‘ In jen­er Façon also, fuhr Byron fort, in der Fre­unde ihre eigene Klugheit und Tugend ver­her­rlichen, indem sie deren Man­gel bei dem hochgeschätzten Verblich­enen aufzeigen. Ich habe meine Mem­oiren geschrieben, sagte er, um mir die Notwendigkeit zu ers­paren, dass sie von einem oder mehreren Fre­un­den geschrieben wer­den, und ich kann nur hof­fen, dass sie keine Anmerkun­gen hinzufü­gen wer­den.“ Byrons Mem­oiren wur­den am 17. Mai 1824 im Büro seines Ver­legers Mur­ray ver­bran­nt.