Die Angst des Affenforschers vor den Menschen

Ulrike Draesner im Gespräch mit Andreas Puff-Trojan über ihren Roman Sieben Sprünge vom Rand der Welt

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Umfan­gre­ich ist Ulrike Draes­ners neuer Roman – und er springt auch noch über auf eine für das Buch eigens ein­gerichtete Web­site. Erzählt wird der Prosa­text in neun Stim­men von Ange­höri­gen der Fam­i­lie Grol­mann und ver­schiede­nen Gen­er­a­tio­nen ein­er pol­nis­chen Fam­i­lie, die 1945 von Lem­berg nach Bres­lau-Wrocław ver­trieben wurde. Die Zwangsmi­gra­tio­nen von Ost­polen in das schle­sis­che West­polen und aus Schle­sien nach West­deutsch­land, etwa nach Bay­ern, spiegeln einan­der und öff­nen den ambiva­len­ten Raum „deutsches Leid“ sowohl his­torisch als auch aktuell poli­tisch. Doch auch das The­ma der Affen­forschung hat seinen zen­tralen Platz in Draes­ners Roman.

ANDREAS PUFF-TROJAN Ihr neuer Roman hat die Vertrei­bung aus Schle­sien am Ende des Zweit­en Weltkriegs, Affen­forschung, die Macht der Erin­nerung und Gen­er­a­tionskon­flik­te zum The­ma. – Was hält den Roman zusam­men?

ULRIKE DRAESNER Zum einen: ein Leben. Es gehört Eustachius Grol­mann, Jahrgang 1930, geboren in ein­er schle­sis­chen Kle­in­stadt nicht weit von Bres­lau. Zum anderen: die Frage nach der Möglichkeit, über Trau­ma­tisierun­gen und ihre Fol­gen zu sprechen. Der Schw­er­punkt liegt auf der Frage danach, wie Zwangsmi­gra­tion sich über Gen­er­a­tio­nen hin­weg in Fam­i­lien auswirkt und wie stark unsere Gesellschaften bis heute davon bes­timmt wer­den.

Viele Ver­triebene lebten in ihrem neuen Zuhause, aber Teile ihres Inneren kamen dort niemals an.

PUFF-TROJAN Eustachius Grol­mann ist mit Haut und Haar Affen­forsch­er. Selb­st im zarten Alter von „zweiun­dachtzig­dreivier­tel“ Jahren hält der Pro­fes­sor sich noch zwei Bono­bos in seinem Garten. Diese „Affen­liebe“ Grol­manns hat aber einen Hin­ter­grund. Sie hängt mit sein­er Vertrei­bung aus dem schle­sis­chen „Paradies“ zusam­men.

DRAESNER Ja. Eustachius nimmt aus der Flucht vor allem eines mit: Angst vor Men­schen. Er hat gese­hen, was sie einan­der anzu­tun ver­mö­gen. Die Frage nach dieser Aggres­sion bes­timmt seine Beruf­swahl: Er studiert Medi­zin, hält die Nähe zum Men­schen nicht aus, wird Men­schenaf­fen­forsch­er. An unseren näch­sten Ver­wandten fragt er nach dem Ver­hält­nis von Instinkt und freiem Willen, von Gehor­sam und Mord­lust, von Iden­tität und Äußerung.

PUFF-TROJAN In elf Kapiteln lassen Sie in Ich-Form neun ver­schiedene Per­so­n­en zu Wort kom­men. Jed­er Fig­ur ver­lei­hen Sie eine ganz eigene Stimme – den Alten, die Krieg und Vertrei­bung miter­lebt haben, den heute beru­flich im Leben Ste­hen­den und der jun­gen Gen­er­a­tion, die zwis­chen sechzehn und zwanzig Jahre alt ist. Was hat es mit dieser eigen­willi­gen Struk­tur auf sich?

DRAESNER Das Erzählen der Sieben Sprünge ist mehrstim­mig und es fol­gt nicht nur der äußeren, son­dern auch der inneren Logik der Fig­uren. Der Roman begann für mich mit ein­er Stimme: Lil­ly, Eustachius‘ Mut­ter, spricht auf den let­zten fünf Kilo­me­tern der Flucht im Hochsom­mer 1945. Dieser Anfang von Kapi­tel vier ent­stand vor neun oder zehn Jahren. Das The­ma erschreck­te mich, eben­so die biografis­che Nähe. Ich schrieb einen anderen Roman, stellte einen Essay­band fer­tig, doch die Fra­gen, die aufge­taucht waren, ließen mich nicht mehr los. Die einzel­nen Stim­men musste ich mir in der Folge erar­beit­en. Ich wollte keine Rol­len­prosa schreiben, es kon­nte nicht darum gehen, „Zauber­tricks“ anzuwen­den, um die Fig­uren plaka­tiv voneinan­der zu unter­schei­den. Der Kern liegt dort, wo sie wahrnehmen, denken und empfind­en, also darin, wie das jew­eils einzelne Ich-Sein die Sprache bes­timmt.

PUFF-TROJAN Sie sprachen ger­ade von der „biografis­chen Nähe“. Was hat das mit den Stim­men im Roman zu tun?

DRAESNER Die Erin­nerung an meine schle­sis­chen Großel­tern und ihre Ver­triebe­nen­fre­unde half mir beim Schreiben. Ich war als Kind sehr schüchtern, saß oft stumm bei den Erwach­se­nen, manch­mal am, manch­mal unterm Tisch, und hörte zu. Sprachk­lang, Gefüh­le, Zwis­chen­töne – das alles tauchte bei der Arbeit am Roman wieder auf. Irgend­wann fand ich ein Bild für das, was ich tat: Ich lehnte mich in meine Fig­uren hinüber. Manch­er Ton ent­stand leicht, andere Töne sper­rten sich lange. Ich brauchte den gesamten Schreibprozess ein­schließlich aller Recherchen, um jed­er Fig­ur über­haupt etwas wie Stimme, eine gebroch­ene Stimme, geben zu kön­nen. Das Pro­jekt kippte immer wieder an diesem Punkt: Sprechen und Schweigen. Das gilt sowohl als The­ma für den Roman als auch für den Schreibprozess.

PUFF-TROJAN Mit dem The­ma der Vertrei­bung Deutsch­er aus Schle­sien, also aus jet­zigem großteils pol­nis­chem Gebi­et, rühren Sie in ein­er Wunde, die heute noch nicht ganz ver­heilt ist. Manch­er Leser kön­nte daher vielle­icht Ihren Roman falsch ver­ste­hen. Wie sind Sie mit diesem Risiko beim Schreiben umge­gan­gen?

DRAESNER Mein Erschreck­en beim Auf­tauchen des The­mas „Flucht und Vertrei­bung“ hat­te mit revan­chis­tis­chen Tönen der let­zten Jahrzehnte zu tun, die mir im Ohr klan­gen. Die Frage nach diesem Kon­text begleit­ete die gesamte Entste­hung der Sieben Sprünge, alle­mal als ich in Polen Zeitzeu­gen, His­torik­er und Poli­tolo­gen befragte. Sie kam wieder am Schreibtisch bei der Suche nach der Möglichkeit, einen Roman zu schreiben, dessen Fokus auf dem Nachkrieg liegt und dem es den­noch gelingt, den Kon­text der deutschen Vertrei­bung wed­er beschöni­gend noch erstickt von den alten Fall­en des Schweigens oder Ankla­gens mitzuerzählen. Als ich ent­deck­te, dass der deutsch-schle­sis­chen Flucht von Ost nach West eine pol­nis­che Ost-West-Flucht teil­weise bis in die konkreten Wohn­räume hinein fol­gt, wusste ich, wie der Roman ausse­hen müsste.

PUFF-TROJAN Meinen Sie damit eine Art „Hin­ter­grund­bild“ des Romans?

DRAESNER Ja, auch. Nicht nationale Gren­zen bes­tim­men den Zugriff. Erzählt wird ein Stück europäis­ch­er Geschichte, erzählt wird von Bewe­gun­gen in dem ver­lore­nen, reichen Kul­tur­raum namens Ost­mit­teleu­ropa. Ihn zu fühlen, inten­siv zu begreifen, was die Kriege des 20. Jahrhun­derts zer­schlu­gen, war ein­er der wichti­gen Schritte für mich. Der zweite: Die Ent­deck­ung, wie sehr wir, ger­ade über die Zwangsmi­gra­tio­nen seit 1939, bei allen Unter­schieden mit unseren näch­sten östlichen Nach­barn über Gedächt­nis und inner­famil­iäre Trau­ma-Weit­er­gabe ver­bun­den sind. Der dritte Schritt ist eine in die Zukun­ft gerichtete Frage: Wie kön­nen wir diesen Grund ambiva­len­ter Nähe frucht­bar umset­zen in das gemein­same Staats- und Kul­tur­we­sen „Europa“.

PUFF-TROJAN Es kom­men im Roman aber auch die Toten zu Wort, etwa Eustachius‘ Grol­manns Eltern. Ist bei Ihnen – wie beim Kirchen­vater Augusti­nus – die Erin­nerung stärk­er als der Tod?

DRAESNER Nichts gegen Augusti­nus, aber der Kirchen­vater ist mir im Kon­text meines Buch­es zu stark einge­bet­tet in christliche Deu­tungsmuster. Ich denke von den Fig­uren, weniger von Begrif­f­en wie „Tod“ oder „Erin­nerung“ her: Ich nehme auseinan­der, tauche ein oder lasse ein­tauchen, sehe an, was „da geschieht“. Etwa, wenn Lil­ly ver­sucht, sich an sich selb­st vor der Flucht zu erin­nern, wenn sie mit tiefem Erschreck­en bemerkt, dass die Ereignisse seit dem 19. Jan­u­ar 1945 dazu geführt haben, dass ihr der 18. Jan­u­ar 1945 vol­lkom­men aus dem Gedächt­nis gerutscht ist, dass sie sich an den Tag zu Hause nicht erin­nert, ihn nur rekon­stru­iert, und dass sie damit auch den Zugang zu sich selb­st als Per­son vor der Flucht, als Ich, ver­loren hat. Etwas so abstrak­tes wie „Erin­nerung“ ent­fal­tet sich in Prozessen, halb­willkür­lich, manch­mal gespen­stisch, dann wieder komisch. Auch die Bedeu­tung von Tod verän­dert sich, wenn wir ernst nehmen, was die Post­mem­o­ry-Forschung sagt. Näm­lich, dass die Weit­er­gabe zwis­chen den Gen­er­a­tio­nen über genetis­chen Trans­fer weit hin­aus­ge­ht. Sprich: In welchen Teilen oder Anteilen leben die Erfahrun­gen unser­er Großel­tern in uns weit­er? Was bedeutet es, als Kör­p­er auf der Erde anwe­send zu sein – und dann nicht mehr? So war es, so erstaunlich das vielle­icht anmuten mag, keine Frage, dass die Toten in diesem Roman eben­so sprechen wie die Leben­den.

PUFF-TROJAN Warum erscheint Ihr Roman jet­zt, in ein­er Zeit, in der Europa doch geeint zu sein scheint?

DRAESNER Da möchte ich zurück­fra­gen: Wann dieses Buch, wenn nicht jet­zt? Jet­zt, wo die Archive östlich des Eis­er­nen Vorhanges seit gut zwei Jahrzehn­ten geöffnet sind – die Sich­tung und Auswer­tung Fortschritte gemacht hat. Jet­zt, wo die let­zten Zeitzeu­gen, die sich an die Ereignisse von 1939 oder 1945 erin­nern, noch leben. Jet­zt, wo wir vor Her­aus­forderun­gen ein­er glob­al­isierten Welt ste­hen, in der die Fra­gen nach Heimat und Wurzeln neue Bedeu­tung bekom­men – weil wir, scheint es, immer bei­des brauchen: Weite und Ver­ankerung, Jet­ten um die Welt, auch in Daten­strö­men, und Sinn und Bewusst­sein von Herkom­men, lokale Ver­ankerung in Tra­di­tion. Jet­zt, weil wir mit Hil­fe psy­chol­o­gis­ch­er Forschung und dank neuer­er Unter­suchun­gen zu Gedächt­nis und Kör­pererin­nerung etwas bess­er ver­ste­hen, auf welch vielfältige und manch­mal auch erschreck­end effek­tive Weise Erfahrun­gen zwis­chen den Gen­er­a­tio­nen weit­ergegeben wer­den. Jet­zt, weil wir mit dem Fortschre­it­en der Zeit etwas mehr inneren Bewe­gungsspiel­raum zu gewin­nen scheinen. Und nicht zulet­zt jet­zt, weil die let­zte Gen­er­a­tion unmit­tel­bar­er Zeitzeu­gen nun, im hohen Alter, heimge­sucht wird von den frühen trau­ma­tisieren­den Erleb­nis­sen. Men­schenge­hirne struk­turi­eren sich im Alter um, Ver­gan­ge­nes, das sich jahrzehn­te­lang unter­drück­en ließ, wird an die Ober­fläche der Erin­nerung und, in manchen Fällen, auch der Artiku­la­tion gespült. Jet­zt, weil, um Inge­borg Bach­manns Frank­furter Poet­ikvor­lesung aufzu­greifen, sich verän­dert hat, welche Wahrheit uns zumut­bar ist.

Dank neuer­er Unter­suchun­gen zu Gedächt­nis und Kör­pererin­nerung ver­ste­hen wir etwas bess­er, auf welche vielfältige und effek­tive Weise Erfahrun­gen zwis­chen den Gen­er­a­tio­nen weit­ergegeben wer­den.

PUFF-TROJAN Sie schreiben ja nicht nur Prosa, son­dern auch Gedichte. Was im Roman auf­fällt, ist der lyrische Ton­fall. Da erhält so manche Seite im Buch eine großar­tige poet­is­che Sprachau­ra. Ander­er­seits kön­nte man auch von Pathos sprechen, das – angesichts des The­mas – so manchen Leser irri­tieren dürfte. Inwieweit war Ihnen diese Diver­genz beim Ver­fassen des Textes bewusst?

DRAESNER Ich fol­gte den Stim­men der Fig­uren – sie denken in ihrer Zeit und benutzen hie und da ein Vok­ab­u­lar, das auch damals schon pathetisch gewirkt haben mag. Pathos hat ja Funk­tio­nen: Es deckt Äng­ste zu, nicht „kor­rek­te“ Gefüh­le. Ein Indika­tor also. Selb­stver­ständlich kommt er im Roman vor. Die von Ihnen ange­sproch­enen Roman­pas­sagen hinge­gen sind eher zart und intim: Prosa in einem Auflö­sungszu­s­tand, der den Auflö­sungszu­s­tand ein­er Fig­ur spiegelt. Die sich, span­nungsre­ich, vielle­icht einen pathetis­chen Satz vor­sagt wie „durch­hal­ten“, also eine Parole wieder­holt, die dann aber eben durch den Sprachzusam­men­hang in ihrer Formel­haftigkeit erkennbar wird. Pathos, das sich selb­st unter­höhlt, ist ein Selb­st­wider­spruch, es funk­tion­iert nicht. Dieser innere Span­nungsauf­bau, das Wider­stre­it­en von Form und Inhalt, ist die entschei­dende Bewe­gung der Sieben Sprünge, das Wider-Sprechen der einen Fig­ur an, mit und gegen die näch­ste.

PUFF-TROJAN Sieben Sprünge vom Rand der Welt ist der Titel Ihres Romans. – Wie kann, darf man ihn deuten?

DRAESNER Auf eigene Art, das fände ich am schön­sten. Für mich bezieht er sich auf ein inneres Bild, das sich beim Schreiben des Romans her­auskristallisierte: Da las ich so Vieles, auch so Unter­schiedlich­es über Auf­brüche, Wege und nicht gelin­gen­des Ankom­men, dachte an die meine Kind­heit bes­tim­menden Fam­i­liengeschicht­en und sah, wie Men­schen gezwun­gen wur­den, vom Rand ihrer Welt zu sprin­gen – in ein Nichts, oder etwas, das ihnen so erschien. Für viele von ihnen schien das zu ein­er Spal­tung geführt zu haben: Sie lebten in ihrem neuen Zuhause, aber Teile ihres Inneren kamen dort niemals an. Als set­zten die Flüchtlinge die Füße nicht richtig auf den Boden, als müsse für den Rest ihres Leben etwas im Sprung ver­har­ren. Im Roman erzählen sechs Ver­triebene ihre Geschichte, es fehlt also ein Sprung. Er find­et ganz am Ende statt mit der Web­site www.der-siebte-sprung.de. Hier springt der Roman selb­st – aus sich her­aus, in ein anderes Medi­um hinein. Die Web­site ist Teil des Pro­jek­ts Sieben Sprünge. Sie macht etwas sicht­bar wie den Faden­ver­lauf des Romans, den Stim­men­raum, aus dem er kommt, Arbeit­sprozesse. Sie bietet eine Reise an, unter anderem in einem Lexikon reisender Wörter, das aus inzwis­chen über neun­zig Ein­trä­gen beste­ht. Wer möchte, kann mir über die Rubrik „Selb­st-Erzählen“ ein Wort nen­nen und sich dazu einen Lexikon­beitrag wün­schen.

PUFF-TROJAN Auf www.der-siebte-sprung.de kann man sich aber auch mit ein­er eige­nen „Geschichte“ ein­schreiben. Was ist das Ziel Ihrer Web­site in Bezug zum Buch?

DRAESNER Zum einen ganz prag­ma­tisch: Ich möchte mit der Web­site Zugang zu Recherche­ma­te­r­i­al ins­beson­dere auch aus Polen bieten, das Lesern vielle­icht im Rah­men ihrer eige­nen Auseinan­der­set­zung mit dem The­ma weit­er­hil­ft. Zum anderen schließt die Web­site den konzep­tionellen Bogen. Der Roman stammt aus einem Raum, den ich inzwis­chen „das unsicht­bare Wohnz­im­mer“ nenne. Gemeint ist die Hoch­parter­re­woh­nung mein­er schle­sis­chen Großel­tern in München-Schwabing, immer kühl und halb­dämm­rig. Dort, zwis­chen bil­li­gen 50er-Jahre-Möbeln, auf braun­grauen Ses­seln, trafen sie sich mit ihren neuen Fre­un­den, die alle­samt Ver­triebene waren. Man hat­te sich in München ken­nen­gel­ernt, aß gemein­sam Streuselkuchen, sprach ungezwun­gener – die heimatliche Fär­bung durfte erscheinen – und disku­tierte, ob man nach Polen fahren sollte oder nicht. Meine Erin­nerun­gen an dieses kollek­tive, vor der bayrischen Außen­welt sorgsam ver­steck­te Sprechen, bilde­ten den Nuk­leus des Romans. Das let­zte Kapi­tel der Web­site, Selb­st-Erzählen, eröffnet spiegel­nd hierzu einen zeit­genös­sis­chen Raum kollek­tiv­en, zwis­chen Schriftlichkeit und Mündlichkeit chang­ieren­den Nach­denkens.

PUFF-TROJAN Ihr umfan­gre­ich­er Roman hat eigentlich eine ver­söhn­liche Grund­ten­denz: Eustachius Grol­mann, dieser eigen­willige, ja stör­rische Alte, verbindet eine große Zunei­gung mit sein­er Enke­lin Esther. Und Esther scheint die Einzige zu sein, die voll und ganz hin­ter ihrem Groß­vater ste­ht. Bedarf es min­destens zweier Gen­er­a­tio­nen, bis die Alten auf „affe­nar­tige Gegen­liebe“ der Jün­geren hof­fen dür­fen?

DRAESNER Esther hat den Humor ihres Groß­vaters geerbt, über die „Affen­liebe“ würde sie lächeln. Ihre Liebe zu Eustachius ist anders, tiefer, wenn Sie so möcht­en, unver­mei­dlich­er. Dabei sieht sie ihn dur­chaus kri­tisch. Einem Groß­vater ist man viel weniger „aus­geliefert“ als einem Vater, davon prof­i­tieren sowohl Esther als auch Eustachius. Wie ver­söhn­lich das Ganze ist, wird jed­er Leser selb­st entschei­den. Esther ist Jahrgang 1996. Für sie stellt sich die Geschichte ihres Groß­vaters als Teil des großen The­mas „Migra­tion“ dar. Wir haben das 21. Jahrhun­dert betreten, auch mit Esthers bester Fre­undin, deren Fam­i­lie aus Pak­istan stammt, sowie mit einem Vogelforsch­er, der unter größtem Aufwand daran arbeit­et, ein­er im Freien aus­gestor­be­nen Voge­lart, dem einst weitver­bre­it­eten Wal­drapp, die Süd­mi­gra­tion wieder beizubrin­gen – also den freien, aus dem eige­nen Leben her­aus bes­timmten Flug.

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