Ich lernte Christian Zillner im Frühjahr 2018 kennen. Er moderierte eine Tagung über den rückläufigen Verkauf von Büchern und damit zusammenhängend die Krise des Lesens, und er tat dies sachlich unaufgeregt. Bei anderer Gelegenheit hätte ich ihm als weitsichtigen Chefredakteur für Corporate Publishing begegnen können, oder als Herausgeber diverser Zeitschriften, oder als einen Kommunikationsmanager, der eine Werbeagentur leitet, und wiederum andererseits als kritischen Journalisten, der heißblütig an das Ethos der vierten Macht im Staat appelliert. Hätte unser erstes Zusammentreffen in einem künstlerischen Umfeld stattgefunden, wäre mir der Essayist gegenübergestanden, der er auch ist, oder der Lyriker, oder aber der Epiker, der mit Spiegelfeld die auf elf Bände ausgelegte Geschichte eines österreichischen Adelsgeschlechts in Versmaß erzählt und etwas wie ein österreichisches Nationalepos von 907 bis 2002 nachzeichnet.
All diese Facetten seiner Persönlichkeit lernte ich auch nach und nach kennen. Schließlich wurde mir klar, dass er vor allem ein Künstler ist, ein Maler, und dann doch wieder einer, der „alles“ vorantreibt, weitermalt wie er weiterschreibt, weitermacht, ein Entwickler von virtuellen Kunstfiguren ist, und ebenso Performer, Erbauer von Installationen. Als er mich in sein Atelier in der Wiener Josefstadt einlud und mir dort seine zumeist großflächigen Gemälde zeigte, fühlte ich mich dann doch aus dem Konzept gebracht. Diese Bilder sind von einer Wucht und von etwas Urtümlichem, das ich nicht erwartet hatte. Von diesen Bildern geht ein Eigenwille beinahe wie von Art-Brut-Bildern aus, der mir geradezu ins Gesicht schlug. Wie eine Gischt, eine Welle, vor dem man zuerst die Augen aufreißt, ehe man sie ebenso abrupt zusammenkneift, sich vor ihr reflexartig wegduckt, um ihr dann, sobald sie einem gleichsam den Rücken zuwendet, tief beeindruckt einen Blick hinterherzuwerfen. Diese Gemälde lösen ein gelehrtes Staunen aus. Denn voraussetzungslos wie Art-Brut-Bilder sind sie beileibe nicht, sie sind weder von der Kunstgeschichte unbeeindruckt noch sind sie fixiert auf das Eigene, das Höchstpersönliche, sondern bewegen sich in einem Referenzraum der Kunst.
Meine Sympathie für Künstler, die sich nicht auf eine bestimmte Disziplin, ein Handwerk, eine Technik oder eine Begabung festlegen wollen, gilt ihrem Versuch, vorbestimmte Grenzen zu überschreiten und Unvereinbares miteinander zu versöhnen. Sie sind oft überbordend produktiv, fast manisch kreativ, und ihr Ansatz ist im Grunde zum Scheitern verurteilt. Ihre Kunst entsteht aus einem Übermaß, sie stehen unter einem Überdruck, vor dem sie sich Erleichterung zu schaffen versuchen. Dass immer ein Rest bleibt, der nicht auflösbar ist, ist ihr kreatives Programm und treibt sie von einem Experiment zum anderen. Ja sie existieren in einem fortdauernden Experiment. In ihnen ringen auf drastische Weise Erkenntnisdrang und Gestaltungswillen miteinander. Rastlos auf der Suche nach Wahrheiten, wagen sie sich zugleich an die Philosophie und bilden ein enzyklopädisches Gedächtnis aus. Sie schreiben – wie Christian Zillner – Gedichte, malen Gemälde, entwerfen Skulpturen, fotografieren oder was immer, ihnen scheint wahrlich nichts heilig. Sie sind gestalterisch, intervenieren auf eine provozierende Weise. Manche bauen sich ein gesamtkunstwerkliches Universum, in dem sie der Motor sind und als Selbst verschwinden.
Am wenigstens an ihnen interessiert mich ihre Doppelbegabung. Man könnte meinen, sie handeln ungebremst. Dabei wollen sie sich schlicht nicht entscheiden und agieren doch sehr entschieden. Sie grenzen sich insofern von den Monolithen der Kunstwelt ab, als dass sie der Idee des eigenen Stils, der unverwechselbaren Handschrift, ja überhaupt dem Werkbegriff wenig abgewinnen können. Sie sind Häretiker, und eben auch Mystiker, und ich glaube, sie sind selbst von all dem, was sie schaffen, vor den Kopf gestoßen.
Das alles trifft auf Christian Zillner zu. Er durchmisst das Leben, dessen soziale und kreative Felder, im Wissen, dass es stets um die Frage geht, ob man zu den Siegern oder den Verlierern gehören möchte, und er nur in der Kunst sagen kann: „Ich möchte (mich) verlieren“. Er bezeichnet sich als Maler, Schreiber und Magazineur und grenzt damit mit zwinkerndem Auge sein schier unbegrenztes Handeln ein. Im Vorarlbergischen, dem Sprachraum, aus dem er stammt, bedeutet nämlich der Magazineur einen Lagerhallenarbeiter, und als solchen versteht er sich. Was erzählen also seine Gemälde über ihn, den Magazineur, der ständig Regale einräumt, wie er sie ebenso ausräumt? Der Ordnung schafft in der Lagerhalle, der Welt, um letztendlich den Raum, den er leert, überfrachten zu können? Über jemanden, der nahelegt, man müsste gleichzeitig von allem sprechen, oder wenigstens von all dem anderen, was er tut.
In einer im Jänner 2019 fertig gewordenen Bildserie mit dem Titel Four Selfies with Young Codgers (100 x 100 cm, Acryl/canvas) fängt Zillner vier Gemütszustände ein. Jedes der vier trägt gewisse Gesichtszüge des Künstlers, auch jenes der Angst, das einen dunkelhäutigen Mann zeigt. Die Selbstporträts heben sich insofern von den meisten Zillner-Gemälden ab, als dass sie beinahe fotografisch anmuten. Es handelt sich um Schnappschüsse, und ganz offenkundig reagiert Zillner auf das Phänomen des fotografischen Selbstbildnisses, das heute Abermillionen von Menschen mit ihren Smartphones aufnehmen, über soziale Medien verschicken und öffentlich machen. Die vier Selfies zeigen zugleich einen Prozess des Sich-Preisgebens und einer Anverwandlung, wirken unmittelbar und haben doch etwas Allegorisches. Schon der Titel deutet an, dass sie inszeniert sind. Sie zeigen je ein frontales Männergesicht, und auf allen vier Bildern einen Kauz. Der codger fällt jeweils aus dem Bild. Weder seine Dimension noch wie er positioniert ist, wirken realistisch. Vielleicht ist der codger ebenso ein Tier wie ein Kodierer. Ein Küken, in einem noch nicht gerade harmonischen Verhältnis zur Welt.
Ich fragte Christian Zillner, was diese Selbstporträts auslöste. Es sei ein Film über junge Käuze gewesen, sagt er, er habe deren ungestüme Bewegungen faszinierend gefunden, ihre Zerzaustheit und Unbeholfenheit. Oft sind es Tiere, die ihn zum Malen bringen. Ihre Tragik und ihre Komik. Die Käuze also gaben die Bildgestaltung vor und fungieren am Ende als Eindringlinge, sie fallen aber auch tröstlich aus dem Bild, denn nur das Gesicht des Menschen trägt das Unmenschliche in seinem Antlitz.
Was an Zillners Bildern auffällt, ist eben dieser erwähnte Drang zur Inszenierung. Es geht beinahe immer um untergehende Welten, aus deren Scherben, Trümmern und Überresten neue Welten entstehen. Ein fast barockes Inszenieren von Endlichkeit und jener Energie, die ihn, den Künstler, dazu ermächtigt, sich aus dem Sich-Auflösenden neu zu erfinden. Zillners Bilder starren den Betrachter in die Augen, insofern fordern sie von ihm ein Bekenntnis. Sie ruhen nicht in sich selbst, sie fordern den Betrachter heraus. Sie bezeugen nicht ein Bekenntnis des Künstlers, sie verunsichern vielmehr jeden, der sich ihnen nähert.
Geboren 1959 in Dornbirn, lebt Christian Zillner seit vielen Jahrzehnten in Wien. Er hat etwas Theologie studiert und ist Doktor der Philosophie. Sowie vieler seiner Bilder von starken Landschaften getragen sind, halte ich diese Landschaften doch viel eher für mythische Formationen als für realen Gegenden nachempfundene Natur. Auch in diesem Punkt spiegelt sich das Ambivalente, das Zillners Leben durchzieht. Es geht stets um ein aufwendiges Drama der Weltentstehung. Um ein Theater des wahrscheinlich Unaussprechbaren. Nicht zufällig sind es denn auch die großen Erzählungen wie etwa die der Arche Noah oder des Turmbaus zu Babel, an denen er sich in seinen Bildern abarbeitet.
Es könnte ein Berg sein, der im Hintergrund in den bedrohlich bedeckten Himmel ragt, ein symmetrisch dreieckiger Felsen, vor dem sich eine Weidelandschaft ausbreitet, vielleicht ein Moor. Es könnte sich im Vordergrund, in der Fluchtlinie des Berges, um ein Schild oder die Skulptur eines Blattes handeln, das in den Boden gerammt wurde. Und wiederum davor um eine Mauer, halb aus Stein, halb aus in den Boden geschlagenen Ästen. Dahinter könnte sich ein Friedhof befinden, längst im Verfall, bald schon gänzlich vom Erdboden verschluckt.
Das Gegenständliche in Zillners Gemälde verführt dazu, alles, was man sieht, fragmentiert wahrzunehmen. Um es dann, bei näherer Betrachtung und indem man es aus verschiedenen Entfernungen zu verstehen versucht, als ein bildhaftes Ganzes zu begreifen. Es handelt sich – vorne der Bug, hinten das Heck – nicht um einen Berg und auch nicht um eine Skulptur, sondern um ein Schiff aus Holz, das auf Grund gelaufen ist und in die Landschaft übergeht. Oder vielmehr eine Landschaft schafft. Das Gemälde, Die Arche Noah (200 x 150 cm, Acryl/canvas), nimmt also ein biblisches Thema auf und entzieht der Idee einer geretteten Welt jegliche Grundlage. Es handelt aber nicht nur vom Verfall, den es anzeigt, sondern erzählt von einer Verschiebung der Perspektive, die im Auge des Betrachters eine wiederum andere – seine ihm eigene – Geschichte entstehen lässt.
Das Bild erzählt von einer modernen Melancholie. Eine Variante könnte Die Arche Noah taucht vor Venedig auf (300 x 200 cm, Acryl/canvas) heißen, und wir könnten uns an einer archaischen Mole wiederfinden und über die Welt und das Unstillbare philosophieren.
Dabei fällt auf, dass dieses zweite Gemälde der Arche Noah wie auch beinahe alle anderen ungelenk komponiert ist, dies aber keine Frage von technischem Vermögen ist. Dass irgendetwas an diesem Bild schief anmutet, hat offenbar mit einem Zweifel des Künstlers zu tun. Es ist gekonnt gemalt, und doch irgendwie „falsch“. Irgendetwas widersetzt sich der klassischen Komposition eines Gemäldes, hiermit einem bestimmten Narrativ, das mit der Zentralperspektive verbunden ist. Umso länger ich es betrachte, desto deutlicher fällt mir auf, dass dieses Gemälde aus Kulissen besteht, die ineinandergeschoben sind. Aus Fraktalen, die ein so abstraktes wie – ähnlich digitalen Bildern – Assoziationen weckendes Als-ob-Universum bilden.
Ich frage Christian Zillner, inwiefern die Perspektive in diesen Gemälden thematisiert wird. Zillner meint, insofern er sich die Frage stelle, ob etwa Velasquez heute noch so malen könnte wie zu seiner Zeit. Ob das Meisterliche noch aussagekräftig wäre, und fügt hinzu, er vermute, irgendetwas würde Velasquez davon abhalten. Und so malt Zillner wie ein Abstrakter und bringt dabei alles ins Figurale, und nähert man sich dem Bild und sieht ins Detail, löst sich alles in Striche auf.
Ein Aspekt, der mir auffällt, ist die Wut, die aus diesen Bildern spricht, das Nicht-Hinnehmen des Verfalls, den Zillner in seinen postapokalyptischen Visionen zeichnet, und der doch eigentlich aus einer Wut (oder ist es Zorn?) auf die großen Deutungsmuster unserer Kultur entsteht. Christian Zillner ist ein denkender Künstler, und als solcher ein wütender (zorniger?) Denker. Das etwas Grobe in seinen Formulierungen konterkariert sein Auftreten, das eines großgewachsenen Mannes, der sanft wirkt und vorsichtig in seinen Bewegungen, beim Sprechen tänzelt, von einer bemerkenswerten Zurückhaltung.
An die Wand seines Ateliers steht mit Farbe und Bleistift geschrieben: Selige Erde, heiliges Land. Daneben ein Vers aus Exodus (5,3): Wo du stehst, ist heiliger Boden. Er erzählt, sich nicht daran zu erinnern, warum diese Sätze auf seiner Wand landeten, und ebenso nicht zu wissen, wie die Motive seiner Bilder zustande kommen, lediglich nur, dass die Gedanken wie auch die Bilder in einem umständlichen und langwierigen Prozess entstehen. Auch das ist Teil dieser Denkwut, die ihn auszeichnet, eine Verfasstheit seiner Psyche, eine Haltung und ebenso ein Verfahren, mit dem er zu ihn selbst überraschenden Ergebnissen gelangt.
In seinem Essay „Kunst. Verrat an der Natur“ weist Zillner auf die Propositionen in der Philosophie hin, die vor jeder sprachlichen Aussage liegen. Diesen Propositionen, schreibt er, entsprechen die Vorbilder der Maler, aber sie lassen sich nicht nach der Natur abbilden, da jene immer schon eine von Kultur geprägte ist, und immer schon künstlich sein musste, um ertragen werden zu können. Anders ist sie nicht wahrnehmbar. Und da nun jeder Form von Kunst nicht die Natur, sondern ein Konzept davon zugrunde liegt, sieht er den Künstler als die Urform des Befreiers von der Natur, und damit verweist für ihn Kunst auf eine „übernatürliche“, also geistige Existenz des Menschen.
Es geht ihm im Grunde um eine Einübung ins Sterben. Um eine Befreiung von etwas, wovon man nicht befreit werden kann. Das macht ihn wütend (zornig?) und ebenso scharfsinnig. Er versteht den Künstler als den Verräter an der Natur, der sinnend und zweifelnd Distanz schaffen kann zum Endlichen allen Tuns. Es geht also um die Würde des Geistes.
Zillners Turmbau zu Babel besteht aus zwei Tafeln (jeweils 200 x 150 cm, Acryl/canvas). Während Pieter Bruegels Gemälde den alttestamentarischen Turmbau aus der Perspektive eines Betrachters am Fuß des Bauwerks darstellt, also von unten, überaus mächtig, zeigt Zillner das Bauwerk aus der Vogelperspektive, vielleicht aus einem Flugzeug, von weit oben jedenfalls. Bruegels Bild zeigt das Scheitern des Versuchs, einen Turm zu bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche. Es ist an vielen Details zu erkennen, dass der Mensch scheitern wird, und das Bild wurde auch nie anders gelesen. Es stellt die Vergänglichkeit alles Irdischen dar, ja die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens, es Gott als Schöpfer gleichzutun.
In Zillners Gemälde hat sich diese Frage erübrigt. Vielmehr beherrscht die Frage nach der Perspektive die ganze Erzählung. Der Blick aus dem All macht die Frage nach dem Menschlichen sinnlos. Der Turm neigt sich nicht zum Einsturz, er hat nur nie die Aussicht, sich annähernd zu seinem Betrachter hinauf zu erheben. Aber auch dem Betrachter wird nichts Gottähnliches zugestanden. Er mag ein Bergsteiger, ein Pilot, gar ein Astronaut sein, aber er blickt auf Landschaften, die nicht real sind, sondern vielmehr ein Spiegel seiner inneren Zweifel, ob denn das, was er sieht, überhaupt existiert.
In seinem Essay „Mit Picasso auf Anfang“ meint Christian Zillner, Picasso habe eine Darstellungsweise entwickelt, die keine Menschen mehr zeigt, wie wir sie uns gern vorstellen möchten, sondern Figuren wie Frankensteins Monster. Geschöpfe, die aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt sind und durch einen von außen kommenden Impuls zum Leben erweckt werden. „Picasso zeigt uns, was es nicht (mehr?) gibt: Menschen“, schreibt Zillner.
Mir scheint, Zillner führt diesen Gedanken auf eine radikale Weise weiter, indem er im Zeitalter der Computer naturalistische Bilder wie Landschaften mit Excel-Funktionen malt. Wie entsteht das, was wie Berge und Täler aussieht in seinem „Turmbau zu Babel“? Der Turm sieht aus wie ein Ameisenhaufen. So Menschen vorkommen, wirken sie wie ein zusammengewürfeltes Etwas. Das Tierhafte wiederum spielt in all dem, was wie Gesteins- und Erdformationen aussieht, eine entscheidende Rolle. Sieht man genauer hin, erkennt man in einem Bergrücken ein Schnabeltier, oder in einem Felsen, der sich auftürmt, einen Bären. Das Bild ändert sich je nachdem, wo man sich aufhält, und von wo man es betrachtet.
Im Grunde spricht aus dem Bild eine ebenso große Wut auf jede Deutungshoheit wie eine Sehnsucht, endlich Boden unter die Füße zu bekommen. Dass Christian Zillner sich an mythischen Themen (auf)reibt, fußt auf einer metaphysischen Enttäuschung. Es will nicht gelingen, an den Anfang zurückzugelangen, und daher drücken sich heute die Philosophen der Gegenwart buchstäblich vor der ersten und letzten Frage. „Was ich an den bedeutenden Philosophen der Gegenwart so liebe“, heißt ein kleiner Text von Zillner, in dem er beklagt, die Philosophen der Gegenwart kämen bei jedem Problem, das sie aufgreifen, „nach einiger brillanter Analyse auf Nietzsches Grund, dass die Wahrheit unerträglich ist.“ Und weiter: „Wer den brillanten Philosophen bei ihrer Malarbeit (!) fasziniert zugesehen hat, kann zum Schluss nicht anders als etwas enttäuscht auf die Fußstapfen in der Farbe zu starren. Ja, so kommt man heraus, aber eigentlich nur, indem man seine eigene Leistung mit Füßen tritt“.
Es könnten Grenzgegenden sein, Übergangslandschaften, die einem in Zillners Gemälden begegnen. Nicht selten gibt es Wasserflächen, sie sind am ehesten als real zu nennen, es könnten Seen, Bäche, Flüsse oder das Meer sein. Und doch sind sie ebenso unproportioniert, oder die Perspektiven sind verschoben. Es herrscht ein Kampf der Perspektiven. Sowie sich manchmal tierische Formen in den Landschaftsformen verbergen, treten ein anderes Mal in diesen amorphen Gegenden Tiere wie in einer Manege auf.
Eine Ziege tritt aus dem Bild, kommt aus der Kulisse, um sich den Betrachter anzusehen, Untitled (200 x 150 cm, Acryl/canvas). Die Tiere sind immer freundlich, ja fröhlich, während Menschen grimmig, in sich wütend und böse wirken. Eine Frau, oder ist es ein mythisches Zwitterwesen, steht im Wasser und schaut in das Bildinnere, sie ist entweder überdimensioniert gezeichnet oder sie steht im Vordergrund, und der im Hintergrund gezeichnete Hafen, eine Stadt und ein Zypressenhain sind wie Versatzstücke in das Bild geschoben, die Proportionen stimmen jedenfalls nicht.
Ich fühlte mich, da ich in Zillners Atelier ein Bild nach dem anderen betrachtete, überwältigt und fragte mich, ob es an all dem, was ich sehe, etwas Ursächliches gibt. Am Anfang eines Bildes steht, erzählt Zillner, eine Idee, und dann malt er drauf los, wild, komponiert Farben. Die Figuren entstehen erst im Übermalen, sie sind das Resultat eines Palimpsests. Und die Idee, wie in der Serie „Breugheln“ (Frühling, 200 x 150 cm, Acryl/canvas), reibt sich immer an einem formulierten Blick auf die Welt, auf eine Weltsicht, die der Künstler zugleich begreifen und nicht hinnehmen will.
Da ist zum Beispiel die Serie „Feldherrenlandschaften“, in denen Zillner den Blick auf Landschaften zeigt, wie sie Feldherren vor der Schlacht haben. Temudschin/Dshingis Khan (150 x 150 cm, Acryl/canvas) heißt das Bild einer strategischen Analyse, einer vollendeten Nutzbarmachung von Natur, von Kriegskunst, einer artifiziellen Vernichtung, eines genialischen Feldzugs.
Wie fügt sich das, um an den Anfang meiner Überlegungen über Christian Zillner zurückzukehren, in dieses Bild des vielfältigen Agierens, das ich zu zeichnen versuchte, ein? Ich vermute, Zillner handelt nicht nur vielfältig und kontextuell, sondern schiebt und verschiebt (wie in den Gemälden) laufend Handlungsebenen. Sein Denken ist klar und doch sehr verwunden, es mäandert und ist doch dort, wo es sich gerade aufhält, (ein)fordernd. Es hat etwas Schroffes, wenn er mit dem Unvermögen abrechnet, alles zu wissen und damit einen Vorrang zu postulieren (ob jenen der Naturwissenschaft über die Philosophie, oder jener über die Literatur). In einem Essay nennt er das Dichten ein Nichten, das aus einer Sehnsucht entstehe, nichts stehen zu lassen, um etwas ganz anderem Raum zu schaffen. Auf verschiedenen Tableaus spielt Zillner auf einer Klaviatur von erstaunlichem Umfang, und er hat – er sagt es von der Lyrik – aber womöglich ebenso in seiner gesamten Kunst im Sinn, die Welt zu zerstören, ohne jemandem ein Haar zu krümmen.
Solches Denken hält sich Utopien vom Leib und glaubt doch an die heilende Wirkung der Kunst. Sie heilt nicht von etwas, sie ist selbst Heilung im Heillosen, tröstlich, da sie auf die geistige Existenz des Menschen verweist, und zugleich manifest, im Materiellen verankert. Hebt sie die Zeit auf, frage ich nach. Jemand, der ununterbrochen Kunst machen könnte, würde nie Zeit empfinden. Antwortet Christian Zillner. Das meine Jean-Baptiste Camille Corot wohl, wenn er sagt: „Ich hoffe, man kann auch im Himmel malen.“ Einen größeren Trost könne man nicht aussprechen. „Der Himmel ist uns lang nicht genug. Selbst dort brauchen wir die Kunst“.