Über das Weiterschreiben

AutorInnen im Zeitalter der Roboter

Von

Walter Grond © Auftragsfoto Sappert

Wal­ter Grond. Foto: Auf­trags­fo­to Sap­pert

Es sind keine zwanzig Jahre her, da die Frage, was niedere, was hohe und was „Weltlit­er­atur“ sei, nicht nur heftig im Feuil­leton disku­tiert wurde, son­dern milieuprä­gend für die lit­er­arischen Zirkel war. Nicht dass die Frage heute nicht mehr gestellt würde. Die Ansicht­en darüber haben sich jedoch entschei­dend verän­dert, und die Sorge um die Sprache, ihre Form, ihre Möglichkeit­en sowie ihre Gren­zen scheint von ein­er anderen Sorge über­lagert zu sein, näm­lich der um die Nutzer, die Sprechen­den und die Lesenden und vor allem um deren Schutz vor sprach­lich­er Kom­plex­ität und Missver­ständlichkeit.

In der dig­i­tal­isierten Welt gilt näm­lich die Benutzer­fre­undlichkeit als ober­stes Gebot, und unter dieser Voraus­set­zung wird Sprache auf ihre Tauglichkeit reduziert. Inzwis­chen sieht sich das lit­er­arische Leben ein­er Vielzahl von Tech­nik gestützten Milieus gegenüber, für die Sprache nur mehr ein beliebiges Vehikel für Mit­teilun­gen ist. Und wenn auch heute mehr denn je Men­schen auf ihren Kom­mu­nika­tion­s­geräten schreiben, scheint es so zu sein, dass sie es sel­ten tun, um sich an der Dif­ferenz der Form und des Geschriebe­nen zu reiben. Alle schreiben, aber die Schreibfer­nen dominieren das Schreiben, und alle lesen, aber die Nichtleser bes­tim­men, was sprach­lich gültig ist.

Und doch, welche Konkur­renz durch andere Medi­en die Lit­er­atur heute auch erfährt, und wie immer sie darauf reagiert, sind die Vorstel­lun­gen der lit­er­arischen Mod­erne des 20. Jahrhun­derts auch in der dig­i­tal­en Welt unser­er Gegen­wart nach wie vor präsent. Ihr Zugang zur Sprache bes­timmte viele Entwick­lun­gen in ver­schiede­nen kul­turellen Feldern, prägte das Ver­ständ­nis für das Exper­i­ment, die Kon­struk­tion, die flache Hier­ar­chie, die Inter­ak­tion, und vor allem für das Spiel (Sprach­spiel).

Die Lit­er­atur der Mod­erne ver­stand sich als Arbeit an der Sprache und damit eben­so als Arbeit an der Wahrnehmung. Als solche galt sie als mitentschei­dend für die Entwick­lung des Men­schen. Die Lit­er­atur kon­sti­tu­ierte let­z­tendlich, was ein gebilde­ter Men­sch ist, und damit ein­her ging die Vorstel­lung, dass einzelne - näm­lich Autoren - einen priv­i­legierten Zugang zur Sprache haben. Am Indi­vidu­um, dem Autor und der Autorin, kon­nte der Leser ler­nen, sich selb­st zu ver­wirk­lichen. Zum Beispiel kon­nten gebildete Men­schen ide­al­er­weise James Joyce lesen. Für ihren Kanon war bes­tim­mend, ob und wie anspruchsvoll sich ein Autor an die Sprache her­an­wage, ob er durch seine Arbeit an der Form ihre Gren­zen aufzeige und ob er sie um neue Aus­drucks­for­men und Wahrnehmungsmuster bere­ichere. Zen­tral war dabei die natur­wis­senschaftlich geprägte Ein­sicht, dass im Inneren der Sprache etwas beste­ht, das wir nicht gän­zlich begreifen, das aber den Geset­zen unser­er Zeichen­sys­teme entspricht. Das Sprach­spiel, so die Überzeu­gung, bringe dieses Etwas zu Tage und trage zur Evo­lu­tion der Sprache bei.

Für den Kanon der mod­er­nen Lit­er­atur war dem­nach bes­tim­mend, ob ein Leser, eine Leserin sich als gebildet genug erweise, dem radikalen Zugang eines Autors zur Sprache und mithin zur Welt fol­gen zu kön­nen. AutorIn­nen gin­gen auf ihrem eige­nen Weg dem Weg der Sprache voran. Am Hor­i­zont wink­te eine bessere Welt. Durch Gebildet­sein, so die Ansicht, würde man zu Frei­heit und Selb­stver­wirk­lichung gelan­gen.

In der Lit­er­atur der Mod­erne wurde die Aufladung der Sprache mit Bedeu­tung bis zur Gren­ze des Möglichen ver­han­delt, wie es Ezra Pound ein­mal for­mulierte. Die beste Sprache in diesem mod­ernistis­chen Sinn ist so avanciert, dass sie wom­öglich erst in Zukun­ft ver­standen wer­den kann. Den (grossen) Geschicht­en wurde grund­sät­zlich mis­straut, da sie dem­a­gogisch wiedergeben, was die Geschichte (vor allem des zwanzig­sten Jahrhun­derts) an Ver­mas­sung und Grausamkeit her­vor­brachte. Arbeit an der Sprache sollte Orig­i­nal­ität bewirken und am Gerüst der (dem­a­gogis­chen) Kom­mu­nika­tion rüt­teln. Meis­ter­w­erke wie Finnegans Wake von Joyce oder Zet­tels Traum von Arno Schmidt prägten ger­ade in ihrer Unfass­barkeit das Nach­denken über die Sprache und hier­mit über die Welt.

Das wohl radikalste Beispiel dafür bleibt Finnegans Wake. Ein Text, der Wort für Wort zu entschlüs­seln ist, in dem unendliche viele Bezüge herzustellen sind, der deshalb einen Lese­fluss schw­er­lich zulässt. Die Dif­ferenz zwis­chen dem Autor und seinen LeserIn­nen, was das Gebildet­sein bet­rifft, ist nicht aufheb­bar.

Weltlit­er­atur bedeutete in diesem mod­er­nen Sinn einen im Grunde schw­er in andere Sprachen über­set­zbaren und in andere Kul­turver­ständ­nisse über­trag­baren Son­der­fall von Sprache. Die Sprache, so das Dik­tum, geht dort hin, wohin einzelne Autoren sie hin­leit­en. Hin­ter der Idee von stand also ein utopis­ch­er Entwurf: Der Autor, die Autorin nehmen in ihrer Selb­ster­mäch­ti­gung eine freie und damit für alle bessere Zukun­ft vor­weg.

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Ob und wie viel Sinn eine solche Vorstel­lung unter den Bedin­gun­gen ein­er dig­i­tal­isierten Welt ergibt, ist eine Frage, die sich im verän­derten Ver­ständ­nis von hoher und nieder­er wider­spiegelt.

Zunächst ist festzustellen, dass auch die verän­derte Sicht in der dig­i­tal­en Infor­ma­tion­swelt auf diese Frage auf dem mod­er­nen Gebildet­sein grün­det. Dass also das Doku­ver­sum unser­er Gegen­wart, in dem unüber­schaubare Men­gen von geschrieben­er und gesproch­en­er Sprache im virtuellen Raum abruf­bar und verän­der­bar sind, der wis­senschaftlichen Welt entspringt, welche die Arbeit an der Sprache so avanciert wie in der Mod­erne des zwanzig­sten Jahrhun­derts wer­den ließ. Während Autoren im zwanzig­sten Jahrhun­dert daran gin­gen, die gesproch­ene und geschriebene Sprache aufzubrechen, sie zu sezieren und neu, sys­tem­a­tisch und erweit­ert zusam­men zu set­zen, arbeit­eten Com­put­er-Autoren eben­so emsig und eifrig an der Auf­schlüs­selung ein­er par­al­le­len Sprache, näm­lich jen­er der math­e­ma­tis­chen Welt, und in bei­den Fällen ging es um die Entz­if­fer­ung von Zeichen, deren Eigensinn und deren Poten­tial. Erst diese Erken­nt­nis, was Zeichen (Sprachen) ver­mö­gen, gab der Welt ein völ­lig neues Gesicht. Und im Grunde nicht anders als in der Lit­er­atur schufen die Schöpfer des dig­i­tal­en Codes eine Par­al­lel­welt: eine der Sim­u­la­tion, eine der speku­la­tiv­en Zeichen, die let­z­tendlich heute als virtuelle Welt unseren Leben­sall­t­ag bee­in­flusst. Es han­delte und han­delt sich wie in der Lit­er­atur um einen sprach­lichen Akt, der das Bewusst­sein von Men­schen vere­in­nahmt.

Gus­tave Flaubert hat­te Ähn­lich­es im späten 19. Jahrhun­dert geah­nt. In hun­dert Jahren (also in unser­er Gegen­wart) würde alle Lit­er­atur ver­wis­senschaftlicht, und wür­den die Gren­zen zwis­chen wis­senschaftlich­er und lit­er­arisch geistiger Welt nicht mehr sicht­bar sein. Sein Ver­such, eine „Uni­ver­salen­zyk­lopädie der men­schlichen Dummheit“ zu ver­fassen, nahm das heutige Inter­net vor­weg; in ihm ver­schwim­men die Gren­zen von Wis­sen und Unwis­sen, von Orig­i­nal und Kopie; und jene zwis­chen Aufk­lärung und Manip­u­la­tion. In ihr ver­schwindet let­ztlich die Vorstel­lung von Öffentlichkeit, die zu zahllosen Teilöf­fentlichkeit­en zer­sprengt wird.

Allein: Wenn wir heute die Unüber­sichtlichkeit unser­er Wis­senswelt bekla­gen, ist doch festzuhal­ten, dass die Ent­fes­selung der Zeichen mit ihrer total­en Kon­trolle ein­herge­ht, in den Tex­ten eben­so wie in unserem dig­i­tal­isierten All­t­ag. Alle die Auseinan­der­set­zun­gen zum Ende des let­zten Jahrhun­derts zwis­chen der Ide­olo­giekri­tik der Mod­erne und der Ent­fes­selung der Zeichen durch die Post­mod­erne waren wohl Zwis­chen­schritte zu etwas Anderem (unserem Heute). In unser­er dig­i­tal­isierten Welt wirkt der Post­struk­tu­ral­is­mus ger­adezu triv­ial und nackt auf unser alltäglich­es Leben: die Vorstel­lung der Welt als Schrift (alles Code!), die laufende Dekon­struk­tion (alles Infor­ma­tion!), die Entide­ol­o­gisierung (alles virtuell!), die Ent­moral­isierung (alles alter­na­tive Wahrheit!), die Beschwörung der Kom­mu­nika­tion (alles soziales Net­zw­erk!) usw.

Vor diesem Hin­ter­grund hat ein verän­dertes Ver­ständ­nis von Weltlit­er­atur Platz gegrif­f­en. Die Welthaltigkeit von Sprache wird weniger mehr an ihrer Avanciertheit, son­dern an ihrer Über­set­zbarkeit bemessen, und dies nicht nur aus Verkauf­s­grün­den, son­dern aus der Geset­zmäs­sigkeit der dig­i­tal­en Kul­tur. Immer mehr Zeichen, aber auch Kör­p­er, Kul­turen wie Sin­gu­lar­itäten zirkulieren um die Erde und ver­men­gen sich. Über­set­zbarkeit wird in ein­er solchen Welt eine grund­sät­zliche Voraus­set­zung für jede Äußerung. Auf den Buch­markt bezo­gen geht es heute weltweit um Erzäh­lun­gen, die in möglichst vie­len Sprachen les­bar und in möglichst viele Kon­texte über­trag­bar sind. Weltlit­er­atur meint eher, möglichst von aller Welt ver­standen zu wer­den.

Nun wer­den auch in weit­eren zwanzig Jahren, ver­mute ich, ver­schiedene Lit­er­aturver­ständ­nisse gepflegt wer­den. Und schon heute gibt es AutorIn­nen, die das auf der Mod­erne grün­dende Lit­er­aturver­ständ­nis mit dem der dig­i­tal­en Welt verbinden. Die wie Flaubert für sich beanspruchen, an der Genauigkeit der Form zu arbeit­en, und doch auf Über­set­zbarkeit aus sind. Die also die sich so ras­ant verän­dernde Welt in ihren Tex­ten zu erfassen ver­suchen, neue Blick­winkel auf sie eröff­nen, und doch benutzer­fre­undlich sind. Math­ias Enard ver­sucht das eben­so wie Sadie Smith, Taye Selasi oder Leif Rand, um nur einige zu nen­nen.

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All diese Entwick­lun­gen fol­gten den Geset­zen wie Utopi­en der Mod­erne und haben doch etwas Unab­se­hbares entste­hen lassen. Mit ein­her ging eine Ver­wis­senschaftlichung der Sprache, die sich nicht auf einem höheren Niveau, son­dern in einem anderen Milieu vol­lzieht. Infor­matik­er schreiben all die Codes der Maschi­nen, die nur wenige ver­ste­hen, und schaf­fen damit eine Ober­fläche aus Bildern, Tönen und Tex­ten, die möglichst voraus­set­zungs­los zu ver­ste­hen und zu ver­wen­den ist. Gebildet­sein scheint für den End­ver­brauch­er über­flüs­sig zu wer­den. Die Bild­schirm-Welt, der eine kom­plexe und ger­adezu undurch­schaubare Welt der Zeichen zugrunde liegt, ist auf dessen Nutzer aus­gerichtet. Der Nutzer dieser Bild­schirm-Welt wird zur Selb­st­darstel­lung ani­miert und erfährt zugle­ich die All­macht des Kon­sums, er ist ständig in Bewe­gung und doch pas­siv. Die Eroberung des Denkens, Wahrnehmens und Füh­lens durch Bilder erfasst auch die Sprache, auch sie hat nun bild­haft, pas­siv und möglichst wider­stand­s­los zu funk­tion­ieren. Die Sprache ver­liert ihre aufmerk­samen Lieb­haber.

In der dig­i­tal­en Welt ist die Lit­er­atur mobil gewor­den, sie wird damit in ein­er noch nie dagewe­se­nen Form ver­füg­bar. Infor­matik­er entschlüs­seln die Kom­plex­ität von Zeichen­sys­te­men und ermächti­gen damit die LeserIn­nen, selb­st AutorIn­nen zu wer­den, indem sie diesen die Arbeit an der Sprache abnehmen. In der dig­i­tal­en Welt kön­nen beina­he alle erzählen, die Sprache leis­tet in Sprech­weise wie Gram­matik keinen Wider­stand mehr. Alle erzählen, alle suchen, indem sie sich im Netz äussern, nach einem Sinn des Lebens, und aus allem, was geschieht, wird eine Erzäh­lung gemacht.

Humans are sto­ry­telling ani­mals wird zur Parole, und die Anek­dote, so die Autorin und Ver­legerin Dorothea Mar­tin, wird zur alles beherrschen­den Form. Alles, was sich ereignet, wird zu Once upon a time, und alles wird nach einem gebräuch­lichem Schema abge­han­delt. Damit ein­herge­ht die Fik­tion­al­isierung des All­t­ags, ob über Insta­gram, Snap Chat, What­Apps oder jeglich­es und fol­gen­des soziale Medi­um. Der Schrift­steller wird zum Trans­me­dia Sto­ry­teller. Es geht heute sim­pler zu in der Lit­er­atur, aber auch anders. Dorothea Mar­tin führt aus, wie sich das Erzählen dabei ändert: das Tem­po, das Pac­ing (Tak­ten) eines Textes (seine Aus­rich­tung auf Ziel­grup­pen), das Ein­binden von Bild und Video, die Sequen­zierung (hor­i­zon­tales Erzählen), die Seri­al­ität, die Lin­ear­ität wie in einem Drehbuch, das Set­zen der Nev­erend­ing Sto­ry.

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All das Gesagte entspricht der Logik gebilde­ter Men­schen. Was aber, wenn die eingeschla­gene Entwick­lung zu etwas führt, dass am Ende nicht mehr von den AutorIn­nen der Algo­rith­men, son­dern von diesen selb­st geschaf­fen wird? Am Ende die Maschi­nen also nicht nur die Kom­mu­nika­tion, son­dern die Arbeit an der Sprache bes­tim­men und das Konzept der Autoren­schaft neu­tral­isieren?

Das Bedürf­nis nach automa­tis­ch­er Dich­tung ist schon in der aufkeimenden Mod­erne ent­standen. Es brachte das Dicht­en in Trance her­vor, eben­so eine Rei­he von formel­haften Poe­siev­er­fahren und schliesslich auch den Ver­such, sprach­liche Ver­fahren in Maschi­nen auszu­lagern.

Im Milieu der mod­er­nen Lit­er­atur des 20. Jahrhun­derts war es Hans Mag­nus Enzens­berg­er, der in den 1970er Jahren eine „Ein­ladung zu einem Poe­sie-Auto­mat­en“ ver­fasste, die dann 2000 mit dem Lands­berg­er Poe­sieau­tomat ver­wirk­licht wurde. Enzens­berg­ers Fest­stel­lung, es han­dle sich dabei um ein Spiel mit Sprache, und deren Aufladung mit Sinn hänge vom Betra­chter ab, rief etwas in Erin­nerung, was für Mod­erne zen­tral war: das Sprach­spiel als wesentlich­es Ver­fahren der Arbeit an der Sprache. Die von Algo­rith­men geschriebe­nen Gedichte sind jenen von Autoren nicht unähn­lich. Und nicht zufäl­lig war das um die Jahrtausendwende entste­hende Milieu von Autoren, die im tech­nis­chen Umfeld mit Sprache exper­i­men­tierten, pro­gram­ma­tisch auf das Spiel und dessen Ver­such­sanord­nun­gen fokussiert. Die Hyper­texte ermächtigten LeserIn­nen wie SpielerIn­nen in ein­er noch nie dagewe­se­nen Weise, den Text selb­st mitzugestal­ten, mit jedem Mal aufs Neue. Zum einen blieben sie den­noch Weit­er­en­twick­lun­gen des Sprach­spiels der lit­er­arischen Mod­erne. Zum anderen ver­wiesen sie auf unsere Gegen­wart, indem sie die Mobil­machung jeglich­er Zeichen the­ma­tisierten. Sie waren bere­its von einem Han­deln geprägt, das die Kom­mu­nika­tion in den Mit­telpunkt der Pro­duk­tion stellt. Es ging bei Susanne Berken­heger, Rein­hard Döhl oder Bas­t­ian Böttch­er und vie­len anderen (inter­na­tionalen) Dig­i­tal-Autoren der ersten Gen­er­a­tion um Prozesse, um medi­alen Selb­st­bezug, Hyper­me­di­al­ität, Inter­ak­tiv­ität und Ver­net­zung. Mit­tler­weile spricht der Medi­en­wis­senschaftler Leonar­do Flo­res von ein­er drit­ten Gen­er­a­tion dig­i­taler Lit­er­atur, von ein­er Art dig­i­talem DADA, das Bots inte­gri­ert, also Com­put­er­pro­gramme, die weit­ge­hend selb­st­ständig die ihnen gestell­ten Auf­gaben erledi­gen. All ihre AutorIn­nen agieren nicht weniger avanciert wie jene der Mod­erne. Sie besitzen eine neue Vorstel­lung von Gebilde­theit. Auch in dieser dig­i­tal­en Gebilde­theit beste­ht das utopis­che Ele­ment der Mod­erne weit­er, näm­lich jenes der Befreiung des Men­schen von der Begren­ztheit seines Han­delns und Daseins. Hier­mit auch der Befreiung von der Begren­ztheit seines Sprechens und Schreibens, und let­ztlich der Befreiung von der Begren­ztheit der Sprache selb­st.

In Deutsch­land exper­i­men­tiert Kathrin Pas­sig beispiel­haft mit der Frage, wie der mündi­ge Umgang mit Chat­bots ausse­hen kann, mit virtuellen Assis­ten­ten im Inter­net, über die man in natür­lich­er Sprache mit dem dahin­ter­ste­hen­den Sys­tem kom­mu­niziert. Mit kleinen Maschi­nen also, mit denen man sich aus­tauscht, um sich etwas (im All­t­ag) zu erle­ichtern, oder mit denen man im Fall von lit­er­arischen Exper­i­menten Texte im Fluss der Kom­mu­nika­tion mit anderen pro­duziert (mit Lesern? Usern? Mit­men­schen?). Dabei entste­ht eine Art von Text, der nicht mehr gespe­ichert wer­den muss, son­dern der reine Kom­mu­nika­tion ist.

Vielle­icht schreibt diese reine Kom­mu­nika­tion fort, was James Joyce vorschwebte, ein stetiger Fluss von Zeichen und deren Beziehun­gen zueinan­der als eine Art Weltwissen. Das eine (Finnegans Wake) wirk­te kom­pliziert, das andere (textbasierte Kom­mu­nika­tion) wirkt ein­fach. Für diese Entwick­lung inter­es­sant ist eine Fest­stel­lung von Beat Suter, einem Pio­nier des ersten dig­i­tal­en lit­er­arischen Milieus in der Schweiz, der sich der Entwick­lung und Erforschung von Com­put­er­spie­len ver­schrieben hat, die sich auf eben jene, aber eben­so auf die mobil gewor­dene Lit­er­atur unser­er Gegen­wart beziehen lässt. Das Ein­fache (oder Schemen­hafte) der Pro­tag­o­nis­ten von Com­put­er­spie­len ist nicht Folge ein­er Zurück­en­twick­lung, son­dern Folge der Ermäch­ti­gung der LeserIn­nen und ihrer Per­sön­lichkeit zu Mitbes­tim­merIn­nen im Spiel. Jen­er wün­scht näm­lich schemen­hafte Pro­tag­o­nis­ten (Texte), damit sie Pro­jek­tions­flächen sein­er eige­nen Per­sön­lichkeit bleiben.

Was nun als Kün­stliche Intel­li­genz unsere Welt und damit auch die Sprache zu verän­dern begin­nt, erscheint wohl der kon­se­quente näch­ste Schritt der men­schlichen Sehn­sucht, sich mit Maschi­nen zu vere­ini­gen. Dabei zunächst auf­fäl­lig ist, wie fol­gen­los Men­schen in unser­er tech­nisch geprägten Kom­mu­nika­tion miteinan­der umge­hen. Sim­u­la­tion und Pro­jek­tion erset­zen den Dia­log, das Sprechen und Schreiben wird völ­lig unge­hemmt möglich, weil es keine Sank­tio­nen mehr zu befürcht­en hat. Doch die Sprache braucht im Unter­schied zu Algo­rith­men den Kör­p­er, das Gesagte wie das Unge­sagte, eben­so die Dop­peldeutigkeit, das Unver­standene, und eben auch eine moralis­che Abmachung. Dies alles trifft auf Algo­rith­men nicht zu, und so nimmt es nicht Wun­der, dass in der dig­i­tal­en Kom­mu­nika­tion­swelt risikolose Äusserun­gen – etwa im Hate Speech - zum sozialen Trend gewor­den sind.

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Wer­den am Ende Robot­er den schreiben­den und im Schreiben denk­enden und füh­len­den Men­schen erset­zen? Oder Men­schen in der Sym­biose mit Maschi­nen zu etwas wie Cyber­borgs oder wie immer geart­eten neuen Men­schen gewor­den sein?

Um den Maschi­nen wenig­stens noch etwas Men­schenähn­lich­es zu ver­lei­hen, wer­den heute AutorIn­nen im Sil­i­con Val­ley und ander­swo als nar­ra­tive Design­er in die Entwick­lung sprechen­der Maschi­nen einge­bun­den. Aber, fol­gt man Steve War­wick, einem Chat­bot-Pio­nier, wird es zumin­d­est noch länger dauern, bis Maschi­nen ohne die Unter­stützung von Men­schen etwas wie die men­schliche Sprache leis­ten wer­den kön­nen.

Der Men­sch lernte den aufrecht­en Gang. Mit dem aufrecht­en Gang bekam er Hände, die Hände befre­it­en den Mund, und er lernte das Sprechen. Mit der Hand entwick­elte er Werkzeuge, nach­fol­gend Maschi­nen, die ihm zu erle­ichtern began­nen, was ihm schw­er fällt, und die damit die Voraus­set­zung für seine Vorstel­lung von Gebildet­sein waren. Die Lit­er­atur als Kon­den­sat der Men­schheits­geschichte ist von Anfang zugle­ich eine Kul­turtech­nik und eine Folge der Befreiung des Men­schen von der kör­per­lichen Arbeit. Diese Entwick­lung schre­it­et voran, und nun begin­nt die Kün­stliche Intel­li­genz dem Men­schen die Arbeit an der Sprache abzunehmen.

So kön­nte die Geschichte laut­en. Und wir kön­nten uns fra­gen, ob diese Kün­stliche Intel­li­genz den Autor erset­zen wird. Sie wird es, so ver­mute ich, nicht tun, weil die Arbeit an der Sprache nicht nur Müh­sal bedeutet, son­dern unge­heure Lust erzeugt und ein inten­sives Leben befördert. Maschi­nen, so meine Ver­mu­tung, wer­den AutorIn­nen nicht daran hin­dern, diese weite Welt der Sprache zu betreten und zu durch­forsten, und LeserIn­nen nicht davon abhal­ten, kom­plexe Elab­o­rate darüber leben und hören zu wollen. Das ist und bleibt erst recht eine Frage des Gebildet­seins.