Wachau

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Obwohl ich jeden Som­mer aus dem steirischen Dorf mein­er Kind­heit in die Ferien zu mein­er Tante an die Donau, also ins nördliche Öster­re­ich fuhr, war für mich die Wachau immer ein südlich­er Ort. Ich kam aus dem Sattgrün der Berg­land­schaft ins Oliv­grün der Hänge und Hügel am Fluss. Ich hielt die Wachau für einen mediter­ra­nen Land­strich. Sie war mein Itha­ka und stillte mein Fer­n­weh. Bis heute sitze ich gern auf dem Felsen unter dem Serviten Kloster in Schön­bühel und habe das Gefühl, in ein­er griechis­chen Bucht über dem Meer zu hock­en. Oder ich stelle mir den mächti­gen Bau des Stiftes Melk als eine Sphinx vor, und den Fel­srück­en, auf dem er ste­ht, als den Sock­el dieses antiken mythis­chen Wesens.

Wenn ich an dieses Stück Donau­tal denke, fällt mir das Wort archaisch ein – aus den Tiefen der Men­schheits­geschichte kom­mend. Die Wachau offen­bart ihre Kraft beson­ders im Win­ter, wenn die Bäume und Wein­stöcke ent­laubt sind, und die Nieder­wass­er führende Donau durch ein bre­ites Kies­bett fließt. Im Herb­st freilich, wenn an einem son­ni­gen Tag die Gelb- und Rot­töne des Laubes leucht­en, nimmt sie etwas Malerisches wie eine barocke Kirche an. Die exakt gezo­ge­nen Lin­ien der Wein­ter­rassen kon­trastieren das Wilde der eben­falls gelb roten Wälder, und alles liegt unter einem blauen Him­mel, der mit wat­tear­ti­gen Wölkchen geschmückt scheint.

An bei­den Enden der Wachau ste­hen hoch oben auf Fel­srück­en die zwei barock­en Kirchen­paläste Melk und Göt­tweig. Die Kirchen unten am Fluss wirken dage­gen wie ural­ten Zeit­en, sie haben zum Teil stein­erne Tur­mdäch­er, als wären sie Weg­marken. Das Neben- und Ineinan­der des Schrof­fen und Kar­gen mit dem Prunk­vollen, Prallen und Goldigen fand ich immer erstaunlich.

Auch die Donau scheint sich an diesem The­ater der Gegen­sätze zu beteili­gen. Ich glaube, es ist das Canyonar­tige, das die Wachau so beson­ders macht. Was ich in der Wachau beina­he als etwas Philosophis­ches empfinde, sind die Fol­gen eines Naturschaus­pieles, das in dieser Region vor Urzeit­en passiert sein muss. Der Fluss kommt aus dem flachen West­en und stellt sich in Melk quer, gräbt sich in Rich­tung Nor­den durch vulka­nis­ches Gestein bis nach Krems und Göt­tweig, und fließt von dort in den flachen Osten weit­er. Die Wachau liegt wie unter dem Meer­esspiegel ihres Umlan­des. Die Ver­drehung macht es aus. Der Fluss schafft sich damit Abhänge, steile Abbrüche, Hügel. Drei Wet­ter­schei­den prä­gen das beson­dere Mikrokli­ma. In einem Dorf reg­net es, während im anderen die Sonne scheint. Und über­all wach­sen auf diesem doch nördlichen Fleck­en Süd­früchte, Mar­illen, Wein, Man­deln, Pfir­siche, Safran und Chili.

Seit früh­esten Zeit­en drängte es Men­schen, sich in diesem Stück Donau­tal anzusiedeln und kul­tische Baut­en zu erricht­en. Die Land­schaft, der Fluss und die Kul­tur­denkmäler gehören untrennbar zusam­men. In der Wachau ist das Überirdis­che auf beson­dere Weise irdisch insze­niert. Alles scheint wie ein Gesamtkunst­werk, das vom Empfind­en des Wet­ters, des Lichts, der Far­ben und des Stils erzählt.

In mein­er Jugend, wenn ich in den Som­mer­fe­rien zu mein­er Tante in die Wachau fuhr, angelte ich mit meinen Cousins in der Donau, mit selb­st gebastel­ten Hak­en. Die Fis­che grill­ten wir dann am Ufer über offen­em Feuer. Die Grillen zirpten, und da es dunkel wurde, spiegelte sich der Mond auf dem gekräusel­ten Wass­er. Es gab für mich kein fre­undlicheres Geräusch als jenes der Donau, das ich in lauen Som­mernächt­en im Haus mein­er Tante ver­nahm. Und keinen stärk­eren Lock­ruf als das bedrohliche Rauschen, eine Art Rollen, das sich näherte, ohren­betäubend, mich ver­schlang und sich doch über mich hin­weg­be­wegte und wieder ent­fer­nte. Wachte ich aus meinem Traum auf, wurde mir klar, ein Schiff hat­te sich soeben die Donau stro­maufwärts geplagt. Ich stand auf, beugte mich aus dem Fen­ster und sah noch die roten und grü­nen Lichter, die bald wieder ver­schwan­den.

Ich stelle mir vor, wie unser Bach im südlichen Berg­land in einen Fluss Rich­tung Süden fließt, mit jen­em bis nach Slowe­nien, dann an der ungarischen Gren­ze in einen noch größeren Fluss überge­ht, und wiederum mit diesem weit­er nach Kroa­t­ien und schließlich in der Nähe der Stadt Osi­jek in der Donau aufge­ht. Wie also mein Alpen­bach durch den Balkan in die Donau, mit jen­er – von der Stadt Osi­jek an mit dem Wass­er aus der Wachau ver­bün­det - durch halb Südost-Europa rin­nt und am Ende in das Schwarze Meer mün­det. In den Flüssen wohnt die Sehn­sucht nach der Ferne. Mit den Flüssen kamen die Geschicht­en und gelangten mit ihnen in die ent­fer­n­testen Gegen­den. Auch das macht die Wachau so beson­ders für mich.