Als Kind spielte ich oft im Bach, der durch das obersteirische Dorf mäanderte, in dem ich aufwuchs. Der Bach war an vielen Stellen seicht. Mit meinen Freunden baute ich kleine Wehren und Schleusen und errichtete auf einem mit Schilf bewachsenen Inselchen einen Tipi, um mit einer verfeindeten Bande die Friedenspfeife – qualmende Strohhalme –zu rauchen. Es gab keine Kanalisation, und so waren in den 1960er Jahre Warzen, Krätzen, Ausschläge und Würmer nichts Außergewöhnliches für mich.
An der Donau aber, wo meine Großmutter lebte, gab es den Typhus. Meine Mutter sagte mir oft, in der Donau komme der Typhus vor, ich weiß nicht, als Drohung oder um sich selbst zu beruhigen, wenn ich mir einen Bandwurm eingehandelt hatte. Ich war jedenfalls nicht wie die Kinder ihrer Wachauer Schwester vom gefürchteten enterischen Fieber bedroht. Für meine Cousins galt das Baden im Fluss nicht nur wegen der Tiefe, Wirbel und Strudel der Donau als gefährlich, sondern eben auch wegen dieser lebensbedrohenden Krankheit. Ich fürchtete mich also vor der Donau, aber ich fand sie auch aufregend, auch wegen des Typhus. Der Klang seines Namens zog mich an. Der Donau-Typhus stand für das Außergewöhnliche, ja Phantastische einer fernen Gegend.
Überhaupt war dieser Fluss im nördlichen Flachland in allem größer, imposanter und eben auch bedrohlicher als unser Bach. Deswegen beneidete ich meine Cousins. In den Sommerferien, wenn ich zu meiner Tante in die Wachau fuhr, angelte ich mit ihnen in der Donau, mit selbst gebastelten Haken. Die Fische grillten wir dann am Ufer über offenem Feuer. Die Grillen zirpten, und da es dunkel wurde, spiegelte sich der Mond auf dem gekräuselten Wasser. Und auch die Gelsen gehörten zu diesem unübertreffbaren Flair.
Es gab für mich kein freundlicheres Geräusch als jenes der Donau, das ich in lauen Sommernächten im Haus meiner Tante vernahm. Und keinen stärkeren Lockruf als das etwas bedrohliche Rauschen, eine Art Rollen, das sich näherte, ohrenbetäubend, mich verschlang und sich doch über mich hinweg bewegte und wieder entfernte. Wachte ich aus meinem Traum auf, wurde mir klar, ein Lastschiff hatte sich soeben die Donau stromaufwärts geplagt. Ich stand auf, beugte mich aus dem Fenster und sah noch die roten und grünen Lichter, die bald wieder verschwanden.
Das Leben an einem so abenteuerlichen Fluss schien mir weit mehr meinem Naturell zu entsprechen als das meine an einem kleinen Bach in einem obersteirischen Dorf. Daher begann ich, von diesem Fluss im nördlichen Österreich zu träumen. Saß ich allein im Gras oder auf dem Ast eines Baumes, stellte ich mir vor, wie unser Bach in die Liesing, hierauf in die Mur, mit jener durch die Stadt Graz bis nach Slowenien, dann an der ungarischen Grenze in die Drau, und wiederum mit dieser weiter nach Kroatien und schließlich in der Nähe der Stadt Osijek in die Donau floss. Wie also mein obersteirischer Bach durch den nördlichen Balkan in die Donau, mit jener – von der Stadt Osijek an mit dem Wasser aus der Wachau verbündet - durch halb Südost-Europa am Ende rinnen und am Ende in das Schwarze Meer münden würde. Ich konnte mich einen ganzen Nachmittag lang in meinen Gedanken einem Wassertropfen aus unserem Bach folgen und vereint mit einem aus der Wachauer Donau an der Mündung des Flusses ins Schwarze Meer enden sehen.
In den Flüssen wohnte die Sehnsucht nach der Ferne. Mit den Flüssen kamen die Geschichten und gelangten mit ihnen in die entferntesten Gegenden. Was ich später einmal als eine historische Tatsache bezeichnen würde, bezog sich in meiner kindlichen Phantasie nicht auf Menschen, die auf Flössen und Schiffen einem Wasserweg folgten; es bezog sich auf den Fluss selbst, seine Substanz. Für mich erzählten nicht die Sänger und Epiker, sondern das Rauschen des Wassers tat es. Ja wenn ich am Bach saß, dachte ich an die Geräusche der Donau, wie ich sie von den Besuchen in der Wachau in Erinnerung hatte, und hörte mit diesen Geräuschen die Erzählungen aus fremden Ländern. Indem ich mir vorstellte, wie mein Bach in die Donau mündete, lebte ich auf bestimmte Weise genauso wie meine Verwandten in der Wachau am längsten europäischen Fluss. An einem Fluss, um den sich alle große Geschichten drehten, die ich von Erwachsenen hörte, all die Sagen um Krieg und Frieden und den stetigen Wandel der Welt.
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Ich weiß nicht, wann ich zum ersten Mal von einem Hochwässer an der Donau hörte. Meine Mutter schrieb regelmäßig Briefe an meine Großmutter, um ihr zu berichten, was bei uns in der Obersteiermark vorging, und wenn dann der Briefträger Post von meiner Großmutter zustellte, las sie uns am Mittagstisch die jüngsten Ereignisse in der Wachau vor. Darin kamen auch die Sorgen wegen eines befürchteten Hochwassers vor. Ich war ja einmal mit Stiefeln über den überfluteten Marktplatz unseres obersteirischen Dorfes gewatet, nach sintflutartigen Regenfällen, die der Bach nicht fassen hatte können. Die Hochwässer in der Wachau aber waren ein fundamentales Ereignis. Drohte ein Hochwasser in der Wachau, telefonierte meine Mutter mit ihrer Schwester, und wir wussten wir, was gerade in der Wachau geschah. Wir nahmen Anteil, wenn der gewaltige Fluss anwuchs, von Tag zu Tag mehr, und stellten uns vor, wie er bald aus dem Flussbett treten und schließlich bis zu den Häusern ansteigen würde.
Die Donauhochwässer machten mich mysteriös, als eine Erzählung, der ich selbst aufmerksam zuhörte, und die ich dann den Nachbarn weitererzählte. Meine Freunde konnten sich das alles nicht vorstellen. Die Erzählung bewegte, ja erschütterte mich und schenkte mir zugleich den Nimbus des Unbekannten. Es handelte sich jeweils um zwei bis drei Wochen, in denen meine Mutter täglich mit ihrer Schwester telefonierte, meistens im Mai oder Juni, wenn die Schneeschmelze die Donau anschwellen, und schwere Regenfällen sie aus dem Flussbett treten ließ.
Nicht immer kam es zur Katastrophe, und dessen Ausmaß hatte jeweils einen bestimmten Namen. Das Jährliche überschwemmte die Straße, das Fünfjährige den Keller, das Zehnjährige drang in die ebenerdige Räume ein. Beim Hundertjährigen handelte es sich um eine mythische Größe, ein legendäres Ereignis, ehrfurchtserregend, für die Annalen bestimmt. In Melk war auf einer Hauswand die Tabelle mit den Wasserständen von Jahrhunderthochwässern gemalt. Ich versuchte mir auszudenken, wie die Donau im Jahr 1501 oder 1768 oder 1899 die Stadt unter dem Benediktinerstift verschlungen und auf wunderliche Weise doch wieder freigegeben hätte. Zuletzt hatte sich 1954 ein Jahrhunderthochwasser ereignet; meine Tante erzählte, wie Wasser in die Wohn- und Schlafräume ihres Hauses gedrungen war, ein Ereignis, das auch meine Cousins nur aus Erzählungen kannten, und das meine Großmutter, meine Tante und die anderen Erwachsenen zu einer Art Sagenfiguren machte.
Für mich bestand das Wesen des Hochwassers in Wasserstandsmeldungen und Wettervorhersagen. Ebenso in den diversen Schätzungen, wie hoch die Donau ansteigen, und den Kommentaren, ob und welches Haus überschwemmt werden würde. Meine Mutter erzählte uns, wie sich Nachbarn in die Haare gerieten; weil der eine davon überzeugt war, dass sich die Donau wieder verfließen, der andere, dass sie aus den Ufern treten würde, daher der eine die Möbeln zu räumen begann, und der andere ihn dafür verhöhnte. In diesen Tagen der Bedrohung entbrannte ein Wettstreit, ein besonderer Eifer, auch eine ungemeine Besserwisserei, die in der Wachau um sich griff, und die ich von meiner Mutter detailreich geschildert bekam.
Trat dann die Donau tatsächlich aus den Ufern, und überschwemmte sie tatsächlich das Haus meiner Tante, brachen die Telefonate ab. Wir wussten, nun standen die Strom- und Telefonleitungen unter Wasser. Von nun an tappten wir im Dunkeln und bangten mit den Verwandten in der Wachau. Erst wenn die Donau wieder in ihr Flussbett zurückgekehrt war, rief meine Tante erneut an und erzählte von den Krankheiten durch die sanitäre Not, den Schäden an Haus und Mobiliar, und schließlich von den Aufräumungsarbeiten und der Erschöpfung, die sich breitgemacht hatte.
Was ich über die Hochwässer der Donau hörte, erschien mir so furchterregend wie meinen Cousins unsere obersteirischen Erzählungen über die Schneemassen, die in manchen Wintern Lawinenabgänge bis in unser Dorf auslösten. Wann immer wir zusammen kamen, redeten wir über die Bedrohungen, die uns im einen Fall bewältigbar und im anderen übermächtig erschienen. Ja während meine Verwandten aus der Wachau mit den Hochwässern der Donau zurechtkamen und die Lawinenabgänge entsetzlich fanden, kamen wir mit den Schneemassen zurecht und fürchteten uns vor den Hochwässern.
Mehrere unserer Verwandten lebten in Graz und in Wien. An keinerlei Naturkatastrophen gewöhnt, hatten sie von uns allen die größte Angst. Ihre Phantasie war durch und durch katastrophal, ihre Angst wurde mit jedem Lawinenabgang und jedem Hochwasser, von dem sie hörten, nur noch größer. Sie hatten monströse Vorstellungen von Wassermassen, die alles verschlangen. So es einmal vorkam, dass sie sich in der Wachau aufhielten, wenn die Donau bedrohlich zu steigen begann, packten sie ihre Koffer und reisten ab. Ihre Angst vor dem Wasser war so groß, dass sie den Gedanken, meiner Tante und ihrer Familie zu helfen, absurd fanden. Meine Tante erwartete auch gar nicht, dass jemand aus Wien oder Graz tatkräftig zupacken würde, wenn es darum ging, Hab und Gut aus den ebenerdigen Räumen in die oberen Stockwerke und den Dachboden zu schaffen. Sie winkten ihnen freundlich hinterher und versicherten ihnen, sich nach dem Hochwasser wieder bei ihnen zu melden.
So kam also ein Hochwasser einer mythischen Zeit gleich, einer Zeitspanne, in der die Zeit stillstand, und in der die Familie meiner Tante wie unter Verschluss etwas Unsagbares erlebte. Die Verwandten in Wien und Graz konnten sich gar nicht erklären, warum man in einer solchen Gegenden lebte. Ja dass man es tat, galt ihnen als Beweis, dass ein Donau-Anwohner nicht nur in seiner Lebensweise, sondern in seinem ganzen Verstandes- und Gefühlsleben anders als sie war. Sie hatten ihre Angst vor den Hochwässern und Lawinenabgängen völlig verinnerlicht, während wir Obersteirer und Wachauer uns zwar vor der jeweils anderen Gefahr fürchteten, den Ablauf einer Katastrophe aber ziemlich gelassen hinnahmen. Danach vergaßen wir zwar nicht, was geschehen war und was jederzeit wieder geschehen könnte, ja mit Sicherheit wieder geschehen würde, lebten aber trotzdem recht unbeschwert mit den Gefahren, die zum Ort gehörten, an dem wir lebten.
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Als Jugendlicher kam ich zweimal jährlich an die Donau, einmal mit meinen Eltern, im Spätherbst oder zu Ostern, und einmal im Sommer, den ich bei meiner Tante verbrachte. Ich fuhr mit meinem großen Bruder in die Wachau, mit dem Zug, durch das Paltental und das Gesäuse und endlich in das flachere Voralpenland hinaus, vorbei am Sonntagsberg, der mir bedeutete, dass es nicht mehr lange dauerte, und endlich von Ybbs und Krummnussbaum an entlang der Donau. In Melk eilten wir mit schweren Koffern vom Bahnhof durch die Stadt hinunter zur Anlegestelle und bestiegen dann endlich das Schiff der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft, das uns bis zum Dorf brachte, wo meine Großmutter und die Familie meiner Tante lebten. Mir war der Blick von einem Berggipfel ins Tal vertraut, er mochte imposanter sein als jener vom Schiff aus ans Ufer. Und doch fühlte ich hier auf dem Schiff eine Regung, die nur die Donau in mir auslöste. Im Augenblick des Ablegens, des Sich-Entfernens vom Ufer entstand ein triumphales Gefühl des Abschiednehmens, genau dann, wenn das Schaufelrad das Wasser aufzuwühlen begann, und der Dampfer sich zur Flussmitte hin bewegte, das Horn ertönte, und sich die Landschaft der Wachau an mir vorbei bewegte. Die Landschaft wankte, während Wasser bis zur Reling, an der ich mich festhielt, herauf spritzte. Ja eine bizarre Patina legte sich über die Hügel und Wälder und Obsthaine. Die Welt geriet aus den Fugen, und es fühlte sich für mich an, als überkäme die Ufer ein Schwindel, ja als fiele die Landschaft in Ohnmacht. Ich schaute zu den Häusern, und ich verlor den Boden unter den Füßen.
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Ich kann nicht genau sagen, wie viele Hochwässer an der Donau ich inzwischen selbst erlebt habe. Ich bin halb ein Lawinenmensch geblieben, halb ein Hochwassermensch geworden. Das Haus in der Wachau, in dem ich seit zwanzig Jahren lebe, nicht weit weg von dem meiner Tante, steht unmittelbar am Fluss. Ich kenne das Aufpacken der Möbel auf Kanthölzern, das Wegschaffen der tragbaren Gegenstände, das Aushängen der Fenster und Türen. Die große Aufgeregtheit, die Sorgen wegen der Schäden, die Angst vor der Gewalt und Zerstörung, die Alpträume, in denen die Welt auf apokalyptische Weise untergeht. Ich kenne die Hilfsbereitschaft der Feuerwehrfrauen und -männer, die die Straßen absperren, Sandsäcke herbei schaffen, Möbel schleppen, Menschen beruhigen, im Feuerwehrhaus ein Hilfszentrum einrichten, Essen, Trinken und Sanitäres austeilen; Menschen und Hilfsgüter mit Booten hin- und herführen, deren Haus keinen freien Zufahrtsweg mehr hat, und sich - wenn nötig - mit der Zille in Gefahrenzonen vorwagen, wenn ein Unbelehrbarer, der sich nicht evakuieren ließ, in Not gerät; und schließlich, wenn das Wasser wieder zurückgeht, den Schlamm aus dem Haus und der Einfahrt schaufeln, die Straßen und Böschungen reinigen, beim Rückräumen helfen; und die ganze Zeit über den Opfern das Gefühl geben, nicht im Stich gelassen zu sein, wenn die Not am größten ist, sie trösten und ihnen zureden, dass es nach überstandener Nacht wieder Tag wird.
Inzwischen bin ich selbst Feuerwehrmann; im Hochwasserfall wie viele andere zugleich Opfer und Helfer, der zur Lagebesprechung ins Feuerwehrhaus einrückt, das eigene Haus räumt und dann in den anderen Häusern hilft. Ich kenne die überlagerten Gefühle, jene der Ohnmacht und jene der Verantwortung, kenne die Schlaflosigkeit des einen und die Erschöpfung des anderen. Mir ist klar, wie sich die Hochwässer an der Donau verändert haben; dass sie heute zu jeder Jahreszeit auftreten, oft schon nach wenigen Tagen Regen; wie sie also heute blitzschnell entstehen, aber auch rasch wieder abfließen, wie die Fließgeschwindigkeit der Donau schneller, die Gewalt des Wassers größer geworden sind. Ich glaube zu verstehen, wie die Rasanz der neuen Hochwässer mit dem Klimawandel wie auch mit den Verbauungen an der Donau zu tun hat; mit dem Wetter ebenso wie mit dem Zubetonieren von Au- und Wiesenflächen und wahrscheinlich auch den Hochwasserschutzbauten, die errichtet werden.
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Meine Donau ist heute keine kindliche Phantasie mehr, und ist es doch geblieben, mein Raum der Ferne. Wann immer ich am Fenster meines Hauses unweit der Ruine Aggstein sitze und auf das Wasser schaue, fühle ich mich mit der Welt verbunden, sogar im tiefsten Winter, wenn alles menschenleer und verlassen wirkt in der Wachau. Mit den Schiffen, die aus dem Nebel auftauchen, an meinem Fenster vorbei fahren und wieder im Nebel verschwinden, schweben meine Gedanken zu belebten Plätzen. Es könnte Wien sein oder Budapest, Belgrad oder Ruse. Es könnten auch Plätze der Tiere sein wie die Auen von Hainburg oder das Delta in Rumänien. Die Geschichten, die mir durch den Kopf gehen, sind nicht mehr so konkret wie in der Kindheit. So am Fenster sitzend, entsteht etwas in mir, das mich beruhigt. In Gedanken den Schiffen folgend, die wieder in den Nebel abtauchen, erschließt sich mir die Welt der Möglichkeiten, die dieser Fluss verkörpert. Es handelt sich um einen bestimmten Aggregatzustand, in dem ich vollständig beruhigt bin. Ja, die Donau ist für mich ein Möglichkeitsraum.
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Ich hatte mir eingebildet, dass ein Jahrhunderthochwasser nur einmal im Leben eines Menschen passieren kann, es sei denn, er würde älter als hundert Jahre. Es wäre also nicht einmal gesagt, dass im Leben eines Menschen, der an der Donau lebt, ein Jahrhundertwasser auftreten muss, vielmehr handle es dabei um ein Ereignis, das den Annalen gemäß etwas Unwahrscheinliches war, also in meinem Leben keine Rolle spielen würde.
Inzwischen habe ich zwei Jahrhunderthochwässer an der Donau erlebt, im August 2002 und im Juni 2013. Das erste Mal kam es überfallsartig. Niemand hatte damit gerechnet, und die optimistischen Prognosen, die in diesen Tagen gegeben wurden, bewahrheiteten sich nicht. Man würde später von einer Flut sprechen, die aus Bayern zu uns in die Wachau kam, und die niemand aufkommen sah. Daher hatte kaum jemand rechtzeitig sein Haus geräumt, und wenn auch neben der Feuerwehr auch das Bundesheer ausrückte, waren die gewaltigen Schäden nicht mehr zu verhindern; Benzin floss in großen Mengen aus, und auf den Öllachen schwamm das Hab und Gut aus den Häusern, zwischen Baumstämmen aus den Auen, die das Wasser ebenso mit sich gerissen hatte.
Nicht nur die Häuser an der Donau, sondern das halbe Dorf stand unter Wasser. Meine Familie war in Sicherheit gebracht. Weit in das Hinterland stand das Wasser, im Rückstau ein ruhiger See; die Feuerwehrzillen bewegten sich an den Fenstern der oberen Stockwerke entlang. Die Fahrt war riskant, da unter der graubraunen Wasseroberfläche Sträucher, Verkehrstafeln und Brückengeländer sein mussten. Draußen an der Donau war das Wasser reißend, unpassierbar, eine unglaubliche Naturgewalt, die in die Häuser drang, durch die offenen Fenster und Türen. Es regnete und es war nasskalt, und ein Gestank von Schlamm und Heizöl lag in der Luft.
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Einmal stieg ich abends mit einer Stirnlampe von der Bergseite ins Haus ein, um nachzusehen, wie hoch das Wasser im Haus stand. In den etwas tiefer gelegenen Häusern war es bereits in das obere Stockwerk gedrungen. Noch zehn Zentimeter, und alles, was wir nach oben geschafft hatten, alles was uns gehörte, würde von den Fluten verschlungen.
Ich kam von hinten ins Haus; hockte an der im Hang, etwas höher gelegenen Rückseite, auf der obersten Stufe der Treppe. Das untere Stockwerk war bereits unter Wasser, bis zur Decke, in der Donau verschwunden. Im schlammigen Wasser, in dieser kalten Kloake, vergiftet, verseucht, das einen ohrenbetäubenden Lärm machte. Ich hockte auf der obersten Stufe, in meiner Feuerwehrhose und den Stiefeln, und da ich das Wasser in Gedanken bereits in die Wohnräume eindringen sah, kamen mir Tränen. Ich weinte. Dann fiel mir ein Ast auf, der vor mir im Wasser schaukelte. Auf dem Ast saß eine Maus, zitternd, vor Panik starr. Ich hob sie auf, brachte sie hinter das Haus und kletterte über den Hang zurück zur Anlegestelle, wo die Feuerwehrzille auf mich wartete.
Eine Woche später saß ich wieder auf der Steinbank vor dem Haus, auf der ich so oft in der Sonne gesessen, nun vor einem riesigen Loch, das unser Garten gewesen war. Die Strömung hatte den Rasen die Erde mit sich gerissen. Es stank nach Schlamm, und vor den Häusern lagerten Möbel, Maschinen, ganze Küchen, Fenster und Türen, alles, was das Wasser zerstört hatte. Mit schwerem Gerät scherten und schoben Feuerwehr und Bundesheer den Schlamm in die Donau zurück, und Freiwillige aus ganz Österreich verteilten Wasser und Zahnbürsten, Waschmittel und Gutscheine, die sie gesammelt hatten.
Die Sonne schien. Es war August, ein heißer Tag, schwül; blickte ich zum anderen Ufer hinüber, war da wieder der Charme einer Landschaft am Fluss. Drei unserer Nachbarn hatten sich dazu entschlossen, ihre Häuser aufzugeben und woanders hinzuziehen. Ich dachte mir, dass sie die Angst, die sie nun von der Donau wegtrieb, mit sich nehmen würden; wo immer sie lebten, wären sie ängstlich. Ich wollte Frieden schließen mit der Natur, die so viel Respekt einforderte: gerade so zerstörerisch gewesen war, und nun wieder friedlich. Das Haus liegt am Ufer der Donau, die mich eben die Tugend der Gelassenheit lehrte. Es ging darum, im Fluss des Lebens zu verbleiben, weder heldenhaft noch ängstlich. Ich schaute auf das Wasser und wusste, dass ich bleiben würde.