Über das Weiterschreiben

AutorInnen im Zeitalter der Roboter

Von

Walter Grond © Auftragsfoto Sappert

Walter Grond. Foto: Auftragsfoto Sappert

Es sind keine zwanzig Jahre her, da die Frage, was niedere, was hohe und was „Weltliteratur“ sei, nicht nur heftig im Feuilleton diskutiert wurde, sondern milieuprägend für die literarischen Zirkel war. Nicht dass die Frage heute nicht mehr gestellt würde. Die Ansichten darüber haben sich jedoch entscheidend verändert, und die Sorge um die Sprache, ihre Form, ihre Möglichkeiten sowie ihre Grenzen scheint von einer anderen Sorge überlagert zu sein, nämlich der um die Nutzer, die Sprechenden und die Lesenden und vor allem um deren Schutz vor sprachlicher Komplexität und Missverständlichkeit.

In der digitalisierten Welt gilt nämlich die Benutzerfreundlichkeit als oberstes Gebot, und unter dieser Voraussetzung wird Sprache auf ihre Tauglichkeit reduziert. Inzwischen sieht sich das literarische Leben einer Vielzahl von Technik gestützten Milieus gegenüber, für die Sprache nur mehr ein beliebiges Vehikel für Mitteilungen ist. Und wenn auch heute mehr denn je Menschen auf ihren Kommunikationsgeräten schreiben, scheint es so zu sein, dass sie es selten tun, um sich an der Differenz der Form und des Geschriebenen zu reiben. Alle schreiben, aber die Schreibfernen dominieren das Schreiben, und alle lesen, aber die Nichtleser bestimmen, was sprachlich gültig ist.

Und doch, welche Konkurrenz durch andere Medien die Literatur heute auch erfährt, und wie immer sie darauf reagiert, sind die Vorstellungen der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts auch in der digitalen Welt unserer Gegenwart nach wie vor präsent. Ihr Zugang zur Sprache bestimmte viele Entwicklungen in verschiedenen kulturellen Feldern, prägte das Verständnis für das Experiment, die Konstruktion, die flache Hierarchie, die Interaktion, und vor allem für das Spiel (Sprachspiel).

Die Literatur der Moderne verstand sich als Arbeit an der Sprache und damit ebenso als Arbeit an der Wahrnehmung. Als solche galt sie als mitentscheidend für die Entwicklung des Menschen. Die Literatur konstituierte letztendlich, was ein gebildeter Mensch ist, und damit einher ging die Vorstellung, dass einzelne – nämlich Autoren – einen privilegierten Zugang zur Sprache haben. Am Individuum, dem Autor und der Autorin, konnte der Leser lernen, sich selbst zu verwirklichen. Zum Beispiel konnten gebildete Menschen idealerweise James Joyce lesen. Für ihren Kanon war bestimmend, ob und wie anspruchsvoll sich ein Autor an die Sprache heranwage, ob er durch seine Arbeit an der Form ihre Grenzen aufzeige und ob er sie um neue Ausdrucksformen und Wahrnehmungsmuster bereichere. Zentral war dabei die naturwissenschaftlich geprägte Einsicht, dass im Inneren der Sprache etwas besteht, das wir nicht gänzlich begreifen, das aber den Gesetzen unserer Zeichensysteme entspricht. Das Sprachspiel, so die Überzeugung, bringe dieses Etwas zu Tage und trage zur Evolution der Sprache bei.

Für den Kanon der modernen Literatur war demnach bestimmend, ob ein Leser, eine Leserin sich als gebildet genug erweise, dem radikalen Zugang eines Autors zur Sprache und mithin zur Welt folgen zu können. AutorInnen gingen auf ihrem eigenen Weg dem Weg der Sprache voran. Am Horizont winkte eine bessere Welt. Durch Gebildetsein, so die Ansicht, würde man zu Freiheit und Selbstverwirklichung gelangen.

In der Literatur der Moderne wurde die Aufladung der Sprache mit Bedeutung bis zur Grenze des Möglichen verhandelt, wie es Ezra Pound einmal formulierte. Die beste Sprache in diesem modernistischen Sinn ist so avanciert, dass sie womöglich erst in Zukunft verstanden werden kann. Den (grossen) Geschichten wurde grundsätzlich misstraut, da sie demagogisch wiedergeben, was die Geschichte (vor allem des zwanzigsten Jahrhunderts) an Vermassung und Grausamkeit hervorbrachte. Arbeit an der Sprache sollte Originalität bewirken und am Gerüst der (demagogischen) Kommunikation rütteln. Meisterwerke wie Finnegans Wake von Joyce oder Zettels Traum von Arno Schmidt prägten gerade in ihrer Unfassbarkeit das Nachdenken über die Sprache und hiermit über die Welt.

Das wohl radikalste Beispiel dafür bleibt Finnegans Wake. Ein Text, der Wort für Wort zu entschlüsseln ist, in dem unendliche viele Bezüge herzustellen sind, der deshalb einen Lesefluss schwerlich zulässt. Die Differenz zwischen dem Autor und seinen LeserInnen, was das Gebildetsein betrifft, ist nicht aufhebbar.

Weltliteratur bedeutete in diesem modernen Sinn einen im Grunde schwer in andere Sprachen übersetzbaren und in andere Kulturverständnisse übertragbaren Sonderfall von Sprache. Die Sprache, so das Diktum, geht dort hin, wohin einzelne Autoren sie hinleiten. Hinter der Idee von stand also ein utopischer Entwurf: Der Autor, die Autorin nehmen in ihrer Selbstermächtigung eine freie und damit für alle bessere Zukunft vorweg.

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Ob und wie viel Sinn eine solche Vorstellung unter den Bedingungen einer digitalisierten Welt ergibt, ist eine Frage, die sich im veränderten Verständnis von hoher und niederer widerspiegelt.

Zunächst ist festzustellen, dass auch die veränderte Sicht in der digitalen Informationswelt auf diese Frage auf dem modernen Gebildetsein gründet. Dass also das Dokuversum unserer Gegenwart, in dem unüberschaubare Mengen von geschriebener und gesprochener Sprache im virtuellen Raum abrufbar und veränderbar sind, der wissenschaftlichen Welt entspringt, welche die Arbeit an der Sprache so avanciert wie in der Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts werden ließ. Während Autoren im zwanzigsten Jahrhundert daran gingen, die gesprochene und geschriebene Sprache aufzubrechen, sie zu sezieren und neu, systematisch und erweitert zusammen zu setzen, arbeiteten Computer-Autoren ebenso emsig und eifrig an der Aufschlüsselung einer parallelen Sprache, nämlich jener der mathematischen Welt, und in beiden Fällen ging es um die Entzifferung von Zeichen, deren Eigensinn und deren Potential. Erst diese Erkenntnis, was Zeichen (Sprachen) vermögen, gab der Welt ein völlig neues Gesicht. Und im Grunde nicht anders als in der Literatur schufen die Schöpfer des digitalen Codes eine Parallelwelt: eine der Simulation, eine der spekulativen Zeichen, die letztendlich heute als virtuelle Welt unseren Lebensalltag beeinflusst. Es handelte und handelt sich wie in der Literatur um einen sprachlichen Akt, der das Bewusstsein von Menschen vereinnahmt.

Gustave Flaubert hatte Ähnliches im späten 19. Jahrhundert geahnt. In hundert Jahren (also in unserer Gegenwart) würde alle Literatur verwissenschaftlicht, und würden die Grenzen zwischen wissenschaftlicher und literarisch geistiger Welt nicht mehr sichtbar sein. Sein Versuch, eine „Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit“ zu verfassen, nahm das heutige Internet vorweg; in ihm verschwimmen die Grenzen von Wissen und Unwissen, von Original und Kopie; und jene zwischen Aufklärung und Manipulation. In ihr verschwindet letztlich die Vorstellung von Öffentlichkeit, die zu zahllosen Teilöffentlichkeiten zersprengt wird.

Allein: Wenn wir heute die Unübersichtlichkeit unserer Wissenswelt beklagen, ist doch festzuhalten, dass die Entfesselung der Zeichen mit ihrer totalen Kontrolle einhergeht, in den Texten ebenso wie in unserem digitalisierten Alltag. Alle die Auseinandersetzungen zum Ende des letzten Jahrhunderts zwischen der Ideologiekritik der Moderne und der Entfesselung der Zeichen durch die Postmoderne waren wohl Zwischenschritte zu etwas Anderem (unserem Heute). In unserer digitalisierten Welt wirkt der Poststrukturalismus geradezu trivial und nackt auf unser alltägliches Leben: die Vorstellung der Welt als Schrift (alles Code!), die laufende Dekonstruktion (alles Information!), die Entideologisierung (alles virtuell!), die Entmoralisierung (alles alternative Wahrheit!), die Beschwörung der Kommunikation (alles soziales Netzwerk!) usw.

Vor diesem Hintergrund hat ein verändertes Verständnis von Weltliteratur Platz gegriffen. Die Welthaltigkeit von Sprache wird weniger mehr an ihrer Avanciertheit, sondern an ihrer Übersetzbarkeit bemessen, und dies nicht nur aus Verkaufsgründen, sondern aus der Gesetzmässigkeit der digitalen Kultur. Immer mehr Zeichen, aber auch Körper, Kulturen wie Singularitäten zirkulieren um die Erde und vermengen sich. Übersetzbarkeit wird in einer solchen Welt eine grundsätzliche Voraussetzung für jede Äußerung. Auf den Buchmarkt bezogen geht es heute weltweit um Erzählungen, die in möglichst vielen Sprachen lesbar und in möglichst viele Kontexte übertragbar sind. Weltliteratur meint eher, möglichst von aller Welt verstanden zu werden.

Nun werden auch in weiteren zwanzig Jahren, vermute ich, verschiedene Literaturverständnisse gepflegt werden. Und schon heute gibt es AutorInnen, die das auf der Moderne gründende Literaturverständnis mit dem der digitalen Welt verbinden. Die wie Flaubert für sich beanspruchen, an der Genauigkeit der Form zu arbeiten, und doch auf Übersetzbarkeit aus sind. Die also die sich so rasant verändernde Welt in ihren Texten zu erfassen versuchen, neue Blickwinkel auf sie eröffnen, und doch benutzerfreundlich sind. Mathias Enard versucht das ebenso wie Sadie Smith, Taye Selasi oder Leif Rand, um nur einige zu nennen.

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All diese Entwicklungen folgten den Gesetzen wie Utopien der Moderne und haben doch etwas Unabsehbares entstehen lassen. Mit einher ging eine Verwissenschaftlichung der Sprache, die sich nicht auf einem höheren Niveau, sondern in einem anderen Milieu vollzieht. Informatiker schreiben all die Codes der Maschinen, die nur wenige verstehen, und schaffen damit eine Oberfläche aus Bildern, Tönen und Texten, die möglichst voraussetzungslos zu verstehen und zu verwenden ist. Gebildetsein scheint für den Endverbraucher überflüssig zu werden. Die Bildschirm-Welt, der eine komplexe und geradezu undurchschaubare Welt der Zeichen zugrunde liegt, ist auf dessen Nutzer ausgerichtet. Der Nutzer dieser Bildschirm-Welt wird zur Selbstdarstellung animiert und erfährt zugleich die Allmacht des Konsums, er ist ständig in Bewegung und doch passiv. Die Eroberung des Denkens, Wahrnehmens und Fühlens durch Bilder erfasst auch die Sprache, auch sie hat nun bildhaft, passiv und möglichst widerstandslos zu funktionieren. Die Sprache verliert ihre aufmerksamen Liebhaber.

In der digitalen Welt ist die Literatur mobil geworden, sie wird damit in einer noch nie dagewesenen Form verfügbar. Informatiker entschlüsseln die Komplexität von Zeichensystemen und ermächtigen damit die LeserInnen, selbst AutorInnen zu werden, indem sie diesen die Arbeit an der Sprache abnehmen. In der digitalen Welt können beinahe alle erzählen, die Sprache leistet in Sprechweise wie Grammatik keinen Widerstand mehr. Alle erzählen, alle suchen, indem sie sich im Netz äussern, nach einem Sinn des Lebens, und aus allem, was geschieht, wird eine Erzählung gemacht.

Humans are storytelling animals wird zur Parole, und die Anekdote, so die Autorin und Verlegerin Dorothea Martin, wird zur alles beherrschenden Form. Alles, was sich ereignet, wird zu Once upon a time, und alles wird nach einem gebräuchlichem Schema abgehandelt. Damit einhergeht die Fiktionalisierung des Alltags, ob über Instagram, Snap Chat, WhatApps oder jegliches und folgendes soziale Medium. Der Schriftsteller wird zum Transmedia Storyteller. Es geht heute simpler zu in der Literatur, aber auch anders. Dorothea Martin führt aus, wie sich das Erzählen dabei ändert: das Tempo, das Pacing (Takten) eines Textes (seine Ausrichtung auf Zielgruppen), das Einbinden von Bild und Video, die Sequenzierung (horizontales Erzählen), die Serialität, die Linearität wie in einem Drehbuch, das Setzen der Neverending Story.

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All das Gesagte entspricht der Logik gebildeter Menschen. Was aber, wenn die eingeschlagene Entwicklung zu etwas führt, dass am Ende nicht mehr von den AutorInnen der Algorithmen, sondern von diesen selbst geschaffen wird? Am Ende die Maschinen also nicht nur die Kommunikation, sondern die Arbeit an der Sprache bestimmen und das Konzept der Autorenschaft neutralisieren?

Das Bedürfnis nach automatischer Dichtung ist schon in der aufkeimenden Moderne entstanden. Es brachte das Dichten in Trance hervor, ebenso eine Reihe von formelhaften Poesieverfahren und schliesslich auch den Versuch, sprachliche Verfahren in Maschinen auszulagern.

Im Milieu der modernen Literatur des 20. Jahrhunderts war es Hans Magnus Enzensberger, der in den 1970er Jahren eine „Einladung zu einem Poesie-Automaten“ verfasste, die dann 2000 mit dem Landsberger Poesieautomat verwirklicht wurde. Enzensbergers Feststellung, es handle sich dabei um ein Spiel mit Sprache, und deren Aufladung mit Sinn hänge vom Betrachter ab, rief etwas in Erinnerung, was für Moderne zentral war: das Sprachspiel als wesentliches Verfahren der Arbeit an der Sprache. Die von Algorithmen geschriebenen Gedichte sind jenen von Autoren nicht unähnlich. Und nicht zufällig war das um die Jahrtausendwende entstehende Milieu von Autoren, die im technischen Umfeld mit Sprache experimentierten, programmatisch auf das Spiel und dessen Versuchsanordnungen fokussiert. Die Hypertexte ermächtigten LeserInnen wie SpielerInnen in einer noch nie dagewesenen Weise, den Text selbst mitzugestalten, mit jedem Mal aufs Neue. Zum einen blieben sie dennoch Weiterentwicklungen des Sprachspiels der literarischen Moderne. Zum anderen verwiesen sie auf unsere Gegenwart, indem sie die Mobilmachung jeglicher Zeichen thematisierten. Sie waren bereits von einem Handeln geprägt, das die Kommunikation in den Mittelpunkt der Produktion stellt. Es ging bei Susanne Berkenheger, Reinhard Döhl oder Bastian Böttcher und vielen anderen (internationalen) Digital-Autoren der ersten Generation um Prozesse, um medialen Selbstbezug, Hypermedialität, Interaktivität und Vernetzung. Mittlerweile spricht der Medienwissenschaftler Leonardo Flores von einer dritten Generation digitaler Literatur, von einer Art digitalem DADA, das Bots integriert, also Computerprogramme, die weitgehend selbstständig die ihnen gestellten Aufgaben erledigen. All ihre AutorInnen agieren nicht weniger avanciert wie jene der Moderne. Sie besitzen eine neue Vorstellung von Gebildetheit. Auch in dieser digitalen Gebildetheit besteht das utopische Element der Moderne weiter, nämlich jenes der Befreiung des Menschen von der Begrenztheit seines Handelns und Daseins. Hiermit auch der Befreiung von der Begrenztheit seines Sprechens und Schreibens, und letztlich der Befreiung von der Begrenztheit der Sprache selbst.

In Deutschland experimentiert Kathrin Passig beispielhaft mit der Frage, wie der mündige Umgang mit Chatbots aussehen kann, mit virtuellen Assistenten im Internet, über die man in natürlicher Sprache mit dem dahinterstehenden System kommuniziert. Mit kleinen Maschinen also, mit denen man sich austauscht, um sich etwas (im Alltag) zu erleichtern, oder mit denen man im Fall von literarischen Experimenten Texte im Fluss der Kommunikation mit anderen produziert (mit Lesern? Usern? Mitmenschen?). Dabei entsteht eine Art von Text, der nicht mehr gespeichert werden muss, sondern der reine Kommunikation ist.

Vielleicht schreibt diese reine Kommunikation fort, was James Joyce vorschwebte, ein stetiger Fluss von Zeichen und deren Beziehungen zueinander als eine Art Weltwissen. Das eine (Finnegans Wake) wirkte kompliziert, das andere (textbasierte Kommunikation) wirkt einfach. Für diese Entwicklung interessant ist eine Feststellung von Beat Suter, einem Pionier des ersten digitalen literarischen Milieus in der Schweiz, der sich der Entwicklung und Erforschung von Computerspielen verschrieben hat, die sich auf eben jene, aber ebenso auf die mobil gewordene Literatur unserer Gegenwart beziehen lässt. Das Einfache (oder Schemenhafte) der Protagonisten von Computerspielen ist nicht Folge einer Zurückentwicklung, sondern Folge der Ermächtigung der LeserInnen und ihrer Persönlichkeit zu MitbestimmerInnen im Spiel. Jener wünscht nämlich schemenhafte Protagonisten (Texte), damit sie Projektionsflächen seiner eigenen Persönlichkeit bleiben.

Was nun als Künstliche Intelligenz unsere Welt und damit auch die Sprache zu verändern beginnt, erscheint wohl der konsequente nächste Schritt der menschlichen Sehnsucht, sich mit Maschinen zu vereinigen. Dabei zunächst auffällig ist, wie folgenlos Menschen in unserer technisch geprägten Kommunikation miteinander umgehen. Simulation und Projektion ersetzen den Dialog, das Sprechen und Schreiben wird völlig ungehemmt möglich, weil es keine Sanktionen mehr zu befürchten hat. Doch die Sprache braucht im Unterschied zu Algorithmen den Körper, das Gesagte wie das Ungesagte, ebenso die Doppeldeutigkeit, das Unverstandene, und eben auch eine moralische Abmachung. Dies alles trifft auf Algorithmen nicht zu, und so nimmt es nicht Wunder, dass in der digitalen Kommunikationswelt risikolose Äusserungen – etwa im Hate Speech – zum sozialen Trend geworden sind.

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Werden am Ende Roboter den schreibenden und im Schreiben denkenden und fühlenden Menschen ersetzen? Oder Menschen in der Symbiose mit Maschinen zu etwas wie Cyberborgs oder wie immer gearteten neuen Menschen geworden sein?

Um den Maschinen wenigstens noch etwas Menschenähnliches zu verleihen, werden heute AutorInnen im Silicon Valley und anderswo als narrative Designer in die Entwicklung sprechender Maschinen eingebunden. Aber, folgt man Steve Warwick, einem Chatbot-Pionier, wird es zumindest noch länger dauern, bis Maschinen ohne die Unterstützung von Menschen etwas wie die menschliche Sprache leisten werden können.

Der Mensch lernte den aufrechten Gang. Mit dem aufrechten Gang bekam er Hände, die Hände befreiten den Mund, und er lernte das Sprechen. Mit der Hand entwickelte er Werkzeuge, nachfolgend Maschinen, die ihm zu erleichtern begannen, was ihm schwer fällt, und die damit die Voraussetzung für seine Vorstellung von Gebildetsein waren. Die Literatur als Kondensat der Menschheitsgeschichte ist von Anfang zugleich eine Kulturtechnik und eine Folge der Befreiung des Menschen von der körperlichen Arbeit. Diese Entwicklung schreitet voran, und nun beginnt die Künstliche Intelligenz dem Menschen die Arbeit an der Sprache abzunehmen.

So könnte die Geschichte lauten. Und wir könnten uns fragen, ob diese Künstliche Intelligenz den Autor ersetzen wird. Sie wird es, so vermute ich, nicht tun, weil die Arbeit an der Sprache nicht nur Mühsal bedeutet, sondern ungeheure Lust erzeugt und ein intensives Leben befördert. Maschinen, so meine Vermutung, werden AutorInnen nicht daran hindern, diese weite Welt der Sprache zu betreten und zu durchforsten, und LeserInnen nicht davon abhalten, komplexe Elaborate darüber leben und hören zu wollen. Das ist und bleibt erst recht eine Frage des Gebildetseins.